Predigt von Landesbischof Dr. Carsten Rentzing

29. August 2015, Dresden, Kreuzkirche
Predigt von Landesbischof Dr. Carsten Rentzing
„Und als Jesus wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an
das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. Und sie brachten zu ihm
einen, der taub und stumm war, und baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege. Und er
nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte
seine Zunge mit Speichel und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm:
Hefata!, das heißt: Tu dich auf! Und sogleich taten sich seine Ohren auf und die
Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig. Und er gebot ihnen, sie sollten's
niemandem sagen. Je mehr er's aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. Und
sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die
Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.“
(Markus 7, 31-37)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus
Christus. Amen.
Lasst uns in der Stille um Gottes Segen beten.
Den Predigttext haben wir bereits als Evangelium gehört. Ich lese uns noch einmal
den letzten Satz: “Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die
Sprachlosen redend.“
Der Herr segne dies Wort an unseren Herzen. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Natürlich ist dies hier eine besondere Situation für mich. Und das nicht nur, weil ich
mich kurz fassen muss. Man fragt sich schon, ob man in dieser Lage im Grunde so
predigen kann, wie man dies als Pfarrer getan hat. Aber warum eigentlich nicht?
Auch ein evangelisch-lutherischer Bischof ist letztlich nur ein Pfarrer, wenn auch ein
primus inter pares, ein Erster unter Gleichen. Also auf zur Sache.
Wieder einmal sitzt der Herr Pastor bei Frau Schulte vor einer guten Tasse Kaffee
und einem leckeren Stück Kuchen. Der Pastor lobt den frommen Eifer der
Gastgeberin. "Ja, Frau Schulte, Ihnen wird gewiss einst ein schöner Lohn werden für
ihren unerschütterlichen Glauben." Frau Schulte nickt zustimmend. "Ja, Herr Pastor,
ich habe einen starken Glauben. Ich glaube einfach alles, egal, ob es wahr ist oder
nicht."
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So werden wir häufig von außen gesehen, wir Gläubigen. Gläubige, das sind
Menschen, die an irgendetwas glauben und sei es noch so absurd. Man sagt dies
durchaus auch mit einem Unterton der Bewunderung. Man ahnt, dass Glaube Berge
versetzen kann. Ganz gleich, um was für einen Glauben es sich dabei handelt.
Glaube als eine Art Placebo, das auch ohne Wirkstoff hilft. Hauptsache, du glaubst
daran!
Aber woran?
Der Glaube an Jesus Christus ist eben kein Placebo. Nicht effektvoll durch
Einbildung. Der Glaube an Jesus Christus ist der Glaube an die reale Macht Gottes,
die in diese Welt und in unser Leben hineinwirkt und beide verändert.
Genau dafür stehen die Geschichten des Neuen Testaments. Genau dafür steht
auch die Heilungsgeschichte, die wir gehört haben.
Man sollte nicht zu schnell zur übertragenen Bedeutung dieser Geschichte
übergehen. Zunächst einmal geht es um ein wunderbares Eingreifen in das Leben
eines bemitleidenswerten Einzelnen.
Erbarmungswürdig ist dieser Mensch allemal. Taub und stumm. Was muss es für
einen Menschen bedeuten, von aller Kommunikation ausgeschlossen zu sein? Mehr
als einmal bin ich auf Menschen getroffen, die mir ihr Leid klagten, weil sich ihr
Gehör so sehr verschlechtert hatte, dass sie nichts mehr von den Gottesdiensten
mitbekamen. Manch ein Mensch zieht sich aus der Gesellschaft anderer Menschen
zurück, weil er einfach nichts mehr versteht. Isolation und Verzweiflung sind die
Folge.
Jesus sieht diese Not, bei dem Einzelnen, der ihm gebracht wird. Er wendet sich ihm
ganz alleine zu und heilt ihn. Ein großartiges Zeichen gibt Jesus damit. Ein Zeichen
seiner Menschenliebe. Das Schicksal eines Einzelnen ist ihm nicht egal. Im
Gegenteil. Dem Einzelnen, der seine Hilfe braucht, wendet er sich zu. Man kann als
Bischof für sich daraus Hoffnung schöpfen. Man kann als Mensch in jeder Notlage
des Lebens daraus Hoffnung schöpfen.
Du und ich, wir sind Jesus Christus zu keinem Zeitpunkt gleichgültig.
Unser Vertrauen auf Christus ist von diesen klaren Inhalten bestimmt -und von der
Erfahrung, dass dieses Vertrauen nicht ins Leere geht, sondern sich erfüllt wie bei
dem Taubstummen.
Freilich gibt es auch eine übertragene Bedeutung unser Geschichte. Taub und
stumm ist der Mann, der zu Jesus gebracht wird. Taub oder stumm sind auch heute
manche Menschen. Stumm, weil sie zu schwach und hilflos sind, sich zu Wort zu
melden. Taub, weil sie die Ohren und die Herzen vor dem Wort der Barmherzigkeit
und Menschenliebe Gottes verschließen. Auch diesen Menschen wendet sich
Christus zu.
Die Art und Weise wie er dies tut, geschieht biblisch gesprochen in der Regel durch
seinen Leib.
Und dieser Leib ist niemand anderes als seine Kirche. Also wir!
Wir sind es, die für die Stummen da sein müssen, um Ihnen eine Stimme zu
verleihen. Eine Stimme für die Entrechteten, für die Verfolgten, für die Kleinen, für die
Armen, für die Flüchtlinge. Eine Stimme für all jene, die keine Stimme haben. Um die
Verteidigung ihrer Würde geht es. Denn Würde ist kein Konjunktiv. Ich bin froh und
dankbar für all die Gemeinden und einzelnen Christen, die den Menschen, die in
unser Land fliehen, ein Zeichen der Liebe und Barmherzigkeit und des Willkommens
geben und die öffentlich für sie einstehen und auftreten. Alle diese tun genau das,
wovon hier gesprochen wird. Dem Stummen eine Stimme verleihen. Und sie
befinden sich damit in der Nachfolge Jesu Christi. Und ich ermuntere unsere
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Gemeinden und die Gläubigen ausdrücklich diesen Weg weiterzugehen und die
Anstrengungen sogar noch auszuweiten.
Freilich gibt es da auch noch die Taubheit. In schlimmster und abscheulichster Weise
ist dies in den letzten Tagen wieder deutlich geworden. Natürlich dürfen und müssen
wir in unserer Gesellschaft darüber diskutieren, wie wir mit den Flüchtlingsströmen,
die zu uns streben, umgehen können und sollen. Es gibt da keine leichten Antworten.
Und manch ein Bürger hat vielleicht auch Sorgen oder gar Ängste, die sich damit
verbinden. Aber so sehr auch politische Debatten erlaubt sein müssen. Über die
Frage wie wir uns als Christen Flüchtlingen gegenüber zu verhalten haben, die an
unsere Türen klopfen und Schutz und Hilfe suchen, kann es keine Debatte geben.
Ich wünschte, mehr Menschen wären erfüllt vom Mitleid und der Barmherzigkeit, mit
der Jesus auf die Not des Einzelnen blickt. Notleidenden Menschen mit Hass und
Ablehnung zu begegnen entspricht niemals dem Geiste Christi. Und so können
Menschenhass und Gewalt nur unseren entschiedenen Widerspruch hervorrufen.
Denen, von denen Hass und Gewalt ausgeht einerseits, aber auch der gesamten
Öffentlichkeit in unserem Lande andererseits werden wir als Kirche Jesu Christi in
den Ohren liegen mit den Worten der Menschenliebe und Barmherzigkeit. Und wir
werden es tun in der Hoffnung und Erwartung, dass wenigstens dem ein oder
anderen die Ohren aufgehen und er zu hören beginnt. Solche Hoffnung ist nicht
unbegründet. Sie hat ihren Anlass in Jesus Christus. Er, der sich dem Einzelnen
zuwandte. Er, der den Tauben und Stummen heilte. Er wird auch seiner Kirche
beistehen, wenn sie antritt den Stummen redend und den Tauben hörend zu
machen. So wie sich einst Menschen durch die Begegnung mit Christus veränderten,
so kann es auch heute noch Veränderung geben durch den gekreuzigten und
auferstandenen Herrn, der in dieser Welt wirksam ist durch seine Kirche. Es kann
Veränderung geben. Und das zum Guten.
So lasst uns immer wieder auf den Herrn der Kirche schauen. Er weist uns die
Richtung. Auf ihn gründet all unsere Zuversicht und Hoffnung. Und auf dem Weg
seiner Nachfolge erwartet uns alle Segen und Frieden.
Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höhere ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen
und Sinne in Christus Jesus. Amen
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