Grossbrand Steckborn – vom Glück im Unglück

[ Redaktion ]
[ deutsch ]
Grossbrand Steckborn –
vom Glück im Unglück
Schwerwiegende Folgen eines scheinbar harmlosen Modellbau-Akkus
In der Nacht auf den 21. Dezember 2015 hat das kleine Dorf Steckborn am westlichen
Bodensee infolge eines Grossbrandes in der Altstadt für Schlagzeilen gesorgt. Brandermittler
der Kantonspolizei Thurgau haben die Ursache des Grossbrandes geklärt. Reto Fischer von der
Feuerwehr Steckborn über Präventionsmöglichkeiten und darüber, weshalb die Früherkennung
in solchen Einsätzen so zentral ist.
jra.
In der Nacht auf den 21. Dezember 2015 standen
in Steckborn 160 Feuerwehrmänner im Einsatz.
Gegen 2.50 Uhr ging der Anruf einer direkt betroffenen Person bei der Kantonalen Notrufzentrale ein; dass sie wegen einer starken Rauchentwicklung in
der Wohnung dieselbe nicht verlassen
könne. Folglich wurde die Feuerwehr
mit der Meldung «Brand gross, in Steckborn, Kirchgasse, Personen können
Wohnung nicht verlassen» alarmiert.
Nach kurzer Zeit trafen über 160 Einsatzkräfte vor Ort ein und bekämpften
die Flammen in mehreren zusammengebauten Häusern.
Der Brand ist für die historische Altstadt von Steckborn eine Katastrophe,
trotzdem spricht man von Glück im
Unglück: Gemäss der Kantonspolizei
Thurgau gab es nur drei leicht verletzte
Personen. Nichtsdestotrotz wurden 30
Personen obdachlos, sechs Häuser wurden zerstört und der Schaden beläuft
sich auf rund sechs Millionen Franken.
Die Brandermittler der Kantonspolizei
Thurgau haben die Ursache des Grossbrandes vom 21. Dezember in Steckborn geklärt. Der Brandermittlungsdienst versucht im Fall eines Brandes
als Erstes, den Brandherd so genau wie
möglich zu eruieren und in diesem Bereich im Ausschlussverfahren die Brandursache zu ermitteln.
Am Beispiel in Steckborn konnte der
Ort des Brandausbruchs mittels Befragungen von Zeugen, Bewohnern und
Feuerwehrleuten, aber auch durch Fotoaufnahmen und Spuren in einem Zimmer in einer Wohnung lokalisiert werden. Nach weiterer Eingrenzung des
Brandherds konnte die Brandursache mittels eines Ausschlussverfahrens
und der Unterstützung eines Elektrosachverständigen erfolgreich ermittelt
werden: ein Akkuladegerät mit einem
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Die Flammen breiteten sich in der Altstadt von Steckborn auf sechs historische Häuser aus.
daran angeschlossenen Lithium-Polymer-Akku (LiPo-Akku).
Solche LiPo-Akkus können sich aufblähen, innerlich verglühen, zu brennen beginnen oder sogar explodieren, wenn sie
mechanisch beschädigt sind oder überladen werden. Die Kantonspolizei Thurgau mahnt zur Vorsicht im Umgang mit
Lithium-Polymer-Akkus, so Polizeisprecher Daniel Metzler.
Wir haben Reto Fischer, Kommandant
der Stützpunktfeuerwehr Steckborn, zu
Einsatz und Vorgehen befragt:
Bei den Liegenschaften handelte es sich
um ältere Gebäude, die teilweise unter
Denkmalschutz standen. Ist die Brandgefahr bei älteren Häuser höher?
Die Brandgefahr bei älteren Häusern
ist nur minim höher, da die Entstehung
der Brände in einem älteren Haus gleich
wie in einer neueren Liegenschaft sein
kann. Die Ausbreitung in älteren Häusern, bei denen viel Holz als Baumaterial
eingesetzt wird, schreitet im Brandfall
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sicher schneller voran. Fehlende Brandmauern erschweren das Stoppen einer
weiteren Ausbreitung. In alten Häuserzeilen sind zum Teil die Dachstöcke miteinander verbunden: Es fehlen bauliche
Brandabschnitte.
Welche präventiven Vorkehrungen sind
insbesondere bei denkmalgeschützten
Häusern zu empfehlen?
Brandmeldeanlagen ermöglichen eine
Früherkennung. Somit besteht die Möglichkeit, bereits in den Entstehungsbrand einzuwirken. Bei Umbauten ist
dem Brandschutz Rechnung zu tragen.
Allfällige fehlende Brandmauern können im Rahmen von Umbauarbeiten ergänzt werden. Wie auch bei allen weiteren Liegenschaften sind die Bauteile so
zu unterhalten, dass ein Brandausbruch
durch technische Installationen vermieden werden kann.
Nimmt man beim Brandlöschen Rücksicht auf denkmalgeschützte Häuser?
Gibt es die Möglichkeit, andere Löschmittel einzusetzen?
Ja. Es wird mit Sicherheit Rücksicht auf
die Häuser genommen werden, dies aber
nicht nur bei denkmalgeschützten Häusern. Im Falle eines Vollbrandes ist es jedoch äusserst schwierig, weil eine weitere Ausbreitung unter allen Umständen
verhindert werden muss. Meistens grenzen ja wieder schützenswerte Häuser an
die bereits brennenden Liegenschaften.
Da bei uns das Löschwasser über die
Metorleitungen in den See gelangt, wird,
wenn möglich, auf den Einsatz von chemischen Löschmitteln verzichtet. Weiter
ist es beim Vollbrand eines Holzhauses eher wenig sinnvoll. Um glimmende
Füllstoffe löschen zu können, kann der
Einsatz von «Netzmitteln» Vorteile
bringen. Jedoch muss man zum Brandoder Glimmherd Zugang haben. Dies
war in diesem Fall nicht möglich, wurde
aber in Betracht gezogen.
Über 160 Einsatzkräfte seien vor Ort im
Kampf gegen die Flammen gestanden.
Eine, wie mir scheint, sehr hohe Anzahl.
Wann wird über die Anzahl benötigter
Unterstützung entschieden?
[ Redaktion ]
Wie gestaltet sich die Koordination einer
solchen Masse von Feuerwehrpersonen?
Bereits die erste Feststellung hat ergeben, dass Flammen auf weitere Häuser übergegriffen haben. Weiter mussten
mehrere Altstadtliegenschaften vorläufig geräumt und die betroffenen Personen betreut werden. Aus diesem Grund
hat sich die Einsatzleitung sehr früh für
das Aufgebot von zusätzlichen Mitteln
entschieden.
Die Löscharbeiten unter Atemschutz
standen an drei Fronten an. Angrenzende Häuser mit vier bis fünf Stockwerken erfordern eine konsequente
Haltelinie. Es handelte sich um ein Eckhaus: Die Ausbreitung erfolgte in drei
Richtungen (westlich, südlich und nach
oben). Da verständlicherweise nicht die
ganze Häuserzeile Opfer der Flammen
werden sollte, musste mit hohem Einsatz eine weitere Ausbreitung verhindert werden.
Zudem: Atemschutzträger müssen nach
einem anstrengenden Löscheinsatz
ausgetauscht werden. Dies muss frühzeitig und geplant geschehen. Die erwähnten Punkte führten zum Einsatz
von 160 AdF.
Bezüglich der Koordination muss festgehalten werden, dass nicht alle 160 Einsatzkräfte direkt vom Einsatzleiter Feuerwehr eingesetzt werden. Speziell bei
diesem Ereignis wurden Abschnitte gebildet, die eine eigene Führungsstruktur aufgebaut haben. Somit obliegt der
Einsatzleitung Feuerwehr die Führung
der einzelnen Abschnitte.
Erst am vierten Tag konnte der Brand
definitiv gelöscht werden. Weshalb war
dieser Brand so lang andauernd?
Die weitere Ausbreitung konnte bereits
früh gestoppt werden. Der Zugang zu
den zum Teil stark einsturzgefährdeten
Häusern gestaltete sich jedoch schwierig. Es erforderte immer wieder Nachlöscharbeiten, die aber absehbar und zu
erwarten waren. Bei Abbrucharbeiten
wurden Glutnester freigelegt, die zum
Teil wieder aufloderten. Diese konnten
ohne Schwierigkeiten gelöscht werden.
Rechnet man mit solchen Glimmbränden? Wieso ist deren Wahrscheinlichkeit
in alten Häusern höher?
Da uns die Bauweise der Häuser bekannt ist, waren solche Glimmbrände
zu erwarten. Die Zwischenböden wurden mit allen nur denkbaren Materialen
ausgefüllt. Zeitungen, Torf, Holzschnitzel, Schlacke dienten als Dämmmaterial
zwischen den Balkenlagen.
Welche Lehren ziehen Sie aus dem
Einsatz?
Es hatte sich gezeigt, dass das frühzeitige Aufgebot der weiteren Mittel richtig war. Der von Ihnen als hoch empfundene Einsatz von Einsatzkräften
hat schliesslich zum Erfolg geführt. Die
weitere Nachbearbeitung des Einsatzes
muss noch erfolgen. Bei der Nachbearbeitung werden alle beteiligten Feuerwehren und Organisationen einbezogen.
Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Der Einsatz gestaltete sich in der engen Altstadt von Steckborn schwierig.
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