„Dublinverfahren – inhuman und bürokratisch“ Eine Veranstaltung des Bildungswerks Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit Asyl in der Kirche Berlin e.V., borderline-europe e.V. und dem "Aktionsbündnis gegen die Dublin III-Verordnung". Die Veranstaltung wird realisiert mit Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin. Ort: Passionskirche, Marheinekeplatz 1, 10961 Berlin ab 19 Uhr Die Dublinverordnung regelt die Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb der Europäischen Union. Ein Flüchtling muss dort einen Asylantrag stellen, wo er oder sie zum ersten Mal registriert wurde, bzw. zum ersten Mal europäischen Boden betreten hat. So schreibt die Dublinverordnung vor, welcher Mitgliedsstaat für ankommende Flüchtlinge verantwortlich ist. Das bedeutet, dass Flüchtlinge nicht die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden in welchem Land sie einen Asylantrag stellen möchten. Die Situation von Flüchtlingen in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist jedoch keinesfalls identisch. Dies wird in der Veranstaltung an den Länderbeispielen Ungarn und Italien verdeutlicht. So sind beispielsweise Notunterkünfte in Italien völlig überfüllt und der Großteil der Flüchtlinge obdachlos. Die ungleichen Möglichkeiten und Umstände gelten zudem nicht nur für Schutzsuchende, sondern auch für diejenigen Flüchtlinge, die bereits einen Schutzstatus erhalten haben (z.B. „subsidiären Schutz“). Flüchtlinge, die bereits einen Schutzstatus durch einen Mitgliedsstaat erhalten haben, fallen nicht unter die Dublinverordnung, dennoch gilt dieser Schutz nicht in anderen Mitgliedsstaaten. Im Gegensatz dazu hat die Ablehnung eines Asylantrages sehr wohl Gültigkeit in den restlichen Mitgliedsstaaten. Der Moderator der Veranstaltung, Bernhard Fricke, berichtet, dass es sich bei elf von 13 derzeit laufenden Kirchasylen in Berlin und Brandenburg um Flüchtlinge handelt, die aufgrund der Dublinverordnung zurück in den Mitgliedsstaat geschoben werden sollen, der nach der Verordnung für sie zuständig ist. Die Zuständigkeit wird durch das sogenannte „Eurodac-System“ kontrolliert. Flüchtlinge müssen, alsbald sie europäischen Boden betreten, ihre Fingerabdrücke abgeben. Dies geschieht meist unfreiwillig und durch massiven psychischen und physischen Druck seitens des Grenzschutzes, bzw. den Behörden in den Mitgliedsstaaten. Die syrischen Flüchtlinge Kayel und Mufleh, Mitglieder von „Bündnis gegen Dublin“ berichten von ihrer Flucht, der Ankunft in Europa und den brutalen Vorgehensweisen der Beamten in Italien, mit denen sie gezwungen wurden, ihre Fingerabdrücke abzugeben: Verhaftungen, schwere Körperverletzungen und die Drohung, sie „zurück ins Wasser zu werfen“, sollten sie sich weigern, sich registrieren zu lassen. Nach Abnahme der Fingerabdrücke wurden sie frei gelassen und standen ohne Informationen über Unterkünfte, Asyl und ihre Rechte auf der Straße. Durch Schlepper führte sie ihre Flucht weiter nach Deutschland, wo sie nicht mehr Informationen erhielten, als dass das für sie zuständige Land Italien sei. Kayel und Mufleh betonen, dass sie vor Krieg geflohen sind, es unter lebensgefährlichen Umständen geschafft haben sicheren Boden zu erreichen und dafür eine traumatisierende Reise hinter sich bringen mussten und dass es gerade dann, in Momenten der Hoffnung, in Momenten der Ankunft umso unglaublicher ist, dass selbst in dem vermeintlich sicherem Europa Menschenrechtsverletzungen stattfinden und die Flüchtlinge anstelle von Schutz zu erhalten, ihre Flucht durch die einzelnen Mitgliedstaaten fortsetzen müssen. In Ungarn werden Asylsuchende grundsätzlich inhaftiert, berichtet Marc Speer, der für Bordermonitoring.eu arbeitet. Die Inhaftierung soll der Abschreckung dienen, 2012 wurde die Haft für Asylsuchende zeitweise ausgesetzt, wodurch ein Anstieg von 774% der Asylanträge verzeichnet wurde. Daraufhin entschied sich Ungarn erneut für die Inhaftierung von asylsuchenden Männern, Frauen und Kindern. Die Haftbedingungen sind desaströs: es kommt zu Misshandlungen und die Anordnungen sind willkürlich: es gibt keine Regelungen über die Haftdauer und die Gerichtverfahren hierzu betragen im Schnitt drei bis fünf Minuten, in denen in der Regel nur die Frage danach gestellt wird ob die Inhaftierten finanzielle Mittel besitzen um eine Kaution zu bezahlen, die in ihrer Höhe zwischen 500 und 5000 Euro variiert. Auch Dublin Fälle, die beispielsweise aus Deutschland zurück nach Ungarn geschoben werden, können inhaftiert werden, Marc Speer spricht von etwa 50% aller Zurückgeschobenen. Unterstützung in Form von Unterbringungen, Sprachkursen, Sozialgeldern, Nahrungsmitteln, Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Bildung gibt es nicht. Flüchtlinge die bereits einen Schutzstatus erhalten haben, werden maximal an völlig ausgelastete Obdachlosenunterkünfte vermittelt. Die Bedrohung der Obdachlosigkeit ist groß und hinzukommt, dass Obdachlosigkeit in Ungarn unter Strafe steht. Es wird deutlich, dass die Asylsysteme in Italien und Ungarn nicht funktionieren. Flüchtlingen kann und wird dort kein Schutz, geschweige denn Unterstützung gewährt. Nele Allenberg, Juristische Referentin für Migration, Integration, Zuwanderungs- und Asylrecht bei der Evangelischen Kirchen in Deutschland erklärt, dass ein Sanktionsmechanismus für Länder, in denen Asylverfahren nicht rechtens geprüft werden und die Lebensbedingungen für Flüchtlinge unzureichend sind, in der Reform der Dublinverordnung nicht umgesetzt wurde. Als die Dublinverordnung1993 in Kraft getreten ist, sollte sie zwei Zwecke erfüllen: Flüchtlinge sollten nicht mehr in Europa “herumwandern“, ohne dass sich ein Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig fühlt; zudem sollte es nur einmal die Möglichkeit geben, in einem Mitgliedstaat einen Asylantrag zu stellen. Seit einiger Zeit wird in wissenschaftlichen Kreisen und in Nichtregierungsorganisationen über Alternativvorschläge zur Dublinverordnung diskutiert. Wissenschaftler haben einen Vorschlag erarbeitet nach dem , die Verteilung von Flüchtlingen über Quoten auf europäischer Ebene zu regeln wäre. Die Quoten würden durch Wirtschaftslage, Größe des Staates und der Bevölkerung, sowie der Arbeitslosenquote ermittelt. Hierbei weist Nele Allenberg jedoch auf die Problematik hin, dass es keine Absprachen darüber gibt was passiert, wenn ein Land über die berechnete Quote hinaus Flüchtlinge aufnimmt, ein anderes dagegen unter der Quote bleibt und dass bei diesem Vorschlag die Interessen der Flüchtlinge, z.B. in einem Land zu leben dessen Sprache sie beherrschen oder in dem sie Unterstützung bekommen,keine Berücksichtigung finden. Die zweite Alternative wurde von Wohlfahrtsund Flüchtlingsorganisationen entwickelt und sieht vor, dass das Interesse der Flüchtlinge und die freie Wahl in welchem Land Asyl gestellt werden soll, der Ausgangspunkt zur Verteilung sein sollte. Es wurde wieder einmal deutlich, dass die Schutzstandards in der EU trotz eines proklamierten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in den einzelnen Mitgliedstaat sehr unterschiedlich sind. Das bestehende Dublinsystem, das auf der Fiktion gemeinsamer Schutzstandards basiert, entspricht daher nicht den Ansprüchen und Erfordernissen einer menschenrechtlich orientierten Flüchtlingspolitik. Es müssen also weiterhin Anstrengungen unternommen werden, um es wesentlich zu verändern oder gar abzuschaffen.
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