Siedlungsplanung l Planung, Bau und Unterhalt «Das Einfamilienhaus ist eine gesellschaftliche Realität» Seit Jahrzehnten fordern Planer, dass die Siedlungen verdichtet werden. Dennoch entstehen nach wie vor neue Einfamilienhausquartiere. Die Architekten Stefan Kurath und Tom Weiss haben sich in einer Studie mit der Zukunft dieser Wohnform befasst. Das «kommunal magazin» hat mit ihnen über erfolglose städtebauliche Konzepte, den Sinn von Baugesetzen und festgefahrene Dogmen gesprochen. Interview: Marcel Müller Das Einfamilienhaus ist in Verruf geraten, weil es viel Fläche in Anspruch nimmt. Als nachhaltig gelten heute verdichtete Siedlungen. Warum b efassen Sie sich trotzdem mit dieser Wohnform? Stefan Kurath: Nachhaltigkeit ist mitt lerweile zu einem inhaltslosen Label ge worden. Es ging uns nicht zuletzt darum, der Diskussion um diesen Begriff neue Impulse zu verleihen. Natürlich ist das Einfamilienhaus nicht nachhaltig, wenn man einen absoluten Massstab anlegt. Es stellt sich die Frage, was eine solche Idealvorstellung von Nachhaltigkeit überhaupt taugt. Fest steht, dass viele Leute das Bedürfnis haben, in einem eigenen Haus zu leben. Wenn das Ein familienhaus eine gesellschaftliche Re alität ist, die nicht beispielsweise durch Einfamilienhausverbote einfach so aus der Welt geschafft werden kann, muss die Frage gestellt werden, wie es nach haltiger gestaltet werden könnte. Das war die Ausgangsfrage unserer For schungsarbeit. Suchen nach Wegen, das Einfamilienhaus nachhaltiger zu machen: Stefan Kurath (links) und Tom Weiss. Bild: Marcel Müller Nachhaltige Siedlungsentwicklung wird oft mit Verdichtung gleich gesetzt. Wie sehen Sie das? Tom Weiss: Wenn man bauliche Dichte pauschal als Lösung postuliert, ignoriert man die Qualitäten und Chancen des Typus Einfamilienhaus. Wir haben fest gestellt, dass es diverse Möglichkeiten gibt, um das Einfamilienhaus nach haltiger zu machen. Verdichtung ist nur eine davon. Kurath: Wir sind der Überzeugung, dass die Nachhaltigkeit einer Siedlung nur unter Berücksichtigung der konkreten Nr. 3 Juni/Juli 2015 Situation vor Ort beurteilt werden kann. Die Gleichsetzung von räumlicher Dichte und Nachhaltigkeit ist ideolo gisch geprägt. Die Verfechter der dich ten, kompakten Stadt sehen diese als architektonisch-städtebauliche Antwort auf alles und beurteilen nur das als nachhaltig, was dieser Ideologie ent spricht. Was schlagen Sie stattdessen vor? Kurath: Wir versuchen in unserer Arbeit, die Thematik der Nachhaltigkeit stärker in Bezug zum Alltag zu setzen und dem Begriff so neuen Inhalt zu verleihen. Es soll wieder möglich werden darüber zu diskutieren, was man mit Nachhaltigkeit meint, und zu formulieren, inwiefern ein konkretes Projekt nachhaltig ist. Sie haben einen wirkungsgeschicht lichen Zugang zum Phänomen Einfamilienhaus gewählt. Warum? Weiss: In der ganzen Nachhaltigkeits diskussion werden wirkungsgeschicht liche Aspekte der Stadtentwicklung ausgeblendet, also die Frage, weshalb etwas wie zustande gekommen ist. Als vor gut 100 Jahren die Gartenstadt pro pagiert wurde, galten Einfamilienhaus siedlungen als ideale Wohnform. Noch bis in die 1950er-Jahre lautete das Credo ‹Raus aus der Stadt›. Diese Entwicklung wurde auch in der Schweiz staatlich gefördert. Kurath: Im 19. Jahrhundert war die kom pakte Stadt alles andere als zukunfts fähig. Sei es in Paris, Barcelona oder Zürich: Während der Industrialisierung waren die Städte überbelegt, die Arbeit nehmer wurden unterdrückt, es gab nruhen und es herrschten miserable U hygienische Zustände. Die kompakte Stadt war an eine Grenze gekommen und nicht mehr zukunftsfähig. So gese hen waren die Befürworter der Garten stadt damals Teil einer Nachhaltigkeits bewegung. Heute hat man die Umkeh rung, die Idealisierung der kompakten Stadt. Entsprechend gilt das Einfamilienhaus nun nicht mehr als nachhaltig. Es ist wichtig, sich dieser Wellenbewe gungen in der Beurteilung von städte baulichen Konzepten bewusst zu sein. Die Nachhaltigkeit von etwas kann also nur in Bezug zu den jeweiligen Alltags realitäten diskutiert und auch verändert werden. Trotz dem Ziel, die Siedlungen zu verdichten, werden nach wie vor neue Einfamilienhäuser gebaut. Kurath: In 80 Jahren Planungsge schichte hat man immer versucht, die organisierte respektive die dichte Stadt als Gegenmodell durchzusetzen. Das gelang aber nur in wenigen Fällen. U ns Zur Person Stefan Kurath ist Professor am Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen der ZHAW und leitet seit 2014 das Institut Urban Landscape zusammen mit Regula Iseli. Zudem ist er Inhaber des Büros «urbaN plus», Zürich, und Teilhaber bei Iseppi-Kurath GmbH in Graubünden. Tom Weiss ist Dozent am Institut Urban Landscape des Departements Architektur, Gestaltung und Bauingenieur wesen der ZHAW. Er war Projektleiter des Forschungs- projekts Zukunft Einfamilienhaus. Seit 2009 ist er Partner von Raumbureau, Zürich. kommunalmagazin.ch l 67 Planung, Bau und Unterhalt l Siedlungsplanung Testentwurf «Dencity» hat interessiert, warum es diese Diskre panz zwischen Planervorstellung u nd Siedlungswirklichkeit gibt. Zudem woll ten wir wissen, wie Einfamilienhaussied lungen entstehen, welche Einflussmög lichkeiten die Planer auf sie haben und wie neue, nachhaltigere Formen von Einfamilienhaussiedlungen aussehen könnten. Warum sind die Planer mit ihren Ideen an der Wirklichkeit gescheitert? Kurath: In der Planungstheorie tendiert man dazu, als erstes nach treibenden Kräften einer Entwicklung zu fragen und dann nach generalisierbaren Lösungen zu suchen. Wenn man beispielsweise davon ausgeht, dass die Mobilität der «Der Traum vom Eigenheim ist gesellschaftlich derart tief verankert, dass er erst unter sehr grossem Leidensdruck aufgegeben werden wird.» Stefan Kurath Gesellschaft das Wohnen abseits im Grünen erst ermöglicht, die Mobilität also den Bau von Einfamilienhaussied lungen befördert, dann ist der Lösungs ansatz naheliegend, diese Entwicklung über CO2-Gebühren einzuschränken. Sol che Vorschläge leiden jedoch an Unter 68 l kommunalmagazin.ch komplexität, weil davon ausgegangen wird, dass jeder Einzelne den planeri schen Vorgaben Folge leistet. Die Wir kungsgeschichte zeigt jedoch, dass ge rade dies nicht der Fall ist. Je nach Le bensabschnitt wird dem Beruf, der Familie oder der Selbstverwirklichung der Vorrang gegeben. Der Traum vom Eigenheim ist gesellschaftlich derart tief verankert, dass er erst unter sehr grossem Leidensdruck aufgegeben wer den wird. Sie haben die Aushandlungsprozesse zwischen den zahlreichen Akteuren untersucht, die vor Ort in die Entstehung von Einfamilienhäusern in volviert sind. Welche Rolle spielen dabei die Planer? Kurath: Das Problem ist, dass sie sich an diesen Prozessen zu passiv beteiligen. Sie gehen ja davon aus, dass den Baugesetzen, Lenkungsabgaben und Governance-Konzepten Folge geleis tet wird. Das Problem ist in ihren Augen also vermeintlich gelöst. Leider er weist sich dies als ein grosser Irrtum der Planung. Weshalb? Kurath: Gerade auf lokaler Ebene gibt es einige Widersprüche, welche die Sied lungsentwicklung beeinflussen. So hat zwar jede Gemeinde die Absicht, Ord nung zu schaffen, Zonen zu bestimmen und gestalterische Vorgaben zu definie ren. Aber die Lokalpolitik verfolgt zu gleich noch andere Interessen, die die sem Ordnungswillen zuwiderlaufen. So will eine Gemeinde zum Beispiel auch gute Steuerzahler haben. Deshalb wer den oft vor allem Einfamilienhauszonen geschaffen. Eine ähnliche Widersprüch lichkeit zeigt sich übrigens auch in der Politik des Bundes, der auf der einen Seite das Einfamilienhaus über Steuer abzüge subventioniert, auf der anderen Seite dazu aufruft, zu verdichten und Ressourcen zu schonen. In unserer Un tersuchung hat sich gezeigt, dass die Siedlungswirklichkeit von solchen Paradoxien geprägt ist. Die Realität ist komplexer als die Konzepte, von denen die Planung zum Teil ausgeht. Verschiedene Standards für nach haltiges Bauen sehen vor, dass möglichst alle Betroffenen, auch die Bevölkerung, in die Erarbeitung eines Projekts involviert werden. Schwebt Ihnen so etwas vor, wenn Sie von Aushandlungsprozessen sprechen? Kurath: Siedlungsentwicklung ist immer das Resultat von Mitwirkung. Das zei gen unsere Untersuchungen sehr schön. Es gibt kein Gebäude, das nur von einer Person geplant und gebaut worden wäre. Es ist immer das Resultat eines Aushandlungsprozesses. Wir bemängeln jedoch, dass die Fachleute sich aus diesem Prozess zurückgezogen haben. Uns geht es weniger um eine Mitwir Nr. 3 Juni/Juli 2015 Plan und Visualisierungen: Institut Urban Landscape ZHAW Wandelbar: Die Siedlung Sängglen in Gockhausen ZH zeigt exemplarisch, dass sich Einfamilienhaussiedlungen neuen Nutzungsbedürfnissen, etwa dem Wunsch nach stärkerer Abgrenzung, anpassen lassen (linkes Bild: Zustand 1956, rechtes Bild: Zustand 2011). Bilder: Institut Urban Landscape ZHAW Einfamilienhaussiedlung mit höherer Dichte: In diesem Testentwurf für die Publikation «Zukunft Einfamilienhaus?» wurde die herkömmliche Vorstellung von dem mitten in einem Garten stehenden Einfamilienhaus ersetzt durch die Einheit Parzelle-Haus als ein durchorganisiertes Raumgefüge. Die einzelnen Einheiten lassen sich variabel kombinieren. Die Bebauungsdichte kann den bestehenden topografischen, baulichen und landschaftlichen Elementen angepasst werden. Getestet wurde dieses Siedlungsmodell in einem zentrumsnahen und gut erschlossenen, jedoch nicht eingezonten, durch Autobahn- und Eisenbahntrasse begrenzten Gebiet zwischen Nänikon und Uster. Planung, Bau und Unterhalt l Siedlungsplanung «Man kann ein Baugesetz nicht einfach von einer Gemeinde in eine andere kopieren.» Stefan Kurath Weiss: Der Planungsprozess, der zu den Einfamilienhausquartieren der letzten Jahrzehnte geführt hat, ist in der Regel immer derselbe: Einem unbebauten Gebiet wird eine Bauzone zugewiesen, eine Farbe im Zonenplan, welche wiede rum die Bauregeln definiert. Ein Ingeni eur oder Planer unterteilt das Gebiet in Bauparzellen gleicher Grösse und er schliesst sie mit einer Strasse. Erst dann kommen normalerweise die Bauherr schaften und deren Architekten dazu. Das ist insofern zu spät, als es so nicht gelingen kann, Alternativen zum gän gigen Einfamilienhaus zu entwickeln, etwa indem parzellenübergreifend ge plant wird oder Synergien zwischen mehreren Häusern geschaffen werden. Die Architekten müssten sich früher und proaktiver einmischen. Ihre Ideen für die Zukunft brechen mit den geltenden Vorschriften. Sind unsere Baugesetze noch zeitgemäss? Weiss: Qualitativ hochstehende Bebau ungen werden nicht durch Baugesetze erzeugt. Bebauungsregeln helfen wohl mit, allzu schlechte Lösungen zu vermei den. Aber sie dürften auch mitverant wortlich sein, neue, innovative Ansätze zu verhindern. Im Prinzip fördern die geltenden kommunalen Baugesetze den Status Quo, etwa die uniforme Lösung des mittig auf der Parzelle sitzenden Einfamilienhauses. Alternative Ideen werden durch ein zu dichtes Set an Regeln sicher eher verhindert als er leichtert. Kurath: Viele Gesetze stammen aus ei ner Zeit, in der man glaubte, man könne alles überall mit den genau gleichen 70 l kommunalmagazin.ch egeln lösen. Einige Vorschriften hatten R einmal einen guten Grund. So wurden Grenzabstände aus hygienischen Grün den verlangt. Heute, wo man diese Probleme überwunden hat, müsste man eigentlich wieder überlegen, wozu es diese Baugesetze gibt und was sie ver hindern. Unserer Ansicht nach kann man ein Baugesetz nicht einfach von einer Gemeinde in eine andere kopie ren. Vielmehr muss man analysieren, was eine bestimmte Gemeinde aus macht und die Regeln ortsspezifisch anpassen. Ihre Zukunftsszenarien enthalten Vorschläge für Einfamilienhausquar tiere mit höherer Dichte. Welche typischen Qualitäten des Einfamilien hauses wollten sie auch bei opti mierter Raumnutzung erhalten? Weiss: Es sind unterschiedliche Qualitäten, oft solche, die nicht quantitativ messbar sind und deshalb im Nachhal tigkeitsdiskurs gerne vergessen gehen. Etwa die Möglichkeit, um das Haus he rumgehen zu können, salopp gesagt. Ein Einfamilienhaus ist ein Objekt, d as einen eigenen Aussenraum hat. In der Verdichtungsdiskussion spricht man immer von grossen Gebäuden, die ge schossweise organisiert sind. Der Raum könnte besser ausgenutzt werden, wenn die Häuser sich den Aussenraum teilen würden und man auf das eigene Gärtchen verzichtete. Weiss: Sich der Herausforderung des Typus Einfamilienhaus zu stellen, bedeu tet in diesem Fall, nicht die privaten Gär ten zu hinterfragen und durch kollektive Freiflächen zu ersetzen. Wir fragten uns vielmehr, wie die wertgeschätzte Quali tät privater Aussenräume trotz höherer Baudichte erhalten werden kann. Je dichter die Leute wohnen, desto wich tiger werden Abgrenzungen. Wenn man die Mindestabstände zwischen den Ge bäuden oder zu Parzellengrenzen nicht als unverrückbare Bedingung ansieht, können plötzlich Lösungen entstehen, die eine extreme Nutzungsqualität ha ben und es ermöglichen, dass trotz dich terer Bebauung die eigene Individuali tät gewährleistet bleibt. Effektive Raum ausnutzung kann, muss aber nicht zwangsläufig kollektive Raumnutzung bedeuten. Auch wenn diese im Bereich Infrastruktur, etwa bei Parkierungsan lagen, sinnvoll sein kann. Sie haben unter anderem die Garten siedlung Sängglen in Pfaffhausen aus den 1960er-Jahren untersucht. Ursprünglich war die Siedlung sehr offen angelegt. Über die Jahre haben Kurath: Wir wurden immer wieder ge die Bewohner ihre Liegenschaften fragt, ob das Resultat unserer Studie voneinander abgeschottet. nicht Entwürfe schöner Mehrfamilien Welche Erkenntnisse haben Sie aus häuser sein müssten. Doch die Leute diesem Beispiel gezogen? lassen sich nicht für dumm verkaufen. Weiss: Die Siedlung Sängglen hat sich, Sie nehmen es dem Architekten nicht wie viele ältere Einfamilienhausquar tiere, über die Zeit sehr in teressant verändert. Das «Qualitativ hochstehende zeigt, dass solche Siedlun gen wandelbar sind und Bebauungen werden nicht durch sich neuen Bedürfnissen Baugesetze erzeugt.» besser anpassen lassen als zum Beispiel Mehrfamilien Tom Weiss häuser. Man kann sie er weitern, aufstocken oder ab, wenn er behauptet, in seinem Mehr etwas anbauen. In der Planung wird familienhaus lebe man wie in einem diese Qualität oft übersehen. Einfamilienhaus. Unsere Festlegung für die Forschung war, dass man an der Kurath: Diese Anpassungsfähigkeit Prämisse ‹eine Einheit für eine Familie› manifestiert sich auch im Wert einer festhält und den Bezug zum Freiraum Liegenschaft. Bei einem Mehrfamilien gewährleistet. Wir wollten uns der haus aus den 1960er- oder 1970er- Herausforderung stellen und nicht das Jahren hat der Stockwerkeigentümer Problem umgehen. keine Möglichkeit, einmal ein Zimmer Nr. 3 Juni/Juli 2015 Testentwurf «Flussdelta» Mehr Biodiversität durch Einfamilienhaussiedlungen: Dieser Testentwurf aus der Publikation «Zukunft Einfamilienhaus?» zeigt, wie der bisher kanalisierte Zuflussbereich des Greifensees als naturnahe Parkanlage mit Einfamilienhauswohngebiet ausgestaltet werden könnte. Die Parkanlage wird von den zukünftigen Hausbesitzern finanziert und unterhalten. Die neuen Nischen für Fauna und Flora leisten einen Beitrag zur Biodiversität und zum Artenschutz in der Region. Da die Umgebung im Bereich des Flusslaufs extensiv genutzt werden soll und auch neue Feuchtstandorte geschaffen werden, stehen die Häuser auf Stelzen. Die Gebäude öffnen sich zum Aussenraum, der nicht intensiv genutzt werden soll. Sonnen- und Insektenschutz bilden eine mobile Gebäudehülle. Der kanalisierte Fluss wird im Flussdelta befreit und naturnah angelegt. Da das Delta am Rand gut erschlossen ist, ist das neue Einfamilienhausgebiet dort dichter bebaut (siehe Schnitt, unten). Zum Flusslauf hin nimmt die Bebauungsdichte deutlich ab. Visualisierungen: Institut Urban Landscape ZHAW kung der Gesellschaft an der Planung als darum, dass die Fachleute sich wie der vor Ort einbringen. Es reicht nicht, schöne Pläne zu zeichnen. Um etwas zu bewirken, muss man vor Ort Allian zen knüpfen. anzubauen. Ohne die Einwilligung aller Parteien kann er die Fassade nicht ener getisch sanieren. Und damit ist der Wert verlust tendenziell grösser. Heute sind viele Wohnungen in Mehrfamilienhäu sern zu klein und genügen den Ansprü chen nicht mehr. Deshalb werden sie oft abgebrochen und neu gebaut. Anders als bei Einfamilienhäusern wird die Bau substanz nicht weiterverwendet. Anpas sungsfähigkeit ist also ein Aspekt einer nachhaltigen Entwicklung. Bild: Marcel Müller Welche Hebel hat eine Gemeinde, um die Entwicklung nachhaltigerer Ein familienhausquartiere zu befördern? Weiss: Es wäre wahrscheinlich sinnvoll, die Verfahren in der Planung zu flexibili sieren und von normativen Baugesetzen wegzukommen, sozusagen eine produk tive Aufweichung der Planungssicherheit anzustreben. Damit würden auch Lösun gen möglich, die nach heutigen Regeln verboten sind. Allerdings bedingen flexi blere Verfahren auch eine kompetente Begleitung seitens der Behörden, im Sinne einer Qualitätssicherung. Doch Siedlungsplanung l Planung, Bau und Unterhalt g erade kleinere Gemeinden können sich diese Expertise oft nicht leisten. strukturbauten gibt, welche die Unter scheidung zwischen unbebautem und bebautem Gebiet relativieren. Auch au Kurath: Ab und zu versuchen Gemein sserhalb der Siedlungsgebiete verlaufen den, über eine generelle Aufzonung Strassen, Abwasserkanäle, Strom-, und die Entwicklung eines Einfamilienhaus Wasserleitungen. Viele sind bei Weitem quartiers anzustossen. Doch diese Mass nicht ausgelastet. Infrastruktureffizienz nahme allein bringt wenig, weil es d en ist aber ebenfalls ein Nachhaltigkeits Besitzern oft am Know-how fehlt, um kriterium, das oft vernachlässigt wird. einen Umbau anzugehen, allein schon Da liegen Potenziale brach, die man was die Finanzierung angeht. Es gibt zumindest diskutieren muss. Man tut aber durchaus Beispiele, wo Eigentümer zurzeit aber lieber so, als wäre nur die ihre Parzellen zusammengelegt und ein Siedlung bebaut und alles darum hergemeinsames Projekt realisiert haben. um intakte Landschaft. Leider werden solche informellen Pro zesse noch selten von Politik oder Ver Weiss: Gemeinden haben die Pflicht, waltung angestossen. Die Behörden ha zonenkonforme Bauten zu erschliessen, ben manchmal das Gefühl, sie dürften egal wie abgelegen sie sind, etwa Bau sich nicht einmischen. Hinzu kommt, ernhöfe und Tourismuseinrichtungen. dass auch ihnen oft das Fachwissen Das sind zum Teil kostspielige Infrastruk fehlt, um den Eigentümern sinnvolle turen. Unser Vorschlag, Aussenwachten Transformationsmöglichkeiten aufzu- auszubauen, soll dazu anregen, einmal zeigen. Für solche Fragen müssten sie genauer hinzuschauen, welche Infra Fachleute beiziehen. strukturen vor Ort effektiv vorhanden sind und wie diese genutzt werden. Sie schlagen vor, dort neue Häuser zu bauen, wo bereits Infrastruktur Auch Kiesgruben sind aus Ihrer besteht, zum Beispiel um ehemalige Sicht potenzielle Standorte für Ein Bauernhöfe. Dort darf nach gelten familienhäuser. Wie kamen Sie dem Recht aber nichts mehr gebaut auf diesen unorthodoxen Vorschlag? werden. Sind heutige Zonenplan Kurath: Da geht es ebenfalls darum ungen falsch? aufzuzeigen, wie eigenartig wir han Kurath: Man muss diesen Vorschlag et deln, wenn es um den Umgang mit was einordnen. Wir sind keineswegs der Natur geht. Kiesgruben weisen eine Ansicht, dass es in Zukunft überall Ein sehr h ohe Biodiversität auf. Sie müssen familienhäuser geben soll. Mit unseren aber wieder zugeschüttet werden, um Vorschlägen wollen wir gewisse festge den Ursprung wieder herzustellen. fahrene Dogmen in Frage stellen. Dazu Dabei wird die Artenvielfalt zerstört. gehört die heute geltende, vermeintlich Da sollte man sich fragen, ob es Wege trennscharfe Unterscheidung zwischen gäbe, die Grube, und damit auch die Siedlungsgebiet und unberührter Natur. Biodiversität, zu erhalten. Das Provo Mit unserem Vorschlag, in bestehenden kante an unserem Vorschlag ist, dass Aussenwachten und Weilern neue Ein wir quasi durch Siedlungsbau die Natur familienhäuser zu bauen, wollten wir bestärken. Damit wird auch die Frage aufzeigen, dass es bestehende Infra aufgeworfen, in w elchem Verhältnis Na «Es wäre sinnvoll, die Verfahren in der Planung zu flexibilisieren. Damit würden auch Lösungen möglich, die nach heutigen Regeln verboten sind.» Tom Weiss tur und Siedlung eigentlich zueinander stehen. Ihre Idee, Flussdeltas zu bebauen, dürfte vor allem bei Landschafts schützern schlecht ankommen. Kurath: Wir wollten mit unserem Konzept zeigen, dass man eine landwirtschaftliche Monokultur in eine biodiverse Wohnrespektive Siedlungslandschaft verwan deln könnte. Dabei ist der relativ hohe Landverbrauch eines Einfamilienhauses nämlich ein Vorteil. Wenn man die Inten sität der Bebauung steuert und auch ex tensive Nutzung des Freiraumes vorsieht, kann man die Synergie von Einfamilien haus und Biodiversität verstärken. Der Publizist Benedikt Loderer schlägt als Rezept gegen die Zersie delung e in «Landgesetz» vor. Dieses verlangt, dass die Bauzonen geschlossen w erden und dass inner halb der Bauzonen realersatzpflich Landgesetz verkennt also die Alltagsrealitäten. Es reiht sich damit in die übliche Polemik ein, die, wie die letzten 80 Jahren Raumplanungsgeschichte zeigen, wenig bewirkt. ■ Einfamilienhäuser gelten als hauptverantwortlich für Zersiedelung und Flächenverbrauch – und gleichzeitig stellen sie für breite Bevölkerungskreise das Wohnideal schlechthin dar. Dieser Widerspruch war Moti vation für die nähere Beschäftigung mit dem Einfamilienhaus am Institut Urban Landscape der ZHAW. Unter den Blickwinkeln von Architekten, Sozialwissenschaftlern und einem Architekturfotografen wurden Einfamilienhaussiedlungen untersucht. Anstelle des oft beklagten eigenschaftslosen Einfamilienhaus breis offenbart sich eine facettenreiche Siedlungsrealität mit hohem Identifikationspotenzial. Die Publikation schärft d as Auge für spezifi sche Qualitäten und brach liegende Potenziale des P hänomens und eröffnet der aktuellen Diskussion um eine nachhaltige E ntwicklung urbaner Landschaften neue Aus- und Einblicke. (mgt/mrm) Zukunft Einfamilienhaus? Institut Urban Landscape ZHAW (Hrsg.), Autoren: M. Bosshard, S. Kurath, C. Luchsinger, U. Primas, T. Weiss, Niggli Verlag, 184 Seiten ISBN 978-3-7212-0830-6, 48 Franken Stefan Kurath Nr. 3 Juni/Juli 2015 tig wird, wer ausserhalb Land neu überbaut. Was halten Sie davon? Kurath: Die angenommene Kulturlan dinitiative in Zürich hat dasselbe Ziel der Eingrenzung der Siedlungsgebiete. Auch die Zweitwohnungsinitiative strebt eine Eingrenzung an. Auf der anderen Seite hat man aber die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Darum braucht es auf kommunaler Ebene eine gewisse Flexibilität. Wenn man verfolgt, wie die Kulturlandinitiative und die Zweitwohnungsinitiative umgesetzt wer den, wird klar, dass auch dort solche Flexibilitäten ausgehandelt werden. Ein Landgesetz im Sinne von Loderer wird in der demokratischen, föderalistischen Schweiz nie eine gesellschaftliche Ent sprechung finden, da die Entwicklungs perspektive der Schweiz beschnitten würde. Und solange diese fehlt, ist eine solche Lösung nicht mehrheitsfähig – oder nur so lange, bis der wirtschaftliche Abschwung eintrifft. Auch Loderers Buchtipp: Das Einfamilienhaus als Möglichkeitsraum «Mit unseren Vorschlägen wollen wir gewisse festgefahrene Dogmen in Frage stellen. Dazu gehört auch die vermeintlich trennscharfe Unterscheidung zwischen Siedlungsgebiet und unberührter Natur.» 72 l kommunalmagazin.ch Bild: Marcel Müller Planung, Bau und Unterhalt l Siedlungsplanung Nr. 3 Juni/Juli 2015 kommunalmagazin.ch l 73
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