Limmattaler Zeitung, vom: Freitag, 26. Juni 2015

FREITAG, 26. JUNI 2015
LIMMATTAL
LIMMATTALER ZEITUNG
www.limmattalerzeitung.ch
17
STADT UND KANTON ZÜRICH
Bewohner müssen auswärts schlafen
Urdorf Nach dem Kran-Unglück ist die Solidarität gross – als Erstes gabs für die Bewohner Pizza zum Abendessen
VON JÜRG KREBS
Nur wenige Minuten hat die Polizei der
Urdorfer Familie Schaffner Zeit eingeräumt, damit sie in die eigene Wohnung
im ersten Stock zurückkehren kann, um
die wichtigsten Habseligkeiten zusammenzusuchen. Auch die übrigen sieben
Familien – insgesamt rund 30 Personen –
hatten Gelegenheit, etwas für die anstehende Nacht mitzunehmen, dann wurde
das Mehrfamilienhaus an der Bahnhofstrasse 89 aus Sicherheitsgründen wieder
abgesperrt.
Experten und Feuerwehr wollten erst
den Baukran vom Gebäude entfernen,
danach Baustatiker die Einsturzgefahr
der Liegenschaft prüfen. Das Ehepaar
Schaffner hat die Nacht mit ihren Kindern bei den ebenfalls in Urdorf wohnhaften Eltern verbracht. «Die Solidarität
im Dorf ist super», sagte Martina Schaffner gegenüber der Limmattaler Zeitung.
«Ich habe zehn Angebote erhalten, wo
wir unterkommen können.» Sie ist gerührt ob so viel Mitgefühl.
Glück im Unglück – doch für
die Bewohner der Bahnhofstrasse 89 ist die Unsicherheit, wie es nun weitergeht,
belastend.
Vom Unglück hat die Familie auf der
Rückfahrt vom Connyland erfahren.
Freunde und Bekannte hätten aufs Handy angerufen und Fotos geschickt. «Wir
waren geschockt», so Schaffner. Wie es
weitergeht, das weiss sie derzeit noch
nicht. Vieles wird sich erst heute Freitag
oder gar in den nächsten Tagen klären.
Wie stark die Wohnung in Mitleidenschaft gezogen ist, weiss die Familie
Schaffner nicht. Sicher ist, der Balkon ist
abgebrochen. Betroffen sind in erster Linie die beiden Dachwohnungen.
Dass keine Personen zu Tode kamen,
grenzte an ein Wunder. Es war gestern
Nachmittag kurz vor 16 Uhr, als sich der
Kran auf der Baustelle nebenan mit seinem Ausleger über das Mehrfamilienhaus
drehte, dann vornüber kippte, aufs Dach
Zu gefährlich – die Bewohner kamen bei Freunden und Bekannten unter. Wer wollte, der fand in der örtlichen Zivilschutzanlage ein Bett und ein Dach über dem Kopf.
stürzte und sich ins obere Stockwerk eingrub. Gleichzeitig kam auf der Hausrückseite eine Reihe Balkone zum Einsturz.
Der Ausleger fiel auf der gegenüberliegenden Strassenseite in die Wiese zwischen
zwei weiteren Mehrfamilienhäuser. Und
das alles kurz vor Feierabend.
Die Kantonspolizei bestätigte einen
leichtverletzten Hausbewohner. Die übrigen Personen blieben unverletzt oder
waren ausser Haus. Über die genaue Unfallursache konnte die Polizei noch keine
Angaben machen. Der Sachschaden
dürfte in die Hunderttausende von Franken gehen. Die Bahnhofstrasse blieb über
Nacht gesperrt.
Wie Patrick Müller, Leiter Stab der
Gemeinde Urdorf, auf Anfrage erklärte,
hat der Zivilschutz im Ortskommandoposten Embri Raum für die Hausbe-
wohner zur Verfügung gestellt. Wer
nicht privat unterkommt, kann die
Nacht dort verbringen. Für ein Nachtessen und Frühstück ist gesorgt. Gestern Abend fanden sich dort rund 20
Personen ein – sie wurden mit Pizza
verköstigt. Laut Müller sei bei den Betroffenen die belastende Ungewissheit
zu spüren, wie es mit der Situation nun
weitergehe. Müller will am Freitagmor-
MU
gen mit den Blaulichtorganisationen
die Lage neu beurteilen. Das Kranunglück in Urdorf geschieht nur wenige
Tage nach einem ähnlichen Unfall in
Uitikon. Dort stürzte ein Kran beim Ablad auf eine Neubauliegenschaft.
Weitere Unfallfotos auf
www.limmattalerzeitung.ch
Stadtpolizei rettet Kalb vor dem Zug
Schlieren Direkt nach seiner Geburt rutscht das Tier eine Böschung herunter und landet auf den Gleisen – die Polizei ist rechtzeitig zur Stelle
VON ANJA MOSBECK
Rettung in letzter Sekunde, hiess es
gestern für ein neugeborenes Kalb. Dieses hatte sich direkt nach seiner Geburt
auf die Gleise oberhalb des Rütirains in
Schlieren verirrt. Ein Zug musste anhalten, weil das Jungtier nicht auf der Weide, sondern auf den Gleisen lag.
«Einen Einsatz wie diesen erleben
wir selten», sagt Marco Weissenbrunner, Chef der Stadtpolizei Schlieren/Urdorf. Nachdem die Meldung eines SBB-Mitarbeiters bei der Einsatzzentrale der Kantonspolizei am Donnerstagmittag eingetroffen war, rückte
die Polizei sofort mit einem Streifenwagen und zwei Bike-Patrouillen aus. Unter der Zugnase versteckt fanden die
vier Polizisten das Jungtier unverletzt
vor. Es habe riesiges Glück gehabt,
denn der Zug konnte rechtzeitig bremsen. «Da das Kalb längsseitig im Gleisbett lag, kam es nicht unter die Zugräder», sagt Weissenbrunner.
Da die Weide an die Gleise angrenzt,
vermutet der Polizeichef, dass das Kalb
dort heruntergerutscht ist. «So klein
wie das Tier ist, konnte es wahrscheinlich noch gar nicht recht stehen», sagt
er. Für die Polizisten war es deshalb ein
Leichtes, das nur 50 Kilogramm schwere Tier in Sicherheit zu bringen. «Es
stand unter Schock und bewegte sich
darum nicht vom Fleck», so Weissenbrunner.
«Das Kalb muss unter mehreren Zäunen hindurch heruntergerutscht sein,
bis es auf dem Gleis landete», sagt er.
Mutter rief nicht nach Kalb
70 Meter heruntergerutscht
Unter Schock stand auch Heinz Rütschi, als er erfuhr, dass sein Kalb ausgebüxt war. Obwohl es heute wohlauf
im Stall liegt, sah für den Landwirt
gestern alles ganz anders aus. «Mein
Nachbar informierte mich als Erster,
dass mein Kalb ausgerissen sei», so
Rütschi. Kurz darauf kam ein Anruf
der Stadtpolizei, die sich dem kleinen
Abenteurer bereits angenommen hatte.
Ohne gross zu überlegen, habe er sofort seinen Transportwagen geholt und
sich auf den Weg zu den Gleisen gemacht, erzählt Rütschi. «Ich rechnete
mit dem Schlimmsten.» Denn bis zu
den Gleisen hinunter erstreckt sich eine Böschung von 60 bis 70 Metern.
Polizist Roland Denzler (rechts) in seltenem Einsatz: Auf seinen Armen trägt er den
jungen Ausreisser weg von den Gleisen, wo er fast unter den Zug kam.
ZVG
Dass Rütschi nichts von dem Vorfall
bemerkte, lag daran, dass die Kuh
nicht nach ihrem Jungen rief. «Normalerweise muht eine Kuh lautstark,
wenn etwas mit ihrem Kalb nicht
stimmt», sagt er.
Als Rütschi das Ausreisserkalb von
den Gleisen nach Hause gebracht hatte,
entdeckte er auf der Weide den Grund
dafür. Die Kuh gebar im Verlauf des
Morgens Zwillinge, wobei eines davon
verstarb. «Die Mutter hatte das verstorbene Kälblein bei sich und vermisste
darum das andere nicht», sagt er. Es sei
ein unglücklicher Zufall gewesen, dass
die Kuh die Kälblein auf der Weide zur
Welt brachte. Normalerweise geschehe
dies sicher und in aller Ruhe im Stall.
Die ganze Aufregung scheint aber
nach ein paar Stunden bereits wieder
verflogen zu sein, wie Rütschi bestätigt.
Das Kälblein trinke, als hätte es keinerlei Abenteuer erlebt.