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In St. Moritz gibt es einen Jungunternehmer, der als 23-Jähriger ein englisches Wort falsch verstanden und
damit die Basis für ein Start-up-Unternehmen gelegt hat, das noch von sich reden machen könnte.
Interview: Irene Schertenleib
Fotos: Justin Hession / ZVG Algordanza
Gründung des Unternehmens Augenstern Diamonds mit Hauptsitz in St. Moritz. Die Grundidee war dieselbe, die
Ausrichtung neu: Anstelle der Kremationsasche verwendet Augenstern Diamonds den Kohlenstoff aus den Haaren von
lebenden Menschen für die Herstellung von synthetischen Diamanten.
MICHAEL SCHUMACHERS KOSTBARES HAAR
Augenstern Diamonds – der Name ist verheissungsvoll. Rote oder rosafarbene, gelbe, blaue und grüne Diamanten werden gefertigt – für die Grundfärbung ist der Zusatz von chemischen Elementen wie Stickstoff verantwortlich.
Aber jeder Diamant hat eine unvorhersehbare Komponente: Je nach Beschaffenheit des Haares tendieren zum Beispiel
rote Diamanten eher in Richtung Pink. Diese individuelle Färbung macht die Diamanten zu einem wirklichen Unikat,
da sie quasi die chemische DNA des Trägers in sich tragen. Und so sollen sie sein – so kostbar wie das eigene Augenlicht. Rinaldo Willy selbst trägt einen Ring mit zwei leicht blau getönten Diamanten, natürlich auch Produkte seiner
eigenen Haare. Gerade die Idee, einen persönlichen Edelstein zu tragen, könnte der Schlüssel zum Erfolg werden. Aber
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dafür braucht es noch etwas Überzeugungsarbeit, das Produkt muss bekannter werden. Einen Grossteil der kreativen
Energie investiert das Jungunternehmen deshalb in überraschende PR-Aktionen wie diese: Im September wurde ein
Rinaldo Willy wusste schon als Kind, dass er etwas verändern wollte auf der Welt. Was das genau sein könnte,
„Charity-Diamant“ aus Michael Schumachers Haaren zugunsten der Multiple Sklerose Gesellschaft versteigert. Sie
wusste er lange nicht. Heute hat der Jungunternehmer drei Firmengründungen hinter sich. Und ja: Die Nachfrage ist
feiert dieses Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum, genauso wie die junge Wirtschaftskammer Engadin, die den Kontakt ver-
auch beim jüngsten Unternehmen bereits grösser als das Angebot. Doch beginnen wir von vorne.
mittelt hat und Rinaldo Willys Unternehmen unterstützt. Der „Charity-Diamant“ erzielte 11’000 Schweizer Franken,
Als HTW-Student in Chur las Willy einen Artikel in der US-Wissenschaftszeitschrift „Science“ über die indus-
die Aktion wurde medial gut beachtet. Auf ebenso viel Interesse dürfte in Russland der Diamant stossen, der an der
trielle Diamantproduktion im Zusammenhang mit der Herstellung von Halbleitern für die Computertechnologie. Es
Millionaire Fair in Moskau versteigert wird: Diesmal aus den Haaren von Miss Russland Victoria Lopyreva gefertigt,
ging dabei um die Frage, ob Diamanten andere Eigenschaften erhalten, wenn man unterschiedliche Kohlenstoffquellen
kommt der Erlös einem Waisenhaus zugute. Rinaldo Willy weiss, wie wichtig diese Aktivitäten sind: „Wir sind ein
verwendet. Rinaldo Willy übersetzte „ashes“ irrtümlicherweise mit „Kremationsasche“ und dachte mehr an Schmuck-
junges Start-up-Unternehmen, wir müssen sehr kreativ sein, um die Leute auf uns aufmerksam zu machen.“
stücke denn an Halbleiter. Er diskutierte das Gelesene mit seinem damaligen Dozenten und heutigen Geschäftspartner
Veit Brimer. Ja, wieso sollte es nicht möglich sein, aus der Kremationsasche eines Menschen einen Diamanten herzu-
DIE ZUCHTPERLE UNTER DEN DIAMANTEN
stellen? Und damit etwas ganz Persönliches als Andenken an einen geliebten Menschen? Was, wenn sich in Zukunft
Damit dies gelingt, muss ein weiteres Vorurteil abgebaut werden: Dem synthetisch hergestellten Diamanten
neben der Erd- und Feuerbestattung die Diamantbestattung als dritte Variante durchsetzen könnte? Die Geschäftsidee
haftet der Ruf der Künstlichkeit an. Und dies, obwohl das Angebot an natürlichen Diamanten schon längst nicht mehr
liess die beiden nicht mehr los. Sie entwickelten an der ETH Zürich, die ihnen die Infrastruktur zur Verfügung stell-
reicht, um die Nachfrage zu decken: Nur noch 20 Prozent aller Diamanten sind natürlich. Der Begriff „synthetisch“
te, in einem eigenen Projekt das „Extraktionskitverfahren“, liessen es patentieren und begannen, ihren Traum in die
kommt aus dem griechischen „sýnthesis“, was so viel wie Zusammensetzung, Zusammenfassung oder Verknüpfung
Realität umzusetzen.
bedeutet. Aber nicht Künstlichkeit. Rinaldo Willy betont, dass ein im Labor erzeugter Diamant auf Molekularebene
Von da an ging es schnell: 2004 folgte die Gründung der Firma Algordanza – der Name ist romanisch und
gleich beschaffen ist wie ein natürlicher Diamant und in dem Sinne echt ist. Denn auch unter Laborbedingungen wir-
bedeutet so viel wie Erinnerung. Das Unternehmen war weltweit das einzige, das Diamanten aus Kremationsasche
ken Hitze und Druck gleich wie in der Natur. Der Unterschied liegt in der Entstehungszeit und in den chemischen
herstellte. Unterdessen arbeiten 115 Leute bei Algordanza in 23 Niederlassungen auf der ganzen Welt. Rund 80 bis
Komponenten – synthetisch erzeugte Diamanten enthalten immer Spurenelemente wie Eisen, Aluminium oder Stick-
100 Diamanten werden jährlich produziert. Nun war die unternehmerische Faszination geweckt, 2008 folgte die
stoff. Ausserdem weisen im Labor erzeugte Diamanten regelmässige Wachstumslinien auf im Gegensatz zu natürlichen
Diamanten. Willy verwendet deshalb lieber den Begriff „kultiviert“, analog zu den Zuchtperlen. Ein weiterer Punkt
spricht für die kultivierten Diamanten: Sie hinterlassen keine zerstörten Landschaften und werden nicht unter problematischen Arbeitsbedingungen geschürft. Gerade dieser Aspekt dürfte in einer Zeit der grösseren Sensibilität für
ökologisches Bewusstsein immer wichtiger werden.
WARTEN AUF DEN ENKEL
Die Zeit bei Algordanza hat Willy nachdenklicher gemacht – der Anlass für die Anfertigung eines Diamanten
war immer traurig. Umso mehr schätzt es der Jungunternehmer, der selber vor Lebendigkeit sprüht, dass er bei Augenstern Diamonds viel öfter mit heiteren und freudigen Ereignissen konfrontiert wird. Er erzählt von einer Familie
aus dem Oberengadin, die den 75. Geburtstag der Grossmutter, Mutter, Schwester feiern wollte und der ehemaligen
Goldschmiedin einen Diamanten aus den Haaren aller Familienmitglieder schenken wollte. Nach einem ersten Treffen hörte Rinaldo Willy lange nichts mehr von der Familie. Nach Monaten wurde der Diamant endlich in Auftrag
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gegeben. Denn nun war auch der Urenkel auf der Welt – man hatte gewartet, bis auch dessen Haar für den Familiendiamanten verwendet werden konnte. „Es hat mich berührt, als ich gesehen habe, wie wichtig es der Familie war, dass
jedes Familienmitglied berücksichtigt wird.“
GLÄNZENDE PERSPEKTIVE
Augenstern Diamonds ist zwar noch jung und muss seinen Platz auf dem Markt behaupten. Aber erste Erfolg
versprechende Schritte sind getan. So arbeitet das Unternehmen und sein pfiffiger CEO bereits mit 120 Goldschmieden im ganzen deutschsprachigen Raum zusammen. Monatlich werden 5 bis 15 Diamanten produziert, die ab 3500
Schweizer Franken erhältlich sind – die Preise variieren je nach Grösse, Färbung und Schliff. Augenstern Diamonds
zählt zwölf Mitarbeitende im In- und Ausland, ohne die Produktionsstätte, die das Unternehmen gemeinsam mit der
Algordanza in Chur teilt. Das Jungunternehmen ist gerade daran, je eine Niederlassung in Holland und in Kanada aufzubauen. Und wo sieht Rinaldo Willy Augenstern Diamonds in fünf Jahren? Als Kind hätte er wohl noch keine präzise
Antwort geben können. Heute kommt sie ohne Zögern: „Da werden wir auf jedem Kontinent vertreten sein“. Neben
innovativem Denken, Durchhaltevermögen und unternehmerischem Know-how dürfte ihm da noch etwas entgegenkommen: „Swiss made“ und die Marke „St. Moritz“ sind weltweit ein Gütezeichen. Und so ist für den Zuozer auch
klar, dass der Hauptsitz im Engadin bleiben wird. Willy ist überzeugt: Das Engadin kann genauso viel wirtschaftliche
Power entwickeln wie die städtischen Zentren im Unterland.
Mehr Informationen über Augenstern Diamonds und das Herstellungsver fahren gibt es auf:
w w w. a u g e n s t e r n - d i a m o n d s .c o m
D e r E n g a d i n e r J u n g u n t e r n e h m e r R i n a l d o W i l l y.