Ein Journal für das literarische Geschehen DIE LITERARISCHE WELT SAMSTAG, 21. NOVEMBER 2015 U GEGRÜNDET VON WILLY HAAS, 1925 U EINE BEILAGE DER WELT U NUMMER 47 / 2015 DEUTSCHES LITERATURARCHIV MARBACH/ VG BILD-KUNST BONN,2015 Kästner kommt zurück Der Welterfolg Erich Kästners verdankte sich einst dem Atrium-Verleger Kurt Maschler. Auch nach achtzig Jahren arbeitet der Verlag weiter am Ruhm des Autors RELATIV Vor 100 Jahren stürzte Einstein die Physik um: Ein Biografie von Thomas de Padova 6 FIKTIV Wie Irland so tickt: Die Autorin Anne Enright im Interview 3 U KONJUNKTIV Katalanischer Klassiker: Joan Sales entdeckt die Schönheit im Bürgerkrieg 7 U U + DEFINITIV Wir Sterblichen: Atul Gawande weiß, was am Lebensende wirklich zählt 8 U 4 Biografie U Erst Luxushotel, dann Gift Moralische Geschichten: Unbekanntes von Erich Kästner W er das Aroma der Zwanzigerjahre nachschmecken will, der kommt an Erich Kästner nicht vorbei, an seinem ersten Gedichtband mit dem genialen Titel „Herz auf Taille“ (1927), der das Lebensgefühl in der taumelnden Weimarer Republik auf den Punkt brachte, an seinem Kinderbuch „Emil und die Detektive“ (1929) und an seinem Roman „Fabian“ (1931), der sehr zu Recht zunächst den Titel „Der Gang vor die Hunde“ tragen sollte und sich wie eine Chronik des Untergangs der Republik liest. Kästner hat seine wichtigen Bücher in einem erstaunlich kurzen Zeitraum verfasst. Von seiner ungemeinen Produktivität in jener Zeit zeugen auch seine kurzen Geschichten und Feuilletons, die er regelmäßig in Zeitungen veröffentlichte und die jetzt in einer Auswahl vorliegen. Kästner, der Gebrauchslyriker, zeigt sich hier quasi als Gebrauchsprosaschreiber, der auf knappem Raum seine Lieblingsthemen variiert. Beinahe wäre er ja Volksschullehrer geworden, und tatsächlich schlägt er gerne einen leicht belehrenden Unterton an, erzählt letztlich moralische Geschichten. Manchmal meint man, für Momente einen leicht erhobenen Zeigefinger zu sehen, was vor allem für die frühen Geschichten gilt. Da gibt es in „Ein Menschenleben“ den Proletarier, der brav und stur in der Fabrik schuftet, immer mehr vom Leben sich entfernt und schließlich doch entlassen wird. Aber etwas an Sehnsucht ist noch in ihm drin. Er holt seine alte Geige hervor und kratzt mehr schlecht als recht vor sich hin, geht in die Aufgänge der Mietskasernen und spielt für eine Suppe oder ein paar Groschen. Da seine Frau schon vor langer Zeit gestorben ist, lebt er bei seiner Tochter, die immer wieder vorwurfsvoll Geld für Essen und den Mietzins fordert. Schließlich erhängt er sich. Diese sozialkritische Geschichte ist mit sehr dickem schwarzen Strich gezeichnet und setzt stark auf melodramatische Effekte wie auch die tragische Variante des späteren Komödienstoffs „Drei Männer im Schnee“: Ein einfacher Arbeiter gewinnt bei einem Preisausschreiben einen Aufenthalt in einem Luxusskihotel in den Alpen. Die reichen Gäste und das hochnäsige Personal machen ihm die Tage zur Hölle. Er reist früher ab und vergiftet sich zu Hause mit seiner Frau. In den späteren Geschichten arbeitet Kästner nicht mehr so deutlich mit dem pädagogischen Zeigestock. In „Ein Musterknabe“ erzählt er verschlüsselt von sich selbst. Der namenlose Musterknabe will alles tun, um seine hart für ihn schuftende Mutter glücklich zu machen. Er ist der beste Schüler, an der Uni wählt er im fünften Semester sein Dissertationsthema, die Professoren sagen ihm eine glänzende Zukunft voraus und schließlich findet er auch noch ein liebes, stilles Mädchen. Er steht kurz davor, alles Erstrebte zu erreichen – und kann plötzlich nicht mehr und geht still und klaglos aus der Welt hinaus. Diese kleine, ergreifende Geschichte wirkt in ihrer Kargheit geradezu klassisch. In ihr spiegelt sich die traumatische Lebensgeschichte Kästners, der seinem „Muttchen“ auch ein braver, erfolgreicher Sohn sein wollte und der offensichtlich wusste, wie gefährdet sein eigenes Leben war. Hat man diese Geschichte gelesen, erkennt man plötzlich, dass die Angst, zu versagen und Anforderungen anderer nicht gerecht werden zu können, sich durch fast alle Geschichten zieht. Als wollte er sein eigenes Trauma bannen, erzählt Kästner von Kindern, die ihre Mutter verloren haben und in Traurigkeit versinken, von allein lebenden Männern, die nichts anderes kennen als ihre Arbeit und es nicht mehr schaffen, ein paar Tage Urlaub zu verbringen. Oder er zeigt einen Mann wie in der Titelgeschichte „Der Herr aus Glas“, der einmal eine Frau liebt, die ihn aber der Lächerlichkeit preisgibt. Auch er verschwindet einfach, oder besser gesagt: löst sich auf: „… aber niemand weiß Genaueres davon, vielleicht starb er auch nur an einer Erkältung durch Zugluft, denn er neigte stark zu Erkältungen“. Kästners Figuren sind oft erstaunlich schräg in die Welt gestellt, und wenn er auch mit leichtem Ton erzählt und seine Geschichten zunehmend ironisch abfedert, haben sie doch fast alle ein dunkle Grundierung von Trauer und Melancholie. Naturgemäß schwankt die Qualität dieser Gelegenheitsarbeiten. Aber es sind nicht wenige darunter, die einen besonderen Ton und eine eigenwillige Sichtweise haben und jede auf ihre Art vom Leben in den Zwanzigerjahren berichClaus-Ulrich Bielefeld ten. Erich Kästner: Der Herr aus Glas. Hrsg. und mit einem Nachwort von Sven Hanuschek. Atrium, Zürich. 304 S., 22,99 €. U SAMSTAG, 21. NOVEMBER 2015 LITERARISCHE WELT D Dass ein Verlag für einen einzelnen Autor gegründet wird, ist sicher eine Seltenheit; dass es diesen Verlag nach 80 Jahren noch gibt, ist unwahrscheinlich, geradezu fantastisch. Die deutsche Geschichte im zwanzigsten Jahrhundert hat es nötig gemacht, und eine große Darstellung dieser Geschichte fehlt bis heute – deshalb muss es zum Jubiläum des Atrium Verlags fürs Erste eine kleine tun: Am 1. März 1935 ist er von Kurt Maschler gegründet worden, für seinen Autor Erich Kästner, eine Verlagsgeschichte, die über weite Strecken als Geschichte einer Freundschaft erzählt werden kann. Ein Atrium war das Zentrum eines römischen Hauses, das von den Zimmern her zugänglich war, ein Raum für alle mit Licht von oben; der Verlag heißt aber nach dem Berliner Filmpalast, in dem etwa der Brecht-Dudow-Film „Kuhle Wampe“ (1932) uraufgeführt worden ist. Der Beba-Palast Atrium in Wilmersdorf war dem Kolosseum in Rom nachempfunden, hatte immerhin 2000 Plätze und wurde im Krieg zerstört. Der Verlag dagegen blüht und gedeiht bis heute; das Bild des Atriums, Kino oder römischer Innenhof, gibt jedenfalls ein gutes Bild für die Gründungsjahre ab, für die Durchlässigkeit, die Wechsel zwischen innen und außen, die ein kecker Verleger mit seinem Buchprogramm hinlegte, zwischen Berlin, Wien, Basel, Amsterdam, Zürich und London. Kurt Maschler wurde 1898 in Berlin geboren, ein gutes Jahr älter als Kästner, er hatte aber die österreichische Staatsbürgerschaft – sein Vater war Österreicher, seine Mutter Berlinerin. Nach einer Buchhändlerlehre und dem schnellen Aufstieg zum Leiter einer Filiale in Frankfurt erwarb er in den 20er-Jahren kleinere Verlage, darunter den Axel Juncker Verlag. Der war spezialisiert auf skandinavische Literatur und hatte ein paar prominente deutsche Autorinnen und Autoren, Else Lasker-Schüler, Max Brod, Franz Werfel; hier waren Rilkes „Cornet“ (1906) und Tucholskys „Rheinsberg“ (1912) erschienen. Zum Zeitpunkt der Übernahme hatten die meisten prominenten Autoren den Verlag zugunsten größerer Verlagshäuser verlassen, aber Maschler blieb seitdem auf der belletristischen Spur. Überdies war er mit Edith Jacobsohn befreundet, der Witwe des jung verstorbenen „Weltbühne“-Herausgebers Siegfried Jacobsohn. Sie führte mit Williams & Co. einen der besten Kinderbuchverlage der Zeit – hier erschienen A. A. Milnes „Winnie-the-Pooh“, Hugh Loftings „Dr. Doolittle“-Reihe, auch Bücher von Karel Čapek. Jacobsohn hatte 1928 Erich Kästner zu seinem ersten Kinder- und Jugendbuch „Emil und die Detektive“ überredet, weil sie in Kenntnis einiger seiner (heute vergessenen) Kinderkolumnen der Auffassung war, dass ihm das Genre doch liegen müsse. In der Nacht des Reichstagsbrandes floh Edith Jacobsohn in die Schweiz. Ihr Vertriebsleiter soll Kurt Maschler nach seiner Erinnerung gebeten haben, den Verlag zu übernehmen, und er hat es als „Pflicht“ empfunden, „Kästners Werk zu schützen“. Er flog am 17. August 1933 in die Schweiz, einen Tag nach der Geburt seines Sohnes Tom, und kaufte den Williams-Verlag, „mit all seinen Schulden, seinen Verbindungen und seinem guten Namen. So kam Maschler zu Kästner und Kästner zu Maschler.“ Kästner war ein „verbrannter“ Autor, wohl der einzige, der am 10. Mai 1933 in Berlin in der Menschenmenge gestanden und zugesehen hatte, wie zu den NS-„Feuersprüchen“ seine Gedichte und sein Roman „Fabian“ ins Feuer geworfen wurden („Gegen Dekadenz und moralischen Verfall“). Auf den Listen unerwünschter Bücher fand sich für seinen Namen die lapidare Anweisung zur „Aussonderung“: „Alles außer Emil.“ Dennoch wollte Kästner im Land bleiben, er wollte Zeuge sein, mitschreiben, und er hat die Haltbarkeit der Diktatur unterschätzt; wie viele seiner Zeitgenossen war er der Ansicht, dass der Spuk nach einem oder zwei Jahren vorbei sein werde. Wie schützt man unter solchen Umständen das Werk eines Autors? Tatsächlich hat Maschler mit Mut und Geschick „unpolitische“ Bücher des Verbotenen weiter herstellen lassen und über Mittelsmänner verkauft, „a brave and even foolhardy act“, wie sein Sohn Tom in seiner Autobiografie schreibt. Immerhin bis 1935 konnten Kinderbücher und der Unterhaltungsroman „Drei Männer im Schnee“ (im Zürcher Rascher Verlag, 1934) im Ausland gedruckt und in Deutschland verkauft werden; dann allerdings wurden die restlichen Gedichtbände und auch der „Emil“ bei Williams & Co. von der Gestapo bis auf ein Archivexemplar beschlagnahmt, schließlich auch das Auslieferungslager in Leipzig. Maschler gründete schließlich den Atrium Verlag in Basel, der Sitz wurde später nach Zürich verlegt; Teile der Rechte von Williams & Co. wurden auf Atrium übertragen (ein Teil der Rechte blieb bei der Geschäftsführerin Cecilie Dressler) – neben Kästner vor allem sein Illustrator Walter Trier, einige Bücher von Adrienne Thomas, Kurt Tucholsky und Henry de Montherlant. Noch blieb Berlin nomineller Verlagssitz, weil die Schweizer Behörden Maschler nicht wollten – es sei „sowieso schon zu viel Hochdeutsch“ auf der Bahnhofstraße zu hören, erinnerte er sich. Die Herstellung und Auslieferung der Bücher erfolgte in Mährisch Ostrau, in Kittls Verlag, offenbar toleriert von den NS-Behörden, für die Kästner als Devisenbringer gut genug war. Kittls Verlag gehörte zum „Prager Tagblatt“, einer pragerdeutschen Zeitung, in der Kästner als junger Autor hin und wieder eine Erzählung veröffentlicht hatte. Das erste Buch im Atrium Verlag war „Emil und die drei Zwillinge“, pünktlich zum Weihnachtsgeschäft Anfang Dezember 1935 erschienen; dicht gefolgt von einem Nachdruck von „Das fliegende Klassenzimmer“. Der von Käst- „Tapfer, sogar tollkühn“ ner sogenannte „Emil II“ wurde nach Deutschland ausgeliefert, Mitte Januar 1936 waren 7000 Exemplare verkauft, und zu Kästners Überraschung lief auch die UFA-Verfilmung des ersten „Emil“ (1931) wieder, wie er an seine Mutter schrieb: „Überall auf den Plakatsäulen groß angekündigt. Sogar mit meinem Namen. Ich bleib vor jeder Säule stehen u. lese es staunend.“ Der Film lief weiterhin in den Vorkriegsjahren, unauffälliger beworben und ohne Namensnennung. Zwischen all diesen zeitgeschichtlichen Fährnissen muss die enge Beziehung zwischen Maschler und Kästner entstanden sein; und sie haben ja auch noch über Manuskripte diskutiert („Die verschwundene Miniatur“ von 1936 soll der Verleger gedruckt haben, ohne dass ihm der + Roman gefiel). Geschäftsbeziehungen müssen zwischen den beiden bestanden haben, seit Maschler Williams & Co. übernommen hatte, er erscheint in Kästners Briefen seit 1933. Nach einem Interview, das der 87-jährige Maschler dem „Börsenblatt“ gegeben hat, lernte er jetzt erst seinen Autor kennen. Tom Maschler, späterhin selbst als Chef von Jonathan Cape in London ein bedeutender Verleger, erinnert sich daran, als Kind den berühmten Autor einige Male gesehen zu haben, „but I cannot say that I liked him“. Die Rolle, die Kästner im Leben seines Vaters spielte, war ihm suspekt, er soll seinen Erfolgsautor angehimmelt haben. Und Kästner habe bei Besuchen immer Champagner auf Kosten seines Verlegers getrunken, der sich privatim, „being a puritanical man“, nicht einmal eine Flasche mäßigen Wein gekauft hätte. 1937 wurde Kurt Maschler aus der Reichsschrifttumskammer ausgestoßen, die Luft wurde dünner. Erstaunlich daran ist allein, dass er überhaupt (im Unterschied zu Kästner) drin gewesen war, als jüdischer Besitzer eines „reichsdeutschen“ Verlags: Alle Mitglieder des Börsenvereins der deutschen Buchhändler waren automatisch aufgenommen worden, und womöglich seiner österreichischen Staatsbürgerschaft wegen war Maschler zunächst unbehelligt geblieben. Ein Ausschluss bedeutete Berufsverbot, er durfte sein Berliner Büro nicht mehr betreten und ging nach Wien, „mit dem Gedanken, ein Jahr dortzubleiben – erstens wegen meines ös- SAMSTAG, 21. NOVEMBER 2015 Biografie U U 5 LITERARISCHE WELT ULLSTEIN BILD ATRIUM VERLAG nen, der die Bücher drucken lässt und vertreibt. stein für seinen Welterfolg legte – jedenfalls haDas ist … eine Fehlkonstruktion. Hauptverleger ben die Lizenzgeschäfte, auf die Maschler sich und Unterverleger im originalen Sprachgebiet, notgedrungen beschränken musste, einen webeide prozentual beteiligt, und der Autor ist das sentlichen Anteil daran. Karnickel, – das ist nicht in Ordnung, finde ich.“ Ein Kino wie das Kolosseum: Die Honorare wollte Maschler seinem Autor Als Maschler beleidigt reagiert, schreibt Kästner, Der Beba-Palast Atrium in Wilmersdorf natürlich weitergeben, so gut es ging. In den dass er dessen „ungewöhn(im Krieg zerstört, hier ein Foto von 1939) Kriegsjahren ging es nicht lichen Leistungen und Regab Kurt Maschlers Verlag den Namen gut – die Kommunikation sultate“ ja doch „verflixt zwischen kriegführenden noch einmal, nie verkannt, Nationen ist bekanntlich sondern immer anerkannt eingeschränkt. und zum Teil bewundert Maschler war in London habe.“ Es gehe allein um auch für Faber & Faber tädie Prozente – eine auch tig, er gründete die sehr erberufsständische Frage. folgreiche Kunstbuchreihe Der Autor von Welterfol„Fama“ (Faber und Maschgen saß mittlerweile am ler), deren Gesamtauflage längeren Hebel. nach dem Krieg die Million überstieg. Und er führte eiDie beiden haben sich gene rege Korrespondenz mit einigt, Kästner blieb bei Erich Kästner, der umfangAtrium bis zu seinem Tod reichste Briefwechsel, der 1974; allein „Die Konferenz sich in dessen Nachlass der Tiere“ (1949) war in findet. Nach Kriegsende Emil Oprechts Europa Verwar der offizielle Sitz des lag in Zürich erschienen. Atrium Verlags in London; Der Verleger hing auch nach eins der ersten Bücher, neKästners Tod an seinem Auben Kästner, war der zweitor; er hat einen Emil Kurt Leo Maschler wurde 1898 in te Gedichtband von Erich Award gestiftet, einen JuBerlin geboren. Über Wien und AmsFried, „Österreich“ (1946). gendbuchpreis, der mit terdam emigrierte er nach London, In den Folgejahren baute 1000 Pfund dotiert ist. 1986 wo er den 1935 gegründeten Atrium Maschler das Profil des ist er in London gestorben, Verlag bis 1976 leitete. 1986 starb er Verlags im Segment der nach Deutschland war er klassischen Kinder- und Junie zurückgekehrt. Seine gendliteratur aus, neben „Dr. Doolittle“ und „Pu Mutter war im KZ ermordet worden, und er hätte der Bär“ erschienen auch Ausgaben von „Pi„nie sicher sein“ können, „ob nicht mein Nachbar nocchios Abenteuer“, „Tom Sawyer“ und „Huckzur Linken oder zur Rechten vielleicht mitschuld leberry Finn“. An jüngeren Autoren verlegte er war am Tod meiner Familie.“ Seine Originale der den noch unbekannten Janosch und Reiner ZimTrier-Illustrationen hat er dennoch der Internationik; und er konnte die Weltrechte von Stefan nalen Jugendbibliothek in der Münchner BlutenZweig erwerben, den er allerdings in anderen burg geschenkt; der Wunsch, man solle sie doch Verlagen drucken ließ. angesichts der deutschen Geschichte in „BlütenKästner und Maschler trafen sich 1946 in Züburg“ umtaufen, ist ihm nicht erfüllt worden. 1976 hatte er den Atrium Verlag an die Familie rich wieder. Der Verleger verkaufte Lizenzen der Weitendorf verkauft, die Inhaber der Oetinger Erwachsenenbücher an Kiepenheuer & Witsch Verlagsgruppe, damit wurde der Verlag zu einem und Droemer, der Kinderbücher an Ueberreuter Unternehmen zur Vergabe von Kästner-Rechten und an den Cecilie Dressler Verlag, wie der im ohne große Aktivitäten. Erst 2006 gab es einen Land gebliebene Teil von Williams & Co. nun Neustart; Sabine Lammers zeichnete für ein allhieß. Die rege Korrespondenz zeigt, wie sehr gemeines belletristisches Programm verantwortKästner, der ja schon in der Weimarer Zeit von lich. Mit ihr und ihrem Nachfolger Nikolaus seiner „kleinen Versfabrik“ gesprochen hatte, Hansen suchte der Verlag nach einem neuen nun eine ganze Industrie versorgte – die Briefe Profil, von 2008 bis 2013 in enger Kooperation sind Listen mit Einzelvereinbarungen, über Ummit dem Arche Literatur Verlag, der für ein avansätze, Illustrationen, Stückzahlen im In- und ciertes Programm auf dem Feld der ErwachseAusland, Plattenaufnahmen, Verfilmungen etc. nenliteratur stand. Auf dem PEN-Kongress in London 1957 debatIn diesen Jahren wurde neben einigen Kästtierten die beiden über die „Gesammelten Schrifner-Einzelausgaben vor allem (mit mehr oder ten“, die 1959 zu Kästners Sechzigstem erschieweniger Erfolg) nach kompatiblen Programmbenen. Ihr Verhältnis war immerhin so eng, dass reichen gesucht: es erschienen Bücher von und Kästners Lebensgefährtin Luiselotte Enderle in über Groucho Marx, Georg Kreisler und Freddy den frühen 60er-Jahren versuchte, Maschler als Quinn; eine Werkausgabe der Bücher von HerSchlichter für ihre Beziehungskonflikte zu gewinmann Kesten, seit der Weimarer Republik mit nen; Kästner hatte mit Friedhilde Siebert einen Kästner befreundet, scheiterte nach drei Bänden Sohn und hat jahrelang vergeblich versucht, Enam mangelnden Interesse der potenziellen Käuderle zu verlassen, eine überaus komplizierte und fer. Cornelia Funkes „Herr der Diebe“ konnte für alle Beteiligten schmerzhafte Konstellation. eher an Kästners Erfolge anknüpfen, vor allem Bei aller Nähe gab es auch Krisen, trotz aller aber Ken Bruens „Jack Taylor“-Krimis, deutsch Korrespondenzen und Treffen; 1967 entlud sich ein länger aufgelaufener Konflikt in einem von Harry Rowohlt – eine Reihe um einen sauSchimpfbrief Kästners: Seit Jahren wollte er fenden, prügelnden und bibliophilen Polizisten fünfzehn Prozent für die Verkäufe in deutscher –, und „Logicomix“ (2010) über das Leben von Sprache, nicht mehr die zehn beziehungsweise Bertrand Russell, wohl die erfolgreichste Grazwölf Prozent der alten Verträge, „eine für einen phic Novel seit Art Spiegelmans „Maus“-Reihe. Autor meines Ansehens und Erfolgs, noch dazu Seit 2013 ist Tim Jung Verlagsleiter, zuvor eines permanenten Erfolgs, keineswegs unbelangjähriger Programmleiter von Atrium und Arscheidene Beteiligung“. Maschler scheint sich che. Ein Schwerpunkt sind internationale Krimigegenüber dieser Forderung stets harthörig verautoren wie Mark Billingham, Anna Grue oder halten zu haben: „Warum wollen Sie denn meidem ehemaligen IRA-Aktivisten Sam Millar und nen Unmut und meinen wachsenden Verdruß dieses Jahr Jenny Rogneby. Die Graphic Novels nicht verstehen?“ zeigen mit politischen Themen den Anspruch, ein emphatisch gegenwartsorientierter Verlag zu Kästners deutschsprachige Ausgaben wurden hergestellt wie fremdsprachige, er hatte zwei sein – „Waltz with Bashir“ etwa ist ein Comic Verleger, „einen, der die Rechte vergibt, und eiüber den Libanonkrieg von den israelischen Autoren Ari Folman und David Polonsky; auch Art Spiegelmans „Im Schatten keiner Türme“ zum zehnjährigen Gedenken an 9/11 ist bei Atrium erschienen. In der Gegenwartsliteratur wird vor allem nach Autoren gesucht, die sich humoristisch zur Welt verhalten – soll heißen, nicht nach Unterhaltungsliteratur, sondern nach skeptisch-komischen Autoren in der Kästner-Tradition. Denn der wird – im Sinne seines Gründers Kurt Maschler – wieder ganz in den Mittelpunkt des Verlags gerückt: Atrium heißt nun sogar im Untertitel „Der Erich Kästner Verlag“. Seine Erwachsenenbücher erscheinen mit neuen Umschlagzeichnungen von Hans Traxler, neben vielen thematisch sortierten Kästner-Lesebüchern von Sylvia List gibt es eine Neuausgabe der Aphorismen, illustriert von Christoph Niemann („Es gibt nichts Gutes“, 2015), oder auch einen Kästner-Kalender. Aber es gibt auch Neues zu entdecken, etwa „Der U Gang vor die Hunde“, die Urfassung von „Fabian“. Verleger Tim Jung schätzt Kästner als Stilisten, seine Sprache sei „ebenso frisch und zeitgemäß wie viele seiner Themen“. Anders als manch anderer Klassiker, werde Kästner nicht nur geschätzt, sondern geliebt: „Wer als Kind ein Buch von Kästner gelesen hat, hat eine Glückserfahrung meine Wohnung, mein Büro, meine Autogragemacht, die ein Leben lang hält.“ phensammlung und mein Lager zu beschlagnahmen, war ich schon weg.“ Die Jonglierkünste, Womöglich stehen wir vor einer Kästner-Remit denen es Maschler immer wieder gelungen naissance; eine Neuverfilmung des „Emil“ in war, Kästner-Bücher nach Deutschland zu verGroßbritannien ist in Vorbereitung, es gibt Filmkaufen, waren am Ende. verhandlungen über „Drei Männer im Schnee“, Er war allerdings kaltblütig genug, erst nach „Das doppelte Lottchen“ und „Fabian“ bezieBerlin zu fliehen! Dort löste er sein Devisenkonhungsweise „Der Gang vor die Hunde“, von dem to auf, kaufte sich eine Flugkarte und flog nach Übersetzungen in Frankreich und den NiederAmsterdam; er konnte seine Frau und seinen landen erscheinen werden. Kästners erstes Sohn nachholen, im Frühjahr 1939 ging die FamiTheaterstück „Klaus im Schrank“ ist 2013 in „Dekadenz und moralischer Verfall“: Bei der Bücherverbrennung der Dresden uraufgeführt worden, es gibt eine Kästlie nach England. Nachdem Atrium keine Bücher Nationalsozialisten am 10. Mai 1933 war Erich Kästner inkognito Zeuge, wie seine ner-Ausstellung im Münchner Literaturhaus, mehr herstellen konnte, versuchte er wenigseigenen Werke, darunter der Roman „Fabian“, dem Feuer übergeben wurden weltweit sind gerade 65 Übersetzungen untertens, Lizenzen zu verkaufen; bei Kriegsende 1945 wegs – man kann dem Verlag nur wünschen, gab es Kästner in 35 Sprachen. Zugespitzt könnte dass sich dieser gute Lauf fortsetzt! man sagen, dass das Verbot Kästners den Grund- terreichischen Passes, zweitens weil ich dort ein Büro besaß, drittens um zu atmen und über die Zukunft nachzudenken“. Im März 1938 marschierten die deutschen Truppen ein. Kästners komödiantisches Buch über den „kleinen Grenzverkehr“ zwischen Deutschland und Österreich, 1938 als „Georg und die Zwischenfälle“ erschienen, war in seinen politischen Voraussetzungen schon bei Erscheinen überholt. Mit dem „Anschluss“ Österreichs wurde Maschler zwangsweise „Reichsdeutscher“ und verlor den Schutz seines ausländischen Passes. Ein sudetendeutscher Angestellter bei Kittl „verriet den Nazis, daß ich die Unverschämtheit besaß, einen Emigrantenverlag für verbotene Literatur zu betreiben. Aber als sie kamen, um PA / DPA 1933 wurden Erich Kästners Bücher von den Nazis verbrannt. Dass er dennoch in Deutschland weiter gelesen werden konnte, verdankt sich dem Mut und dem Einfallsreichtum des jüdischen Verlegers Kurt Maschler. Im Dezember 1935 erschien das erste Buch des Atrium Verlags, der sich bis heute um Kästners Werk bemüht Sven Hanuschek +
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