geht es zur PDF-Version. - Guttempler in Deutschland

.
NR. 1 . SAMSTAG, 2. JANUAR 2016
SEITE 17
Heute: Ein Leben ohne Alkohol
Für Barbara Schnierle ist der 2. Januar ein
besonderer Tag: Er markiert den
Wendepunkt aus ihrer schweren Alkoholsucht
zu einem Leben als Guttemplerin.
Westerwald extra
Y
Fotos, Videos, Berichte auf www.rhein-zeitung.de/westerwald-extra
Barbara Schnierle (70) ist
seit 2003 Mitglied des
Guttemplerordens und
heute Stellvertretende
Vorsitzende des Landesverbandes Rheinland-Pfalz und Saarland.
Seit dem 2. Januar 1998
lebt sie ohne Suchtmittel. Foto: Röder-Moldenhauer
Alkohol dominierte immer mehr ihr gesamtes Leben
Abhängigkeit Barbara Schnierle berichtet von ihrer Suchtkrankheit – Schon als Kind schmeckte ihr der Wacholder – 70-Jährige ist heute Guttemplerin
Von unserer Reporterin
Angela Baumeier
M Hergenroth. Barbara Schnierle
hat seit vielen Jahren keinen Tropfen Sekt oder Bier mehr angerührt.
Sie ist trockene Alkoholikerin und
weiß: Die Suchtkrankheit bleibt.
Dass sie nicht mehr zur Flasche
greift, hat sie auch mithilfe des Guttempler-Ordens geschafft, deren
Stellvertretende Landesvorsitzende
sie heute ist. Doch bis dahin war es
ein leidvoller Weg, über den sie
jetzt offen sprechen kann.
Schon mit 13 Jahren gehörte der
Alkohol zu ihrem Leben. Es kam
vor, dass ihre Mutter ihr einen doppelten Wacholder anbot, wenn sie
aus der Schule nach Hause kam.
Weil die Mutter selbst einen trinken wollte, weiß die 70-Jährige
heute, und hat noch den Satz im
Ohr: „Ein Ostpreuße muss was vertragen können.“
Alkohol gehörte auch in der Jugend ganz selbstverständlich für
Barbara Schnierle zur Geselligkeit
dazu. Sich eine Flasche zu besorgen, war nie ein Problem. „Wenn
wir Zeugnisse bekamen, gingen
wir nicht in ein Café, sondern in eine Gaststätte“, berichtet sie. Und
dass ihr das „Geselligkeitsbier“
schon damals immer schmeckte –
ebenso wie der Wacholder als
Kind.
Als sie mit 20 Jahren selbst Mutter wurde, stiegen die Verpflichtungen durch Beruf und Familie;
sie wurde zur Entlastungstrinkerin.
Jeden Abend genehmigte sie sich
eine oder zwei Flaschen Bier. Doch
mit der Zeit reichte das nicht mehr
aus. „Das war ein schleichender
Prozess, der mich nicht beunruhigte. Ich merkte nur, dass die Kiste Bier halt eher leer war.“ Doch
der Druck wuchs. Mitte der 1980er-Jahre fühlte sich die gelernte
Rechtspflegerin wie in einem
Hamsterrad, konnte von dem Beruflichen nicht mehr abschalten.
„Ich kam nach Hause, und dann
habe ich halt getrunken“, erinnert
sie sich. Das bedeutete auch soziale Isolierung. Zwar gab es Freunde, aber das waren Trinkgefährten.
Als sie 1993 merkte, dass sie ohne einen Grundpegel nicht mehr
arbeitsfähig war, auch tagsüber
trinken musste, suchte Barbara
Schnierle Hilfe. Vergeblich hatte
sie zuvor aus eigener Kraft versucht, ihren Alkoholkonsum in den
Griff zu bekommen. Doch die Entzugserscheinungen waren zu stark.
Heute weiß sie: „Einfach“ so aufzuhören, den Alkohol weglassen,
ändert nichts. Es braucht eine Entwöhnungsbehandlung.
Da Bier zu auffällig riecht, stieg
sie auf Sekt um. Zunächst noch mit
dem Vorsatz, vor 11 Uhr keinen
Tropfen anzurühren. „Ich war eine
klassische Pegeltrinkerin“, sagt
Barbara Schnierle und bekennt:
„Ich habe das aber nicht als Prob-
lem angesehen, ob das jemand
merkt. Ich hab nur darauf geachtet, dass ich selbst über die Runden
kam.“ Alle Arbeitskollegen, da ist
sie sich sicher, wussten Bescheid,
doch keiner sagte etwas. „Ich war
eine Autorität, vielleicht hat sich
deshalb niemand getraut“, mutmaßt sie.
Fünf Jahre lang war Barbara
Schnierle nun bei einem Psychotherapeuten in Behandlung. Zu
lang, wie sie heute meint, denn die
ambulante Therapie bewirkte, dass
ihr Tiefpunkt herausgezögert wurde. Um die Entzugserscheinungen
zu mildern, bekam sie medizinische Unterstützung. Mal schaffte
sie es drei Wochen, mal drei Monate, aber „trockenlegen“ konnte
sie der Therapeut nicht. Von einer
nachhaltigen Abstinenz war sie
meilenweit entfernt.
Und der Zusammenbruch kam.
Zu Neujahr 1998 stürzte sie in ihrem Haus so schwer, dass der Notarzt gerufen werden musste. Am 2.
Januar begann ihr neues Leben.
An die Entgiftungszeit im Krankenhaus hat Barbara Schnierle keine Erinnerungen mehr. Nur, dass
sie raus wollte aus der Klinik. Doch
Weitere Hilfsangebote
Im Westerwaldkreis gibt es
17 Selbsthilfegruppen
Alkohol- und Medikamentensucht sowie eine
Selbsthilfegruppe nichtstoffliche Sucht (Spielsucht, Diakonisches Werk)
für Betroffene oder Angehörige von Betroffenen.
Das sind Gruppen der
Anonymen Alkoholiker,
Freundeskreisgruppen,
Kreuzbundgruppen und
Blaues Kreuz-Gruppen
sowie freie Gruppen.
Weitere Informationen
dazu gibt die Westerwälder Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe (Wekiss), Marktplatz
6, 56457 Westerburg,
Telefon 02663/2549 oder
E-Mail [email protected];
Internet: www. wekiss.de
Eine Suchtberatung bei
Problemen mit legalen
Suchtmitteln wie Alkohol
oder Medikamenten bietet
auch das Diakonische
Werk für Betroffene und
deren Angehörige zum
Thema Alkohol/Medika-
mentenabhängigkeit nach
individueller Absprache
an. Ansprechpartner sind
Roland Brenner, Telefon
02663/943 030, E-Mail
[email protected], sowie
Christina Blank, Telefon
02663/943 032, E-Mail
[email protected] bau
nicht nach Hause ging es. Barbara
Schnierle wurde in eine geschlossene Abteilung eingewiesen. Sie
selbst stimmte damals diesem
Schritt zu – der ihr schließlich den
Weg zurück ins Leben ermöglichte.
Als sie entlassen wurde, sagte man
ihr: „Der nächste Vollrausch ist Ihr
Todesurteil“.
Um abstinent zu bleiben, suchte
sie erneut therapeutische Hilfe,
diesmal acht Wochen in einer
Fachklinik für Suchterkrankungen.
Im Herbst 1998 wurde sie für
diensttauglich befunden. „Ich war
wieder voll da“, meint Barbara
Schnierle und stutzt: „Was für ein
schöner Ausdruck!“
Es folgten weitere ambulante
therapeutische Gespräche, bei denen sie schließlich von den Guttemplern erfuhr. Barbara Schnierle
sagt: „Die geben mir Halt.“ Bei der
Mitgliedsaufnahme gibt man ein
feierliches Abstinenzversprechen.
Die Vorstellung, nicht mehr Guttempler sein zu können, wenn sie
dieses Versprechen brechen würde, hat ihr die Kraft gegeben, ein
neues Leben anzufangen und sie
vor Rückschlägen bewahrt.
Guttempler helfen Suchtkranken
Abstinenz Orden gibt es heute weltweit – Alkoholfreies Leben und Geselligkeit werden unterstützt
Der Guttempler-Orden ist eine der
ältesten Selbsthilfegruppen in
Deutschland. Ziel ist es, Menschen
so zu fördern, dass sie den Weg zu
einer zufriedenen, abstinenten Lebensweise finden. Unabhängig von
Nationalität, politischer, weltanschaulicher oder religiöser Einstellung wird dabei Jugendlichen,
Frauen und Männern jedes Alters
geholfen, Suchtprobleme zu überwinden.
Bei den Guttemplern können
nicht nur Menschen, denen eigener Alkoholkonsum oder andere
Suchtprobleme Sorgen bereiten
Unterstützung und Hilfe finden.
Auch ihre Partner, Eltern, Kinder,
Freunde und Kollegen treffen auf
offene Ohren für ihre Nöte. Sie erleben, dass ein Weg aus der Suchtabhängigkeit heraus möglich ist.
Eine suchtfreie Lebensweise trägt
schließlich dazu bei, das Leben bewusster erleben und gestalten zu
können.
Die Guttempler bieten zu ihrer
Suchtselbsthilfe aber noch mehr:
Ihre Gemeinschaft fördert die alkoholfreie Begegnung, Weiterbildung und Freizeitgestaltung für alle Altersgruppen. Außerdem engagieren sich die Guttempler in
der Präventionsarbeit, beispielsweise in Schulen. Die Guttempler
bilden eine internationale Ge-
Grundsätze der Guttempler
Enthaltsamkeit ist die Grundlage,
Brüderlichkeit (Geschwisterlichkeit)
der Weg und Frieden das Ziel der
Guttempler.
meinschaft, deren gemeinsame
Prinzipien auf den menschlichen
und demokratischen Grundrechten
bauen.
Die Organisation ist politisch ungebunden. Die Bezeichnung „Orden“ hat historische Ursachen: Er
wurde 1851 als Alkohol-AbstinenzOrganisation im US-Staat New York
gegründet. Der Einstellung der Gesellschaft, Alkoholiker seien minderwertige, haltlose, asoziale und
sündige Menschen, setzten sie das
Krankheitsprinzip entgegen. Denn
einer Krankheit tritt man anders
gegenüber als einem Laster. Zudem setzen sich die Guttempler in
ihren Grundsätzen dafür ein, Gesetze und gesellschaftliche Strukturen zu schaffen, die geeignet
sind, den Alkoholismus einzudämmen. So ist für die Ordensmit-
glieder die Gleichberechtigung der
Rassen und Geschlechter selbstverständlich.
Guttempler gibt es heute rund
um die Welt. Von 1889 an konnte
sich der Guttempler-Orden auch in
Deutschland etablieren. Heute finden die Treffen nicht mehr in Logen statt: Die Mitglieder sind in Gemeinschaften zusammengeschlossen, die in Landesverbänden organisiert sind. Der Orden hat eigene Tagungs- und Begegnungsstätten und ist Träger mehrerer
Fachkliniken und Übergangswohnheime. Er unterhält Sozialund Bildungswerke und verfügt
mit „Juvente“ über einen eigenen
Jugendverband.
In Rheinland-Pfalz gibt es Guttempler-Gemeinschaften in Bruchmühlbach-Miesau und Mainz. Ih-
Abstinenz heißt bei den Guttemplern: Kein Alkohol verzehren, anbieten
Foto: dpa
oder verschenken, die Verbreitung nicht fördern.
nen sind jeweils Gesprächsgruppen zugeordnet. Die Gesprächsgruppen werden von Guttemplern
geleitet, die selbst aus der Sucht
herausgefunden und eine Ausbildung zum ehrenamtlichen Suchtkrankenhelfer absolviert haben.
Ansprechpartner für den Wester-
wald ist Barbara Schnierle, Telefon
02663/8556, E-Mail an die Adresse
[email protected]
bau
Y
Weitere Informationen stehen
auf der Internetseite
www.guttempler-rps.de