Andacht Bezirkssynode 19.2.2016 von Pfarrer Klaus Anthes, Kupferzell Liebe Synodale, liebe Gäste, bis vor wenigen Wochen hatte ich noch nie etwas von der syrische Stadt Deir es-Zor gehört. Sie liegt ganz im Osten Syriens am Euphrat und ist von fruchtbarem Land umgeben. Es wird dort Baumwolle und Getreide angebaut. Im Jahr 2010 lebten in Deir es-Zor noch knapp 300.000 Menschen. Eine Brücke aus französischer Mandatszeit überspannt den Euphrat und ist neben der Synagoge von Dura-Europos und der Stadt Mali das wichtigste Highlight für Touristen die den Ort besuchen. Seit dem Jahr 2011 wird die Stadt zwischen den Fronten des syrischen Bürgerkrieges aufgerieben. Besetzt einmal von syrischen Regierungstruppen, dann wieder von syrischen Rebellen zurückerobert, die sich „Die freie syrische Armee nennen“. Immer wieder kommt es zu Terroranschlägen durch den IS, der das Umland schon lange kontrolliert und der seit Mitte Januar auch Teile der Stadt besetzt hält. Mehr als 100.000 Einwohner sind inzwischen geflohen. Darunter ein Ingenieur mit seiner Frau und zwei Kindern, die nun in der Unterkunft am Wasserturm in Kupferzell Zuflucht gefunden haben. Er hat mir Bilder gezeigt von seinem alten Haus und von der Brücke, die schon 2013 bei Gefechten zerstört wurde. Und er hat mir erst beim letzten Café der Kulturen im Gemeindehaus in Kupferzell am 16. Januar Fotos seiner Schwester gezeigt, die noch nicht aus Deir-es Zor geflohen ist und die nun zu den eingeschlossenen, von unterschiedlichen Armeen belagerten Menschen gehört. Sie hatten sich um eine Feuerschale im Wohnzimmer versammelt und dort ein Holzfeuer angefacht, um dort zu kochen. Aber Lebensmittel haben sie kaum noch welche. Der geflohene Ingenieur ist ein hochgebildeter Mann. Er spricht fließend Englisch. Er hat ein Hochschulstudium abgeschlossen. Er hat als Ingenieur in einer Erdölraffinerie gearbeitet. Er hat noch zwei ältere Söhne, die auf der Universität in Deir es-Zor studiert haben und die nun nach Nürnberg und Frankreich geflohen sind. Im Dezember 2015 hat die Gesellschaft für deutsche Sprache das Wort „Flüchtling“ zum Wort des Jahres 2015 gewählt. Zum Wort des Jahres wird nicht einfach das Wort gewählt, das besonders häufig in den Medien vorkam, sondern ein Wort, das das Geschehen eines Jahres prägnant auf den Punkt bringt. „Flüchtling“. Gebildet ist das Wort aus dem Substantiv Flucht und dem Ableitungssuffix -ling. Mit der Endsilbe „-ling“ werden Personen benannt, die durch eine Eigenschaft oder ein Merkmal besonders charakterisiert sind. Es gibt den Fremdling, den Finsterling, den Sonderling. Worte, die mit der Endsilbe „ling“ gebildet werden, klingen für sprachsensible Ohren tendenziell abschätzig. Das geht noch bei Prüflingen, Lehrlingen und Schützlingen, auch wenn diese auf eine rein passive Eigenschaft festgelegt werden. Ganz abschätzig ist es beim Eindringling, dem Emporkömmling dem Feigling und dem Wüstling. Der Ingenieur aus Deir es-Zor ist nun also ein Flüchtling. Seine Geschichte scheint mit einem einzigen Wort umrissen zu sein. Festgelegt auf das Merkmal: Flucht. Geflohen. Er ist als Flüchtling eigentlich nicht mehr Vater, Ingenieur, Liebhaber, Gastgeber, Gemeinderat oder was auch immer er in Deir es-Zor alles für wertgeschätzte Eigenschaften und Rollen innehatte, sondern nur noch Flüchtling. Wahrgenommen als Fremdling und Eindringling und vielleicht von manchen gefürchtet als Finsterling. Einer von einer Million, die auf einmal den Krieg aus Syrien leibhaftig durch ihre eigene Geschichte bis vor unsere Haustüre bringen. Wie gehen wir nun um mit diesen Flüchtlingen, die auf einmal in großer Zahl in unseren Orten leben? Ich glaube, die Gefühle auch bei denen, die sehr aktiv sich um die Asylsuchenden bemühen wechseln zwischen „Wir schaffen das“ und „Wie sollen wir das bloß alles schaffen?“ Im 2. Timotheusbrief heißt es: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ Angst ist kein guter Ratgeber. Ängstliche Menschen sehen in den Flüchtlingen nur Fremdlinge, Finsterlinge, Sonderlinge. Dabei werden Ängste von manchen Menschen auch ganz bewusst geschürt. Von Extremisten in Deutschland. Die ja leider auch im Hohenlohekreis immer wieder lautstark zu vernehmen sind. Aber es gibt auch unter den Flüchtlingen selbst welche, die Angst schüren, als Experten auftreten und behaupten: „Alle Sunniten seien Extremisten.“ Angst soll entfacht werden. Und natürlich durch die Terroristen, wie bei den Anschlägen in Paris soll Angst entfacht und der Zusammenhalt in Europa gefährdet werden. „Aber Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ Ein Kraftakt ist es bestimmt, der Flüchtlingskrise Herr zu werden. Im eigenen Ort, in Europa und auch in den kriegsgeplagten Ländern dieser Erde. Aber Gott hat uns ja wirklich Kraft gegeben, um anzupacken, was nun zu tun ist. Das sehen wir an den vielen Initiativen, die es zum Willkommen und zur Integration vor Ort gibt. Es gibt Kleiderkammern und Deutschlerngruppen, Fahrdienste, Asylcafés, Spielgruppen für Kinder und vieles mehr. Und es gibt schon Freundschaften, die zwischen Flüchtlingen und Einheimischen gewachsen sind. Kraft, Liebe und Besonnenheit. Der Geist Gottes vertreibt die Furcht aus unseren Herzen und hilft uns, dass wir auch in den Fremden, die nun bei uns wohnen Ebenbilder Gottes sehen. Nicht Fremdlinge, nicht nur Flüchtlinge, sondern Ebenbilder Gottes. Selbst dann, wenn es keine Christen sind, sondern Sunniten, Drusen, Alewiten, Kurden, Schiiten, Berber und wer alles noch kommen mag. Einen Geist der Besonnenheit hat Gott uns geschenkt. Vielleicht sollten wir darum am meisten bitten und beten. Dass wir weder in wilden Aktionismus, noch in Trägheit verfallen, sondern besonnen und nüchtern vor Ort agieren. Und es ist keine Kleinigkeit im Kampf gegen den Terrorismus, wenn wir hier im Hohenlohekreis die Flüchtenden freundlich aufnehmen und ihnen bei der Ankunft helfen. Nicolas Henin, ein französischer Journalist, der vom IS gefangen gehalten wurde, sagt: „Das Angebot Europas, geflohene Muslime aufzunehmen, ist der größte Schlag gegen den IS. Sie fliehen vor diesem Staat, der das Ideal eines islamischen Staates zu sein vorgibt – und fliehen in das Land ausgerechnet der ‚Ungläubigen‘.“ Flüchtlingshilfe kann also auch vor Ort mit unseren kleinen Möglichkeiten ein wichtiger Beitrag für den Frieden in der Welt sein. Der Ingenieur und seine Familie sind unverschuldet in Not geraten. Sie sind aus einer schönen Stadt geflohen, aus einem gut situierten Leben. Sie haben ihre alte heile Welt verloren. Jetzt sind sie hier bei uns. Ob sie einmal zurückkehren können in ihre Heimat weiß kein Mensch. Aber wir sollten sie hier willkommen heißen. Und vielleicht kommt ja der Tag an dem die Gesellschaft für syrisches Arabisch das Wort Schalom, Salam, Frieden, zum Wort des Jahres erklärt. Wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben. Amen. EG 254 „Wir wolln uns gerne wagen“ Oder NL 93 „Wo Menschen sich vergessen“
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