PDF "JIM GERBER – Uhrmacher"

KUNST & DESIGN
KUNST & DESIGN
JIM GERBER
UHRMACHER
„Ich möchte mal Madonna eine Uhr verkaufen“
Diese Quarzuhr hätte in den
Achtzigern auf Helmut Schmidts
Schreibtisch stehen können. AEG
produzierte davon nur 20 Stück,
sie alle gingen als Geschenke an
Führungspersönlichkeiten.
„I
rgendwie erfährt man von mir“,
sagt Jim Gerber. Er sitzt in seinem
kleinen, edlen Laden in der Zürcher
Altstadt, ein schlanker, zurückhaltender Mann mit einem Lächeln in den
wachen Augen und dieser angenehmen
Selbstgewissheit eines Menschen, der
sein Handwerk beherrscht und mit
seiner Leidenschaft Erfolg hat. Der
Uhrmacher hat sich auf Armbanduh-
die zwischen 20.000 und 60.000 Euro
kosten, zum Beispiel die einer Patek
Philippe von 1910. Irgendwo auf der
Welt hat Jim Gerber hat das rare Stück
aufgetrieben und ersteigert, ist in seine
nüchterne Werkstatt hinabgestiegen,
hat sich über das technische
lang „irgendwie erfährt“, wenn er auf
der Suche nach einem ganz besonderen Exemplar für sein Handgelenk ist,
das er in den großen Luxusgeschäften
der Zürcher Bahnhofsstraße oder anderer Parade-Shoppingmeilen dieser
Erde nicht finden kann. ➔
Der Typ mit Schnauzer und den
lockigen, schwarzen Haaren wirkt
wie der Kumpel von nebenan.
ren von Spitzenmarken wie Patek
Philippe, Rolex, IWC spezialisiert, die
zwischen 1910 und 1970 entstanden
sind, er nennt sie treffend „Oldtimer“.
Jim Gerber liebt die kleinen, tickenden Dinger. Im Schaufenster hängen
gerade drei davon, in den Auslagen liegen weitere acht. Man muss nahe herantreten, um die klassische Schönheit
der alten Armbanduhren zu erkennen,
0 Ausgabe Herbst 2006
Miniatur-Wunderwerk gebeugt und es
instandgesetzt, mit höchster Präzision,
Intuition, Pingeligkeit.
„Es ist wichtig, die Uhr zu verstehen,
ihre Linie nachzuvollziehen, zu spüren, wie sie einmal war. Ich entdecke
sie und bringe sie zum Strahlen.“
In seiner Sorgfalt ist er grenzenlos,
und das macht ihn zu dem begnadeten Unikat-Uhrmacher, von dem ein
echter Liebhaber eben über kurz oder
Jim Gerber besitzt selbst nur
eine einzige Uhr, eine Automatik
von Patek Philippe aus Edelstahl
von 1967. Weltweit existieren nur
noch 15 Exemplare.
Ausgabe Herbst 2006
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KUNST & DESIGN
J
im Gerber wurde 1960 in
der bayerischen Provinz geboren. Eigentlich wollte er Autodesigner werden, doch dieser Beruf
war seinem Vater zu exotisch, so trat er
eine Uhrmacherlehre an wie sein bester Freund. In der Kleinstadt brachten
Herr und Frau Müller ihre ewig gleiche
Durchschnittsuhr zur Reparatur. Billige Dinger, Massengeschmack. Keine
Herausforderung für Jim Gerber, kein
Horizont, der weit genug entfernt war,
dass man sich danach strecken konnte.
„Nach drei Jahren war ich schon bedient.“
Er bekam zwar einen Preis für das
beste Gesellenzeugnis im Bundesland
Bayern, brach dann aber zu einer einjährigen Weltreise auf, denn das konnte doch nicht alles gewesen sein. In
Indien verliebte er sich in eine Schweizerin und kam so nach Zürich.
Ohne große Selbstzweifel wählte
er das erste Luxus-Uhrengeschäft am
Platze, um nach einem Job zu fragen
und bekam ihn zu seiner Überraschung sofort in der Antik-Abteilung.
Hier erst fand er seinen Uhren-Meister Rieckmann, von dem er in den
folgenden sechs Jahren alles lernte,
was es über Chronographen zu wissen
gab. Dann trieb es ihn erneut auf eine
ausgedehnte Reise. „Ich prüfe hin und
wieder gern, ob ich am richtigen Ort
bin.“ Als er zurückgekehrt war, fand
er, dass er nun seinen ersten eigenen
Laden eröffnen wollte.
Es war eigentlich mehr ein Atelier in
der Altstadt, in dem er zunächst antike
Taschenuhren restaurierte. Es sprach
sich bald herum, mit welch kenntnisreicher Sorgfalt er das tat. Von dem
Geld, das Jim Gerber damit verdiente,
sparte er, soviel er konnte, ersteigerte
damit seine erste alte Armbanduhr, restaurierte sie und legte sie ins Fenster.
Sie lag dort zwei Tage, bis ein Italiener vorbeilief und sie kaufte. Seitdem
hat sich Jim Gerber von dem Durchschnitts-Uhrmacher, zu dem man irgendwas in Reparatur bringen kann,
noch weiter entfernt. Seine Reiselust
befriedigt er weltweit auf Messen, auf
denen internationale Händler nach
Sammlerstücken forschen, welche immer seltener und immer teurer werden. Im Unterschied zu ihnen kehrt er
jedoch mit seinem Glücksgriff in seine
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Werkstatt zurück, und klettert quasi
tagelang in ihn hinein, gebückt, mit
einer Lupe auf der Stirn, bis er sein
filigran-präzises Innenleben gereinigt,
restauriert und restlos in sich aufgenommen hat. Kein Wunder, dass er
seine Schätze nur ungern hergibt und
bestimmt nicht an irgendwen.
Seine Kunden kommen aus Amerika, China, Russland, Kanada und
schätzen das unauffällige Außergewöhnliche, das ihre Persönlichkeit
unterstreicht. Entdeckt Jim Gerber
auf der Straße einen Menschen mit
einer „dicken Rolex“, dann ist nicht
unbedingt die Uhr zu dick, sondern
der Mensch zu schmal. „Ich bin dafür
bekannt, dass ich die richtige Uhr gezielt ans richtige Handgelenk bringen
kann. Das macht mir Spaß.“
Leute, die mit Asseccoires protzen
wollen, konsultieren ihn nicht, denn
Protzer wollen Massenware, Sachen,
die jeder kennt, daran hat Jim Gerber kein Interesse. Er ist ein Jäger
von Raritäten. „Ich habe auch in der
Vergangenheit keine Kompromisse
gemacht, selbst wenn es vielleicht einfacher gewesen wäre. Eine Uhr kaufe
ich eigentlich für mich, und gebe sie
später nur an den richtigen Kunden
weiter. Vielleicht kommt sie nach Jahren zur Reparatur zurück. Dann will
ich immer noch finden, dass es eine
gute Wahl war.“
Deswegen ist der zentrale Punkt im
Laden, an dem sich alles abspielt, sein
lackschwarzer Schreibtisch und die roten Designer-Schalensessel davor. Bis
auf einen feinen, hohen Pendel-Stundenschlag lenkt nichts ab. Eine Uhr
ist ein sehr persönlicher Gegenstand
und ihr Kauf braucht Zeit, manchmal
Jahre. Seine exklusive Ware anonym
über das Internet anzubieten, käme
Jim Gerber nicht in den Sinn. Er will,
dass der Kunde auch schätzt, was er
am Arm trägt, und dafür muss man
einander persönlich begegnen.
So sieht der an der Ladentür klingelnde, von weither gekommene Liebhaber – zu sechzig Prozent männlich vielleicht nur ein einziges Stück, nach
dem Jim Gerber weltweit geforscht
hat, aber das ist dann auch der Treffer. Das exklusive Meisterwerk passt
in Größe, Material, Stil so zum Träger,
dass es schon immer an seinem Arm
gewesen zu sein schien. Aus solchen
Kundschaften entwickeln sich mit
der Zeit (im doppelten Sinne) auch
Freundschaften, schon wegen der geteilten Leidenschaft.
„Ich bin stolz, dass bestimmte Leute zu meinen Kunden zählen“, mehr
verrät Jim Gerber über Prominenz in
seinem Laden nicht. Sein Traum ist
– er lächelt dabei wie ein Spitzbube:
„Ich möchte mal Madonna eine Uhr
verkaufen.“
Bild oben:
Dieses Maschinchen
dreht sich alle 30
Sekunden und simuliert
somit Armbewegungen,
die automatische Uhren
Bild unten:
Armbanduhren von
Patek Philippe,
Rolex und IWC
Fine Timepieces, Rämistraße 29, 8024 Zürich,
Dienstag bis Freitag 11-18 Uhr, Samstag 11-16 Uhr, Telefon 0041 (0)44 251 7124
Jim Gerber
in seinem kleinen,
edlen Laden in
Zürich
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