38 39 Nr. 2 / Sommer 2015 Schluck Ein Afrika mit Sibirien im Rücken Walter Trausner hat den genetischen Code des Lungauer Bodens geknackt. Dieser liegt nun einer himmlisch schmeckenden Limonade namens „Enzo“ zugrunde. G räser, Obstbäume und Sträucher. Man könnte auf einer Seehöhe von 1200 Metern jetzt bis zum Horizont schauen. Aber da ist direkt gegenüber diese schroffe, dunkle Wand aus Fichten und Tannen – der Nordhang. Bei uns: Afrika. Dort drüben: Sibirien. Beides in einem Tal gibt es wohl nur im Lungau zu bewundern. Bei Ramingstein, in der Nähe von Tafern – also in Keusching. Hier hat eines Tages ein unverwüstlicher Mann dem Berg Terrassen abgerungen, Teiche angelegt, Obstbäume gepflanzt und Haustieren ein Zuhause gegeben. Dieser Mann heißt Sepp Holzer. Er war und ist noch ein Unbequemer. Für seinen Unruhestand hat er das Burgenland als neue Heimat gewählt. Die Medien adelten den Umstrittenen mit dem Titel „Agrar-Rebell“. Also muss er ein Guter sein. Das Querdenken im hochalpinen Bereich übernahm für ihn sein Sohn: Sepp Holzer jun. Er führt das Erbe des Vaters weiter. Der junge Mann pflanzt, was der Boden gern wieder hergibt. Er hegt und pflegt. Wer Holzers Anwesen, den Krameterhof, besuchen will, muss sich anmelden. Bei unserem Besuch steht vor dem Krameterhof bereits ein ukrainisches Ehepaar. Den flehenden Blicken zufolge könnten sich die beiden genauso gut Karten für ein Unplugged-Konzert von U2 wünschen. Aber sie wollen wissen, wie der Holzer es schafft, hier oben Kastanienbäume wachsen zu lassen. Man kann auch Kurse und Lehrgänge bei ihm buchen. All das verkauft er auf der Homepage. Ansonsten mag er seine Ruhe. Wir haben Glück. Weil wir mit Walter Trausner gekommen sind. Trausner ist auch ein Querdenker. Einer, der jeden Tag an Wunder glaubt. Österreichweit wurde der gebürtige Innviertler für seine Marmeladen bekannt. Er produzierte die Füllungen der mittlerweile weltberühmten Grasgeflüster: Sepp Holzer jun., Walter Trausner und Fritz Messner (v. l.). MEIN PARADIES VON PETER GNAIGER Schokoladen von Josef Zotter. Seine Marmeladen schafften es sogar bis nach China. Aber das ist eine andere Geschichte. Und jetzt hat Trausner den Enzian entdeckt. Dieser blüht bei Holzer nicht blau, sondern gelb. Die beiden kennen sich schon länger. Einmal fuhr Trausner mit einem deutschen Journalisten noch zum „alten Holzer“ hinauf. „Da flitzte direkt vor uns ein Zebra über den Schotterweg“, sagt Trausner. Das Faible Holzers für Wildtiere war im halben Lungau bekannt. Heute leben hier nur noch Rinder, Pferde, Hühner, Ziegen und Schweine. Dazwischen werden Eachtling, Erbsen, Futterrüben und vieles mehr angebaut. Dann gibt es jede Menge Äpfel-, Kastanien-, Birnen-, Zwetschken- und Kirschbäume, Johannisbeersträucher und Wildkräuter. Als nie versiegende Schatzkammer erwies sich nun aber vor allem der Gelbe Enzian. Fritz Messner ist auch mit von der Partie. Ein Querschläger kann inmitten von Querdenkern nicht schaden. Messner ist begeistert von dem unbändigen Willen Trausners. „Dass er nie aufgibt und nicht im Traum daran denkt, diesen schönen Flecken Erde zu verlassen“, sagt er. Trausners Qualitätsdenken kommt in dieser schönen Region immer Impressionen vom Krameterhof. Aus dem Gelben Enzian gewinnt Walter Trausner köstliche Limonade. noch vielen spanisch vor. „Der Gelbe Enzian wird 50 bis 150 Zentimeter hoch“, sagt der junge Holzer. Erst in zehn Jahren werden auf dem Krameterhof die Wurzeln geerntet. Es gebe auf der Welt nichts, was bitterer sei als diese Wurzel. Konkret müsse man ein Gramm Enzianwurzel mit 50.000 Litern Wasser verdünnen, um ihr die Bitterkeit zu nehmen. Man muss sich Trausner wie Archimedes vorstellen, als dieser ausrief: „Heureka! Reicht mir das Leben Bitternis – dann mach ich Limonade draus.“ Holzer und Messner nicken beeindruckt. Das Rezept für seine Limonade verrät Trausner freilich nicht. Das habe er inzwischen von Coca-Cola gelernt, fährt er augenzwinkernd fort. Der Gelbe Enzian sei für die Produktion genial. „Er kostet nichts, weil er wild wächst. Er nimmt keinen Platz weg und ist gesund. Hier wächst eine Wildpflanze permanent in einer landwirtschaftlichen Kultur. Sie wird uns hier nie ausgehen.“ Wie sie nun heißt, die Wunderlimonade von Trausner? „Enzo.“ Dieses Jahr hat er schon 50.000 Flaschen ausgeliefert. Abgefüllt wird in der Murauer Brauerei. „Dieses Getränk hat Potenzial“, ist Trausner überzeugt. Messner nimmt noch einen Schluck und spaziert mit einer Flasche durch das hohe Gras des Krameterhofs. Jetzt erinnert er ein bisserl an Gerhard Berger: Als der Formel-1Held damals mit einer Dose Red Bull am Strand von Rio de Janeiro spazierte – und so diesem damals noch völlig unbekann- BILDER: SN/MARCO RIEBLER ten und belanglosen Energydrink zum Durchbruch verhalf. Holzer rechnet vor: „Allein mein angebauter Enzian ermöglicht eine jährliche Produktion von mehr als drei Millionen Flaschen.“ Alle nehmen noch einen Schluck und schauen verträumt auf die schroffe Nordwand. Dann sagt Trausner: „Soll ich euch sagen, was ich mir wünsche?“ Die anderen nicken. „Dass wenigstens eines meiner vier Kinder im Lungau bleibt. Womöglich nur, weil mein Enzo diese Perspektive bietet.“ Messner und Holzer nicken anerkennend, nehmen noch einen kräftigen Schluck, und Messner sagt: „Walter! Das hast du schön gesagt: für einen gebürtigen Innviertler.“
© Copyright 2025 ExpyDoc