Ein SchluckAfrika Ein SchluckAfrika

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Nr. 2 / Sommer 2015
Schluck
Ein
Afrika
mit Sibirien im Rücken
Walter Trausner hat den genetischen Code des Lungauer
Bodens geknackt. Dieser liegt nun einer himmlisch
schmeckenden Limonade namens „Enzo“ zugrunde.
G
räser, Obstbäume und Sträucher.
Man könnte auf einer Seehöhe
von 1200 Metern jetzt bis zum
Horizont schauen. Aber da ist direkt gegenüber diese schroffe, dunkle Wand aus
Fichten und Tannen – der Nordhang. Bei
uns: Afrika. Dort drüben: Sibirien. Beides
in einem Tal gibt es wohl nur im Lungau
zu bewundern. Bei Ramingstein, in der
Nähe von Tafern – also in Keusching. Hier
hat eines Tages ein unverwüstlicher
Mann dem Berg Terrassen abgerungen,
Teiche angelegt, Obstbäume gepflanzt
und Haustieren ein Zuhause gegeben.
Dieser Mann heißt Sepp Holzer. Er war
und ist noch ein Unbequemer. Für seinen
Unruhestand hat er das Burgenland als
neue Heimat gewählt. Die Medien adelten den Umstrittenen mit dem Titel „Agrar-Rebell“. Also muss er ein Guter sein.
Das Querdenken im hochalpinen Bereich übernahm für ihn sein Sohn: Sepp
Holzer jun. Er führt das Erbe des Vaters
weiter. Der junge Mann pflanzt, was der
Boden gern wieder hergibt. Er hegt und
pflegt. Wer Holzers Anwesen, den Krameterhof, besuchen will, muss sich anmelden. Bei unserem Besuch steht vor dem
Krameterhof bereits ein ukrainisches
Ehepaar. Den flehenden Blicken zufolge
könnten sich die beiden genauso gut Karten für ein Unplugged-Konzert von U2
wünschen. Aber sie wollen wissen, wie
der Holzer es schafft, hier oben Kastanienbäume wachsen zu lassen. Man kann
auch Kurse und Lehrgänge bei ihm buchen. All das verkauft er auf der Homepage. Ansonsten mag er seine Ruhe.
Wir haben Glück. Weil wir mit Walter
Trausner gekommen sind. Trausner ist
auch ein Querdenker. Einer, der jeden Tag
an Wunder glaubt. Österreichweit wurde
der gebürtige Innviertler für seine Marmeladen bekannt. Er produzierte die Füllungen der mittlerweile weltberühmten
Grasgeflüster: Sepp Holzer jun., Walter
Trausner und Fritz Messner (v. l.).
MEIN
PARADIES
VON PETER
GNAIGER
Schokoladen von Josef Zotter. Seine Marmeladen schafften es sogar bis nach China. Aber das ist eine andere Geschichte.
Und jetzt hat Trausner den Enzian entdeckt. Dieser blüht bei Holzer nicht blau,
sondern gelb. Die beiden kennen sich
schon länger. Einmal fuhr Trausner mit
einem deutschen Journalisten noch zum
„alten Holzer“ hinauf. „Da flitzte direkt
vor uns ein Zebra über den Schotterweg“,
sagt Trausner. Das Faible Holzers für
Wildtiere war im halben Lungau bekannt.
Heute leben hier nur noch Rinder, Pferde,
Hühner, Ziegen und Schweine. Dazwischen werden Eachtling, Erbsen, Futterrüben und vieles mehr angebaut. Dann
gibt es jede Menge Äpfel-, Kastanien-, Birnen-, Zwetschken- und Kirschbäume, Johannisbeersträucher und Wildkräuter.
Als nie versiegende Schatzkammer erwies sich nun aber vor allem der Gelbe
Enzian. Fritz Messner ist auch mit von
der Partie. Ein Querschläger kann inmitten von Querdenkern nicht schaden.
Messner ist begeistert von dem unbändigen Willen Trausners. „Dass er nie aufgibt und nicht im Traum daran denkt,
diesen schönen Flecken Erde zu verlassen“, sagt er. Trausners Qualitätsdenken
kommt in dieser schönen Region immer
Impressionen vom Krameterhof. Aus dem Gelben Enzian gewinnt Walter Trausner köstliche Limonade.
noch vielen spanisch vor. „Der Gelbe Enzian wird 50 bis 150 Zentimeter hoch“,
sagt der junge Holzer. Erst in zehn Jahren
werden auf dem Krameterhof die Wurzeln geerntet. Es gebe auf der Welt nichts,
was bitterer sei als diese Wurzel. Konkret
müsse man ein Gramm Enzianwurzel mit
50.000 Litern Wasser verdünnen, um ihr
die Bitterkeit zu nehmen. Man muss sich
Trausner wie Archimedes vorstellen, als
dieser ausrief: „Heureka! Reicht mir das
Leben Bitternis – dann mach ich Limonade draus.“ Holzer und Messner nicken beeindruckt. Das Rezept für seine Limonade verrät Trausner freilich nicht. Das habe er inzwischen von Coca-Cola gelernt,
fährt er augenzwinkernd fort. Der Gelbe
Enzian sei für die Produktion genial. „Er
kostet nichts, weil er wild wächst. Er
nimmt keinen Platz weg und ist gesund.
Hier wächst eine Wildpflanze permanent
in einer landwirtschaftlichen Kultur. Sie
wird uns hier nie ausgehen.“
Wie sie nun heißt, die Wunderlimonade von Trausner? „Enzo.“ Dieses Jahr hat
er schon 50.000 Flaschen ausgeliefert.
Abgefüllt wird in der Murauer Brauerei.
„Dieses Getränk hat Potenzial“, ist Trausner überzeugt. Messner nimmt noch
einen Schluck und spaziert mit einer
Flasche durch das hohe Gras des Krameterhofs. Jetzt erinnert er ein bisserl
an Gerhard Berger: Als der Formel-1Held damals mit einer Dose Red Bull am
Strand von Rio de Janeiro spazierte – und
so diesem damals noch völlig unbekann-
BILDER: SN/MARCO RIEBLER
ten und belanglosen Energydrink zum
Durchbruch verhalf.
Holzer rechnet vor: „Allein mein angebauter Enzian ermöglicht eine jährliche
Produktion von mehr als drei Millionen
Flaschen.“ Alle nehmen noch einen
Schluck und schauen verträumt auf die
schroffe Nordwand. Dann sagt Trausner:
„Soll ich euch sagen, was ich mir wünsche?“ Die anderen nicken. „Dass wenigstens eines meiner vier Kinder im Lungau
bleibt. Womöglich nur, weil mein Enzo
diese Perspektive bietet.“
Messner und Holzer nicken anerkennend, nehmen noch einen kräftigen
Schluck, und Messner sagt: „Walter! Das
hast du schön gesagt: für einen gebürtigen Innviertler.“