Seite 1 von 4 Ein Konzept für das Reich der Liebe! Predigt zu Markus 14,3-11 Liebe Gemeinde, mit der Geschichte von der Salbung in Bethanien beginnt die eigentliche Passionsgeschichte Jesu. - Zuvor hatte Jesus den Jüngern bereits dreimal angekündigt, er werde in Jerusalem verhört werden und wie ein Verbrecher hingerichtet. Immer wenn er davon sprach, reagierten die Jünger irritiert und hilflos. - Trotzdem zogen sie mit ihm hinauf zur heiligen Stadt zur Feier des Passafestes. Was auch immer geschehen sollte, sie wollten bei ihm bleiben. Allen voran beteuerte Petrus, er sei sogar bereit, mit Christus zu sterben.--- Der Weg nach Jerusalem, ins Zentrum der Macht, ins Zentrum der Gefahr hatte für die Jünger etwas Heldenhaftes. Da wollten sie nicht kneifen. Insgeheim hofften sie aber sicherlich auf ein Wunder, dass plötzlich die grosse Wende käme, dass plötzlich Jesus als der Gerechte Gottes anerkannt würde, dass plötzlich vor ganz Israel klar würde, dass dieser Jesus wirklich der Messias sei. Aus der Heiligen Schrift wussten sie, dass der Messias in die Heilige Stadt einziehen müsse, denn in dieser Stadt musste der Nachfolger Davids, der König der Juden, die Herrschaft antreten. Also blieb nichts anderes übrig; sie mussten diesen Weg gehen. Als sie schliesslich in Jerusalem einzogen, applaudierte das Volk spontan und pries Jesus als ihren Retter. „Jetzt geschieht das Wunder; jetzt wird Jesus zum neuen König der Gerechtigkeit gemacht“, solches ging den Jüngern gewiss durch den Kopf. Dann schritt Jesus in den Tempel, warf die Tische der Händler um und jagte sie hinaus. „Jetzt kommt die Revolution der Gerechtigkeit, jetzt muss es geschehen“, hofften die Jünger, und frohlockten innerlich darüber, dass Jesus endlich aufräumte. Doch dann....geschah nichts; kein Wunder, keine Revolution...nichts. Die Priester zuckten kaum mit der Wimper. Im Gegenteil, heimlich begannen sie die Gefangennahme Jesu zu planen. Die Jüngern aber ahnten, dass Jesus bald beseitigt würde. - Nicht als Messias, sondern als Verbrecher, so werden sie ihn der Öffentlichkeit präsentieren. Seite 2 von 4 Vor den Toren Jerusalems, in Bethanien, fand das ernüchterte Häuflein noch einen Unterschlupf im Hause eines Aussätzigen. Die hochtrabenden Träume der zwölf Jünger, dass sie vielleicht bald Ministerposten am Königshof des Messias bekleiden würden, diese Träume fanden ein bitteres Ende. Nicht im Königspalast kamen sie unter sondern im Hause eines elenden Aussätzigen. Wo aber ein Aussätziger wohnt, ist nur noch Unglück, Armut und der Tod. Eine Frau in diesem Jammerhause hatte aber noch einen Luxusartikel aus besseren Tagen versteckt, eine Alabasterflasche mit Nardenöl. Und jetzt holte sie dieses Parfum, welches ein Vermögen wert war, hervor. Sie salbte damit Jesus so wie nur die vornehmsten Gäste gesalbt werden. - Diese Handlung von höchster Würde und Wertschätzung im elenden Hause eines Aussätzigen hatte etwas Groteskes an sich. Für die Jünger hatte sich Jesus als Versager entpuppt, als misslungener Messias. Ihn salben wie ein Ehrenmann gesalbt wird, das musste ihnen lächerlich erscheinen. Jetzt kam zum Vorschein, was in den Herzen der Jünger war. „Dieses Parfum hätte man verkaufen können“. „Man hätte können. Man hätte müssen. Man hätte sollen.“ So sprechen die Woller und die Soller. So sprechen die Jünger, welche ihre Grundsätze und ihre Prinzipien brav umsetzen wollten. So wie sie sprechen, spricht die Vernunft. So argumentiert die Berechnung. So äussert sich die Klugheit. So meckert die Sorge. So ermahnt das Gesetz. - Die Jünger erscheinen hier als diejenigen, welche aus dem, was sie von Jesus gehört hatten, eine Theorie gemacht hatten. Sie sind die theoretisch Liebenden. Sie sagen „die“ Armen, „das“ Volk, „die“ Menschheit. Sie lieben das Abstraktum „Volk“. Sie lieben den anonymen Begriff „die Armen“. Sie lieben die Idee „Menschheit“. Nicht dass diese Männer nur Theoretiker und keine Täter gewesen wären. Nein, weil sie etwas tun wollten, waren sie ja zu Jesus gekommen. Sie wollten die grosse Messiasverheissung Israels mit ihren guten Taten verwirklichen. Mit Willen, mit Vorsatz, mit Bewusstsein wollten sie Gutes tun. --- Von Anfang an war die Kirche von dieser Art des Tuns begleitet. Es gibt in der Geschichte der Kirche Perioden, die von dieser Art des klugen, berechnenden Handelns völlig überherrscht werden. --- Das Tun guter Taten erscheint dann als das innerste Wesen des Christentums. --- Seite 3 von 4 Auch heute erstellt unsere Landeskirche mit grösstem Aufwand, mit viel Geld, mit fleissigem Personal und mit wissenschaftlicher Klugheit ausgeklügelte Handlungskonzepte. Sie ist dienstfertig bemüht, der Öffentlichkeit darzulegen, wie effizient, wie unentbehrlich und wie nützlich ihr Tun sei. ---( Die Rechtfertigung vor Gott ist schon lange nicht mehr das Problem der Kirche, die Rechtfertigung vor der öffentlichen Meinung, das ist heute ihr grösstes Problem.).Angesichts all der nützlichen Aktionsprogramme wirkt das Tun der Frau derart naïv, planlos und nutzlos und ist obendrein noch eine Verschwendung von Resourcen. - Das Murren der Jünger verstummte in der Kirche seit Bethanien nie mehr. Das Murren der Praktiker und Ethiker ist bis heute ein überzeugendes, ein männliches Murren. Doch das Evangelium hat anders entschieden; nämlich gegen die Klugheit der Murrenden und für die Liebe der Verschwenderin! Die klugen Jünger teilen die Liebe ein. Sie halten zurück. Sie lenken dahin und dorthin. Die Klugheit muss lieben mit Vorbehalt. Die Klugheit kann nicht verschwenden. - Sie kann sich nicht ganz geben. - Christus aber hat sich ganz gegeben und er liebt jene, die sich ganz geben. In Bethanien stellte er sich nicht zu den Jüngern, nicht zu den Ethikern, nicht zu den Sozialaktivisten, nicht zu den Humanitären und schon gar nicht zu den Konzepteplanern. Er stellte sich zur Frau, welche den ganzen Balsam vergeudete in einem einzigen Augenblick. --- Denn da, in ihrem Tun ist die Geistesgegenwart, da ist die Fülle der Liebe, die nicht abgemessen wird. In diesem Überschwang, in diesem Ganz-bei-der-Sache-Sein, in diesem Sich-Verströmen ist die Liebe von Gottes Reich voll da. --Christus lieben. Ihn lieben ohne Mass. Da liegt das Geheimnis der Geheimnisse. Da liegt der Schlüssel zum Himmelreich. Maria erkennt dies intuitiv. Ihr Tun ist nichts als Liebe. Die klugen Jünger verweisen missmutig auf ihr soziales Handlungskonzept. --- Doch Christus hatte nie gesagt, was ihr für „das“ Ideal, für „das“ Volk, für „die“ Menschheit tut, das habt ihr mir getan; sondern was ihr einem unter diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan. --Maria liebt ihn, den Sohn, in dem Ideal und Nächster, geringster Bruder und Königreich der Himmel zugleich leibhaftig geworden sind. Seite 4 von 4 Die Jünger konnten nicht mehr sehen, was Maria sah. Sie sahen nur noch Jesus, den Versager. Diesen Versager lieben, das ging über ihr Vermögen. Trauen ja, trauern über das Scheitern, das konnten sie noch, aber lieben? - Einer trieb dann die Sache auf die Spitze, Judas. „Wenn Jesus schon versagt hatte, dann können wir wenigstens noch finanziellen Nutzen aus ihm ziehen“, dachte er. Und er plante den Verrat. Das Geld ist die letzte Nützlichkeit. Das Geld ist das Nützlichste vom Nützlichen, die letzte Effizienz, die aus Jesus noch herausgepresst werden kann. Konsequenter und radikaler kann der Glaube nicht mehr nützlich gemacht werden. - Judas, der sich mit den andern Jüngern soeben noch für die Armen eingesetzt hatte, merkte nicht einmal, dass er den Ärmsten der Armen verkaufte, nämlich den vor dem Tod stehenden Gottessohn. Und was wollte er mit diesem Erlös eigentlich? Wollte er damit etwa gegen die Armut kämpfen? - Jämmerlicher und widersprüchlicher geht es wahrhaftig nicht mehr. Liebe Gemeinde, Jesus hatte sich nicht gegen das soziale Handeln der Jünger ausgesprochen. Er sagte: „Die Armen habt ihr allezeit bei euch, und sooft ihr wollt, könnt ihr ihnen wohltun.“ Bethanien soll aber uns die Augen öffnen, was geschieht, wenn das Wohltun an den Armen ausgespielt wird gegen die Liebe für Christus. Dann stehen wir am Ende. Dann verlieren wir das Geheimnis der Geheimnisse, den Schlüssel zum Himmelreich. Die Liebe zu Christus, die völlig nutzlose, zeitverschwenderische Liebe zu Christus, kennen wir diese Liebe noch? Können wir uns den Luxus von Alabasterflaschen in unserer Kirche noch leisten? Können wir uns die verschwendete Zeit des Gebetes noch leisten? Können wir uns die liebende Zuwendung zu Christus noch leisten? Können wir uns diese Liebe noch leisten? Oder leisten wir so viel Nützliches, dass wir arm an Liebe geworden sind? --- O Christus, komm, gib uns deinen Geist und lerne uns lieben! Amen. Pfr. Carl Schnetzer / Kirchgasse 22 / CH-8903 Birmensdorf / 6. März 2016 – Laetare Bethanien: Markus 14,3-11 Fürbittgebet Christus, hätten wir einen Glauben, der selbst Berge versetzt, was wären wir ohne brennende Liebe? - Du liebst uns. Was wären wir ohne deinen Geist, der in unseren Herzen wohnt? Du liebst uns. Aus deiner Liebe leben, heisst eine Quelle kennen, die sich selbst verschenkt und nie versiegt. Und so beginnen wir in unserem Leben, in unserem Handeln und in unserem Lieben dir nachzufolgen. Höre auf unser Gebet. Wir bitten dich: Christus, dein Leben war ein Leben der Hingabe ohne Berechnung. Gib uns den Mut, hingebungsvoll zu sein; in der Ehe, in der Familie, in der Arbeit. Gib uns die Einsicht, dass wir Hingabe nicht mit Stress verwechseln. Gib uns die Gnade, unsere Hingabe als Frieden zu erfahren. Wir bitten dich: Christus, bewahre deine Kirche davor, ein eilfertiges Servicezentrum zu werden. Durch dein Wort und durch dein Sakrament willst du in uns eine Freude zum blühen bringen, welche nicht von dieser Welt ist. Und wir sind berufen, durch unsere Hingabe zu geben, was du uns gibst. Wir bitten dich: Wir bitten dich um Frieden und Weisheit iin den zahlreichen Kriegsgebieten der Erde. Zeige den geplagten Völkern einen Weg aus der endlosen Gewalt. Berühre ihre Herzen. Wir bitten dich: In der Stille bringen wir unsere persönlichen Bitten vor dich: Stille Dank sei dir, o Gott, für deine unerschöpfliche Güte und für deine Hingabe. Lass uns auf dem Osterweg in der Gemeinschaft mit Christus deine Liebe erfahren. Amen.
© Copyright 2025 ExpyDoc