Gottesdienst am Sonntag Palmarum 20.3.2016 Sup. Dr. Helmut Kirschstein Philipper 2, 5-11 Gottesdienst am Sonntag Palmarum „Maßstabsgetreu“ Nicht Flüchtlingskrise und AfD – die Menschlichkeit Gottes ist unsere Herausforderung. Predigt über Philipper 2, 5-11 Am 20. März 2016 im Gemeindehaus der Ludgerigemeinde zu Norden („Winterkirche“) gehalten von Superintendent Dr. Helmut Kirschstein Liebe Gemeinde, kennen Sie den Spruch: `Da müssten Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen´?! Früher war klar, was damit gemeint ist: Das passiert am Sankt Nimmerleinstag – das hat keine Chance, das passiert nie und nimmer. Da müssten Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen... Aber der heutige Sonntag: das ist so einer, da fallen im Gottesdienst Weihnachten und Ostern zusammen, und Advent und Karfreitag gleich mit, sogar Himmelfahrt und Pfingsten sind dabei. Klar, das hängt mit dem Einzug in Jerusalem zusammen, Palmsonntag, das hat etwas von Advent: „Wie soll ich dich empfangen, und wie begeg´n ich dir?“ Menschlich kommt der göttliche Messias, auf einem Esel kommt er hereingeritten in seine Königsstadt, nicht auf einem Schlachtross. Aber es ist eben doch der Messias, gerade so passt das zu seinem Verständnis von Göttlichkeit, deshalb die Epistel-Lesung, das uralte Christuslied aus dem Philipperbrief, da kommt nun alles andere zusammen. Hören wir noch einmal auf unseren Predigttext – und versuchen Sie doch selbst schon mal, herauszuhören, wie hier die christlichen Festtage angesprochen werden: Er war in allem Gott gleich, und doch hielt er nicht gierig daran fest, / so wie Gott zu sein. Er gab alle seine Vorrechte auf / und wurde einem Sklaven gleich. Er wurde ein Mensch in dieser Welt / und teilte das Leben der Menschen. Im Gehorsam gegen Gott / erniedrigte er sich so tief, daß er sogar den Tod auf sich nahm, / ja, den Verbrechertod am Kreuz. Darum hat Gott ihn auch erhöht und ihm den Rang und Namen verliehen, / der ihn hoch über alle stellt. Vor Jesus müssen alle auf die Knie fallen – alle, die im Himmel sind, / auf der Erde und unter der Erde; alle müssen feierlich bekennen: / »Jesus Christus ist der Herr!« Und so wird Gott, der Vater, geehrt. Liebe Gemeinde, ich denke, das ist nicht schwer: Der Gott-gleiche hielt nicht an seiner himmlischen Göttlichkeit fest, sondern wurde ein Mensch in dieser Welt / und teilte das Leben der Menschen: das feiern wir an Weihnachten, die Geburt, die Menschwerdung, ja die Inkarnation des Gottessohnes. Dessen Selbst-Erniedrigung geht aber noch weiter – der herabgekommene Gott wurde einem Sklaven gleich und erniedrigte sich so tief, daß er sogar den Tod auf sich nahm, / ja, den Verbrechertod am Kreuz: das bedenken wir am Karfreitag. Auferstehung und Himmelfahrt fallen dann in eins, ein bisschen so, wie auch im Johannes-Evangelium immer von der Erhöhung des Menschensohns gesprochen wird: Weil Christus sogar den Tod auf sich nahm und bis in die tiefsten Tiefen der Menschheit hinabstieg: bis zum Verbrechertod am Kreuz – darum hat Gott ihn auch erhöht und ihm sozusagen den himmlischen Thron bereitgestellt, hat ihm den Rang und Namen verliehen, / der ihn hoch über alle stellt: das feiern wir an Ostern und besonders am Fest Christi Himmelfahrt. Der wunderbare Hymnus mündet schließlich in einen Lobgesang, der Himmel und Erde und sogar noch das Totenreich umschließt: Vor Jesus müssen alle auf die Knie fallen – Gottesdienst am Sonntag Palmarum 20.3.2016 Sup. Dr. Helmut Kirschstein Philipper 2, 5-11 alle, die im Himmel sind, / auf der Erde und unter der Erde; / alle müssen feierlich bekennen: / »Jesus Christus ist der Herr!« Faszinierende Vorstellung: Dieses Christuslied hat der Apostel Paulus bereits vorgefunden, das wurde in den allerersten christlichen Gemeinden gesungen, und Paulus fügt es in seinen Brief an die Gemeinde in Philippi ein, irgendwann in den 50er Jahren des 1. Jahrhunderts. Von Anfang an steht dieser Hymnus schon in den Schriften des Neuen Testaments, solange fallen Weihnachten und Ostern schon auf einen Tag, wenn diese Worte gesungen oder im Gottesdienst verlesen werden – und so wird Gott, der Vater, geehrt. Seit rund 2000 Jahren schon. Faszinierend. (2) Jetzt aber noch einen entscheidenden Schritt weiter: Warum hat Paulus denn diesen Christus-Hymnus in seinem Brief zitiert? Wollte er die christliche Feiertags-Kultur fördern? Oder ging es ihm darum, einmal dogmatisch zusammenzufassen, welchen Weg Jesus Christus aus den höchsten Himmelshöhen in die tiefsten irdischen Tiefen gegangen ist, um dann von Gott umso mehr mit göttlicher Pracht und Herrlichkeit belohnt zu werden? Schauen wir noch einmal genauer hin, dann sehen wir: Paulus setzt den gewaltigen Hymnus ein, um den Christen eine christliche Norm vor Augen zu malen – eine christliche Richtschnur für den Umgang untereinander und mit anderen Menschen. Wie verhalte ich mich als Christ in der christlichen Gemeinde? Wie verhalte ich mich als Christ in der Beziehung zu anderen, in der Welt? Paulus schreibt zur Einleitung – bevor er das Christus-Lied zitiert: Handelt nicht aus Selbstsucht oder Eitelkeit! Seid bescheiden und achtet den Bruder oder die Schwester mehr als euch selbst. Denkt nicht an euren eigenen Vorteil, sondern an den der anderen, jeder und jede von euch! Habt im Umgang miteinander stets vor Augen, was für einen Maßstab Jesus Christus gesetzt hat: - Und dann folgen die berühmten Worte Er war in allem Gott gleich, und doch hielt er nicht gierig daran fest, / so wie Gott zu sein. Er gab alle seine Vorrechte auf / und wurde einem Sklaven gleich. Er wurde ein Mensch in dieser Welt / und teilte das Leben der Menschen. Und der ganze wunderbare Hymnus, über die tiefste Tiefe am Kreuz zur höchsten Herrschaft, vor der Himmel und Erde und Unterwelt auf die Knie fallen müssen... Das ganze großartige Christuslied soll uns Christen motivieren, Jesus Christus nachzueifern, seinem demütigen Weg als Mensch unter Menschen, ja seiner Aufopferung bis ins tiefste Leid hinein, auch seinem Gehorsam dem barmherzigen Gott gegenüber. Er war für andere da – wir sollen für andere dasein. Er war nicht selbst-verliebt, sondern selbst-los – wir sollen Selbstsucht und Eitelkeit aufgeben und selbstlos handeln wie er. Seid bescheiden und achtet den Bruder oder die Schwester mehr als euch selbst. Denkt nicht an euren eigenen Vorteil, sondern an den der anderen...! Inspirieren will uns dieses Lied: mit dem Geist Jesu, der nicht egoistisch, nicht gierig an seiner hohen Position festhielt, sondern alles, buchstäblich alles mit uns Menschen teilte, der noch das schlimmste Leid der Sklaven ertrug, um ihnen Gottes Menschlichkeit zu erweisen und Gottes Würde zu schenken: Nichts und niemand ist bei diesem Gott verloren! Wer immer in den tiefsten Tiefen aushält, zu dem hält Gott – und den wird Gott auch erlösen, wie er Christus erlöst und erhöht und mit ewiger Herrlichkeit beschenkt hat! In diesem Geist lebt es sich christlich: Christus-gemäß. Habt im Umgang miteinander stets vor Augen, was für einen Maßstab Jesus Christus gesetzt hat... Er setzt den Maßstab! Wer sich von ihm begeistern lässt, richtet sein Leben daran aus. Das ganze wunderbare Christuslied erzählt von Weihnachten, von Karfreitag, Ostern und Himmelfahrt – aber es zielt auf Pfingsten: auf den Geist Jesu Christi, in dem wir Christen menschlich sein sollen, wie er es war. Mit-menschlich, an der Seite derer und bei denen, die im tiefsten Elend sind – wie er. Gottesdienst am Sonntag Palmarum 20.3.2016 Sup. Dr. Helmut Kirschstein Philipper 2, 5-11 (3) Habt im Umgang miteinander stets vor Augen, was für einen Maßstab Jesus Christus gesetzt hat... Unser Maßstab: Jesus Christus. Das hieß damals: Nicht der Kaiser setzt die Maßstäbe. Nicht Prunk und Protz, nicht Hierarchie und Weltmachtgehabe, nicht die Waffengewalt hunderter römischer Legionen, nicht die gewaltsam erzwungene Pax Romana, kein Friede also, der über Leichen geht und dem sich die Menschen unterwerfen müssten. Jesus Christus ist der Maßstab: Die Pax Christiana, Friede in seinem Sinne, orientiert sich an der Würde der Sklaven und will Gerechtigkeit für die Ärmsten. Wer selbstlos an der Seite der in den Schmutz Getretenen aushält, der wird zu Gottes Thron erhoben – dessen Name wird in einem Atemzug mit dem Namen Jesu Christi genannt, der ihn hoch über alle stellt. Unser Maßstab: Jesus Christus. Damals also: nicht der Kaiser. Und heute? Wo erleben wir es denn in diesen Tagen, dass Menschen in den Dreck getreten werden? Wo erleben wir es, dass die Menschenwürde verraten und verkauft wird? Wo erleben wir es, dass Reichtum und Wohlstand über die Mitmenschlichkeit gesetzt werden? Wo erleben wir es, dass Waffengewalt für Ruhe und Ordnung, aber nicht für Menschenrechte und Gerechtigkeit sorgen soll? Richtig: Wir erleben in Idomeni und an den Grenzen Europas und der Türkei, wie Zehntausende, Hunderttausende, wie Millionen Menschen in den Dreck getreten werden, Menschen, die als Flüchtlinge alles verloren, alles aufgegeben haben. Wir erleben, dass man uns „Lösungen“ präsentiert, die uns die armen Schlucker vom Leibe halten sollen. Wir erleben, dass Staatsmänner und Staatsfrauen längst resigniert haben und jede Hoffnung dahin ist, die katastrophalen Zustände für Millionen Männer, Frauen, Kinder zu überwinden. Stattdessen heißt es unverblümt: Bleibt doch, wo der Pfeffer wächst! Oder wo Diktatoren ihr höllisches Unwesen treiben. Wie könnte sich irgendjemand einbilden, dass wir in Europa auf einer himmlischen Wolke schweben dürften, während gleich nebenan die Hölle brennt?! Natürlich haben wir die Armen und Elenden nicht eingeladen – sie kommen als ungebetene Gäste. Aber wer darf denn behaupten, dass Staatsgrenzen geradezu „heilig“ sind, wenn Armut, Not und Elend Flüchtlinge und Vertriebene an unsre Türen pochen lässt?! Heilig ist uns Christen doch etwas ganz Anderes: Habt im Umgang miteinander stets vor Augen, was für einen Maßstab Jesus Christus gesetzt hat! Sollte das nicht gerade den Konservativen im Lande, denen in den „christlichen“ Parteien, denen, die das „christliche Abendland“ verteidigen wollen – sollte das nicht gerade denen einleuchten? Nicht die Angst vor fremden Menschen setzt den Maßstab: Jesus Christus ist unser Maßstab! Nicht die Angst vor einer weiteren Ausbreitung der AfD setzt den Maßstab – diese vermaledeite Angst der Demokraten, sich nach den Wahlergebnissen vom letzten Sonntag immer noch weiter beim rechten Populismus anzubiedern – nein: Jesus Christus ist unser Maßstab! Unsere Frage darf nicht lauten: Wie schützen wir unsere Grenzen? Als Christen fragen wir: Wie schützen wir die Menschen?! Unsere Frage darf nicht lauten: Wie bewahren wir unseren Reichtum? Als Christen fragen wir: Wie bewahren wir die Menschenwürde?! Unsere Frage darf nicht lauten: Wie vermeiden wir den Zuzug von Ausländern? Unsre Frage muss lauten: Wie vermeiden wir den Verrat an allem, was uns als Christen aufgetragen ist– wie vermeiden wir den Verrat an allem, was uns als christliches Abendland heilig ist und heilig bleiben muss?! Habt im Umgang miteinander stets vor Augen, was für einen Maßstab Jesus Christus gesetzt Gottesdienst am Sonntag Palmarum 20.3.2016 Sup. Dr. Helmut Kirschstein Philipper 2, 5-11 hat! Das ist die entscheidende Frage: ob wir als Christen maßstabs-getreu dort stehen, wo Jesus Christus uns hinstellt: an der Seite der Bedrohten, an der Seite der Armseligen, bei den Flüchtlingen und Vertriebenen. Er ist unser Maßstab – die Treue zu Ihm entscheidet darüber, ob wir uns „Christen“ nennen dürfen, oder nicht. Nicht Flüchtlingskrise und AfD – die Menschlichkeit Gottes ist unsere Herausforderung. Er wurde ein Mensch in dieser Welt / und teilte das Leben der Menschen, bis hinab zum Verbrechertod am Kreuz. Diese Solidarität hat eine große Verheißung, Gottes ewiges Versprechen: Dieser Weg führt mit Christus in den Himmel. Selbstsucht, Angstmacherei und Abschottung führen ohne Christus in die Hölle. Wir haben die Wahl. Amen.
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