„Rechtzeitig vorsorgen: Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, Betreuungsverfügung“ Impulsreferat Weiter aufsichtführender Richter Axel Bauer Amtsgericht Frankfurt/Main Gliederung/Übersicht • Überblick über zulässige Vorsorgeverfügungen • Abgrenzung zu Organspendeerklärung und Testament • Vorsorgevollmacht • Vorrang vor gerichtlicher Betreuung • Betreuungsverfügung • Patientenverfügung Vorsorgeverfügungen als Mittel der vorsorgenden Selbstbestimmung zu Lebzeiten • Vorsorgevollmacht • Betreuungsverfügung • Patientenverfügung • Organspendeerklärung Organspendeerklärung als Erklärung für den Fall des Hirntodes Abgrenzung zu Testament als Verfügung für den Todesfall (Herztod) Patientenverfügung ist eine der möglichen Vorsorgeverfügungen • Vorsorgeverfügungen: Vorsorgevollmacht Betreuungsverfügung Patientenverfügung Kombination der Verfügungen wichtig: Bevollmächtigter setzt die Patientenverfügung durch!!! Organspendeerklärung nicht vergessen und in Verbindung mit der Patientenverfügung sehen! Vorsorgevollmacht - Begriff „Vorsorge“-Vollmacht: - Keine „Direktvollmacht“ mit sofortiger Wirksamkeit - Vollmacht mit Wirksamkeit erst, wenn Geschäfts- und Handlungsunfähigkeit des Vollmachtgebers eingetreten ist - Vorsorgefall ist in Vollmacht oder im Grundvertrag zur Vollmacht ausdrücklich definiert Ausgangslage: Subsidiarität der gerichtlichen Betreuung § 1896 Absatz 2 Satz 2 erklärt eine gesetzliche Betreuung für nicht erforderlich, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen „durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer geregelt werden können.“ Fazit: Subsidiarität der Betreuung; Vorrang der Vollmacht vor der gerichtlichen Betreuung! Folge bei Schlechtregelung durch Bevollmächtigten oder Zweifeln an der Wirksamkeit der Vollmacht: Bestellung eines Betreuers nach § 1896 BGB durch Betreuungsgericht! Vorsorgevollmacht • Privatrechtliche Willenserklärung unter privaten Bürgern ohne staatliche Beteiligung und ohne gerichtliche Kontrolle • Voraussetzung: Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers; absolutes Vertrauen zwischen Vollmachtgeber und –nehmer • Notarielle Beurkundung bei Immobilienbesitz unverzichtbar • Beglaubigung der Unterschrift zur Akzeptanzerhöhung • Vorrang vor einer gerichtlichen Betreuung, § 1896 II BGB Form/Inhalt der Vorsorgevollmacht • Schriftform zu Beweis- und Nachweiszwecken dringend zu empfehlen! • Zulässiger Inhalt/Umfang einer Vollmacht: - - Organisation ambulanter Dienste Aufenthaltsbestimmung zur Heimunterbringung Wohnungsauflösung Anhalten und Öffnen der Post Vermögenssorge, Verwaltung eines Mietshauses Freiheitsentziehende Maßnahmen Risikoreiche, intensivmedizinische Behandlungen bis hin zur passiven Sterbehilfe Zulässigkeit der Vollmacht § 1904 Abs. 5 und § 1906 Abs. 5 BGB über den Genehmigungsvorbehalt des Gerichts bei Betreuerentscheidungen über ärztliche und freiheitsentziehende Maßnahmen sehen die Zulässigkeit einer Vollmacht für Entscheidungen über Freiheitsentzug und risikoreiche ärztliche Maßnahmen vor, wenn diese Angelegenheiten ausdrücklich im schriftlichen Text der Vollmacht erwähnt werden! (Warnfunktion der Schriftlichkeit und Ausdrücklichkeit) Chancen der Vorsorgevollmacht Ausdruck der Würde und der allgemeinen Handlungs- und Gestaltungsfreiheit des freien Bürgers Wirksamkeit über den Eintritt der Geschäftsunfähigkeit hinaus Privatschriftliche Abfassung und Erteilung unter freien Bürgern Weitgehende Formfreiheit Registrierung im BNotarregister mit bundesweitem online-Zugriff durch die Gerichte Kostenlose Hinterlegung bei den Hessischen Betreuungsgerichten möglich, wenn die Vollmacht im Verbund mit einer sog. Betreuungsverfügung abgefasst wird. Chancen der Vorsorgevollmacht Durchsetzung einer Patientenverfügung gegenüber den behandelnden Ärzten durch den Bevollmächtigten Beauftragung mehrerer Bevollmächtigter möglich, die sich kontrollieren Unterbevollmächtigung zulässig Vertretung durch einen Bevollmächtigten auch in zivilprozessualen Verfahren möglich, § 51 III ZPO; Aussicht auf Regelung eigener Angelegenheiten im privaten Bereich ohne „behördliche Einmischung“ Private (freie) Kostenregelung möglich bezüglich Vergütung bzw. Aufwendungsersatz Grenzen der Vorsorgevollmacht Vollmacht sollte nur einer absoluten Vertrauensperson erteilt werden; wer keine Vertrauensperson hat, sollte eine Vollmacht nicht erteilen! Außer Angehörigen, nahestehenden Personen und Rechtsanwälten darf nach RDG keine Vollmacht erteilt werden (Folge bei Verstoß: Unwirksamkeit und Strafbarkeit nach OwiG) Erhebliche Vermögensgefährdungen durch den Vollmachtgeber selbst lassen sich nur über einen betreuungsrechtlichen Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 BGB vermeiden! (Voraussetzung: Gerichtliche Betreuerbestellung) Grenzen der Vorsorgevollmacht Banken akzeptieren Vollmachten nur auf bankeigenen Vollmachtsformularen Eidesstattliche Versicherungen bzw. die Abgabe einer Steuererklärung bedürfen kraft Gesetzes der gesetzlichen Vertretung durch Betreuer Notarielle Beurkundung bzw. mindestens notarielle Unterschriftsbeglaubigung erforderlich zur Regelung von Grundstücksangelegenheiten Vollmachtnehmer wird selbst krank und kann die Vollmacht nicht mehr ausüben Vollmachtnehmer weigert sich, die Vollmacht weiter auszuüben; mehrere Bevollmächtigte streiten und legen die Vollmachtsausübung lahm Beglaubigung von Vollmachten Betreuungsbehörden dürfen Unterschriften unter Vorsorgevollmachten beglaubigen Hessen: Ortsgerichte beglaubigen ebenfalls gegen geringe Gebühr Notare beglaubigen ebenfalls Beratung zu Vollmachten Anerkannte Betreuungsvereine dürfen Einzelfallberatung zur Erstellung von Vollmachten durchführen (keine Pflicht zur Einzelfallberatung!) Sonst Recht zur Beratung nach RDG nur durch Rechtsanwälte! Betreuungsverfügung • Adressat: Betreuungsgericht und Betreuer • Schriftform • Inhalt: - Das Gericht grundsätzlich bindende Bestimmung zur gerichtlichen Auswahl der Person des Betreuers - Den gerichtlich bestellten Betreuer bindende Bestimmungen zur Durchführung der Betreuung, z.B. stationäre Pflege nur in bestimmten Pflegeheim oder bindender Verweis auf umzusetzende Patientenverfügung • Kostenlose Hinterlegung bei Betreuungsgerichten Patientenverfügung: Seit 01.09.2009 im BGB geregelt • Individuelle, schriftliche Willensäußerung eines entscheidungsfähigen Menschen zu zukünftigen medizinisch-pflegerischen Maßnahmen für den Fall der eigenen Einwilligungsunfähigkeit, § 1901a Abs. 1 BGB • Sie richtet sich vorrangig an die behandelnden Ärzte, Therapeuten und an das Pflegepersonal. • Sie legt den Inhalt und den Umfang, also auch die Grenzen der vom Patienten gewünschten Behandlung fest, auch: welche Behandlung unterlassen werden soll. • Macht eine gerichtliche Betreuerbestellung für die Gesundheitssorge überflüssig Selbstbestimmungsrecht des Patienten als Grundlage • Art. 1 und 2 GG als rechtliche Grundlage von Patientenverfügungen (so auch BGH) • Adäquate Schmerzbehandlung ist Menschenrecht • Chancen und Risiken von Patientenverfügungen als Instrument der Selbstbestimmung (oder Selbstgefährdung) Verbindlichkeit der Patientenverfügung • Verbindlichkeit gesetzlich bestimmt, wenn die PatVfg den medizinischen Sachverhalt trifft! • Soweit keine valide Patientenverfügung vorliegt: Pflicht zur Beachtung von Behandlungswünschen! (vgl zuletzt BGHE 17.9.2014, FamRZ 2014, 1909, zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen) Patientenverfügung: gesetzliche Regelung im BGB • Keine Reichweitenbegrenzung, § 1901a Abs. 3 BGB („… gelten unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung…“) • Keine Pflicht zur Beratung • Keine Pflicht zur kontinuierlichen Bestätigung der einmal verfassten Verfügung • Formloser Widerruf jederzeit möglich • Aber: Einwilligungsfähigkeit im Zeitpunkt des Verfassens der Patientenverfügung, § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB Grenzen des Patientenwillens • Aufforderung zu aktiver Sterbehilfe darf nicht beachtet werden! Schutz des Lebens geht dann vor dem Recht auf Selbstbestimmung!!! Erforderlichkeit einer gerichtlichen Genehmigung der Betreuerentscheidung • Genehmigung des Gerichts nur erforderlich bei Dissens zwischen Betreuer / Bevollmächtigten und Arzt bei der Feststellung des Patientenwillens, § 1904 Abs. 4 BGB • Bei Konsens zwischen Arzt und Betreuer über den Willen des Patienten (egal ob festgelegt in einer Patientenverfügung oder festgestellt anhand des mutmaßlichen Willens!), hat es mit der Entscheidung allein des Betreuers / Bevollmächtigten sein Bewenden. Zusammenfassung PatVfg und Betreuung • Bei valider und schriftlicher PatVfg iSd § 1901a Absatz 1 BGB: - Keine Betreuerbestellung und folglich keine gerichtliche Genehmigung • Keine PatVfg: Behandlungswünsche und mutmaßlicher Wille des Patienten sind vom Betreuer festzustellen und danach ist zu entscheiden, § 1901a Absatz 2 BGB Gültigkeit auch für Bevollmächtigte Die Regelungen • zur Patientenverfügung, dh - bezüglich des Gespräches zur Feststellung des Patientenwillens, und - zur Genehmigung des Betreuungsgerichts bei Dissens gelten analog auch für Bevollmächtigte: §§ 1901a Abs. 5, 1901b Abs. 3, 1904 Abs. 5 BGB Voraussetzung einer Entscheidung des Bevollmächtigten • Einwilligung oder Nichteinwilligung bzw. Widerruf einer Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme durch Bevollmächtigten nur zulässig, wenn die Vollmacht diese Entscheidungen ausdrücklich umfasst und schriftlich erteilt ist! (§ 1904 Absatz 5 BGB) Patientenverfügung in der Notfallmedizin • Selbstverständlich sind auch in der Notfallmedizin der Patientenwille und die Patientenautonomie ernst zu nehmen • Meistens Fragen der Reanimation, welche häufig in Patientenverfügungen thematisiert werden – auch Notfallpässe beachten!! • Besonders schwierige Situation da Konkurrenz zwischen Lebensrettungspflicht und Beachtung des Patientenwillens - dazu kommt: großer Druck von Angehörigen • Wenn (mutmaßlicher) Wille nicht ermittelbar: Entscheidung für Lebenserhaltung!! Ende des Impulsreferates Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!!!
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