Das Kreuz Jesu – Zeichen der Liebe (Johannes 3, 14-17) Predigt am 1. Sonntag nach Trinitatis, 7. Juni 2015 „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.“ Mehrfach sprach die alte Frau diesen Satz vor sich hin. Ich war 19 Jahre alt, hatte gerade begonnen Theologie zu studieren und saß an ihrem Bett. Ich wusste nicht viel über sie, weil sie kaum noch sprach. War sie so fromm gewesen, dass sie immer ein Bibelwort auf den Lippen trug? Jetzt am Ende ihres Lebens klammerte sie sich jedenfalls an diesen Satz und es war zu spüren, wie diese Worte sie trösteten. Bis heute denke ich an diese Frau, wenn ich diese Bibelstelle lese und höre. Dann sitze ich wieder an ihrem Bett und jedes Mal spüre ich diesen Trost… Da ist einer, der mich liebt, der alles gibt – für mich. Gott will Leben in Fülle für mich. Die Erhöhung Das Kreuz Jesu kommt auf den ersten Blick nicht vor in diesem kurzen Text. Es verbirgt sich hinter einem Bild und manchen Wörtern, die Johannes gern benutzt, um in einer für ihn typischen Weise vom Sterben und vom Kreuz Jesu zu sprechen. Mit dem Hinweis auf die Schlange, die Mose in der Wüste erhöht hat, erinnert Johannes an die Wüstenwanderung des Volkes Israel. Um eine Schlangenplage abzuwehren, bekommt Mose von Gott den Auftrag eine Schlange aus Metall aufzurichten. Wer auf diese Schlange schaute, der blieb am Leben. Wenn Johannes die Erhöhung dieser Schlange mit der Erhöhung von Jesus Christus vergleicht, so spielt er damit auf das aufgerichtete Kreuz an, an dem Jesus stirbt. Wer sich auf dieses Kreuz ausrichtet, empfängt das Leben. Erhöht und verherrlicht Johannes lässt Jesus oft mit Vokabeln über sein Sterben sprechen, die nicht zu diesem schrecklichen Tod zu passen scheinen: „Wenn ich erhöht werde, wenn ich verherrlicht werde…“ Johannes tut das ganz bewusst, weil er nicht zwischen Jesu Tod, seinem Weg in Elend und Schmerz und Jesu Auferweckung trennt. Damit tritt bei Johannes besonders hervor, was für alle Evangelien zutrifft: Ostern und Karfreitag gehören untrennbar zusammen. Man kann den Tod Jesu nicht deuten, nicht verstehen, ohne seine Auferstehung im Blick zu behalten. Die Evangelien berichten immer aus dieser Perspektive über Jesus. Unverständnis und Kritik Das Kreuz als Zeichen des christlichen Glaubens und die Heilsbedeutung des Sterbens Jesu wurde von Nichtchristen immer in Frage gestellt, schon zu Paulus` Zeiten war das so. Wir haben es in der Brieflesung gehört: Das Kreuz - für Juden eine Gotteslästerung, für Griechen Unsinn. Wie soll ein in Schande Gehenkter, ein am Kreuz Gequälter die Welt retten können? Neu ist, dass in letzter Zeit solche Stimmen aus Theologie und Kirche selbst kommen: „Wie soll der Tod eines anderen etwas Gutes für mich bewirken? Was ist das für ein Gott, der den Tod seines Sohnes braucht um mir zu vergeben?“, so oder ähnlich die kritischen Fragen. Rettung ist das Ziel Missverständnisse, sind sie einmal da, sind oft schwer wieder aus der Welt zu schaffen. Denn wer behauptet: Gott habe seinen Sohn geopfert, weil er nur so die Sünden der Menschen vergeben könne, verdreht Ursache und Wirkung. Nicht Gott wollte und brauchte diesen Tod. Nicht Gott hat Jesus ans Kreuz geschlagen. Nicht die Haltung Gottes zu den Menschen bedurfte und bedarf einer Wende, sondern die der Menschen zu Gott! Gottes Herz ist weit offen für uns. Unsere Herzen sind das Problem. Nicht Gott muss mit dem Menschen versöhnt werden, sondern der Mensch mit Gott. Das Kreuz ist brutal, aber nötig, um uns die Augen zu öffnen über die Abgründe des Menschseins. Ist es nicht oft so, dass wir Menschen erst wenn sich ein Abgrund vor uns auftut, bereit sind um zukehren und neu zu beginnen? Gottes Motivation ist Liebe, nicht Strafe und Gericht. Er hat seinen Sohn zu uns gesandt, damit er uns zeigt wie ein Leben aussehen kann, das fest mit Gott verbunden ist, ein Leben, das auf Liebe setzt, ein Leben, dass sich nicht korrumpieren lässt, sondern frei ist. Johannes erinnert in diesen wenigen Versen, dass es Gott immer nur um diese Liebe und diese Freiheit ging: „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass die Welt gerichtet, sondern dass die Welt durch ihn gerettet würde.“ Gott schenkt Leben in Fülle Wer sich auf das Kreuz ausrichtet, lebt ein neues Leben. Johannes nennt es ewiges Leben. Damit ist mehr gemeint, als dass es nach dem Tod irgendwie weiter geht. Es geht um eine andere Qualität des Lebens, ein Leben im Vertrauen auf Gott, ohne Angst vor Mächten und Gewalten, die uns gefangen halten. Es ist ein Leben, das sich nicht beschränkt auf Materielles, sondern geistlich ist und damit freier von eigenem gelingenden Handeln und weniger abhängig von persönlichem Glück und persönlichem Leid. Wer so lebt, ist nicht unbedingt reich im materiellen Sinne, vielleicht nicht erfolgreich nach menschlichem Maßstab, nicht gesund und ohne Schmerz, aber ganz und gar Kind Gottes, geliebt und frei, beschenkt mit einem Leben in Fülle. Zeichen der Freiheit „Ich und der Vater sind eins.“, sagt Jesus an anderer Stelle im Johannesevangelium. Im Kreuz vollendet sich die Menschwerdung Gottes radikal. Gott wird Mensch bis in die Tiefen des Menschseins hinein. Das Kreuz stellt die Sicht auf Gott und die Welt auf den Kopf. Gott offenbart sich ganz anders, als Menschen ihn erwarten und glauben wollen, nicht erhaben und allmächtig, sondern niedrig und schwach. Größere Liebe gibt es nicht, als alles Eigene aufzugeben sich ganz und gar hinzugeben bis in den Tod. Das Kreuz ist ein Zeichen der Freiheit. Der da hängt, lässt sich nicht gemein machen mit zerstörerischen Kräften, mit Macht und Gier, mit Hass und Gleichgültigkeit… Er macht sich gemein mit den an den Rand Gedrängten, den Gequälten und Vergessenen dieser Welt. Er wird einer von ihnen und zeigt so, wo Gott zu finden ist. Kennst du Jesus? Hören Sie dazu ein Erlebnis von Christina Brudereck, einer deutschen Theologin und Autorin: „Es war in Südafrika, mitten in den Slums. Behütet wie ich aufgewachsen war, fiel es mir leicht zu glauben, dass Gott uns beschützt. Aber in diesem Elend, in dieser ungerechten Welt kam mein Glaube an seine Grenzen und zerbrach… Wo war Gott zwischen diesem riesigen Reichtum und dieser entsetzlichen Armut? Zwischen Krokodillederschuhen und Kindern, die barfuß liefen.… Zwischen Villen mit Parks und Wellblechhütten… Wie konnte sich die Welt so weit von dem entfernen, was Gott sich gedacht hatte – und wie konnte er das zulassen? An diesen Tagen im Slum war ich jung und allein und sehr zornig und hilflos… Da kam ich an einer Hütte vorbei, in der der eine alte Frau lag. Sie war seit Jahren gelähmt, sagte man mir. In der Hütte waren überall schwarze, dicke Fliegen. Ich dachte: `Liebe gibt es nicht, die Welt ist lieblos, Gnade gibt es nicht, wir Menschen sind gnadenlos. Diese Welt ist nicht zu retten.´ Die alte Frau sagte: `Schön dich zu sehen, Lady. Dich hat sicher Gott geschickt.´ Und ich sagte mit meiner ganzen Wut: `Gott? Der ist ja wohl nicht hier!´ Ich werde nie ihre Antwort vergessen und wie sie dabei strahlte: `Deinen weißen, lächelnden Helden wirst du hier nicht finden. Aber kennst du Jesus?´1 Kennst du Jesus, den Gekreuzigten? Du triffst ihn in deiner größten Not. Du triffst ihn in dem flüchtenden Afrikaner auf dem Mittelmeer. Du triffst ihn in der kranken Griechin, die einen Arztbesuch nicht bezahlen kann. Du triffst ihn in der einsamen Nachbarin und in dem Kind, dessen Not keiner sieht… 1 Aus:SisterhoodBrockhaus,2004,S.104f. Das Kreuz ist unser Zeichen. Es verkündet, dass Gott sich in Jesus mit dieser gefallenen, schmerzvollen Welt verbunden hat. Jesus nachzufolgen heißt, sich für den Schmerz dieser Welt zu öffnen. So wie der griechische Arzt der kostenlos Kranke behandelt, so wie der deutsche Kapitän, der ins Mittelmeer aufbricht um Flüchtlinge in Seenot zu retten. Ich bin keine Ärztin und du bist kein Seemann. Aber auch wir können offen sein und werden für den Schmerz dieser Welt. Das ist der Weg der Liebe. Das ist der Weg zum Leben. Amen.
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