Seite 1 von 5 I n f o r m a t i o n s m a t e r i a l v o m 1 7 . 0 9 . 2 0 1 5 Krankmacher Lärm Lärm geht uns auf die Nerven und auf die Ohren. Zu viel Lautstärke führt zu Schwerhörigkeit und Tinnitus. Doch auch Schall, der nicht das Gehör schädigt, kann uns gefährlich werden. Wer zum Beispiel Tag und Nacht Verkehrslärm ausgesetzt ist, hat ein höheres Risiko für Bluthochdruck und Herzinfarkt. Lärm: Was ist das eigentlich? Kurz gesagt: Lärm ist Schall, den wir als störend empfinden. Diese Formulierung deutet schon an – die Meinungen darüber, was im konkreten Fall als „Lärm“ zu bezeichnen ist, gehen auseinander. Während ein Motorradfahrer den satten Sound seiner Maschine genießt, wird sich ein Anwohner am heftigen Knattern des Auspuffs stören. Ähnlich sieht es bei lauter Musik aus. Sicher ist jedoch: Ob wir Schall nun als angenehm oder unangenehm wahrnehmen – ab einer bestimmten Lautstärke wird es gefährlich. Keine Ruhe für die Ohren Unser Ohr, sagt der Leipziger Mediziner Prof. Dr. Michael Fuchs, ist eigentlich für die Stille gemacht. „Wir können damit über weite Entfernungen hören. Für unsere Vorfahren war das überlebenswichtig. Wer den anschleichenden Säbelzahntiger hörte, hatte einfach bessere Überlebenschancen.“ Heute ist unser Gehör mit einer Welt konfrontiert, in der es nahezu ständig Geräusche gibt. Verkehrslärm ist allgegenwärtig, in vielen Einkaufspassagen läuft unablässig Musik. Unser Gehör wird pausenlos beansprucht. Und wir gönnen ihm kaum noch Erholung. Je lauter und langanhaltender, desto schädlicher ist Lärm Die magische Grenze für Lärm, der dem Ohr schadet, liegt bei 85 Dezibel. Wer dieser Lautstärke, zum Beispiel an seinem Arbeitsplatz, täglich ausgesetzt ist, wird sehr wahrscheinlich eine Lärmschwerhörigkeit entwickeln. Das Risiko anderer Gesundheitsschäden beginnt aber schon viel früher – bei etwa 60 Dezibel. Wer in der Nähe einer Hauptverkehrsstraße oder eines Flughafens wohnt, ist so einer Lärmbelastung auch nachts ausgesetzt. Und das erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. 1 Seite 2 von 5 Wie laut ist was? 10 bis 20 Dezibel Ticken einer Armbanduhr, leises Blätterrauschen, Atmen beim Schlafen. 20 bis 30 Dezibel Flüstern, Ticken eines Weckers 30 bis 40 Dezibel Leises Gespräch, Geräuschpegel in einem ruhigen Wohngebiet. 40 bis 50 Dezibel In diesem Bereich liegt die berühmte „Zimmerlautstärke“. 50 bis 60 Dezibel Regen, Meeresrauschen. Normales Gespräch. 60 bis 70 Dezibel Staubsauger aus einem Meter Entfernung. Wasserfall. Achtung: ab etwa 60 Dezibel kann Dauerlärm langfristig zu Stress und psychischer Belastung führen, außerdem steigt die Gefahr von Bluthochdruck und Herzinfarkten. 70 bis 80 Dezibel Straßenlärm. Benzin-Rasenmäher. Flaschen werden in Altglascontainer geworfen (Zehn Meter Abstand). 80 bis 90 Dezibel Dieselmotor aus zehn Metern Entfernung. Wer so einem Geräuschpegel anhaltend ausgesetzt ist, schadet seinem Hörvermögen. 90 bis 110 Dezibel Motorrad aus nächster Nähe. Sinfonieorchester bei voller Lautstärke. Presslufthammer. Motorsäge. Rockkonzert. 120 Dezibel Schmerzschwelle. Düsenflugzeug, 100 Meter entfernt. Wenn 150 Dezibel überschritten werden, zum Beispiel durch einen in nächster Nähe gezündeten Silvesterknaller, können irreparable Schäden entstehen. Was geschieht bei Lärm im Ohr? Die etwa 15.000 Sinneszellen in unserem Innenohr wandeln Schall in elektrische Impulse um. Diese Impulse gelangen über den Hörnerv ins Gehirn, wo der eigentliche Höreindruck entsteht. Für ihre Arbeit brauchen die Sinneszellen Sauerstoff. Je lauter es wird, desto mehr davon. Prof. Fuchs: „Die Sinneszellen arbeiten dann auf Hochtouren. Irgendwann reicht der Sauerstoff nicht mehr aus.“ In so einem Fall stellen die Zellen zunächst ihre Arbeit ein. Nach einer Nacht der Ruhe haben sie sich aber in der Regel wieder erholt. Werden Sinneszellen jedoch dauerhaft überfordert, können sie absterben. Das ist fatal, denn Sinneszellen wachsen nicht nach. Der Fall: Hyperakusis und Tinnitus Knalltrauma durch einen zu früh gezündeten Silvesterböller – Mario W. ist seitdem doppelt geschädigt. Der Leipziger wird zum Einen von pfeifenden Tönen im Ohr geplagt, von Tinnitus. Gleichzeitig nimmt er Geräusche aus seiner Umwelt wie Klirren und Scheppern jedoch überlaut wahr. Mediziner nennen dieses Problem „Hyperakusis“. Tinnitus und Hyperakusis gehen nicht 2 Seite 3 von 5 selten Hand in Hand. Man schätzt, dass von 100 Patienten mit Tinnitus etwa 15 Prozent zugleich auch Hyperakusis haben. Mario W. empfindet das als Teufelskreis. Wenn er versucht, vor den überlaut wahrgenommenen Geräuschen in die Stille zu flüchten, meldet sich umso stärker der Tinnitus. Die Ärzte versuchen, ihm unter anderem mit einem auf seine Bedürfnisse eingestellten Hörsystem zu helfen. Es schützt ihn vor Lärm und vor jenen Tonfrequenzen, die er als besonders unangenehm wahrnimmt. Verkehrslärm – nervend und gefährlich Als gefährlichste umweltbedingte Gesundheitsbedrohung gelten Luftschadstoffe. Gleich danach jedoch kommt der Verkehrslärm. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass in Westeuropa durch Umweltlärm jährlich mindestens eine Million gesunder Lebensjahre verloren geht. Allein für den Osten Deutschlands werden pro Jahr 30.000 zusätzliche Krankheitsfälle vorhergesagt, 12.000 zusätzliche Todesfälle, 1,8 Milliarden Euro Gesundheitskosten. Was geschieht bei dauerndem Verkehrslärm im Körper? Lärm bedeutet Stress. Unser Körper wird dadurch in einen Alarmzustand versetzt. Er schüttet verstärkt Hormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol aus. Das jagt den Blutdruck hoch, beschleunigt den Puls und aktiviert die Blutgerinnung – eine Reaktion wie bei unseren steinzeitlichen Vorfahren, die einem gefährlichen Raubtier gegenüberstanden. Das Tückische ist – diese gefährliche Kaskade kommt auch in Gang, wenn wir den Lärm gar nicht bewusst wahrnehmen, also auch im Schlaf. Forschungen zeigen, dass Dauerlärm bei Kindern die Gehirnfunktion beeinträchtigt und bei Erwachsenen vermehrt zu Problemen wie Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall oder Diabetes führt. Letzteres ist vermutlich dadurch bedingt, dass Lärm den Tiefschlaf stört und damit zugleich den Insulin-Stoffwechsel. Die Mainzer Fluglärmstudie Der genaue Mechanismus, wie Lärm HerzKreislauf-Leiden auslöst, war bislang größ. tenteils ungeklärt. Mainzer Forscher haben nun einen wichtigen Mosaikstein für die Erklärung geliefert. Das Team um den Kardiologen Prof. Dr. Thomas Münzel veröffentlichte die Ergebnisse einer aufsehenerregenden Studie. Dafür wurden Patienten gewonnen, die bereits an einer Herzerkrankung leiden, aber in einer sehr ruhigen Umgebung wohnen, bisher also nicht von Verkehrslärm geplagt sind. Diese Patienten wurden nachts mit simuliertem Fluglärm beschallt. Die Frage war: Wie wirkt sich der zusätzliche Lärm auf die bereits geschädigten Blutgefäße aus? Die Ergebnisse waren so drastisch, dass die Studie abgebrochen werden musste. Die Wissenschaftler stellten fest, dass der Lärm eine wichtige Funktion der Blutgefäße stört. Ihre Fähigkeit, sich zu erweitern, verschlechterte sich deutlich. Und das sorgte für eine schlechtere Durchblutung. Auch für gesunde Menschen konnten die Forscher nachweisen, dass Lärm die Erweiterungsfähigkeit der Arterien schädigt Was tun gegen Schäden durch Lärm? Wenn uns ein Anblick stört, können wir die Augen schließen. Gegen Lärm jedoch lässt sich meist nur schwer etwas tun – wir können uns weder den ganzen Tag die Ohren zuhalten noch einfach weglaufen. Gibt es dennoch Möglichkeiten, sich davor zu schützen, durch Lärm ernsthaft krank zu werden? 3 Seite 4 von 5 Stichwort Verkehrslärm Dem Lärm durch Autos, Bahnen oder Flugzeuge sind wir oft über lange Zeit ausgesetzt. Bei neuen Verkehrsprojekten ist Lärmschutz gesetzlich vorgeschrieben, bei bestehender Infrastruktur nicht. Und bis die ersehnte Umgebungsstraße gebaut wird, vergehen mitunter Jahrzehnte. Wegziehen ist für die meisten keine Lösung. Wer allerdings einen Umzug oder einen Hausbau plant, sollte sich unbedingt vorab über die Lärmsituation am neuen Wohnort informieren. Für viele Ortschaften findet man im Internet inzwischen Lärmkarten, an denen sich ablesen lässt, welche Wohngebiete ruhig sind und wo man mit verstärkter Lärmbelastung rechnen muss. Gefahr ernst nehmen! Lärm ist, genau wie Rauchen, Bewegungsmangel oder falsche Ernährung, ein wichtiger Risikofaktor vor allem für Herz-KreislaufErkrankungen. Viele Mediziner haben aber den Lärm als zusätzliche Krankheitsursache noch nicht präsent. Wer betroffen ist, sollte seinen Arzt im Gespräch darauf hinweisen und angebotene Vorsorgeuntersuchungen nutzen. Empfehlenswert ist zudem, regel- mäßig den Blutdruck zu kontrollieren und andere Risikofaktoren auszuschalten. Das Gehör schützen Wer einmal schwerhörig ist, dem gibt selbst das beste Hörgerät nicht die ursprüngliche Hörfähigkeit zurück. Wichtig also, seinen Ohren Schutz und Erholung zu gönnen. Unser Studiogast Prof. Michael Fuchs rät: Wer zum Beispiel an seiner Arbeitsstelle regelmäßig einem Schallpegel von über 85 Dezibel ausgesetzt ist, sollte unbedingt Gehörschutz tragen. Der Arbeitgeber ist gesetzlich dazu verpflichtet, seinem Angestellten entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen. Doch auch in der Freizeit können wir unser Gehör schonen. Musikgeräte sollten nur Zimmerlautstärke erreichen, sodass sie also im Nebenzimmer nicht mehr zu hören sind. Die Ohrhörer von MP3-Playern sind bereits zu laut, wenn andere mithören können. Bei Besuchen von Live-Konzerten in geschlossenen Räumen können Ohrstöpsel helfen. Bei der Anschaffung von Gartenoder Hausgeräten sollte die Lautstärke mit in die Kaufentscheidung einfließen. Ähnliches gilt für Kinderspielzeug. Und – den Ohren immer mal eine Pause verschaffen, Stille genießen. Dr. Carsten Lekutat empfiehlt: Entspannungsübungen gegen Lärmstress Achtsamkeitsübung Diese Übung hilft dabei, sich aus der ständigen Geräuschbelastung auszuklinken, herunterzukommen, Stille wieder wahrzunehmen. Sie brauchen dazu eine Klangschale oder einen kleinen Gong. Leicht anschlagen und konzentriert auf das Geräusch lauschen, bis es verklungen ist und Sie es nicht mehr wahrnehmen können. Progressive Muskelrelaxation Bei dieser Übung geht es darum, über die bewusste Anspannung zur Entspannung zu kommen. Spannen Sie dazu mit aller Kraft die Muskeln im Gesicht an, sozusagen mit 100 Prozent. Jetzt entspannen Sie die Muskeln langsam wieder und zählen dabei still den verbleibenden Grad der Anspannung mit. Also 90 Prozent, 80 Prozent, 70 Prozent – bis Sie bei null Prozent angekommen sind. Dieses bewusste Herunterzählen sorgt dafür, dass Sie eine tiefere Entspannung erreichen. Damit touren Sie den Körper insgesamt herunter, schalten den Stress durch den Lärm ab und schützen so auch Herz und Kreislauf. 4 Seite 5 von 5 Links ins Internet Informationen über Lärm und Lärmschutz: Arbeitsring Lärm der Deutschen Gesellschaft für Akustik: http://www.ald-laerm.de/ Umweltbundesamt, Informationen über Lärm: http://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm Buchtipp Gesunde Ernährung bei Hauptsache Gesund. Die 100 besten Rezepte aus den vergangenen Jahren. Von Frühstücksrezepten über herzhafte Gerichte bis hin zu süßen Leckereien. „Hauptsache Gesund. Das Kochbuch. 100 gesunde Rezepte für jeden Tag" ISBN: 978-3-86244-756-5, 19,99 Euro, Christian Verlag, 224 Seiten. Erhältlich im Buchhandel und im MDR-Shop. Gäste im Studio Prof. Dr. Michael Fuchs, Leiter der Sektion Phoniatrie und Audiologie in der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde im Universitätsklinikum Leipzig Anschrift MDR FERNSEHEN, Redaktion Wirtschaft und Ratgeber „Hauptsache Gesund“ Internet: www.mdr.de/hauptsache-gesund; E-Mail: [email protected] Thema der Sendung am 24. September 2015: “Bier“ 5
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