ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH Der Christus in uns! Predigt von Pfarrer Peter Hechler gehalten am 27. September 2015 Schriftlesung: Matthäus 15,21-28 Predigttext: Galater 2,20 „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben.“ Liebe Gemeinde Ich bin begeistert! Ja, ich bin begeistert von einem grossen, wunderbaren Geheimnis, und weil ich ein Geheimnisträger sein darf. Und wissen Sie − Sie eben auch!! Ich bin begeistert darüber, dass Jesus Christus in mir lebt. Für unsere Welt ist das ein beinahe nicht fassbares Geheimnis! Darüber möchte ich heute predigen: Über den Christus in uns (Lesung Predigttext Galater 2,10). Hin und wieder habe ich es erlebt, dass Menschen zu mir sagten: „Weisst du, ich will erst etwas vom Leben haben, bevor ich mich für Jesus entscheide!“ Nur „etwas vom Leben haben“! Das ist doch viel zu bescheiden, wenn man nur etwas − so quasi ein bisschen − vom Leben haben will, wenn man doch das Ganze, das volle Leben haben kann. Und Jesus bietet jedem, der es nur will, ein ganzes, ein sinnerfülltes Leben. Und das Besondere daran ist doch: dieses Leben trägt das Ewigkeits-Prädikat! Es hat Wert für die Ewigkeit − also ein Leben, das uns nicht einmal durch den Tod genommen werden kann. 2 Bei einer Wüstensafari in Namibia traf ich einen interessanten Mann, einen richtigen Abenteurer. Der alltägliche Trott seines Lebens in Europa war ihm verleidet – und er ist ausgestiegen aus dem trüben Einerlei. Nun suchte der in Namibia seinen Traum von Freiheit. Es waren spannende Geschichten, die er zum Besten gab. Allem Anschein nach genoss er sein Leben als eine Art von Glücksritter in vollen Zügen. Aber der Schein trog. Im Laufe eines Nach-Gesprächs vertraute er mir seine tragische Erkenntnis an. „Eigentlich lebe ich gar nicht mehr so richtig. Das Leben liegt schon ziemlich hinter mir!“ Dabei war er gerade mal 50 Jahre alt. Wirklich traurig! Er wollte mehr! Und nun war da plötzlich nichts mehr. Paulus macht dazu eine ganz ähnliche Aussage – aber mit einer total anderen Bedeutung. Paulus ist überzeugt: Ich bin gestorben! Das alte Leben – das Leben ohne Gott – das Leben, das ich in eigener Verfügung gelebt habe, das ist tot; das ist abgeschlossen und vorbei. Ich habe es hinter mir. Ich habe es bei Jesus abgegeben − beim Gekreuzigten – dort hängt es. Und dadurch bin ich wie neu geboren − Und er ist es auch! Christus lebt in mir! So lautet das Geheimnis seines neuen Lebens. Sagen wir es einmal so: Seit Jesus „in“ ist − ist alles andere „out“! Christus lebt in mir − er, der Heiland der Welt, der Gekreuzigte, der Auferstandene, der Wiederkommende, der Weltenherrscher! Und es ist meine feste Überzeugung: Wer darüber Gewissheit hat Christus lebt in mir: muss seinen Wert nicht von dem abhängig machen, was er leistet und schafft; muss sich nicht mehr darüber definieren, was er an Besitz und Vermögen hat; ist nicht mehr abhängig von dem, was Andere über ihn sagen oder von ihr denken; dessen Bedeutung hängt nicht von seiner gesellschaftlichen 3 Stellung ab. Paulus jedenfalls definiert sich nicht mehr aus sich selbst heraus, sondern aus seiner Beziehung zu Christus. Nicht: Ich bin das, was ich leiste und kann! Sondern: Ich bin, was ich durch Christus bin! Also von Gott geliebt! Das gibt mir meinen Wert: Ich bin von Gott geliebt. Gottes ewige Liebe ist keine romantische, keine Schlagerliebe, sondern eine radikale Liebe. Sie hat radikal alles für mich eingesetzt. Ja, ich bin dem lebendigen Gott sein Liebstes − seinen einzigen Sohn − wert. Die Liebe Gottes hat mein ganzes Leben in Beschlag genommen. Und diese göttliche Tatsache sollen wir immer wieder neu begreifen und erfassen. Und zwar indem ich mich wieder bewusst dem anvertraue, der mich von Ewigkeit her geliebt hat. In einem alten Glaubenslied heisst es: „Ich will anstatt an mich zu denken, ins Meer der Liebe mich versenken.“ Sehen Sie, darauf kommt es an. Ich lebe nicht von dem was ich tue, sondern von dem, was er für mich getan hat. Oswald Chambers beklagte schon vor gut 100 Jahren, dass statt dem Kreuz zu oft der Dienst für Gott betont werde. Und er fährt fort, dass viele und gerade eifrige Christen bereit seien, „alles für Gott zu tun, ausser dem einen, nämlich ihr Recht an Jesus abzugeben.“ Aber gerade darauf kommt es an: dass wir, dass Sie sich ihm ganz, total und radikal überlassen! Ein kleines Mädchen besichtigte mit ihren Eltern eine berühmte, grosse, alte Kirche. Nachdem das Kind alles gesehen hatte, meinte es: „Da ist aber kein Gott drin!“ Nun, wenn in einem Bauwerk − wie berühmt es auch sei − Gott nicht zu finden ist, so schadet das nichts. Bauwerke leben letztlich nicht von Gottes Nähe. Wirklich schlimm ist es, wenn man von einem Christenmenschen sagen muss: „Da ist aber kein Gott drin!“ Er oder sie sind fromm und begabt, einflussreich und 4 beliebt, erfolgreich und unentbehrlich, opferbereit und einsatzfreudig. Aber das zählt letzten Endes nicht! Wir leben von der Nähe Gottes oder gehen ohne ihn verloren. Die entscheidende Frage ist also folgerichtig, ob Christus in meinem Leben drin ist. Und dabei geht es nicht um fromme Gefühle, sondern um göttliche, geistliche Wirklichkeit. Wer ihm die Türe aufmacht, zu dem tritt er ein und hat Gemeinschaft mit ihm. Auch wenn man es nicht fühlt. Auch wenn der Zweifel nagt, es hat immer Gültigkeit: „All denen jedoch, die ihn aufnahmen und an seinen Namen glaubten, gab er das Recht, Gottes Kinder zu werden. − Sie wurden es weder aufgrund ihrer Abstammung noch durch menschliches Wollen, noch durch den Entschluss eines Mannes; sie sind aus Gott geboren worden“ Johannes-Evangelium 1,12 und 13. Ich stelle manchmal fest: Es gibt nicht wenige Christen die so leben, als müssten wir aus uns solche Menschen machen, in denen Christus lebt. Doch wer das versucht, landet im frommen Krampf und es dauert oft nicht lange, und man steckt in der frommen Heuchelei. Christus in uns – das ist Gottes Geschenk! Ich muss nicht auf „fromm“ machen. Er hat mich fromm gemacht − und das ist die Befreiung! Wir müssen nicht meinen, wir könnten es mit unserer Anstrengung hinbekommen. Wir müssen nicht das tun wollen, was nur er tun kann. Wir müssen nicht das tun, was er doch längst getan hat. Und das, liebe Freunde, das ist die fromme Revolution, die das Leben des Paulus und vieler anderer radikal umgekrempelt hat. Es kommt nicht auf mich und meine fromme Leistung an. Worauf es ankommt, das ist Christus! Der Liederdichter Philipp Friedrich Hiller schrieb eine tolle und bedenkenswerte Strophe: „Gott, gib mir, du kannst‘s geben, ein Herz, das nur bemüht, dass 5 es die Kraft zum Leben allein aus Christus zieht! Was nützt’s, wenn ich mich färbe“ − wenn ich mir bloss ein christliches Makeup auflege − „und Gott nichts, wenn ich sterbe, an mir von Christus sieht?“ Christliche Anstrengungen aus eigener Kraft überfordern. Der Christus in mir, er will mich antreiben zum frommen Tun und Lassen. Gerne möchte ich es an einem simplen Beispiel zeigen. Ich habe hier verschiedene Handschuhe mitgebracht (einen Arbeitshandschuh, einen Handschuh gegen die Kälte, einen Küchenhandschuh und einen Lederhandschuh). Sie sind alle intakt. Nur der Arbeitshandschuh ist schon leicht ramponiert. Ich kann diese Handschuhe bitten, etwas für mich zu tun. Ich kann es ihnen befehlen, ihnen sogar drohen. Aber es hat alles keinen Wert. Wenn nicht eine Hand hineinfährt, ihn bewegt und gebraucht, schafft der Handschuh nichts. Doch wenn das passiert, dann kann er tun, wofür er geschaffen wurde. Christus in uns! darauf kommt es an. Doch auch wenn Christus in uns ist, haben wir unser natürliches Leben wie eh und je. Was Paulus hier sagt, ist eine geistliche Wirklichkeit! Genetisch ist alles beim Alten. Mein Charakter ist genauso wie vorher. Ich bin der, der ich bin: Versuchlich, angefochten und auch nicht selten verzweifelt über mein eigenes Versagen. Im 2. Korintherbrief 4,7 drückt Paulus es so aus: „Wir allerdings sind für diesen kostbaren Schatz, der uns anvertraut ist, nur wie zerbrechliche Gefässe, denn es soll deutlich werden, dass die alles überragende Kraft, die in unserem Leben wirksam ist, Gottes Kraft ist und nicht aus uns selbst kommt.“ Mir hilft dabei das Bild einer Schmuckdose, in der ein kostbares Schmuckstück liegt. Die Schmuckdose ist vielleicht verbeult, verrostet und alles andere als kostbar. Ihr Wert liegt in dem, was drin ist! Das Ent- 6 scheidende im Leben eines Christen ist das, was drin ist: Christus lebt in mir! Er wirkt in mir, er wirkt durch mich hindurch. Und er vergibt; gibt mich nicht auf und schenkt mir immer wieder neue Kraft und neuen Mut. Das ist das Geheimnis des geistlichen Lebens: Er ist die Kraftquelle – er gibt immer neu die Motivation. Und es hilft mir, wenn ich es mir immer wieder bewusst mache: Ich bin in meinem geistlichen Leben keine „Ich-AG“; ich bin in einer „Jesus-AG“, eine „Jesus-Arbeitsgemeinschaft“. „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht“ Philipper 4,13. Und: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“ Psalm 18,30. Christus lebt in mir – das hat 1. Auswirkungen im Blick auf meine Vergangenheit. Der Christus, der in mir lebt, ist doch der, der am Kreuz ausgerufen hat: „Es ist vollbracht!“ Er hat ein vollkommenes Erlösungswerk für mich geschaffen. Meine Schuld ist weg! Ich darf aufatmen! Wo ich heute noch mit meiner Schuld lebe, da bin ich selber schuld. Wenn er sagt: „Ich will nie mehr an Deine Schuld denken“ (Jeremia 31,34), brauche ich es doch auch nicht mehr tun! Ich lebe in einer neuen Wirklichkeit. Mir ist alle Schuld vergeben! Hier eine kleine Geschichte, die man sich von Martin Luther erzählt, der bis spät abends in seinem Arbeitszimmer studierte. Und der Teufel schleicht durch die Stadt und will den Reformator bei seiner Arbeit stören. Unter dem Fenster des Arbeitszimmers ruft er nach oben: “Wohnt hier der Doktor Martinus Luther?” Luther hört die Stimme des Teufels, springt zum Fenster, reisst die Läden auf und ruft hinunter: “Nein, der Martin Luther, der ist längst gestorben. Hier wohnt Jesus Christus!” Da zieht der Teufel seinen berühmten Schwanz ein und flüchtet so schnell er kann. 7 Christus lebt in mir – das hat 2. Auswirkungen im Blick auf meine Gegenwart: „Die ersten Augenblicke des neuen Tages gehören nicht eigenen Plänen und Sorgen, auch nicht der Übereifer der Arbeit, sondern Gottes befreiende Gnade, des Christus segnende Nähe.“ − So hat es Dietrich Bonhoeffer ausgedrückt. Ja, liebe Mitchristen! Es ist gut und hilfreich, sich zu Anfang jedes Tages klar zu machen, dass Christus bei mir ist. Also: Ich lebe in dieser Welt als ein Mensch, in dem Christus wohnt. Ich bin nie allein. Ich muss mich nie allein abstrampeln. Die Zeit ist vorbei, wo ich auf mich allein gestellt war. Egal, wo ich gerade bin und was ich tue: „Christus in mir“ ist dabei. Das ist der hohe Adel meines Lebens. „Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich dahingegeben hat.“ Und so lebe ich − fromm, fröhlich, frei − munter und fidel; echt und ungekünstelt. Ich muss nicht so tun „als ob“ – wenn er mich doch angenommen hat, wie ich bin. Und er öffnet mir dann auch den Blick für die von ihm genauso geliebten und noch verlorenen Menschen. Er will mich gebrauchen, für andere ein Segen zu sein. Er gibt mir tausend Gründe ihn zu loben und ihm zu danken. Er gibt mir den Mut, mein Herz bei ihm auszuschütten und eigene und fremde Not vor ihn zu bringen. Er gibt mir Massstäbe, die herausfordern, und die mich absolut überfordern, wenn ich sie allein − ohne ihn umsetzen will. Aber mit Christus werden sie die Grundlage für ein erfülltes Leben. Er gibt mir Freude, die sogar im Leid Stand hält. Christus in mir − und das macht das Leben ausserordentlich spannend. Und weil er, der Auferstandene, in mir lebt, hat für mich das ewige Leben schon begonnen. Ja, Christus lebt in mir – und das hat 3. Auswir- 8 kungen im Blick auf meine Zukunft. Der, der in uns lebt, hat es gesagt: „Ich lebe – und ihr sollt auch leben!“ Johannes 14,19. Sein Leben mit dem Prädikat „ewig“ gibt uns heute schon die Beziehung mit dem Ewigen und gibt uns eine Perspektive, weit über unsere irdische Wirklichkeit hinaus. Auf einem einfachen Grabkreuz steht der Spruch: „Hier ruht Michael Wiesner – und zwar nur, bis zum Tag der Auferstehung!“ Das ist lebendige Hoffnung! Und die ist un-zerstörbar und (wie man heute so sagt:) unkaputtbar! Paulus bringt es auf den Punkt: „Weil mein Leben dem Christus gehört, gewinne ich sogar im Sterben“ Philipper 1,21. Es gibt ganz interessante Spiegelsprüche − das sind gute Gedanken auf durchsichtiger Folie, die man auf den Spiegel kleben kann. Z.B. mit dem Aufdruck: „Ich bin wundervoll!“ − „Ich schaffe das!“ oder „Heute ist mein Tag!“ Leider gibt es noch keinen mit unserem Leitgedanken. Und so ermutige ich Sie, unseren Text auf Ihren Spiegel zu Hause zu schreiben: „Christus lebt in mir − heute und jeden Tag!“ Und dann schauen Sie bewusst immer wieder in den Spiegel ... nicht nur um zu sehen, ob die Frisur richtig sitzt, sondern um festzustellen, was noch viel, viel wichtiger ist als alles andere: „Christus lebt in mir!“ Dieser einzige und einzigartige Christus in mir bewahrt mich vor der Schwermut: „Ich bin so allein!“ und auch vor dem Hochmut: „Ich schaffe das allein!“ Und so lebe ich: Befreit von der Last meiner Schuld und Sünde der Vergangenheit. Geborgen in den Herausforderungen der Gegenwart. Gesichert im Blick auf die Zukunft: Denn Jesus Christus lebt in mir! Mein Leben ist sein Leben! Amen. ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH St. Anna-Kapelle, St. Annagasse 11, 8001 Zürich Gottesdienste: Sonntag 10.00 Uhr, Bibelstunden: Mittwoch 15.00 Uhr Sekretariat St. Anna, Grundstrasse 11c, 8934 Knonau, Telefon 044 776 83 75
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