Zwischen Lust an der Spannung und Trauma

 advent
Zwischen Lust an
der Spannung
und Trauma
Aufregend. Psycho- und Traumatherapeutin
Brigitte Fahrner-Schneeberger: „Angstlust
steckt in jedem von uns“
W
ilde Masken, schellende Glocken, ungestümes Umherlaufen: Der Besuch des Krampus
kann vor allem bei den Kleinsten
bleibende psychische Schäden
hinterlassen und im schlimmsten Fall Angststörungen auslösen. Doch verteufeln sollte man
den Krampus auch nicht, weiß
die erfahrene Trauma- und Psychotherapeutin Brigitte FahrnerSchneeberger: „Der Krampus hat
zwei Seiten. Die eine, der traumatisierende Aspekt, trifft eher
zu, wenn Kinder völlig unvorbereitet auf ihn treffen.“ Wenn die
Kinder den Schrecken vor der
teuflischen Gestalt nicht verarbeiten können, dann können
Ängste, zum Beispiel bei Dunkelheit, und Schlafstörungen auftreten. Es wirkt für Kinder vor allem
dann bedrohlich, wenn sich der
Krampus auf sie zubewegt. Wenn
man merkt, dass sein Kind der
Situation nicht gewachsen ist,
sollten Eltern rasch reagieren
durch die notwendige Zuwendung und vor allem durch viel
Körperkontakt das Kind beruhigen und Halt geben.
Doch nicht wenige Kinder wollen den Krampus freiwillig sehen
und freuen sich auf das wilde
Schauspiel. Denn in jedem von
uns wohnt eine gewisse Angstlust. „Kinder mögen es, ein Wagnis einzugehen. Es ist ein Nervenkitzel, wie beim Verstecken
spielen. Das Auseinandersetzen
mit dem Grauen und das Verlassen der Komfortzone spielt eine
Rolle; nachher
ist man stolz
auf sich“, erklärt
Fahrner-Schneeberger. Trotzdem
kann es passieren, dass
dies in echte Angst übergeht und das Kind Trost
braucht. Außerdem ist
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| mostviertel magazin
eines wichtig: „Die Angstlust
funktioniert nur, wenn das Kind
in der emotionalen Reife soweit
ist. Man braucht trotz dem Nervenkitzel die Sicherheit, dass es
gut ausgeht.“
Auch in zahlreichen Spielen
und vor allem in Märchen kommt
das Böse immer wieder vor; beim
Krampus „weiß man hingegen
nicht genau, wie es ausgeht“, erklärt die Psychotherapeutin. Ein
wichtiger Aspekt ist, wie man Kinder auf den Besuch vorbereitet.
Erziehungsversuche durch gedankenlose Aussprüche – „Dann
wird dich der Krampus holen!“ –
sorgen für Trennungsängste, die
erst Recht dafür sorgen, dass die
Angst immer größer wird.
„Wenn die Eltern selbst Angst
haben, übernehmen Kinder diese. Sie lernen sie praktisch von
den Eltern.“ Daher ist es vernünftiger, bei einer ausgeprägten
Krampus angst auf einen Besuch
zu verzichten oder eine andere
Begleitperson mitzuschicken.
Durch das langsame Verschwinden der Krampusse und
den Trend um die Perchten wird
es für die Kleinsten weniger bedrohlich: „Perchten sind geschult
und nähern sich Kindern, die sich
fürchten, nur sehr langsam.“ Die
Kinder können so unbeschwert
ihrer Angstlust nachgehen und
wissen genau, dass die Situation gut ausgeht. Sollte trotzdem
die Angst überhand nehmen
und länger bleiben, hilft in
der Regel eine Traumatherapie sehr schnell. Durch
gezieltes Spielen oder
Zeichnen können Kinder
die Ereignisse in kurzer Zeit
verarbeiten und den nächsten Besuch bei Krampus
oder Perchten hoffentlich
wieder genießen. 
daniela rittmannsberger
 telalter hielt sich der
Brauch noch, danach geriet
er langsam in Vergessenheit.
Erst im 19. Jahrhundert ließ
man den Brauch der Perchten
vor allem im Salzkammergut
wieder aufleben.
Fürchten löst den
ersehnten „Kick“ aus
Mit dem Brauchtum an sich
hat das Perchtenlaufen, das
in den vergangenen Jahren
auch im Mostviertel immer
beliebter wurde, nicht mehr
viel gemeinsam. Hatte die
Erscheinung des Perchts in
früheren Zeiten noch einen
rituellen Wert, so sorgt ein
Perchtenlauf heutzutage vor
allem für einen Adrenalinkick
bei Alt und Jung. Und dafür
wird so einiges getan. Anstatt
mit einer traditionellen Maske wird mit blutverschmierten Masken gelaufen, rot
leuchtende Augen, spezielle
Effekte und schaurige Musik
steuern ihr Übriges bei, um
das Fürchten zu einem richtigen Kick zu machen.
Über die Füße
streichen soll die
Fruchtbarkeit steigern
Dabei darf aber auf eines
nicht vergessen werden: War
der Krampus früher vor allem
dazu da, die „unartigen“ Kinder zu bestrafen, so gibt sich
der Percht vergleichsweise
züchtig. Anstelle von harten
Ruten verwenden die Perchtenvereine Pferdeschwänze,
mit denen sie nur unterhalb
des Knies über das Bein streichen. Und das vor allem zu
einem Zweck: der Fruchtbarkeitssteigerung der Frau.
Doch nicht alle Perchtengruppen halten sich auch an
diese Regel: „Es gibt sehr
wohl auch Gruppen, die nur
Leute schlagen wollen. Wir
sind aber eine reine Showgruppe“, erzählt Alexander
Eder, Obmann der Strudengauer Schluchtnteufln. Der
junge Mann zählt 20 Leute
zu seinem Verein, der durchschnittliche Perchtenanhänger
sei zwischen 17 und 23 Jahre
alt. Sie sind von November
bis Jänner unterwegs, um mit
ihrer Show die Menschen zu
unterhalten, zu erschrecken
und zu begeistern.
Diejenigen, die den Läufen bereits entgegenfiebern
und den Percht bewusst provozieren, wissen auch, dass
sie auch einstecken müssen.
Das fordern so manche auch
heraus: „Wenn wir merken,
dass Kinder sich fürchten,
gehen wir ganz langsam hin.
Aber es gibt schon immer
wieder Erwachsene, die sich
schlagen lassen wollen“, erzählt Alexander von seinen
Erlebnissen bei den Läufen.
Dass dabei wohl so manche
momag 336 | november 2015