Danielle Quinodoz zum Gedenken - Zeitschrift für psychoanalytische

Danielle Quinodoz zum Gedenken
Die Nachricht vom Tod von Danielle Quinodoz am 8. April kam für mich
unerwartet und hat mich stark getroffen. Ich wusste nicht, dass Danielle
schon seit längerer Zeit schwer krank war. Ich selbst habe mich als emeritiertes Mitglied vor einigen Jahren vom aktiven Leben der schweizerischen
Gesellschaft für Psychoanalyse zurückgezogen, wusste aber, dass Danielle und Jean-Michel Quinodoz nicht beabsichtigten, in nächster Zeit diesen
Schritt zu vollziehen, sondern weiterhin als Psychoanalytiker in ihren Praxen arbeiteten und als Referenten in viele Städte der Welt eingeladen wurden.
Danielle kaum mehr zu begegnen, verstand ich ausschliesslich als Folge meines Rückzugs, betrachtete es auch nicht als endgültig, sondern als etwas, das
ich verändern konnte. Und nun muss ich von dieser Möglichkeit Abschied
nehmen im Bedauern, sie in den letzten Jahren verpasst zu haben. Verzichten
müssen aber auch die Leser der Zeitschrift für psychoanalytische Theorie und
Praxis auf die Aussicht, einen neuen Artikel von Danielle Quinodoz entdecken zu können oder durch eine Buchbesprechung auf ein neues Buch von ihr
aufmerksam gemacht zu werden. Beim Tod eines geschätzten Autors, sei es
aus dem Bereich der Psychoanalyse oder der Belletristik, finde ich es immer
besonders schmerzlich zu akzeptieren, dass wir von ihr oder ihm nichts mehr
Neues zu lesen bekommen werden. Auf der andern Seite haben wir aber als
Leser bei Schreibenden die Möglichkeit zurückzugreifen auf das, was sie uns
hinterlassen haben. Dies ist auch der Grund dafür, dass ich, obwohl eben aus
der Redaktion der blauen Zeitschrift zurückgetreten, dem Wunsch meiner
Kolleginnen und Kollegen nachkomme, etwas von dem wiederzugeben, was
Danielle Quinodoz uns vermacht hat. Ich möchte das für mich Wichtigste,
aus zwei Artikeln in der Zeitschrift, »›Ich habe Angst mein Kind zu töten‹,
oder ausgesetzter Ödipus, adoptierter Ödipus« (1991) und »Wie weckt man
den Wunsch nach einer Analyse bei einem Patienten, der nicht weiss, was
eine Analyse ist?«, und aus Besprechungen von zwei ihrer Bücher, Les mots
qui touchent (2003) und Veillir une découverte (2010), hervorheben, nicht im
Sinne eines Festhaltens, sondern im Wunsch, anzuregen zum Wieder- und
Weiterlesen, zum Entdecken der zahlreichen, in anderen Zeitschriften publizierten Artikel, auf welche die Bibliographien in ihren Büchern hinweisen.
Denn es sind schon ihre Artikel und Bücher, die mich am stärksten mit
Danielle verbinden, angefangen mit ihrem Vortrag zur Erlangung der Mitgliedschaft in der schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse zu Beginn
der siebziger Jahre. Durch ihn bin ich erstmals in Kontakt gekommen mit
dem, was ich damals als ihre spezielle Technik empfand. Berührt oder sogar
aufgerüttelt und zuerst auch etwas verwirrt, hat mich damals von der späteren Autorin der »Worte die berühren« vor allem ihre Art, die Projektionen und Identifizierungen ihrer Analysanden wahrzunehmen, dann bei sich
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wahrzunehmen, wie sie sich zeitweise mit diesen Projektionen identifizierte und sich den auf sie projizierten frühen Objekten so ausgeliefert fühlte
wie vermutlich die Kinder, die diese einmal waren. Als diese Kinder gab sie
den Gefühlen, die sie empfand, in Worten Ausdruck, etwas, das den Analysanden in ihrer Kindheit nicht möglich gewesen war. Dafür den Begriff
Technik zu verwenden, scheint mir jetzt zu sehr die Vorstellung von etwas
bewusst Steuerbarem zu wecken. Er wird dem Erleben der Analytikerin in
der Gegenübertragung mit seinen unbewussten Anteilen zu wenig gerecht.
Zutreffender scheint mir, das, was zwischen Analytikerin und Analysand
geschah, als ein Spiel mit Projektionen und Identifizierungen zu bezeichnen.
Man kann auch sagen, dass es Danielles Art war, mit der projektiven Identifizierung umzugehen. Vor allem in ihrem Buch »Worte die berühren«, aber
auch in dem vorhin erwähnten Artikel von 2003 zum Erstgespräch, stellt sie
ausführlich und anhand vieler Fallbeispiele dar, wie sie sich von dem, was
ihr ihre Analysanden mitteilen, berühren lässt, und allmählich das anfänglich vielleicht Konfuse, was dieses Berührt-Werden auslöst, in Worte fassen
kann, die dann die Patienten berühren. Versteht man das als »Technik«, geht
man ja auch davon aus, dass es etwas ist, das sich weiter vermitteln, lehren
und lernen lässt. Noch bevor ich in Danielles Schriften las, wie wichtig es ihr
ist, ihre Supervisanden nicht dazu verführen, ihre Arbeitsweise zu imitieren,
war mir aufgefallen, dass ich in Fallseminaren oder Prüfungsvorträgen unter
ihren Supervisanden nie einer kleinen Danielle, also einer Kopie von ihr
begegnete. In erstaunlicher und bewundernswerter Weise ist es ihr gelungen,
den Kandidaten das, was zwischen ihnen und ihrem Analysanden geschah,
auf eine Art wiederzugeben, dass es ihnen einen Raum öffnete, in dem das
Hören und das dabei Berührt-Werden es ihnen ermöglichte, für ihre Patienten Worte, die berühren zu finden. Aus meiner eigenen Erfahrung kann
ich sagen, dass auch bei der Lektüre ihrer Beispiele neue Einfälle zu eigenen
Patienten ausgelöst werden können.
Danielle Quinodoz hat berechtigterweise den Ruf, eine ausgezeichnete
Klinikerin zu sein. Betont man aber allzu einseitig diese Fähigkeit, ist man
in Gefahr, an Quinodoz, die sich intensiv mit dem Abwehrmechanismus der
Spaltung und dessen Folgen beschäftigt hat, die theoretischen und verbindenden Fähigkeiten zu unterschätzen. Aber das sie Auszeichnende scheint
mir zu sein, wie es ihr gelingt, die Theorie mit der Klinik zu erklären, z. B.
eben den Abwehrmechanismus der Spaltung (1991). So stellt auch der Band:
»Worte die Berühren« eine Fundgrube von Begriffsklärungen dar, aus klinischer und aus theoretischer Sicht.
Danielle Quinodoz war – und durch ihre Schriften bleibt sie es – eine
Verbinderin. Es war ihr ein Anliegen, die unterschiedlich weit entwickelten
Persönlichkeitsanteile der Patienten, für die sie die den Begriff »die Heterogenen« schuf, miteinander zu verbinden, und es ihnen zu ermöglichen, die
unverbunden abgespaltenen Teile mit Hilfe der Fähigkeit, Ambivalenz zu
ertragen ins Selbst aufzunehmen. Sie betonte auch, wie wichtig es sei, im
Betty Raguse Danielle Quinodoz zum Gedenken
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Prozess des Älterwerdens Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eine
Verbindung zu bringen. (2008)
Für sie ist dieser Prozess jetzt zu Ende gegangen. Es bleibt die Neugier,
die sie durch ihre Überlegungen bei Andern geweckt hat. Dafür sind wir ihr
dankbar.
Betty Raguse, Basel
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