Forscher warnen: Das sechste Massensterben hat begonnen Von Julia Merlot Corbis In den vergangenen hundert Jahren sind bis zu 100-mal mehr Arten ausgestorben als erwartet. Forscher sprechen von einem neuen Massensterben wie zuletzt bei den Dinosauriern. Die Folgen für den Menschen könnten dramatisch sein. Wald muss Äckern weichen, fremde Spezies werden eingeschleppt, das Klima verändert sich und Gifte verschmutzen die Umwelt. Der Mensch beeinflusst auf vielfältige Weise, direkt und indirekt, die Artenvielfalt auf der Erde. Wie stark, ist allerdings umstritten: Nun haben Forscher erneut versucht, das Ausmaß des Artensterbens zu berechnen. Obwohl sie die Zahlen sehr zurückhaltend wählten, kommen sie zu einem erschreckenden Ergebnis: Das sechste große Massensterben sei bereits im Gange, schreiben Gerardo Ceballos von der Universität in Mexiko und Kollegen im Fachmagazin "Science Advances". Die Forscher warnen, dass ein massiver Rückgang der Vielfalt auch für den Menschen gefährlich werden könnte. Wie viel Artensterben ist normal? Ceballos und Kollegen haben die Sterberaten von Wirbeltieren - unterteilt in Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische - seit dem Jahr 1500 mit dem sogenannten Hintergrundsterben verglichen, also der Anzahl der Spezies, deren Tod ohne den Einfluss des Menschen zu erwarten wäre. Dass Arten aussterben ist normal. Bei Massensterben aber geht ein großer Teil der Lebewesen in extrem kurzer Zeit zugrunde. Es braucht Millionen Jahre, bis sich die gleiche Vielfalt erneut entwickelt hat. Bislang gab es fünf solcher großer Artensterben. Das letzte große fand vor 65 Millionen Jahren statt, als die Dinosaurier und mit ihnen etwa 70 Prozent aller Arten ausstarben. Üblicherweise liegt das normale Hintergrundsterben bei 0,1 bis 1 Spezies pro 10.000 Arten über einen Zeitraum von 100 Jahren. Um dem Vorwurf zu entgehen, diese Quote sei zu gering, rechneten die Wissenschaftler bei ihrer Analyse mit dem doppelten Wert - also zwei ausgestorbenen Arten pro 10.000 im gleichen Zeitraum. Diese vergleichsweise hohe Hintergundrate verglichen sie mit den tatsächlichen Sterberaten, die die Weltnaturschutzunion (IUCN) herausgibt und mit Informationen zum Artensterben aus Fossilienfunden. Demnach verschwanden bei weitem die meisten Tierarten in den vergangenen 114 Jahren, also seit der industriellen Revolution um 1900. Sterberate um das Hundertfache erhöht Zum Vergleich rechneten die Forscher einmal nur mit tatsächlich ausgestorbenen und im zweiten Fall mit als "in der Wildnis ausgestorben" oder als "wahrscheinlich ausgestorben" geltenden Arten. So kamen sie auf eine durchschnittliche Sterberate im letzten Jahrhundert, die zwischen acht bis 100 mal höher war, als natürlicherweise zu erwarten gewesen wäre. International Union for Conservation of Nature Sterberaten nach Jahren (für Großansicht anklicken) "Gäbe es nur das Hintergrundsterben, hätte es 800 bis 10.000 Jahre gedauert, bis die gleiche Anzahl Arten verschwunden wäre", fassen die Forscher zusammen. Für sie ist damit klar, dass das sechste Massensterben bereits begonnen hat. Gefahr für den Menschen "Das wird leicht auch für den Menschen zum Problem werden", sagt Paul Ehrlich von der Stanford University, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. "Wir sind völlig abhängig von anderen Organismen, etwa als Nahrungslieferanten." Bekanntestes Beispiel dafür sind die Honigbienen. Zwar sind die meisten Arten bislang nicht vom Aussterben bedroht, doch geht der Bestand stark zurück, was schon heute dazu führt, dass Bauern in einigen Regionen um ihre Ernte fürchten müssen. Denn ohne Bestäubung gibt es keine Früchte und damit weniger Nahrung für Menschen und Tiere. Ceballos und Kollegen sehen aber noch eine Chance, das Massensterben aufzuhalten. Allerdings müsse schnell gehandelt werden: Bereits bedrohte Arten müssten besser geschützt werden, schreiben die Forscher. Der Verlust von Lebensräumen müsse aufgehalten, Erkundungen zu wirtschaftlichen Zwecken und der Klimawandel eingedämmt werden.
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