Yamaha XSR 700

Yamaha XSR 700
- Fahrbericht aus MOTORRAD 24/2015 -
Wie warme Semmeln ging Yamahas Mittelklasse-Naked MT-07 im ersten Jahr weg, aus
guten Gründen. Nun kommt das beliebte Playmobil als „Neo-Retro“-Bike XSR 700 im
angesagten Customizer-Outfit. Optisch ein neuer Aufschlag, technisch praktisch unverändert
– gottlob.
Japaner sind heute auch nicht mehr das, was sie früher einmal waren. Vor der
Jahrtausendwende galten sie als verschlossen, nicht besonders umgänglich, irgendwie
undurchschaubar - zumindest aus der Sicht von uns Europäern. Heute jedoch geben sie sich
weltoffen und aufgeschlossen, sind echte Motorrad-Freaks und lustige Gesprächspartner,
die nicht anders ticken als wir. Und sie arbeiten auch anders als früher, schauen auch mal
über den japanischen Tellerrand.
Yamahas XSR 700 ist ein gutes Beispiel dafür. Entwickelt wurde sie zwar von Japanern,
jedoch mitten in Europa. Federführend war GK Design, das seit mittlerweile 60 Jahren alle
Yamahas gestaltet und längst eine europäische Dependance unterhält. Hauptsächlich
zeichnete bei der XSR Jun Tamura, der Ikonen wie die YZF-R7 oder die MT-01 schuf. Ob
die XSR einen ähnlichen Kultstatus erlangen kann? Warten wir es ab. Das Ziel ist zumindest
angestrebt, soll die XSR doch als Baustein der Yamaha-Philosophie „Faster Sons“ das
Erbgut solcher Legenden wie XS 650 und SR 500 in die Neuzeit transferieren. Optisch wird
das nicht unbedingt klar, man versuchte, es Journalisten bei der Präsentation in einem
eineinhalbstündigen Vortrag näherzubringen. Interessant, dass die MT-07 weiter in Japan
gebaut, die XSR jedoch in Frankreich bei der Yamaha-Tochter MBK mit vielen europäischen
Zuliefererteilen komplettiert wird. Selbst der XSR-Rahmen wird in Frankreich gefertigt.
Doch kommen wir zum wichtigeren Teil bei der Präsentation eines neuen Modells, dem
Fahreindruck. Dieses Mal war es ausnahmsweise keine Fahrt ins Unbekannte, wusste doch
jeder Journalist, was ihn auf der äußerst unterhaltsamen Runde im Osten Sardiniens
erwartet. Denn, wie gesagt, ist die XSR technisch mit der MT-07 weitestgehend identisch.
Einige interessante Erkenntnisse lieferte die 200-Kilometer-Runde auf der im Spätherbst
überraschend grünen Insel trotzdem.
Beginnen wir mit dem Motor, dessen Peripherie dem kommenden Euro-4-Regularium
angepasst werden musste. Es gab kleine Änderungen an der Edelstahl-Auspuffanlage, im
Ansaugtrakt – es entfiel die bisherige Einlassklappe in der Airbox – und am Mapping der
Abstimmung, die aber für den Fahrer unmerklich bleiben. Der Sound hat unter den
restriktiveren Vorschriften kaum gelitten, nach wie vor produziert der Reihen-Twin mit der
270-Grad-Kurbelwelle den typischen Schlag eines 90-Grad-V2. Japanisch-unaufdringlich
sicherlich, unvernehmlich aber keineswegs.
Und er hat auch den V2-Charakter übernommen. Ein Motor mit einmaliger Bandbreite: bollert
mit tiefem Bassfundament los, trällert aber auch gern im höchsten Sopran-Stakkato. Hängt
zwischen diesen Extremen jederzeit feinst berechenbar und direkt, nie hektisch am Gas.
Sicherlich nicht nur in seiner Klasse eines der besten Triebwerke derzeit, trotz
überschaubarer Maximalleistung von unveränderten 75 Euro-4-PS.
Weitgehend identisch mit dem Basismodell ist auch das Chassis. Das Franzosen-Rohrwerk
besitzt die gleiche Geometrie wie sein japanisches Pendant, nur verpasste man dem Heck
eine angeschraubte Schleife, damit radikale Customizer nicht zur Flex greifen müssen. Eine
Idee, die bei BMW abgeschaut wurde, wie der Projektleiter Tatsuo Yamamoto zugibt: „Wir
haben das bei der R nineT gesehen, das fanden wir gut. Also haben wir diese Idee
aufgegriffen.“ Hmmh, früher hätte ein Japaner das wohl eher verklausuliert rübergebracht.
Der deutsche Designer Jens vom Brauck hat diese Idee bereits bei seiner puristischen
„Super Seven“ genutzt. Solange er dran ist, trägt der Schraubbügel allerdings einen nicht
unerheblichen Anteil zum XSR-Mehrgewicht von rund vier Kilogramm bei.
Der Rest versteckt sich in schwereren, sicher auch edleren Metallteilen. So ist die silbern
bzw. in Grün lackierte Tankabdeckung keinesfalls reine Show, sondern aus – übrigens
ebenfalls in Europa geformten – Aluminium-Teilen zusammengeschraubt. Darunter verbirgt
sich der wie bei der MT-07 14 Liter fassende Stahltank. Weitere nette Details wie der an
einem Alu-Bügel aufgehängte vordere Kotflügel erfreuen den Käufer, machen die XSR aber
auch um einiges kostpieliger im Vergleich zum Preisbrecher MT-07. Rund 1100 Euro
Aufpreis verlangt der Importeur im Vergleich zur MT-07, das ist in dieser Preiskategorie
schon ein Wort. Optisch bieten solch leckere Details sicher einen ansprechenden
Gegenwert, funktionell bringen sie jedoch keinen wirklichen Mehrwert. Für 1000 Euro
Taschengeld könnte man zum Beispiel eine MT-07 fahrwerksmäßig gehörig aufwerten. Wie
die Basis-MT kommt die XSR serienmäßig mit ausgesprochen lasch abgestimmter Federung
daher. Das bringt Komfort, aber auch viel Bewegung zu Lasten der Stabilität.
Fahrdynamikern fehlt es an Dämpfung, Härte und Progression. Solange man es jedoch nicht
so eilig hat, stört das auch eigentlich gar nicht, zumindest im Solobetrieb.
Kleinere Unterschiede ergeben sich durch die Sitzposition. Der deutlich breitere XSR-Lenker
ist weiter nach hinten gekröpft, die fein abgesteppte, braun/schwarze Sitzbank wurde 10 mm
höher. Daher sitzt der Pilot ein wenig touristischer, was mancher als entspannter empfindet.
Die MT-Ergonomie ist dagegen etwas sportlicher und aktiver, weil der Fahrer mehr Druck
aufs Vorderrad geben kann. Keine gewaltigen Differenzen und sicher eine Frage des
individuellen Geschmacks. Auffällig ist die lommelige Gummiaufhängung des
Lenkergeweihs, da hätte Yamaha ruhig zu härterem Stoff greifen können. Den gibt es im
umfangreichen Werkszubehör nicht, wohl aber jede Menge mehr oder weniger nützliche
Teile, um die XSR weiter aufzupeppen. Und wer gravierende Veränderungen plant, der darf
ja auch gern selbst zur Flex – pardon, zum Schraubenschlüssel greifen.
Technische Daten Yamaha XSR 700
Motor
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-Reihenmotor, eine Ausgleichswelle, zwei
obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel,
Nasssumpfschmierung, Einspritzung, 2x Ø 38 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine
410 W, Batterie 12 V/9 Ah, Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kette,
Sekundärübersetzung 43:16.
Bohrung x Hub: 80,0 x 68,6 mm
Hubraum: 690 cm³
Verdichtungsverhältnis: 11,5:1
Nennleistung: 55,0 kW (75 PS) bei 9000/min
Max. Drehmoment: 68 Nm bei 6500/min
Fahrwerk
Brückenrahmen aus Stahl, Telegabel, Ø 41 mm, Zweiarmschwinge aus Stahl,
Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Doppelscheibenbremse vorn,
Ø 282 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 245 mm, EinkolbenSchwimmsattel, ABS
Alu-Gussräder, 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen: 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17
Maße und Gewichte
Radstand 1405 mm, Lenkkopfwinkel 65,5 Grad, Nachlauf 90 mm, Federweg v/h 130/130
mm, Sitzhöhe 815 mm, Gewicht vollgetankt 186 kg, Tankinhalt 14,0 Liter
Garantie und Preis
Garantie: zwei Jahre
Farben: Grün
Preis: 7495 Euro
Nebenkosten: 180 Euro
Copyright: MOTORRAD, Motor
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