Lobbyismus hat an Schulen keinen Platz - Goethe

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SEITE 32 · DIENS TAG , 1 0 . NOV E M BE R 2 0 1 5 · N R. 26 1
F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G
Im Gespräch: Tim Engartner, Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Uni Frankfurt
AUF EIN WORT
„Lobbyismus hat an Schulen keinen Platz“
Tim Engartner beklagt,
dass Unternehmen zu
viel Einfluss auf den
Unterricht nähmen.
Ein Beitrag von ihm
für die Bundeszentrale
für politische Bildung
hat die Arbeitgeberverbände verärgert.
Was liegt an in dieser Woche?
Für den Kurs „Entwurf“ muss ich ein
Modell bauen, aber ich weiß noch nicht
genau, welches. Vergangene Woche
habe ich ein Styropormodell gefertigt,
dafür habe ich einen kleinen Ausschnitt
einer Stadt nachgebaut. Für den „Entwurf“-Kurs musste ich auch einen Stadtplan zeichnen und ein Tonmodell bauen.
Was gefällt Ihnen an dem Fach, das
Sie studieren?
Es ist nicht so theoretisch. Ich wollte
kein Studium, wo ich nur rumsitze und
lerne, sondern eines, in dem ich auch
was in die Hand nehmen kann.
Ist Lobbyismus böse?
Manchmal schon, man denke an die Tabaklobby. Grundsätzlich aber ist Lobbyismus integraler Bestandteil einer pluralistischen Gesellschaft. Die Frage ist, wo er
stattfinden soll und wo nicht. Im parlamentarischen Umfeld kann er seinen
Platz haben, nicht aber an Schulen. Kinder sind Schutzbefohlene. Ich bin da bildungskonservativ: Wollen wir das Humboldtsche Bildungsideal verteidigen,
muss der Schonraum Schule vom Staat geschützt werden.
Ist denn wirklich jede Präsenz von Unternehmen an Schulen schlecht?
Das sage ich nicht. Betriebspraktika,
Betriebserkundungen oder Jobmessen
brauchen die Mitwirkung von Unternehmen. Ich habe deshalb selbst schon mit
Studierenden die Kölner Ford-Werke, die
Zentrale der Deutschen Post und die
Frankfurter Börse besucht. Ich bin aber
dagegen, dass politisch einseitiges oder
werbendes Material von Unternehmen
ins Klassenzimmer gelangt.
Nehmen solche PR-Aktionen Ihrer
Wahrnehmung nach dramatisch zu?
Ja. 16 der 20 umsatzstärksten deutschen Unternehmen produzieren inzwischen Unterrichtsmaterialien. Die Kollegin Eva Matthes hat in einer Studie gezeigt, dass die Zahl kostenloser Unterrichtsmaterialien, die online verfügbar
sind, auf eine knappe Million angewachsen ist. An vielen Schulen reichen die
Schulbuchetats und Kopierkontingente
nicht. Das fördert die Verwendung unentgeltlicher Materialien von Unternehmen.
Gibt es unabhängige Studien, die zeigen,
wie diese Angebote auf Kinder wirken?
Wir führen an der Goethe-Universität
gerade eine Untersuchung dazu durch.
Dabei schauen wir, wie sich unterschiedliche Lehrmaterialien – etwa von Attac
und der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ – auf die Einstellung von
Schülern zu den ökonomischen Größen
„Gewinn“ und „Wert“ auswirken. Schon
jetzt ist erkennbar, dass es zumindest einen kurzzeitigen Effekt gibt. Ob er länger
anhält, muss sich zeigen. Belegt ist, dass
man nur ein Viertel des Budgets braucht,
um bei Kindern denselben Werbeeffekt
zu erzielen wie bei Erwachsenen.
Illustration Kat Menschik
Sie haben für eine Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung einen
Beitrag über Lobbyismus verfasst. Die
Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) hat auch wegen dieses Textes gefordert, das gesamte Werk aus dem
Verkehr zu ziehen. Sie wirft den Autoren
vor, ein „monströses Gesamtbild von intransparenter und eigennütziger Einflussnahme der Wirtschaft auf Politik und
Schule“ zu zeichnen.
Die Kritik entzündet sich an insgesamt
drei Beiträgen, maßgeblich auch an der
vermeintlichen Einseitigkeit meines Beitrags. Dabei ist schon die Überschrift mit
einem Fragezeichen versehen: „Lobbyismus als ,fünfte Gewalt‘ – Hinterzimmerpolitik oder pluralistische Notwendigkeit?“. Anscheinend geht es der BDA um
die Tabuisierung eines Phänomens, dessen Existenz niemand leugnen kann. Die
Medien berichten doch fortlaufend über
Lobbyismus! Und wer sich die Publikation vorurteilsfrei ansieht, stellt fest, dass
sie eine der pluralistischsten im Feld der
ökonomischen Bildung ist. Einige Autoren arbeiten sogar zu Entrepreneurship
Education und haben entsprechende Professuren inne.
Sie schreiben in der Einleitung Ihres Beitrags, dass sich etwa Kirchen und Nichtregierungsorganisationen mehr um das
Gemeinwohl verdient machten als Unternehmensverbände. Ist das nicht für eine
Unterrichtshilfe eine zu weit gehende
Wertung?
Auch das Engagement von Kirchen
oder NGOs kann man kritisch würdigen.
Aber das ist schon quantitativ nicht mit
dem vergleichbar, was die Wirtschaft an
Ressourcen aufbieten kann. Außerdem
macht es einen Unterschied, ob man Gewinn erzielen will oder Gemeinwohlinteressen verfolgt.
Die BDA beklagt sich darüber, dass in
dem Werk die Leistungen der Wirtschaft
für die Gesellschaft, etwa mit der dualen
Ausbildung, kaum thematisiert würden.
Können Sie das nachvollziehen?
Vorab: Die BDA kann für die Arbeitgeber, nicht aber für die gesamte Wirtschaft
sprechen. Die Ausbildung junger Menschen ist eine wichtige Aufgabe, die von
Unternehmen und ihren Beschäftigten geleistet wird. Zu erwarten, dass ein Text
über Lobbyismus auch solche sozialen
Leistungen der Unternehmen berücksichtigen müsse, ist aber thematisch abwegig.
Die Ausbildung junger Menschen ist
schließlich kein Lobbyismus.
hauptung, dass gerade das ökonomische
Wissen der Schüler im Vergleich zum politischen, historischen oder rechtlichen
Wissen besonders schlecht sei, ist eine Behauptung, mehr nicht. Defizite von Schülern finden sich in allen Fächern, etwa bei
der Lesekompetenz. Aber die Lobby der
Germanisten ist halt deutlich schwächer
als die der Privatwirtschaft.
Wie wirkt sich ein großes wirtschaftliches Wissen des Lehrers auf den Unterricht aus?
Eine Studie des Instituts der Deutschen
Wirtschaft hat gezeigt, dass größeres Wissen über Ökonomie zu einer affirmativeren Grundhaltung gegenüber der Sozialen Marktwirtschaft führt.
Immer wieder wird gefordert, an den
Schulen ein Pflichtfach Wirtschaft einzuführen. Sie sind dagegen. Warum?
Tim Engartner,
Jahrgang 1976,
ist zur Zeit als
Gastforscher
an der Columbia
University in
New York tätig.
Und – ist das gut oder schlecht?
Für einen wissenschaftsorientierten
Unterricht ist das schlecht. Auch dürfen
wir in einer Gesellschaft, die zunehmend
einer allein auf Individualität zielenden
Vermarktlichung anheimfällt, das „Homo
oeconomicus“-Modell nicht zum Leitbild
allgemeinbildenden Unterrichts machen.
Das Soziale hat einen unschätzbaren
Wert.
Foto Goethe-Uni
Ich befürworte die bundesweit etablierten sozialwissenschaftlichen Integrationsfächer, die Politik, Ökonomie und Soziologie unter dem Dach der politischen Bildung zusammenführen. Die Wechselwirkungen sind so evident, dass sie in einem
Fach behandelt werden sollten. Ein eigenes Fach Wirtschaft brauchen wir nicht.
Die Unterrichtszeit ist begrenzt, und wirtschaftliche Themen sind gut vertreten,
wesentlich besser als etwa Recht und
Technik. Ich halte allerdings die ökonomische Bildung für zentral. Wir adressieren
sie in zahlreichen Lehrveranstaltungen.
Kurioserweise gab es wegen dieser Haltung bei meiner Berufung an die GoetheUniversität auch Kritik – mit der Begründung, ich sei zu ökonomieaffin.
Noch einmal zurück zu der Publikation
der Bundeszentrale. Es hieß, sie solle
nun mit einem „Beipackzettel“ ausgeliefert werden, in dem steht, dass sie nicht
das ganze Spektrum der Sichtweisen wiedergebe. Wie finden Sie das?
Das Gerücht vom Beipackzettel ist ein
Gerücht geblieben. Die Publikation wird
seit letzter Woche wieder in exakt der ursprünglichen Form vertrieben. Mit der
Rechnung wird ein Werbeblatt versendet,
das auf die Position der sozioökonomischen Bildung sowie auf weitere Publikationen der Bundeszentrale zu ökonomischen Themen hinweist. Damit sind wir
als Autoren nach diesem sehr unschönen
Sturm im Wasserglas endgültig und voll
umfänglich rehabilitiert. Uns allen sollte
daran gelegen sein, dass eine pluralistische Gesellschaft auch weiterhin ein breites Spektrum wissenschaftlicher Perspektiven zulässt. Wissenschaftlicher Fortschritt verlangt geradezu einen offenen
Wettbewerb um verschiedene Positionen.
Wie ist es denn um die Wirtschaftskompetenz der Lehrer bestellt?
Die hat sich verbessert, weil die ökonomischen Anteile in den Hochschulcurricula in den letzten zehn Jahren systematisch ausgeweitet wurden – übrigens zu
Lasten der soziologischen Bildung, was
ausgesprochen bedauerlich ist. Die Be-
Die Fragen stellte Sascha Zoske.
pus mit anderen Wissenschaftlern über
Perspektiven
der
Stammzellforschung. Dabei geht
es um neue Therapien zum Beispiel
für Diabetes, die in
absehbarer Zeit anwendbar sein sollen.
Fuchs nimmt außerdem an einem nicht
öffentlichen Symposion der GoetheUniversität teil, das sich ebenfalls mit
Stammzellforschung beschäftigt.
Die Merz-Gastprofessur wurde 1985
aus Anlass des 100. Geburtstags von
Friedrich Merz gestiftet, dem Gründer
des Frankfurter Pharmaunternehmens.
Sie wird meist jährlich an einen Forscher auf den Gebieten Humanmedizin
oder Pharmazie vergeben.
zos.
Eine der Hauptaufgaben des Zentrums
ist es, einen Master-Studiengang „Digitale Methoden in den Geistes- und Kulturwissenschaften“ aufzubauen. Innerhalb
von vier Semestern soll er die Studenten
mit dem computergestützten Arbeiten vertraut machen. Bruhn fasst die Ausbildungsziele so zusammen: „Geisteswissenschaftler lernen Programmieren, und Informatiker lernen geisteswissenschaftliche Methoden wie etwa das Quellenstudium.“ Vom nächsten Wintersemester an
sollen Hochschule und Universität den
Studiengang gemeinsam anbieten. Die Berufschancen der künftigen Absolventen
sind nach Bruhns Überzeugung ausgezeichnet: Das Spektrum der möglichen
Arbeitgeber reiche von Bibliotheken über
Schulen und Verlage bis zu Computerspiele-Herstellern.
Wie in der Lehre, so soll das Zentrum
in der Forschung ebenfalls neue Wege eröffnen. Dabei wird es nach Bruhns Worten auch Kontakte in die nähere Umgebung knüpfen, zum Beispiel nach Darmstadt und Frankfurt. In der Mainmetropole etwa gibt es ein „Centrum für Digitale
Forschung in den Geistes-, Sozial- und Bildungswissenschaften“. Was die nicht immer unkomplizierte Zusammenarbeit von
Fachhochschulen und Universitäten angeht, hat Bruhn in der unmittelbaren
Nachbarschaft gute Erfahrungen gemacht: Er ist Honorarprofessor an der Gutenberg-Uni und kann dort archäologische Doktorarbeiten betreuen.
Ausgegraben
leute bronzezeitlichen Bergbau in dieser
Region bisher nicht für möglich gehalten
hätten. Auch für das Mittelalter gebe es in
den Alpen nur sehr wenige Zeugnisse solcher Tätigkeit. Im nächsten Sommer sollen an der Fundstelle Ausgrabungen beginnen. Dann wird sich laut Krause zeigen, welche Bedeutung das frühe Bergwerk für die Kupferförderung in der Bronzezeit gehabt hat.
zos.
Bergbau im Montafon
schon in der Bronzezeit
Schon vor 3500 Jahren wurde im österreichischen Montafon Bergbau betrieben.
Das haben Archäologen der Frankfurter
Universität herausgefunden. Die Forschergruppe um Rüdiger Krause konnte am Bartholomäberg in 1450 Metern Höhe Spuren aus der mittleren Bronzezeit nachweisen. Mit Hilfe der Radiokarbonmethode
bestimmten sie das Alter von Holzkohleresten. Wie Krause und seine Kollegen
weiter feststellten, drangen Bergleute an
dieser Stelle 2500 Jahre später im Frühmittelalter abermals in die Erde vor. Der Professor hält die Entdeckung des alten Reviers für eine „kleine Sensation“, da Fach-
Foto Universität Frankfurt
Stammzellen, Haut und Haare sind die
Spezialgebiete von Elaine Fuchs. Die
Medizinerin, die an der Rockefeller University tätig ist, hat zum Beispiel untersucht, wie sich Haarfollikel aus Hautstammzellen entwickeln können. Aber
auch Ideen zur Therapie von Hautkrebs
werden in Fuchs’ New Yorker Labor entwickelt. Wer sie und ihre Arbeit kennenlernen will, hat dazu morgen Gelegenheit: Fuchs ist Inhaberin der diesjährigen Friedrich-Merz-Stiftungsgastprofessur an der Universität Frankfurt. Um
17.30 Uhr diskutiert sie im Foyer des
PA-Gebäudes auf dem Westend-Cam-
nen Datenbanken – vielleicht wird das eines Tages auch dabei helfen, eine Schadensbilanz zu ziehen, wenn im Kriegsgebiet die Waffen schweigen.
Wie Archäologen, Geographen, Linguisten und andere Geistes- und Kulturwissenschaftler von der Informatik profitieren können, will ein neugegründetes
Zentrum in Mainz zeigen. Bruhn, Professor an der Hochschule Mainz, ist sein erster Direktor. Außer von der Fachhochschule wird diese Einrichtung von der Gutenberg-Universität, der Akademie der
Wissenschaften und der Literatur, dem Institut für Geschichtliche Landeskunde,
dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum und dem Leibniz-Institut für Europäische Geschichte getragen.
Foto Micheline Pelletier
Gastprofessur
für Stammzellforscherin
Wie finanzieren Sie Ihr Studium?
Im Moment noch durch meine Eltern,
weil ich im ersten Semester nicht wirklich Zeit für einen Nebenjob habe. Man
sitzt öfters bis in die Nacht an irgendwelchen Aufgaben. Da bleibt nicht viel Zeit
zum Arbeiten. Aber uns wurde gesagt,
dass es in den nächsten Semestern entspannter wird. Dann will ich mein Studium selbst finanzieren.
Was wollten Sie Ihrem Universitätspräsidenten schon immer einmal sagen?
Ich habe noch zu wenig Erfahrung,
um dazu etwas sagen zu können.
Neues Mainzer Zentrum für Digitalität in den Geisteswissenschaften baut Studiengang auf
Eingeladen
Ich wohne im Studentenheim „Headquarter“ in der Nähe vom Hauptbahnhof. Also eigentlich sehr zentral.
Und was stört Sie?
Das Studium macht um einiges mehr
Arbeit als die Schule. Zum Beispiel habe
ich an dem Stadtmodell jeden Tag neben der Uni zwei bis drei Stunden gearbeitet.
Informatik hilft auch dem Archäologen
zos. MAINZ. Wenn Kai-Christian Bruhn
erklären will, was die Digitalisierung den
Geisteswissenschaften bringt, erzählt er
von Syrien und dem Nordirak. In der Region gibt es mehr als tausend archäologische Ausgrabungsplätze, wie der Geoinformatiker berichtet. Etwa genauso
groß sei die Zahl von Ortsnamen in historischen Texten, die auf mögliche Fundstätten hinweisen könnten.
Welcher kartographierte Platz zu welcher schriftlichen Quelle passt, wird in einem Forschungsprojekt untersucht, in
dem die Hochschule Mainz mit Universitäten in Dijon, Berlin und München zusammenarbeitet. Computerprogramme
ermöglichen dabei einen schnellen Vergleich der Informationen in verschiede-
Carlo Rosenthal, 19 Jahre,
Technische Universität Darmstadt,
1. Semester Architektur
Ihr Lieblingsort an der Universität?
Das ist die sogenannte Kuhle. Es ist
ein in den Boden eingelassener Bereich
mit Sitzbänken. Er wird als Café genutzt, in dem Studenten beisammen sitzen.
Wo gehen Sie abends am liebsten hin?
Bis jetzt war ich immer in der „Krone“, dort ist es ganz nett. Aber feiertechnisch kenne ich mich in Darmstadt noch
nicht ganz aus.
Was gefällt Ihnen an Darmstadt, was
nicht?
Was ich bis jetzt von der Stadt gesehen habe, gefällt mir sehr gut. Die Leute
scheinen ganz nett zu sein. Es gibt auch
hässliche Ecken, die gibt es aber in jeder
Stadt.
Und wohin gehen Sie auf keinen Fall,
wenn Sie nicht müssen?
In die Vorlesung Tragwerkslehre. Da
geht es um alles, was mit Statik zu tun
hat.
Wo ist an der Universität der beste Ort
zum Flirten?
Vermutlich in der Kuhle. In den Arbeitsräumen nicht so, dort wird meistens gearbeitet.
Was wollen Sie nach dem Studium machen?
Ich hoffe, ich werde dann als Architekt arbeiten.
Wie wohnen Sie?
Aufgezeichnet von Emma Reinstädt.
ZUR PERSON
Immanuels
Welt
Ein Frankfurter Professor hat
Kants Ideen lexikalisch sortiert
chöner und treffender kann man
S
Faulheit nicht beschreiben, als es Immanuel Kant getan hat: Er definierte sie
als den „Hang zur Ruhe ohne vorhergehende Arbeit bei gesundem Zustand“.
Für Marcus Willaschek zeigen Sentenzen wie diese, dass der Denker aus Königsberg auch ein begnadeter Schriftsteller mit Sinn für Humor war.
Willaschek hatte in den vergangenen
15 Jahren reichlich Gelegenheit, weniger bekannte Talente und Charakterzüge Kants vielleicht nicht neu, aber doch
wiederzuentdecken. Im Sommer 2000
nahm der Frankfurter Philosophieprofessor zusammen mit seinen Kollegen
Georg Mohr und Jürgen Stolzenberg die
Arbeit an einem dreibändigen Kant-Lexikon auf. 2010 kam als vierter Herausgeber der Italiener Stefano Bacin hinzu.
Jetzt ist das Opus magnum abgeschlossen: Auf 2900 Seiten erklären 220 internationale Autoren die Begriffswelt des
Großgelehrten.
Entstanden ist ein Werk für Wissenschaftler und fortgeschrittene Studenten; wer nur eine oberflächliche Einführung in Kants Gedanken wünscht, dürfte mit der Lektüre überfordert sein. Willaschek erzählt, dass ihn sein siebzehnjähriger Sohn für den Schulunterricht
um eine Erläuterung zu Kants Theorie
des Strafrechts gebeten habe. Der Vater
gab ihm die passenden Lexikon-Artikel.
Kommentar des Sohnes: „So genau wollte ich es auch wieder nicht wissen.“
Willaschek, 52 Jahre alt, möchte es genau wissen, seit er sich im fünften Semester seines Philosophiestudiums in
Münster für Kant zu begeistern begann.
1991 wurde er über dessen „Praktische
Vernunft, Handlungstheorie und Moralbegründung“ promoviert. 2003 berief
ihn die Goethe-Universität auf den Lehrstuhl für Philosophie der Neuzeit; zu dieser Zeit war die Arbeit am Kant-Lexikon schon in vollem Gang. Anfangs
Umgeschrieben
Studenten kritisieren
Befristungs-Novelle
Die hessische Landes-ASten-Konferenz
ist unzufrieden mit den neuen Regeln,
die die Bundesregierung für befristete Arbeitsverhältnisse an Hochschulen aufstellen will. Derzeit berät der Bundestag
über die Novelle des Wissenschafts-Zeitvertragsgesetzes. Scharf kritisieren die
Studentenvertreter das Vorhaben, für studentische Hilfskräfte nur noch befristete
Verträge mit einer Gesamtdauer von
höchstens sechs Jahren zu erlauben. In einigen Fächern sei ein Job außerhalb der
Hochschule nur schwer mit dem Studium zu vereinbaren. Durch die neue Obergrenze könnten Studenten gezwungen
Foto Wolfgang Eilmes
Welche Formen der Beeinflussung an
Schulen kritisieren Sie?
Das reicht von Schulheften mit Firmenlogos über gesponserte Sportfeste bis hin
zu kostenlosen Unterrichtsmaterialien.
Immer mehr Mitarbeiter von Firmen kommen in den Unterricht, etwa von der Initiative „My Finance Coach“ oder dem
„Geldlehrer“-Verein. Das schadet der Reputation des Lehrerberufs, unterminiert
den staatlichen Bildungsauftrag und privilegiert finanzstarke Interessengruppen.
Sitzt gern
in der Kuhle
Foto Wolfgang Eilmes
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
Marcus Willaschek ist Inhaber des
Lehrstuhls für Philosophie der Neuzeit
an der Goethe-Universität.
noch nicht mit professoraler Autorität
ausgestattet, hatte Willaschek zunächst
Hemmungen gehabt, die Texte der Lexikon-Autoren scharf zu redigieren und
notfalls zu kürzen. Aber das legte sich
bald, und dann war schnell mal „ein Absatz weg“. Die Betroffenen hätten es
meist mit Fassung getragen: „Nur ein
kleiner Teil war beleidigt.“
Unterdessen staunte Willaschek immer wieder aufs Neue über die Weite
von Kants geistigem Horizont. Zu allen
möglichen Dingen wusste der Universalgelehrte Kluges zu sagen; über theoretische Chemie äußerte er sich ebenso wie
über Gymnastik. Aus heutiger Sicht heikel waren seine Spekulationen über die
verschiedenen „Menschenrassen“. Erst
sehr spät, so Willaschek, habe sich Kant
von diesem Gedankengut verabschiedet. Und gewiss sei der 1804 gestorbene
Philosoph „kein Vorreiter des Feminismus“ gewesen.
Den Zeitaufwand, den alle Beteiligten in das Lexikon investiert haben,
schätzt Willaschek auf zusammengenommen 45 Berufsjahre. Bei ihm selbst
ist nun der Hang zur Ruhe nach vorhergehender Arbeit groß, „aber die Gelegenheit klein“, wie er sagt. Denn das
nächste Buchprojekt wartet schon: eine
Aufsatzsammlung zu Immanuel Kants
Konzeption von Vernunft und MetaphySASCHA ZOSKE
sik.
werden, sich kurz vor dem Examen noch
eine neue Arbeit zu suchen. An der Technischen Universität Darmstadt finanzieren nach Angaben des dortigen AStA
mehr als 55 Prozent der Studierenden ihren Lebensunterhalt durch Jobben.
Andere geplante Änderungen in dem
Gesetz seien zwar grundsätzlich richtig,
gingen aber nicht weit genug, meint die
ASten-Konferenz. Dazu gehöre die Bedingung, dass Mitarbeiter nur dann befristet angestellt werden dürften, wenn
es ihrer fachlichen Qualifizierung diene.
Nicht geregelt werde in dem Entwurf,
was genau unter Qualifizierung zu verstehen sei. Auch bleibe offen, wie lange ein
solcher Vertrag mindestens laufen müsse. Gut finden die Studentenvertreter
den Plan, eine grundlose Befristung von
drittmittelfinanzierten Nichtakademiker-Stellen zu verbieten.
zos.