Predigt vom 6.3.2016 - Reformierte Kirche Birmensdorf

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Ein Konzept für das Reich der Liebe!
Predigt zu Markus 14,3-11
Liebe Gemeinde,
mit der Geschichte von der Salbung in Bethanien beginnt die
eigentliche Passionsgeschichte Jesu. - Zuvor hatte Jesus den Jüngern
bereits dreimal angekündigt, er werde in Jerusalem verhört werden
und wie ein Verbrecher hingerichtet. Immer wenn er davon sprach,
reagierten die Jünger irritiert und hilflos. - Trotzdem zogen sie mit
ihm hinauf zur heiligen Stadt zur Feier des Passafestes. Was auch
immer geschehen sollte, sie wollten bei ihm bleiben. Allen voran
beteuerte Petrus, er sei sogar bereit, mit Christus zu sterben.--- Der
Weg nach Jerusalem, ins Zentrum der Macht, ins Zentrum der Gefahr
hatte für die Jünger etwas Heldenhaftes. Da wollten sie nicht kneifen.
Insgeheim hofften sie aber sicherlich auf ein Wunder, dass plötzlich
die grosse Wende käme, dass plötzlich Jesus als der Gerechte Gottes
anerkannt würde, dass plötzlich vor ganz Israel klar würde, dass dieser
Jesus wirklich der Messias sei. Aus der Heiligen Schrift wussten sie,
dass der Messias in die Heilige Stadt einziehen müsse, denn in dieser
Stadt musste der Nachfolger Davids, der König der Juden, die
Herrschaft antreten. Also blieb nichts anderes übrig; sie mussten
diesen Weg gehen.
Als sie schliesslich in Jerusalem einzogen, applaudierte das Volk
spontan und pries Jesus als ihren Retter. „Jetzt geschieht das Wunder;
jetzt wird Jesus zum neuen König der Gerechtigkeit gemacht“, solches
ging den Jüngern gewiss durch den Kopf. Dann schritt Jesus in den
Tempel, warf die Tische der Händler um und jagte sie hinaus. „Jetzt
kommt die Revolution der Gerechtigkeit, jetzt muss es geschehen“,
hofften die Jünger, und frohlockten innerlich darüber, dass Jesus
endlich aufräumte.
Doch dann....geschah nichts; kein Wunder, keine Revolution...nichts.
Die Priester zuckten kaum mit der Wimper. Im Gegenteil, heimlich
begannen sie die Gefangennahme Jesu zu planen. Die Jüngern aber
ahnten, dass Jesus bald beseitigt würde. - Nicht als Messias, sondern als
Verbrecher, so werden sie ihn der Öffentlichkeit präsentieren.
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Vor den Toren Jerusalems, in Bethanien, fand das ernüchterte Häuflein
noch einen Unterschlupf im Hause eines Aussätzigen. Die
hochtrabenden Träume der zwölf Jünger, dass sie vielleicht bald
Ministerposten am Königshof des Messias bekleiden würden, diese
Träume fanden ein bitteres Ende. Nicht im Königspalast kamen sie unter
sondern im Hause eines elenden Aussätzigen. Wo aber ein Aussätziger
wohnt, ist nur noch Unglück, Armut und der Tod. Eine Frau in diesem
Jammerhause hatte aber noch einen Luxusartikel aus besseren Tagen
versteckt, eine Alabasterflasche mit Nardenöl. Und jetzt holte sie dieses
Parfum, welches ein Vermögen wert war, hervor. Sie salbte damit Jesus
so wie nur die vornehmsten Gäste gesalbt werden. - Diese Handlung
von höchster Würde und Wertschätzung im elenden Hause eines
Aussätzigen hatte etwas Groteskes an sich. Für die Jünger hatte sich
Jesus als Versager entpuppt, als misslungener Messias. Ihn salben wie
ein Ehrenmann gesalbt wird, das musste ihnen lächerlich erscheinen.
Jetzt kam zum Vorschein, was in den Herzen der Jünger war.
„Dieses Parfum hätte man verkaufen können“. „Man hätte können. Man
hätte müssen. Man hätte sollen.“ So sprechen die Woller und die Soller.
So sprechen die Jünger, welche ihre Grundsätze und ihre Prinzipien brav
umsetzen wollten. So wie sie sprechen, spricht die Vernunft. So
argumentiert die Berechnung. So äussert sich die Klugheit. So meckert
die Sorge. So ermahnt das Gesetz. - Die Jünger erscheinen hier als
diejenigen, welche aus dem, was sie von Jesus gehört hatten, eine
Theorie gemacht hatten. Sie sind die theoretisch Liebenden. Sie sagen
„die“ Armen, „das“ Volk, „die“ Menschheit. Sie lieben das Abstraktum
„Volk“. Sie lieben den anonymen Begriff „die Armen“. Sie lieben die
Idee „Menschheit“.
Nicht dass diese Männer nur Theoretiker und keine Täter gewesen
wären. Nein, weil sie etwas tun wollten, waren sie ja zu Jesus
gekommen. Sie wollten die grosse Messiasverheissung Israels mit ihren
guten Taten verwirklichen. Mit Willen, mit Vorsatz, mit Bewusstsein
wollten sie Gutes tun. --- Von Anfang an war die Kirche von dieser Art
des Tuns begleitet. Es gibt in der Geschichte der Kirche Perioden, die
von dieser Art des klugen, berechnenden Handelns völlig überherrscht
werden. --- Das Tun guter Taten erscheint dann als das innerste Wesen
des Christentums. ---
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Auch heute erstellt unsere Landeskirche mit grösstem Aufwand, mit viel
Geld, mit fleissigem Personal und mit wissenschaftlicher Klugheit
ausgeklügelte Handlungskonzepte. Sie ist dienstfertig bemüht, der
Öffentlichkeit darzulegen, wie effizient, wie unentbehrlich und wie
nützlich ihr Tun sei. ---( Die Rechtfertigung vor Gott ist schon lange
nicht mehr das Problem der Kirche, die Rechtfertigung vor der
öffentlichen Meinung, das ist heute ihr grösstes Problem.).Angesichts all
der nützlichen Aktionsprogramme wirkt das Tun der Frau derart naïv,
planlos und nutzlos und ist obendrein noch eine Verschwendung von
Resourcen. - Das Murren der Jünger verstummte in der Kirche seit
Bethanien nie mehr. Das Murren der Praktiker und Ethiker ist bis heute
ein überzeugendes, ein männliches Murren. Doch das Evangelium hat
anders entschieden; nämlich gegen die Klugheit der Murrenden und für
die Liebe der Verschwenderin!
Die klugen Jünger teilen die Liebe ein. Sie halten zurück. Sie lenken
dahin und dorthin. Die Klugheit muss lieben mit Vorbehalt. Die Klugheit
kann nicht verschwenden. - Sie kann sich nicht ganz geben. - Christus
aber hat sich ganz gegeben und er liebt jene, die sich ganz geben. In
Bethanien stellte er sich nicht zu den Jüngern, nicht zu den Ethikern, nicht
zu den Sozialaktivisten, nicht zu den Humanitären und schon gar nicht zu
den Konzepteplanern. Er stellte sich zur Frau, welche den ganzen Balsam
vergeudete in einem einzigen Augenblick. --- Denn da, in ihrem Tun ist
die Geistesgegenwart, da ist die Fülle der Liebe, die nicht abgemessen
wird. In diesem Überschwang, in diesem Ganz-bei-der-Sache-Sein, in
diesem Sich-Verströmen ist die Liebe von Gottes Reich voll da. --Christus lieben. Ihn lieben ohne Mass. Da liegt das Geheimnis der
Geheimnisse. Da liegt der Schlüssel zum Himmelreich.
Maria erkennt dies intuitiv. Ihr Tun ist nichts als Liebe. Die klugen Jünger
verweisen missmutig auf ihr soziales Handlungskonzept. --- Doch
Christus hatte nie gesagt, was ihr für „das“ Ideal, für „das“ Volk, für „die“
Menschheit tut, das habt ihr mir getan; sondern was ihr einem unter
diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan. --Maria liebt ihn, den Sohn, in dem Ideal und Nächster, geringster Bruder
und Königreich der Himmel zugleich leibhaftig geworden sind.
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Die Jünger konnten nicht mehr sehen, was Maria sah. Sie sahen nur
noch Jesus, den Versager. Diesen Versager lieben, das ging über ihr
Vermögen. Trauen ja, trauern über das Scheitern, das konnten sie noch, aber lieben? - Einer trieb dann die Sache auf die Spitze, Judas. „Wenn
Jesus schon versagt hatte, dann können wir wenigstens noch finanziellen
Nutzen aus ihm ziehen“, dachte er. Und er plante den Verrat. Das Geld
ist die letzte Nützlichkeit. Das Geld ist das Nützlichste vom Nützlichen,
die letzte Effizienz, die aus Jesus noch herausgepresst werden kann.
Konsequenter und radikaler kann der Glaube nicht mehr nützlich
gemacht werden. - Judas, der sich mit den andern Jüngern soeben noch
für die Armen eingesetzt hatte, merkte nicht einmal, dass er den Ärmsten
der Armen verkaufte, nämlich den vor dem Tod stehenden Gottessohn.
Und was wollte er mit diesem Erlös eigentlich? Wollte er damit etwa
gegen die Armut kämpfen? - Jämmerlicher und widersprüchlicher geht
es wahrhaftig nicht mehr.
Liebe Gemeinde, Jesus hatte sich nicht gegen das soziale Handeln der
Jünger ausgesprochen. Er sagte: „Die Armen habt ihr allezeit bei euch,
und sooft ihr wollt, könnt ihr ihnen wohltun.“ Bethanien soll aber uns
die Augen öffnen, was geschieht, wenn das Wohltun an den Armen
ausgespielt wird gegen die Liebe für Christus. Dann stehen wir am Ende.
Dann verlieren wir das Geheimnis der Geheimnisse, den Schlüssel zum
Himmelreich.
Die Liebe zu Christus, die völlig nutzlose, zeitverschwenderische Liebe
zu Christus, kennen wir diese Liebe noch? Können wir uns den Luxus
von Alabasterflaschen in unserer Kirche noch leisten? Können wir uns
die verschwendete Zeit des Gebetes noch leisten? Können wir uns die
liebende Zuwendung zu Christus noch leisten? Können wir uns diese
Liebe noch leisten? Oder leisten wir so viel Nützliches, dass wir arm an
Liebe geworden sind? --- O Christus, komm, gib uns deinen Geist und
lerne uns lieben! Amen.
Pfr. Carl Schnetzer / Kirchgasse 22 / CH-8903 Birmensdorf / 6. März 2016 – Laetare
Bethanien: Markus 14,3-11
Fürbittgebet
Christus, hätten wir einen Glauben, der selbst Berge versetzt, was wären wir
ohne brennende Liebe? - Du liebst uns.
Was wären wir ohne deinen Geist, der in unseren Herzen wohnt? Du liebst uns.
Aus deiner Liebe leben, heisst eine Quelle kennen, die sich selbst
verschenkt und nie versiegt. Und so beginnen wir in unserem Leben,
in unserem Handeln und in unserem Lieben dir nachzufolgen. Höre
auf unser Gebet. Wir bitten dich:
Christus, dein Leben war ein Leben der Hingabe ohne Berechnung.
Gib uns den Mut, hingebungsvoll zu sein; in der Ehe, in der Familie,
in der Arbeit. Gib uns die Einsicht, dass wir Hingabe nicht mit Stress
verwechseln. Gib uns die Gnade, unsere Hingabe als Frieden zu
erfahren. Wir bitten dich:
Christus, bewahre deine Kirche davor, ein eilfertiges Servicezentrum
zu werden. Durch dein Wort und durch dein Sakrament willst du in
uns eine Freude zum blühen bringen, welche nicht von dieser Welt ist.
Und wir sind berufen, durch unsere Hingabe zu geben, was du uns
gibst. Wir bitten dich:
Wir bitten dich um Frieden und Weisheit iin den zahlreichen
Kriegsgebieten der Erde. Zeige den geplagten Völkern einen Weg aus
der endlosen Gewalt. Berühre ihre Herzen. Wir bitten dich:
In der Stille bringen wir unsere persönlichen Bitten vor dich:
Stille
Dank sei dir, o Gott, für deine unerschöpfliche Güte und für deine
Hingabe. Lass uns auf dem Osterweg in der Gemeinschaft mit
Christus deine Liebe erfahren. Amen.