„Habe mich immer geärgert, dass unser Beruf in verruf geraten ist“

c ov e r
8 – medianet
Freitag, 26. Juni 2015
Neugründung Im Gespräch von der Gründungsidee im Salon zur Tea Time bis hin zum Kampf gegen den Verruf der heimischen Werbebranche
„Habe mich immer geärgert, dass
unser Beruf in Verruf geraten ist“
© leadersnet.at/Daniel Mikkelsen
„Merlicek & Grossebner“: Gemeinsam mit Jani Newrkla, Peter Mayer & Lukas Grossebner gründen die Merliceks eine neue Agentur.
medianet traf die Spitze der neuen Agentur: Franz Merlicek, Rosa Haider-Merlicek, Lukas Grossebner und Johannes Newrkla (von links nach rechts) in den neuen Agenturräumlichkeiten in Wien-Mariahilf.
Dinko Fejzuli
Jürgen Hofer
„Irgendwann haben
Werber damit begonnen, untertags ihre
normale Routinearbeit zu tun und erst
abends Gold-Ideen zu
­kreieren.“
Rosa haider-merlicek …
Dann kam Peter Mayer – gemeinsam mit Grossebner im Vorjahr
zu Heimat, Berlin nach Deutschland gegangen – an Bord. Er hatte
sich bei Merlicek noch zu dessen
D,M&B-Zeiten im Frühsommer
2014 vorgestellt und ihn „sofort
begeistert“. Damals konnte er ihn
aber, so Merlicek, „Gott sei Dank“
nicht überzeugen, womit er jetzt
vermutlich nicht verfügbar gewesen wäre.
Und mit Johannes „Jani“ Newrkla fand man einen kreativen
Strategen, der neben vier anderen
Kreativen auch die wirtschaftliche
Seite verantworten soll und der
in seiner Agentur Bluetango auch
räumliche Kapazitäten zur Verfügung hatte, da er viel mit freien
Mitarbeitern werkte. Bluetango
selbst werde in den nächsten 1-2
Jahren in der neuen Agentur Merlicek & Grossebner aufgehen, an der
Franz Merlicek, Lukas Grossebner
und Johannes Newrkla jeweils
gleich große Anteile halten, Peter
Mayer besitze „etwas weniger“, so
die anderen. Haider-Merlicek wird
ihre Anteile mit Anfang 2016 übernehmen, da sie sich aktuell noch
in einem Rechtsstreit mit D,M&B
befindet.
Mit der Gründung von Merlicek
& Grossebner haben sich die fünf
Verantwortlichen auch vorgenommen, etwas anders zu agieren, als
sie das bei großen Agenturen wie
D,M&B, Heimat, Berlin oder DDB
zuletzt gewohnt waren.
„Unsere Branche kann junge Talente nicht mehr anziehen, weil es
kein Modell gibt, das junge Leute
in die Werbung holt und ihnen gute
Rahmenbedingungen liefert“, kritisiert Grossebner, der auf 16-Stunden-Tage bei „lausiger“ Bezahlung
verweist. „Wir wollen Dinge bewusst anders darstellen, und diese
Freude an neuen Ideen bieten.“ Da-
© Rosa Haider-Merlicek
Wien. „Es hat noch nie eine so junge Agentur mit gleichzeitig so viel
Erfahrung gegeben“, werden wir
zum Interview mit der derzeit wohl
meist beäugten Neugründung in
der Kreativbranche Österreichs am
Standort Kirchengasse 3 begrüßt,
wo seit Kurzem „Merlicek & Grossebner“ ihre Büroräumlichkeiten bezogen haben.
Dahinter stehen – wie der Name der neuen Agentur unweigerlich verrät – Franz Merlicek, Rosa
Haider-Merlicek, Lukas Grossebner, Peter Mayer und Johannes
Newrkla – mit Ausnahme von Mayer allesamt Werber mit Demner,
Merlicek & Bergmann-Vergangenheit. Eben diese – mit der fristlosen
Entlassung von Haider-Merlicek
und dem folgenden Ausscheiden
ihres Mannes Anfang des Jahres –
ermöglichte erst die Agenturgründung in dieser Besetzung.
„Rosa hat zu Beginn des Jahres die Tradition des Salons und
der Tea Time aufleben lassen“,
erläutert Merlicek. So habe man
Freunde, Bekannte bis hin zu Agenturverantwortlichen zu sich eingeladen, um über die (gemeinsame)
Zukunft nachzudenken.
„Dieser Austausch hat uns enorm
geholfen, wieder Fuß zu fassen und
das Spielfeld neu zu definieren, auf
dem man mir zuletzt die Mitspieler
und das Publikum wegnahm und
zu guter Letzt auch das Flutlicht
abdrehte“, ergänzt Haider-Merli-
cek. Von Überlegungen eines Home
Offices mit Freelancern bis hin zu
einer Agenturgründung kreisten die
Gedanken, bis Lukas Grossebner
ins Spiel kam. „Eine Zeit lang war
völlig offen, was wir tun werden.
Aber es war schon klar, nicht nur
als ‚Merlicek‘ oder ‚Merliceks‘ etwas tun zu wollen, sondern gemeinsam mit jungen Leuten durchzustarten. Und der Lukas hat ja eine
Zeit lang so ziemlich alles gewonnen“, so Merlicek.
Neue Agentur, neue Adresse, neues Schild: Franz Merlicek (links) und Kollegen montieren das Türschild in der Kirchengasse
in Wien-Mariahilf; Rosa Haider-Merlicek dokumentiert das Treiben vor den neuen Büro-Räumlichkeiten.
bei wolle man auch, losgelöst von
den „oft starren Strukturen“ großer
Agenturen, agieren und eben der
Kreativität ihren Freiraum bieten.
Kurz nach Bekanntwerden der
Agenturgründung hätten sich bereits Dutzende Kreative per Initiativbewerbung gemeldet. Aktuell
halte man bei rund 50 Bewerbungen von Menschen, die bei neuen Aufgaben mitmachen wollen.
„Wir haben alle untereinander
das Gefühl, dass wir jeweils den
anderen bereichern können und
uns im Gegenzug auch selbst berei-
„Jede Arbeit verdient
die beste Idee, das
wollen wir für unsere
Kunden auch so halten.
Wir sehen die Kür als
Pflicht.“
… zur Branche
chern lassen wollen“, führt Grossebner weiter aus und verweist auf
das breite Spektrum, das die Kreativen mit sich bringen. „Sei es
Franz mit jahrzehntelanger Erfahrung in Markenführung beispielsweise für Darbo, oder Rosa für Ja!
Natürlich, dazu eben die kreative
und wirtschaftliche Expertise von
Jani (Johannes Newrkla) und dann
meine Erfahrungen aus Netzwerkagenturen mit Einblicken in internationale Kundenstrukturen“, so
Grossebner.
Dieser breite Mix, eingangs angesprochen mit „junge Agentur
mit so viel Erfahrung“, sei auch
der Reiz: „Agenturen, die sich neu
gründen, sind normalerweise so
aufgestellt, dass sich gleichaltrige
Menschen treffen, um etwas Neues
zu wagen“, umreißt Newrkla. „Wir
vereinen hier nun gleich drei Generationen mit geballter Erfahrung
und jungem Spirit.“
Den Grundgedanken zu neuen
Ansätzen beschreibt Merlicek folgend: „Ich habe mich schon immer
darüber geärgert, dass unser Beruf
so in Verruf geraten ist, nur weil
die meiste Werbung selbst in Verruf geraten ist. Das zu verändern,
war und ist unser Anspruch.“
„Irgendwann haben Werber damit begonnen, untertags ihre normale Routinearbeit zu tun und
erst abends Gold-Ideen zu kreieren“, kritisiert Haider-Merlicek die
Award-Sucht der Branche. „Jede
Arbeit verdient die beste Idee, das
wollen wir für unsere Kunden auch
so halten. Wir sehen nämlich die
Kür als Pflicht.“
Derzeit arbeitet das Fünfer-Gespann mit drei Beratern, einem Designer und einem Grafiker für etwa zehn Kunden. Großkunden von
D,M&B, wo man immerhin mit dem
eigenen Namen für Etats stand,
habe man aber keine mitgenommen. „Es ist nicht unser Ziel, ‚alte‘ Kunden abzuwerben; vielmehr
möchten wir neue gewinnen“, so
Haider-Merlicek. „Wenngleich ich
so einen großen Kaufmannsladen
schon vermisse“, wie sie ihre Handelskunden nennt.
Wohin man sich künftig entwickelt? Natürlich wolle man auch
für große Etats arbeiten, so die
fünf Partner unisono, „aber kein
Wachsen um jeden Preis – auch
um kleine, flexible Strukturen aufrechterhalten zu können“, schließt
Newrkla.
Personen
Franz Merlicek gründete 1969 gemeinsam
mit Mariusz Jan Demner die heute größte
Agentur Österreichs D,M&B; Ende der 80erJahre verkaufte er seine Anteile und war danach als Kreativer für die Agentur tätig.
Rosa Haider-Merlicek war seit 1998 Kreativdirektorin bei D,M&B, davor bei Y&R, Haslinger, Keck und Sigi Mayer.
Johannes Newrkla war 20 Jahre lang
Partner und Geschäftsführer bei Demner,
Merlicek & Bergmann, Anfang der 2000er
gründete er seine eigene Agentur Bluetango.
Newrkla wurde 2003 zum Präsident des Art
Directors Club of Europe gewählt, aktuell ist
er Mitglied im Board der Interessensvereinigung.
Lukas Grossebner war nach seiner Zeit bei
D,M&B bei Jung von Matt/Donau, danach in
führenden Postitionen bei DDB Tribal Wien
und Heimat, Berlin.
Peter Mayer agierte als Art Director bei DDB
und war zuletzt gemeinsam mit Grossebner
bei Heimat, Berlin in Deutschland.