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Basel.Land.
Merkwürdigkeiten
Die gute alte
Bahnhofglocke
Der Meister des Hinauszögerns
«Waldgrotte»-Eigentümer Peter Staub soll Haus seit drei Jahren neu streichen
Von René Salathé
Von Christian Horisberger
Liestal. Es gibt Kirchen-, Haustür-,
Buus. Es scheint, als bereite es dem
Mann ein diebisches Vergnügen, einem
ganzen Dorf die lange Nase zu machen.
Peter Staub hatte die «Waldgrotte» ohne
Einverständnis der kantonalen Denkmalpflege und der Gemeinde Buus in
leuchtend bunten Farben streichen lassen. Das war ein klarer Verstoss gegen
die Bauauflage beim Umbau der Liegenschaft. Das Baselbieter Bauinspektorat
verfügte daraufhin, dass das Ausflugslokal an exponierter Lage umzustreichen sei. Das ist nun drei Jahre her.
Noch immer leuchtet die Waldgrotte in
Orange und Grün.
Die heutige Farbgebung sei aus
Sicht der Denkmalpflege nicht akzeptabel, da sie sich nicht ins Landschaftsbild
einfügt, sagt Walter Niederberger,
der das Dossier «Waldgrotte» seit der
Pensionierung des Ortsbildpflegers
bearbeitet. Für Gebäude in derart exponierter Lage sei eine zurückhaltende
Farbgebung erwünscht. Diese sei im
Übrigen längst vereinbart worden, vor
Ort, mit Vertretern von Denkmalpflege,
Gemeinde und Herrn Staub selber, sagt
Niederberger. Ausgewählt wurde ein
gebrochenes Weiss, wie man es an Häusern und Scheunen in Buus mehrfach
sehen könne.
Schul-, Kuh- und Schiffsglocken –
doch von ihnen soll nicht die Rede
sein, sondern von jenen Glocken, die
längst verstummt sind. Bis kurz nach
dem Zweiten Weltkrieg war in grösseren Gemeinden einmal die Woche die
kleine bimmelnde Glocke des sogenannten Glöggliwagens zu hören. Er
fuhr von Haus zu Haus und nahm die
damals noch bescheidene Abfall-Entsorgung vor. In Therwil beispielsweise
waren es die Bauern, die in der Kehr
diese pferdebespannte Abfall-Tour
durchführten. Sie konnten für ihre
Dienstleistung einen Steuerabzug geltend machen.
Der Vergangenheit gehören auch
die Bahnhofglocken an. Sie waren ab
Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die
Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts
ganz selbstverständlich auf jedem
Bahnhof vorhanden, heute sind sie
verstummt. Ihnen kam die Aufgabe zu,
die Abfahrt eines Zuges in der Nachbarstation mit Glockenschlag akustisch zu melden. Nach mehr als hundertjährigem Einsatz bei der Centralbahn und den Schweizerischen
Bundesbahnen haben sie ausgedient;
sie wurden entweder verschrottet oder
haben als nostalgisches und beliebtes
Schweizer Dekorations-Gartenelement neue Verwendung gefunden.
Einer Blumenknospe gleich thronen
sie dann stumm auf hohem «Stiel»
über den niederen Pflanzen, und nur
ältere Menschen mögen sich wahrscheinlich noch an ihre ehemalige
Läute-Funktion erinnern.
Ausgestorbene Technik
Vom grossen Basler Kulturhistoriker
Jacob Burckhardt (1818–1897)
stammt die Aussage: «Alles Erhaltene
wird zum redenden Zeugnis der betreffenden Epoche, zum Monument.» Dass
aber selbst eine simple Bahnhofglocke
| Dienstag, 6. Oktober 2015 | Seite 16
Spiel auf Zeit
Mit seiner Intervention war das
Bauinspektorat bei Staub, der auf der
Liste der Grünliberalen für den Nationalrat kandidiert, aber an den Falschen
geraten. Das Spiel auf Zeit begann. Erst
rekurrierte Staub gegen den glasklaren
Entscheid des Bauinspektorats bei der
Baurekurskommission. Als er dort
abblitzte, trug der Gastwirt seinen Fall
dem Kantonsgericht vor. Dieses stellte
sich per Urteil vom 19. Februar 2014
hinter die Vorinstanzen. Das Haus
müsse neu gestrichen werden. Es gab
dem Hausbesitzer dafür eine Frist bis
Ende November 2014. Dieser zog das
Urteil nicht weiter, anerkannte damit
den Richterspruch.
Tage zogen ins Land, Wochen,
Monate. Am Hang gegenüber wurden
die Reben geerntet, die Blätter an den
Bäumen im nahen Wald verfärbten sich
so orange wie ein Teil der Fassade des
Gasthofs. Und die Köpfe der Buusner
Behörden wurden rot und röter, als nach
Ablauf der Frist noch immer kein Pinselstrich gemacht worden war.
Er habe die Maler nicht aufbieten
können, weil ihm, das heisst dem Gönnerverein Freunde der Waldgrotte das
tümer, der nach eigenen Angaben
bereits sechs Millionen Franken in die
«Waldgrotte» gesteckt hat. Der Maler
habe die Woche 42 für den Auftrag
reserviert, so Staub. Dank einem Legat
habe die Stiftung nun das Geld für den
Neuanstrich.
Der Zeitpunkt sei für ihn aber denkbar ungünstig. Könnte er nämlich erst
die laufenden Bauarbeiten am Gebäude
abschliessen, könnte die ganze Fassade
in einem Aufwisch und damit kostengünstiger gestrichen werden, erklärt
Staub. Aber mit solchen Argumenten
stosse er beim Gemeinderat ja auf taube
Ohren. Ebenso mit seiner Forderung,
die Einwohner sollten doch über die
Farbe der «Waldgrotte» abstimmen
können. Aber der Gemeinderat habe
seinen entsprechenden Antrag nicht vor
die Gemeindeversammlung bringen
wollen. Es sei einzig der Gemeinderat,
der sich an den Farben stosse und nicht
etwa die Denkmalpflege, behauptet
Staub.
Kalkweiss statt grün und orange. Ohne das Einverständnis der Denkmalpflege
und Gemeinde liess Peter Staub sein Ausflugsrestaurant streichen. Foto Dominik Plüss
Geld dazu gefehlt habe, sagt Staub
heute. 30000 Franken würden das Eingerüsten des Hauses und die Malerarbeiten kosten. Das Gericht habe ihm
darum Aufschub gewährt, bis am
30. November 2015. Wieder zogen
Monate ins Land, wieder herbstete es,
wieder hat sich nichts getan. Wohl ist
eine Front der stolzen «Waldgrotte» eingerüstet, aber nicht die grün-orange,
sondern eine weisse. Ändert sich an dem
Zustand bis zum 30. November nichts,
kann die Gemeinde oder die Denkmalpflege eine Ersatzvornahme verfügen:
die Gerüstbauer und Maler aufbieten
und die Rechnung dem «Waldgrotten»Besitzer senden. Noch aber bleiben diesem knapp zwei Monate Zeit.
Deswegen hält die Gemeinde Buus
vorerst still. Abwarten lautet die Devise.
Der Farbstreit ist eine von vielen Fehden, die sich Staub und der Gemeinderat seit gut einem Jahrzehnt liefern. «Es
wäre gut, wenn man endlich zu einem
Ende käme, sagt Gemeindepräsident
Marc Brodbeck. «Es hört einfach nicht
auf. Staub windet sich immer wieder
aus der Verantwortung.» Es gehe nicht
zuletzt um Rechtsgleichheit, so Brodbeck. Jeder in der Kernzone müsse sich
nach den gesetzlichen Gegebenheiten
richten. Da sei es schwer zu verstehen,
wenn diese für die derart exponierte
«Waldgrotte» nicht befolgt werden.
Doch, er werde die Maler rechtzeitig
aufbieten, versichert jetzt der Eigen-
An Sozialhilfefälle vermieten
Davon weiss man bei der Denkmalpflege allerdings nichts. Walter Niederberger stellt klar: Ein OK seitens der
Denkmalpflege, wie dies Peter Staub
darstellt, habe es zu keinem Zeitpunkt
gegeben. «Dann läge etwas Schriftliches vor», betont Niederberger.
Um sich beim Gemeinderat zu
revanchieren, droht der «Waldgrotte»Beizer nun, in den zurzeit im Haus entstehenden Wohnungen Sozialhilfebezüger als Mieter aufzunehmen, welche
die Gemeinderechnung zünftig belasten würden. Zudem kündigt er die baldige Verlegung seines Hauptwohnsitzes
an, um seine Steuern nicht mehr in
Buus abliefern zu müssen.
Eine negative Wirkung auf seinen
Wahlkampf befürchtet der 59-jährige
Staub von dem Farbstreit keine. Er hege
gar keine Ambitionen für Bern und kandidiere lediglich für die Listenstimmen – der Partei zuliebe. Sein einziges
Ziel sei das Projekt «Waldgrotte».
Übrigens: Sollte Peter Staub sein
Versprechen nicht einhalten und wird
eine Ersatzvornahme verfügt, ist das
letzte Wort noch immer nicht gesprochen: Die Verfügung kann bei der
Regierung angefochten werden und
wenn der Regierungsrat sie ablehnt,
kann wiederum das Kantonsgericht
angerufen werden. Die Chancen sind
also durchaus vorhanden, dass die
Buusner sich noch eine Weile an Grün
und Orange freuen oder sich darüber
ärgern können.
«Wir reden über Politik, ohne es zu merken»
Nostalgischer Wert. Bahnhofglocken
sind ein Symbol für die Anfänge der
Elektrifizierung. Foto Peter Plattner
einmal den Rang eines Monumentes
erhalten könnte, daran hat Burckhardt
wohl nie gedacht. Bahnhofglocken sind
heute in der Schweiz ausser auf ein
paar wenigen Nebenstrecken längst
verstummt und durch ein hochdifferenziertes und absolut lautloses BlockSicherheitssystem ersetzt worden.
Doch geblieben ist ihr nostalgischer
Wert; sie stehen für die Anfänge der
Bahn-Elektrifizierung.
Doch nur wenige Jahrzehnte nach
Einführung des Block-Sicherheitssystems sorgte eine neue Entwicklung für
ein redendes Zeugnis: An die Stelle des
alten von Hand betätigten Stellwerks
trat nämlich im Bahnhof Pratteln, der
mit rund 600 Zügen pro Tag zu den
meistbefahrenen der Schweiz zählt, das
elektronisch gesteuerte Hightech-Stellwerk. Damit fielen nicht nur die alten,
seit 1912 im Dienst stehenden Wärterstellwerke mit ihrem herausragenden,
die Übersicht über die Geleise verschaffenden Obergeschoss der Spitzhacke
zum Opfer, auch zehn von elf Stellen
gingen verloren. Nostalgisch erhalten
haben sich vielleicht lediglich einige
der bis vor Kurzem noch in Gebrauch
stehenden Handkurbeln.
Text aus: Neue Baselbieter «Merk-würdigkeiten». 62 Betrachtungen zur Geschichte
und Gegenwart des Kantons Basel-Landschaft, Liestal 2007.
Fabian Gürtler will Junge an die Urne bringen. Die Zielgruppe hat Potenzial, aber oft fehle das Verständnis
Von Nadine Felber
Liestal. Der limettengrüne Anstrich im
Innern der Kantonsbibliothek in Liestal
wirkt ein bisschen wie der unbeholfene
Versuch, eine eingestaubte Institution
wieder jugendlich zu machen. Fabian
Gürtler aus Ormalingen, Mitglied des
Jugendrats Baselland, ist in ähnlicher
Mission unterwegs: Als Vote-Hero der
nationalen Kampagne #VoteNow2015
möchte er zehn junge Wähler an die
Urne bringen. Die altbackene Politik soll
bei den Jugendlichen salonfähig werden. Beim Gespräch stellt sich bald heraus, dass sie dies eigentlich schon ist.
«Oft reden wir über Politik, ohne es
zu merken», sagt Gürtler. Als Beispiel
nennt er ein kürzlich geführtes Gespräch
unter Freunden. Darin wunderte man
sich, dass ein Kilo Fisch in der Schweiz
bis zu 80 Franken, in Deutschland aber
nur etwa 15 Euro kostet. Inwiefern dieser Umstand mit der Schweizer Wirtschaftspolitik und der Beziehung zur EU
zusammenhängt, wird in solchen
Momenten aber nicht besprochen. «Vielen Jugendlichen fehlt einfach das Verständnis, wie das eigene Handeln die
Situation beeinflussen kann.»
Genau bei diesem Punkt setzt die
Organisation Easyvote an, die seit 2003
existiert und am 10. September die
Kampagne #VoteNow2015 gestartet
hat. Auf ihrer Website informiert sie in
einfachen, attraktiv aufgemachten
Videos über alles, was der Wähler für
den Gang an die Urne braucht. Es gibt
sogar ein Tutorial zum Ausfüllen und
Einwerfen der Wahlzettel. Für einen alteingesessenen Wahlgänger scheint dies
vielleicht banal, doch es zeigt sich, dass
vor allem das «Wie?» bei den Wahlen
die Jugendlichen verunsichert. Wer
zum ersten Mal sein Stimmcouvert öffnet, kann von den vielen Broschüren,
Zetteln und Listen überfordert sein.
Auch hier hat die Kampagne eine
Lösung parat. Durch die Vote-Heros
werden die Couverts in Gruppen abgegeben. Der Vote-Hero bestimmt Zeit und
Briefkasten, an dem brieflich abgestimmt wird, oder er geht mit den Wahlmotivierten gemeinsam an die Urne.
Durch die Gruppendynamik entsteht
mehr Sicherheit, der Wahlgang wird
zum gesellschaftlichen Ereignis.
Nachhilfe nötig
Für Gürtler steckt genau dort ein
weiteres Problem. «Politik und Alltag
sind noch zu wenig verknüpft.» Gerade
bei Abstimmungen passiere es immer
wieder, dass Leute schlicht vergessen,
daran teilzunehmen. «Eine simple Erinnerung kann in solchen Fällen schon
genügen.» Hin und wieder muss er aber
auch etwas Nachhilfe leisten. Zum Beispiel sei manchen nicht klar, wie viele
Parlamentarier das Baselbiet eigentlich
wählen darf. Hier verweise er auf die
Website von easyvote.ch.
Ebenfalls für Verwirrung sorgt die
Schweizer Parteienlandschaft. «In
anderen Ländern ist es viel simpler, dort
hat man sein Lager schnell gefunden. In
der Schweiz hingegen ist das Spektrum
viel grösser.» Informationen zu den verschiedenen Parteien sucht man auf
easyvote.ch allerdings vergeblich. Der
Verzicht darauf sichert die Neutralität
der Organisation. «Bei der Kampagne
geht es darum, dass die jungen Erwachsenen ihre Meinung äussern, nicht, dass
sie für eine Partei politisiert werden.»
Allerdings bietet die Website einen Test
an, durch den die eigene politische
Gesinnung ermittelt wird. Dann werden je nach Kanton passende Kandidaten vorgeschlagen. Gürtler, der seit fünf
Jahren im Baselbieter Jugendrat sitzt,
sympathisiert mit keiner bestimmten
Partei. «Mein Einsatz gilt mehr der
Emanzipation von Jugendlichen.»
40 Prozent der Jungen angepeilt
«Ich bin jemand, der einfach sagt,
wenn ihn etwas stört. Dadurch kommt
man relativ schnell zum Jugendrat»,
sagt Gürtler. Die eigenen Interessen vertreten und dafür einstehen, was einen
bewegt – das tun Jugendliche noch viel
zu selten. Auch die eidgenössischen
Wahlen von 2011 zeigen, dass bei den
unter 25-Jährigen nur jeder Dritte teilgenommen hat.
Darum hat sich easyvote zum
Ziel gesetzt, 40 Prozent von ihnen zu
Vote-Hero. Für Fabian Gürtler ist das
Wählen Bürgerpflicht. Foto Nadine Felber
mobilisieren. Nur scheint es so, dass
der Schritt zum effektiven Engagement den meisten jungen Erwachsenen doch noch zu gross ist: Von
1000 Vote-Heros haben sich erst 232
angemeldet, die meisten von ihnen
haben laut der Website noch keine
zehn Freunde mobilisiert. Gürtler hat
dieses Ziel bereits erreicht. Er hofft
auch, dass die Kampagne nachhaltige
Auswirkungen hat. «Junge Menschen
sollten ihre Stimme abgeben, damit
ihre Anliegen auch gehört werden.
Schlussendlich ist wählen auch eine
Bürgerpflicht.»