Hamburger Leitfaden Lärm 2008

Innenentwicklung – Anforderungen der Stadtplanung und
Strategien der Lärmkonfliktlösung
ALD-Veranstaltung, 24. Februar 2016, Stuttgart
Lärmschutz in verdichteten Innenstädten
Freie und Hansestadt Hamburg
Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen
Amt für Landesplanung und Stadtentwicklung
Umweltbelange in der Bauleitplanung
Stefan Mundt
Themen des Vortrags
1. Einleitung - planerische Rahmenbedingungen in Hamburg
2. Typische Lärmprobleme in der hamburgischen Planung
3. hamburgisches Instrument „Innenpegellösung“
4. Fazit und Ausblick…auf mögliche rechtliche Veränderungen zur
Erleichterung der Innenentwicklung und Nutzungsmischung (Stichwort:
„Großstadtstrategie“)
Folie: 2
1. Einleitung - planerische Rahmenbedingungen
planerische Rahmenbedingungen in Hamburg

steigender Wohnraumbedarf in Hamburg (mind. 6.000 neue Wohnungen p.a.)

stetige Steigerung der durchschnittlichen Wohnfläche pro Person

stetige Steigerung der Anzahl der Ein-Personen-Haushalte

weiter steigender Gewerbeflächenbedarf

Zuwanderung durch Flüchtlinge aus Krisengebieten – darunter viele unbegleitete
Minderjährige

Außenentwicklung („grüne Wiese“) ist ökologisch nachteilig (naturschutzfachliche
Ausgleichsbedarfe, sparsamer Umgang mit Grund und Boden, 30 ha – Ziel,
Verkehrserzeugung) und wird nicht akzeptiert (Klagen, Bürgerbegehren,
langwierige Planungs- und Gerichtsverfahren)

Ziele: Stadtentwicklung durch Innenentwicklung, Nachverdichtung,
Wiedernutzung von Flächen (Konversion), kompakte Stadt der kurzen Wege,
Nutzungsmischung
1. Einleitung – planerische Rahmenbedingungen
Ausgangslage:
Anwendung „klassischer“ Lärmschutzinstrumente reicht vielfach (leider) nicht aus
•
§ 50 BImSchG – Nutzungstrennung bzw. verträgliche Zuordnung
Wohngebiet
•
Mischgebiet Gewerbegebiet
Industriegebiet
Gliederung der Baugebiete hinsichtlich ihrer Geräuscherzeugung
(Geräuschkontingentierung), z.B.
Wohngebiet
Gewerbegebiet, z.B.
54 dB(A)/m2 tags
39 dB(A)/m2 nachts
Mischgebiet Industriegebiet, z.B.
59 dB(A)/m2 tags
44 dB(A)/m2 nachts
•
aktive Lärmschutzmaßnahmen (schwierig bei Flächenschallquellen und bei
Verkehrswegen in der inneren Stadt)
•
immissionsresistente Nutzungen an Verkehrswegen (Büros, Hotels etc.)
Folie: 4
2. Typische Lärmprobleme in der hamburgischen
Planung
• Planung schutzwürdiger Nutzungen am Rand des Hafengebiets
• kleinräumige Gewerbelärmkonflikte in gemischt genutzten Gebieten, z.B.
 Nahversorgungszentren (Ladenöffnungszeiten nach 22 Uhr)
 Tiefgaragenzufahrten (nach 22 Uhr)
 Außengastronomie (nach 22 Uhr)
 Betrieb von Kinos oder Musikclubs kleiner bis mittlere Größe (nach 22 Uhr)
• Revitalisierung bzw. Ertüchtigung von Sportanlagen, Planung schutzwürdiger
Nutzungen in der Nähe von Sportanlagen
• Wohnbebauung entlang von Hauptverkehrsstraßen und Eisenbahnstrecken
(oftmals Verkehrslärmpegel oberhalb 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts)
Folie: 5
3. hamburgisches Instrument „Innenpegellösung“
Hamburger HafenCity
Quelle: HafenCity Hamburg GmbH
Folie: 6
3. hamburgisches Instrument „Innenpegellösung“
Schallimmissionsplan Industrie- und Gewerbelärm nachts / Höhe: 16 m ü. GOK
Folie: 7
3. hamburgisches Instrument „Innenpegellösung“
Grundproblematik – heranrückende Wohnbebauung
Definition - „maßgeblicher Immissionsort“ – 0,5 m vor dem geöffneten Fenster
Grenz- und Richtwerte sind vor dem Fenster einzuhalten
konventioneller Schallschutz (Schallschutzfenster mit Belüftungseinrichtung)
hilft nicht (zuletzt sehr deutlich BVerwG, Urt. vom 29.11.2012, Az. 4 C 8/11)
Was passiert bei Richtwertüberschreitungen ohne Konfliktbewältigung?
1. Beschwerde des Bewohners
2. Messung durch zuständige Immissionsschutzbehörde (s.o.)
3. Feststellung der Überschreitung
4. Prüfung nachträglicher Auflagen für den Emittenten
(§§ 17 o. 24 BImSchG bzw. § 5 18. BImSchV)
5. Entscheidung für oder gegen die Anordnung (mit ggf. drastischen Folgen für den
Emittenten)
Was passiert im Gerichtsverfahren?
1. Feststellung des obigen Sachverhaltes
2. keine Konfliktbewältigung
3. heranrückende schutzwürdige Nutzung ist ggü. dem Emittenten „rücksichtslos“
4. Vorgehen ist rechtsfehlerhaft
Folie: 8
3. hamburgisches Instrument „Innenpegellösung“
„Innenraumpegellösung“ - 30 dB(A) bei gekipptem Fenster in Schlafund Kinderzimmern während der Nacht
Begründung
 Schutzziel des Außenpegelrichtwertes in der Nacht – Schlafzimmer
anstatt Fassade!
 Wunsch der Bevölkerung zur Fensteröffnung (~ 80 %)
 Wunsch nach akustischer Außenweltwahrnehmung
 lärmbedingt geschlossen zu haltende Fenster wirken belästigend
 Befriedigung der Wohnbedürfnisse – Möglichkeit des Schlafens bei
gekipptem Fenster
 30 dB(A) ausreichend, um die Häufigkeit nächtlichen Aufwachens zu
beschränken
Folie: 9
3. hamburgisches Instrument „Innenpegellösung“
schallabsorbierende
Verkleidung von
Fenstersturz und
Fensterlaibung und
Begrenzung der
Kippweite des Fensters
Lärmminderungspotenzial:
bis zu -17 dB(A)
Lärmminderungspotenzial:
bis zu -30 dB(A)
3. hamburgisches Instrument „Innenpegellösung“
Bachelor-Abschlussarbeit
Franziska Arnhold
Untersuchung der Schalldämmung von
gekippten Einzel- und Doppelfenstern,
insbesondere des „Hafencity“-Fensters,
mit schallabsorbierenden Laibungs- und
Sturzverkleidungen
3. hamburgisches Instrument „Innenpegellösung“
Folie: 12
3. hamburgisches Instrument „Innenpegellösung“
Folie: 13
3. hamburgisches Instrument „Innenpegellösung“
Folie: 14
3. hamburgisches Instrument „Innenpegellösung“
Was passiert bei Beschwerden der Bewohner und/oder bei Neu- oder
Änderungsgenehmigungen für Betriebe?
Beschwerden – Prüfung nachträglicher Anordnungen
- ggf. Nutzung der Sonderfallprüfung nach TA Lärm
- ggf. Nutzung des Ermessensspielraums in §§ 17 bzw. 24 BImSchG
Neu- und Änderungsgenehmigung
- Ist die Sonderfallprüfung nach TA Lärm nutzbar und dürfen aufgrund der
„HafenCity-Fenster“ Immissionsrichtwertüberschreitungen zugelassen werden?
Wenn ja, dann kann man dadurch Einschränkungen der Ausnutzbarkeit von Gewerbeund Industriegebieten durch heranrückende Wohnbebauung verhindern.
Wenn nein, dann muss die Planung auf die zukünftige Ausnutzbarkeit von Gewerbeund Industriegebieten weiter verstärkt Rücksicht nehmen und „Emissionsreserven“
einkalkulieren.
Folie: 15
3. hamburgisches Instrument „Innenpegellösung“
Beschluss des VG Hamburg (06.09.13, Az. 7 E 1236/12) - unveröffentlicht
• Gegenstand: Antrag auf aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen die
Baugenehmigung eines Wohngebäudes neben einem Gewerbebetrieb (sog.
vorläufiger Rechtsschutz)
•
Der Baugenehmigung liegt ein B-Plan zugrunde, der zur Bewältigung des
Gewerbelärmkonflikts „HafenCity-Fenster“ (Innenraumpegel) festgelegt.
•
Unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerwG vom 29.11.12 hat das VG
Hamburg die Konfliktlösung mittels „HafenCity-Fenster“ für zulässig erklärt.
•
Es erfolgte ein Beschluss zur Ablehnung der aufschiebenden Wirkung
(rechtskräftig).
•
noch offen sind die Entscheidung im Hauptsacheverfahren (Baugenehmigung) und
die anhängige Normenkontrolle (Bebauungsplan)…
Folie: 16
4. Fazit und Ausblick




Klassische Planungsinstrumente reichen nicht immer aus
Konventionelle Schallschutzfenster sind zur Konfliktbewältigung bei
anlagenbezogenen Lärm unzulässig
Nur Schallschutzmaßnahmen, die die „Immissionsortregelung“ berücksichtigen,
sind zulässig.
Nach wie vor offen: abschließende gerichtliche Überprüfung der
„Innenpegellösung“
Ist es weiterhin sinnvoll, die Eignung von Schallschutzmaßnahmen anhand der
„Immissionsortregelung“ der TA Lärm / 18. BImSchV zu bewerten?

Ja, weil so mittelbar eine ruhige Umgebung insgesamt besser sichergestellt
werden kann.

Nein, weil so mittelbar weiterhin die räumliche Trennung der Baugebiete und
deren Hauptnutzungsfunktionen (Wohnen und Arbeiten) Leitgedanke bleibt.
Folie: 17
4. Fazit und Ausblick
Wunschkonzert…aus Sicht der Stadtplanung…bzw. was sagt die
„Großstadtstrategie“ (Beschluss der Bauministerkonferenz vom 30.10.2015)





Novellierung der 18. BImSchV („Entschärfung“ der bestehenden Regelungen
zugunsten der Sportanlagen), vgl. BR-Drs. 198/14 und BR-Drs. 199/14
Entschärfung des § 50 BImSchG für kleinräumige Nutzungsmischungen bei
Maßnahmen der Innenentwicklung
Ergänzung in TA Lärm / 18. BImSchV, dass Regelungen in Bebauungsplänen
zu Anforderungen an den passiven Schallschutz dazu führen, dass kein
maßgeblicher Immissionsort vorliegt
Einführung eines neuen Baugebietes in die BauNVO: „Mischgebiet der
Innenentwicklung“ - flexible Nutzungsanteile, höhere bauliche Dichte
Ergänzung des BauGB zur Einführung einer expliziten Ermächtigung zur
Festlegung von Innenraumpegeln
Folie: 18
Literatur
Literatur:
Hamburger Leitfaden
„Lärm in der Bauleitplanung 2010“
http://www.hamburg.de/laermleitfaden-2010/
Broschüre „Schallschutz bei teilgeöffneten
Fenstern“
http://www.hamburg.de/contentblob/3303900/data/schallschutz-bei-teilgeoeffneten-fenstern.pdf
Schalltechnisches Nachweisverfahren Innenraumpegel
http://www.hamburg.de/contentblob/2105398/data/schallschutznachweis-fuer-fenster-in-kippstellung.pdf
Bönnighausen/Mundt, Lärmschutz durch Stadt- und Bauleitplanung – Hamburger Erfahrungen, Informationen
zur Raumentwicklung (IzR), Heft 3/3013, Seite 245 ff.