Neuö Zürcör Zäitung Dienstag, 15. März 2016 ZÜRICH UND REGION 21 «Wieso soll Zürich von der Linken regiert werden?» Severin Pflüger dürfte das Präsidium der städtischen FDP übernehmen und will bei den nächsten Wahlen nochmals zulegen Ein begnadeter Kommunikator bleibt vermutlich der einzige Anwärter auf den Vorsitz der Stadtzürcher FDP. Trotz seinen erst 37 Jahren ist Severin Pflüger kein politisches Leichtgewicht. präsidenten? «Ich sehe die Chance, nicht die Belastung», antwortet Pflüger. In Zürich stimme die Mehrheit in der Regel nicht links ab, also habe sie auch keinen Grund, links zu wählen. «Wir müssen einfach besser mobilisieren.» Die rot-grüne Regierung nehme zu viel Einfluss auf das Privatleben der Leute, kritisiert er: «Sie sagt, wie wir wohnen und uns bewegen sollen, welche Energie wir zu nutzen haben, was wir essen müssen, ja sogar was wir mögen sollen.» Das störe viele Menschen. Zudem habe der heutige Stadtrat kein Konzept, wie sich die Wirtschaft der Stadt in Zukunft prosperierend entwickeln könne. Hier müsse die FDP punkten. Und gefragt zur eigenen Karriereplanung sagt er: «Das Stadtratsamt reizt mich, aber erst im Alter von 50 plus.» Der Vater von drei kleinen Kindern arbeitet im Moment 70 Prozent und teilt sich die Kinderbetreuung mit seiner Frau. IRÈNE TROXLER Heute Dienstagabend berät der Vorstand der Stadtzürcher FDP, wer neuer Präsident werden soll. Auf der Liste der Findungskommission steht nur ein einziger Name: Severin Pflüger. Für politisch Interessierte ist der 37-jährige, grossgewachsene Anwalt alles andere als ein Unbekannter. Im Zürcher Gemeinderat, dem er seit 2009 angehört, hat er sich rasch einen Namen gemacht. Wer im Stadtparlament druckreif formuliert, ohne vom Blatt abzulesen, fällt schon einmal positiv auf. Wenn Pflüger spricht, hört Freund und Feind zu, weil er gekonnt Biss mit Witz paart. Während andere rasch zum Zweihänder greifen, wenn sie provoziert werden, bewahrt Pflüger stets die Contenance und scheint den intellektuellen Schlagabtausch zu geniessen. Dass er der Linken gern in freundlichem Ton ihre etwas eingefahrenen Denkmuster um die Ohren schlägt, ist Labsal für viele Bürgerliche, die in der heutigen politischen Konstellation bekanntlich oft auf der Verliererseite stehen. Früher Einstieg in die Politik «FDP kann punkten» Wieso entscheidet sich ein gutverdienender Anwalt, der sich auch Chancen auf ein Stadtratsmandat ausrechnen kann, für den Knochenjob des Partei- Steht für eine junge und selbstbewusste FDP: Severin Pflüger. SIMON TANNER / NZZ Schon als Gymischüler in der Kantonsschule Rämibühl habe er gemerkt, dass es ihm Spass machte, vor Leute hinzustehen und zu referieren, sagt Pflüger. «Zuerst dachte ich, ich sei links.» Zusammen mit Daniel Frei, dem Präsidenten der SP des Kantons Zürich, engagierte er sich in der Bildungspolitik, realisierte dann aber bald, dass ihn die bürgerlichen Positionen mehr überzeugten, und trat den Jungfreisinnigen bei. Im Gemeinderat hat Pflüger bewiesen, dass er Kompromisse schmieden kann: Er setzte – auch gegen parteiinternen Widerstand – durch, dass Subventionskürzungen künftig auch bei den grossen Kulturinstitutionen möglich sind, sofern die Stadt einen Bilanz- Monumentales Spektakel im Sektor 1 Karl’s kühne Gassenschau kämpft in diesem Sommer im Industriepark Winterthur mit Müll aus der Umlaufbahn fsi. V Karl’s kühne Gassenschau wirft einen Blick in die Zukunft. Diese schaut gar nicht gut aus. Die Menschheit hat sich buchstäblich zugemüllt und steht am Rande des Abgrunds. Die Welt ist in Sektoren aufgeteilt, wo gearbeitet wird oder wo man Energie gewinnt, und der überquellende Abfall wird mit Raketen in die Erdumlaufbahn geschossen. Bloss will der Müll nicht im Orbit bleiben und macht die Herausforderungen, mit denen die Menschen zu kämpfen haben, noch mehr zur Überforderung. Um die Welt vor dem Untergang zu bewahren, gelten strenge Disziplin und strikte Regeln. Wer nicht spurt, muss büssen, wer sich brav unterordnet, darf dagegen auf einen Wohlfühlaufenthalt im Sektor 1 als Belohnung hoffen. Rund um diese alles andere als heile «Naturoase» in einer düsteren Welt dreht sich das Grossspektakel «Sektor 1», das Karl’s kühne Gassenschau ab dem 9. Juni im Industriepark Winterthur aufführen wird. Am Dienstagvormittag haben die kühnen Karls und Karlas ihre 22. Produktion den Medien präsentiert. Vom Sektor 1 gibt es allerdings erst ein Modell. Es zeigt eine künstlich anmutende, sehr grüne Golfplatzlandschaft samt einem kleinen See. Der Blick hinter – oder in diesem Fall unter – die Kulissen dagegen ist bereits jetzt möglich. Markus Heller, der techni- sche Gesamtleiter, führt die Besucher durch einen engen Stollen in einen mehrere Meter tiefen Spundwandkanal. Allein die Eisenträger, die das rechteckige Loch von der Grösse einer Turnhalle befestigen, wiegen 90 Tonnen. Im letzten Jahr begannen die Arbeiten mit 10 Mann, inzwischen sind 30 Techniker vor Ort, und in den Wochen vor der Premiere werden es bis zu 50 Fachleute sein, welche die grüne Kunstwelt über dem Spundwandkanal von unten mit immer neuen Überraschungen versorgen und zu einer Art Wundertüte machen. Insgesamt werden für die 5-Millionen-Franken-Produktion 150 bis 200 Tonnen Material verbaut. Genaueres lässt sich noch nicht sagen, denn die Tüftelei an kuriosen Maschinen, feuerspeienden Apparaten, Knalleffekten und bizarren Geräten ist ebenso «work in progress» wie die Arbeit des um zwei Personen aufgestockten Ensembles, das schon bei der Vorgängerproduktion «Fabrikk» durch die Werkhalle wirbelte. Fest steht jedoch, dass das Rezept stimmt: Raffinierte Bühnentechnik trifft auf das Strassentheater mit wilder Akrobatik und sprühenden Feuereffekten aus den frühen Jahren von Karl’s kühner Gassenschau. Das trifft den Geschmack des Publikums. «Fabrikk» zählte über 580 000 Besucher: Die Latte liegt hoch für «Sektor 1». Aber wohl nicht zu hoch. BAHNHOFSTRASSE 64 8001 ZÜRICH +4144 227 17 28 WWW.LESAMBASSADEURS.CH Exklusive Ausstellung. Entdecken Sie vom 1. März – 31. März 2016 die neue Wellendorff-Kollektion „Ein Tag am Meer“ bei Les Ambassadeurs in Zürich. fehlbetrag ausweist. Einen Kurswechsel propagiert Pflüger ferner in der Wohnbaupolitik. «Wir stecken viel Geld in den gemeinnützigen Wohnungsbau, aber es kommt nicht bei jenen Menschen an, die darauf angewiesen wären.» Gefragt seien bürgerliche Positionen zudem beim Thema Sicherheit, wo die Polizei zwar Verstösse einzelner Bürger ahnde, bei Demonstrationen und Krawallen aber etwas hilflos agiere. Mit seiner ruhig, aber treffsicher vorgetragenen Kritik an Richard Wolff provozierte er 2014 im Rat einen schlagzeilenträchtigen Wutausbruch des Polizeivorstehers. Anwalt des Detailhandels Pflüger ist im ureigenen Wortsinn Anwalt des Detailhandels. Er streitet im Auftrag der City-Vereinigung vor Gericht über Fahrspuren und Parkplätze und ist auch Geschäftsleitungsmitglied der Zürcher Sektion des Automobilclubs der Schweiz. Das sei kein Problem, da die FDP grundsätzlich auf der gleichen Linie politisiere wie diese Verbände, sagt er. Dass er im Mietrechtsstreit um das Warenhaus Manor öffentlich die Vermieterin Swiss Life kritisierte, sorgte parteiintern allerdings für Diskussionen. Der Vorstand dürfte Severin Pflüger heute Dienstag zur Wahl empfehlen. Das letzte Wort haben am 21. April die FDP-Mitglieder. Wird er gewählt, so will Pflüger sich als Nachfolger von Michael Baumer, der wegen einer Amtszeitbeschränkung abtritt, bald dem Thema Wahlen zuwenden. Er wolle auf CVP und SVP zugehen, sagt er. Es werde Zeit, dass auch die SVP zurück in die Zürcher Exekutive finde. Kindsmörder nicht verwahrt «Fall Bonstetten» abgeschlossen amü. V Der 66-Jährige aus Bonstetten, der 2010 seinen vierjährigen Sohn getötet hat, muss wegen Mordes für achtzehn Jahre ins Gefängnis, wird aber nicht verwahrt. Das Urteil des Zürcher Obergerichts vom Januar wird nicht angefochten, was Staatsanwaltschaft und Verteidigung gegenüber dem «Regionaljournal Zürich-Schaffhausen» bestätigt haben. Das Obergericht hat keine Verwahrung ausgesprochen, obwohl es den Täter für kaum therapierbar hält – da die Rückfallgefahr sehr gering sei. Wenn der verurteilte Mörder aus dem Gefängnis entlassen wird, dürfte er aufgrund seines Alters kaum mehr eigene Kinder zeugen.
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