the human factor

THE HUMAN FACTOR
Die moderne Luftfahrt als Pionier einer positiven Fehlerkultur.
„Sehen Sie sich diesen Sonnenaufgang an, meine Herren!“. Flugkapitän Lee Kang-Guk nippt an seinem
Kaffee und genießt den blutroten Himmel über dem Pazifik. Vor zehn Stunden ist er in Seoul gestartet
und in etwas mehr als einer Stunde wird er in San Francisco landen. Über 10.000 Flugstunden hat der
Koreaner auf dem Buckel. Und trotzdem ist dieser Flug kein alltäglicher für ihn. Denn heute ist ein
Checkkapitän als dritter Mann im Cockpit und wird die Arbeit von Lee Kang-Guk bewerten. Er kneift
die Augen zusammen und geht im Geiste noch einmal den Anflug durch. Dann dreht er sich zu seinem
Co-Piloten um und sagt: „Lassen Sie uns den Anflug durchsprechen…“
Es ist ein wunderschöner Sommermorgen über der Bucht von San Francisco, an diesem 6. Juli 2013.
Strahlender Sonnenschein, angenehme Temperaturen. Am internationalen Flughafen herrscht die
übliche Betriebsamkeit, als sich Asiana Flug 214 beim Tower meldet. Der Lotse erteilt die
Landefreigabe.
Im Cockpit trifft man die letzten Vorbereitungen für die Landung. Kapitän Lee Kang-Guk nickt
zufrieden, als er die Küstenlinie und die Landebahn vor sich sieht. „Landeklappen auf 30°, Landing
Checklist“ weist er seinen Co-Piloten an. Alles läuft nach Plan.
Nur drei Minuten später blickt der Tower-Lotse von seinem Radarschirm auf und schnappt sich das
Fernglas. „Was zum…?!“ Es dauert einige Sekunden, bis er begreift, was er da sieht und reagieren kann:
Er drückt einen großen roten Buzzer mit der Aufschrift „Emergency“. Ein Flugzeug liegt in drei Teile
gerissen über die Landebahn verteilt. Es ist Asiana Flug 214.
Von den 306 Passagieren an Bord kommen drei ums Leben, 181 erleiden teils schwere Verletzungen.
Als die Flugunfallermittler noch am selben Tag ihre Arbeit aufnehmen, blicken sie sich ratlos an. Beste
Wetterbedingungen. Das modernste Verkehrsflugzeug der Welt, einer Boeing B777, gesteuert von drei
erfahrenen Piloten. Keinerlei Anzeichen für ein technisches Problem. Kein Notruf wurde abgesetzt. Ein
einfacher, alltäglicher Anflug ohne schwierige Rahmenbedingungen… Das sah so gar nicht nach der
üblichen „Verkettung vieler unglücklicher Umstände“ aus, die einem Flugzeugabsturz beinahe immer
vorauseilt.
Erst als die Ermittler die Black Box mit dem Stimmrekorder und dem Flugdatenschreiber analysieren,
erkennen sie, was im Cockpit vor sich gegangen war.
Positive Fehlerkultur: Theorie und Praxis
„Aus Fehlern lernt man!“, „Fehler gehören zum Leben dazu!“, „Nobody is perfect!“, „Irren ist
menschlich!“ – wir alle kennen diese Weisheiten. Es hat sich herumgesprochen, dass eine positive
Fehlerkultur für den Erfolg eines Unternehmens wichtig ist. Doch je härter der Wettbewerb, desto
weniger werden Fehler akzeptiert. Kein Wunder: von Kindesbeinen an werden Fehler bestraft. Durch
schlechte Noten, elterlichen Tadel, Anpfiff vom Chef… Und damit haben wir uns arrangiert:
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Fehlervermeidung und Fehlerleugnung lenkt nur allzu oft – bewusst wie unbewusst – unser Denken
und Handeln. Kommt es dann doch zum Missverständnis, Bedienungsfehler, Misserfolg, zur
Fehlentscheidung oder Unachtsamkeit, schüttet unser Gehirn Stresshormone aus und aktiviert das
Areal, das für „Bestrafung“ steht. Stress und Schamgefühl führen zu einer erhöhten Fehleranfälligkeit.
Eine Abwärtsspirale entsteht, die Luftfahrt-Psychologen als „Poor Judgement Chain“ bezeichnen;
einem Teufelskreis, der Ursache vieler Flugzeugabstürze ist. Wie aber wird in einem Beruf mit Fehlern
umgegangen, in dem eigentlich keine Fehler passieren dürfen?
Jeder Fehler erhöht die Flugsicherheit.
Keine andere Branche befasst sich so intensiv mit der Ursachenforschung und dem Umgang mit
Fehlern wie die Luftfahrt. Nirgendwo sonst sind Fehler so gefürchtet und gleichzeitig so elementar
wichtig wie in einem Flugzeugcockpit. Schon vor Jahrzehnten begann man damit, jedes
Flugzeugunglück, jeden Flugunfall und auch jeden kritischen Zwischenfall akribisch zu analysieren.
Nicht um den Schuldigen zu finden, sondern um zu verstehen, warum sich die Piloten so verhalten
haben. Man begriff, dass Fehler keine menschliche Fehlfunktion, sondern ein Faktor menschlichen
Handelns sind. Deshalb sprach man fortan bei einem Pilotenfehler nicht mehr von „Human Error“,
sondern von „Human Factor“. Heute hilft das „Crew Resource Management“ weltweit Piloten dabei,
schwierigen Situationen mit perfektem Teamwork und klaren Prioritäten zu begegnen. Bis heute
liefern Fehlerauswertungen wertvolle Hinweise, wo eine Schwachstelle im System liegt. Deshalb trägt
jeder Fehler dazu bei, Fliegen sicherer zu machen.
Die Fehlernanalyse in der Luftfahrt gliedert sich in zwei Bereiche:
Fehlerprävention: Wie kann man diesen Fehler zukünftig vermeiden?
Fehlermanagement: Wenn er dann doch passiert, wie kann man die Auswirkungen minimieren?
Stellen Sie sich vor, Kapitän Lee Kang-Guk wäre nicht Pilot, sondern Führungskraft in einem
Unternehmen. Er wäre nicht abgestürzt sondern hätte eine auf den ersten Blick unverständliche und
folgenschwere Fehlentscheidung für das Unternehmen getroffen und damit hohen finanziellen
Schaden angerichtet. Die Firmenbosse hätten ihn kopfschüttelnd vor die Tür gesetzt. In San Francisco
aber gaben sich die Flugunfallermittler nicht mit der Tatsache zufrieden, dass Lee Kang-Guk Mist
gebaut hatte. Das Team, bestehend aus Piloten, Ingenieuren und erstaunlich vielen Psychologen,
sammelte jedes noch so unwichtige Detail über diesen Flug, um ein umfassendes Bild aus allen
Blickwinkeln zu erlangen. Und so fanden sie eine ganze Reihe an Faktoren, die in der Kombination
einen menschlichen Fehler zumindest begünstigten (Schwachstelle Fehlerprävention):
 Alle drei Piloten waren relativ neu auf diesem Flugzeugmuster, also der B777. Der Kapitän war
noch nie zuvor damit in San Francisco.
 Das Landesystem des Flughafens war defekt, weshalb man eine Landung auf Sicht und ohne
die üblichen technischen Hilfsmittel durchführen musste. In der Folge sank das Flugzeug zu
tief.
 Die Bedienung des Autopiloten war für dieses Manöver komplex und neu für die Crew. Die
Piloten dachten, der Autopilot würde den Schub regeln, was er aber nicht tat. Dadurch wurde
das Flugzeug zu langsam.
 Aus den Dienstplänen der Piloten ging hervor, dass sie aufgrund der vielen zurückliegenden
Flugeinsätze am Tag des Absturzes unter Erschöpfung und Müdigkeit litten.
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 Die Prüfungssituation verschärfte die Stresssituation für Kapitän Lee Kang-Guk.
 Der Checkkapitän hatte erst wenige Tage zuvor sein Trainerdiplom erhalten.
 Ein Wellblechdach einer nahegelegenen Fabrikhalle reflektierte das Sonnenlicht direkt in das
Cockpit, sodass die Piloten stark geblendet wurden.
Plötzlich sieht die Situation schon anders aus. Dieser Anflug war kein Spaziergang für die Crew. Das
erklärt die Fehler, also weshalb weder Höhe noch Geschwindigkeit für den Anflug stimmten. Doch
Fehler wie diese passieren täglich irgendwo in den Cockpits. Weshalb wurden die Warnsignale des
Computers missachtet? Warum griff keiner der beiden anderen Piloten ein? Warum wurde nicht
einfach durchgestartet und ein zweiter Landeversuch unternommen?
Weil das Fehlermanagement versagte – aus kulturellen Gründen. In Korea herrschen sehr rigide
Umgangsformen. Respekt, Höflichkeit und Distanz im Miteinander sind gesellschaftlich tief verankert.
Während es bei uns die Anredeformen „Du“ und „Sie“ gibt, sind die sprachlichen Abstufungen
innerhalb der Höflichkeitsformen in Korea deutlich komplexer und gehen mit Alter und Rangordnung
einher. Wer sich nicht strikt an dieses Verhaltenskorsett hält, düpiert sein gegenüber und wird in der
Folge missachtet. Kapitän Lee Kang-Guk, der Älteste im Cockpit, war überfordert und im Tunnelblick
gefangen. Er wollte die Landung erzwingen, um den Checkflug zu bestehen. Die beiden anderen Piloten
wollten ihren Kapitän nicht bloßstellen und machten nur Anmerkungen, anstatt die Fehler klar zu
benennen und einzugreifen. Die kulturelle Prägung wog schwerer als das Crew Resource Management.
Nicht die Tatsache, dass Fehler passierten, führte zur Katastrophe, sondern die Verweigerung aller
Crew-Mitglieder, sich diesen zu stellen.
Aus dem Asiana-Absturz zog man weitreichende Konsequenzen. So wurde Boeing angehalten, die
Bedienung des B777 Autopiloten zu vereinfachen und die Trainingshandbücher verständlicher zu
gestalten. Asiana forderte man auf, das fliegerische Training für ihre Crews zu intensivieren
(Fehlerprävention). Außerdem muss die Airline seitdem ihre Crews besser darin schulen, Fehler klar
zu kommunizieren und sofort Gegenmaßnahmen zu ergreifen (Fehlermanagement).
The Human Factor Checklist
Unsere Grundeinstellung zu Fehlern muss sich ändern, bevor wir deren Potential nutzen können. Zwei
führende Forscher auf diesem Gebiet bringen es auf den Punkt: „Let’s change the attitude from ‚I
mustn’t make errors‘ to ‚let me see what I can learn from this error‘.“
Was können wir von der modernen Luftfahrt über positive Fehlerkultur lernen? Die nachfolgende
Checkliste stellt einfache Tools vor, die bereits seit vielen Jahren maßgeblich zur Flugsicherheit
beitragen und auch im Unternehmensalltag zur Anwendung kommen können.
 Flight Safety Info: von Fehlern anderer lernen!
Studien zeigen: Aus fremden Fehlern lernen wir mehr als aus unseren eigenen. Ärzte haben
„CIRS“ (Critical Incident Reporting System), Piloten die Flight Safety Info: Sie berichten offen
von ihren Fehlern, um andere an ihrem Lernprozess teilhaben zu lassen. Jedes Unternehmen
sollte so ein Journal haben!
 Confidential Report: gerne auch anonym!
Sich mit Fehlern auseinandersetzen und diese Erkenntnisse teilen - das ist wichtig! Nicht, wer
einen Fehler gemacht hat. Jede Fluggesellschaft hat eine Abteilung, die anonyme Berichte von
Piloten sammelt und vertraulich behandelt.
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 Captain’s call: Führungskraft als gutes Vorbild!
Ein Chef, der seinen Mitarbeitern offen von Misserfolgen erzählt, wirkt nicht nur souverän und
vertrauenswürdig, sondern steckt damit auch seine Mitarbeiter an. Erfordert Mut, wird Ihr
Umfeld aber verblüffen!
 Multi-Crew Concept: vier Augen sehen mehr!
Im Cockpit sind Einzelkämpfer undenkbar. Kapitän Lee Kang-Guk hätte die Unterstützung
seiner Kollegen gebraucht. Bitten Sie aktiv um Rat! Fordern Sie Feedback ein! Das ist die Stärke
eines Teams, die Sie nutzen sollten!
 Fucked-up nights/ Fail Award: regelmäßige „Lern-Meetings”!
Erfolglose Start-up Gründer, die von ihrem Scheitern berichten und innovative Firmen, die
Fehler-Preise verleihen? Das gibt es! Studien zeigen, dass Mitarbeitermotivation, zufriedenheit und Firmenerfolg durch eine positive Fehlerkultur zunehmen. Treffen Sie sich
doch regelmäßig mit Ihrer Abteilung zum „Lern-Meeting“ und plaudern Sie frei und ungeniert
über Ihre Patzer.
 Lesson learnt: „Lern-Logbuch“ anlegen!
Statt sich zu ärgern, fragen Sie sich: Was kann ich aus diesem Fehler lernen? Legen Sie sich
dafür ein „Lern-Logbuch“ an und notieren Sie jeweils die Lehre aus jedem Fehler. Blättern Sie
von Zeit zu Zeit darin. So machen Sie jeden Fehler nur einmal!
 No Blame Culture: Trainieren statt Sanktionieren!
Selbst bei schwerwiegenden Fehlern erhält ein Pilot Training statt Bestrafung. Niemand macht
absichtlich Fehler. Meist ist das Selbstwertgefühl danach ohnehin angeknackst. Deshalb sollte
der Chef lieber zuhören statt zu tadeln!
„Ein Experte ist ein Mensch, der auf einem eng begrenzten Feld alle nur denkbaren Fehler gemacht
hat.“ - Niels Bohr, dän. Physiker und Nobelpreisträger
Über den Autor:
Philip Keil ist erfahrener Verkehrspilot und professioneller Redner. In seinen Keynotes überträgt er
spezielle Piloten-Strategien auf den Berufsalltag seiner Zuhörer. Anhand packender Beispiele aus der
Luftfahrt zeigt er Führungskräften, wie sie auch im Notfall schnell und effektiv handeln.
In Kürze erscheint dazu auch sein Buch „Ready for Takeoff – Die Strategien der Profi-Piloten“.
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