SAMSTAG, 27. JUNI 2015 LIMMATTALER ZEITUNG www.limmattalerzeitung.ch LIMMATTAL 17 STADT UND KANTON ZÜRICH Wer nicht zurück will, darf ins Hotel Urdorf Das Wohnhaus gilt nach dem Kranunglück als sicher – doch noch können nicht alle Familien zurückkehren VON ALEX RUDOLF UND JÜRG KREBS Ein Einsatzwagen steht vor dem silbernen Tor der Urdorfer Feuerwehrzentrale. Er wurde aus der Garage gefahren, um im Inneren genug Platz frei zu machen für die rund 30 Bewohner des Unglückshauses an der Bahnhofstrasse 89. Ihnen will der Sicherheitsvorstand der Gemeinde, Andreas Herren, erklären, ob und wann sie in ihre Wohnungen zurückkehren dürfen. Auf die Liegenschaft war am Donnerstagnachmittag ein Kran der benachbarten Baustelle gestürzt, seither durften die Betroffenen aus Sicherheitsgründen nur für wenige Minuten in ihre Wohnungen zurück, um ein paar Habseligkeiten zu holen. Die Nacht auf gestern mussten sie entweder bei Bekannten oder im Ortskommandoposten Embri verbringen. Gestern um 13.30 Uhr wurden sie, abgeschottet von der Öffentlichkeit, von der Gemeinde über das weitere Vorgehen informiert. Eine halbe Stunde später verliessen sie das Feuerwehrgebäude durch den Hinterausgang. Nur wenige Minuten vergingen, bis Sicherheitsvorstand Andreas Herren vor die wartenden Medien trat. «Unangenehm für Bewohner» Die Arbeiten am Urdorfer Unglückshaus waren die Attraktion im Dorf: Viele Schaulustige interessierten sich für das Vorgehen der Spezialisten. ARU «Vom Gebäudeäusseren geht keine Gefahr mehr aus, das Innere der Liegenschaft wird im Verlauf des Nachmittags freigegeben», sagte Andreas Herren. Voraussichtlich können vier der vom Kranunglück mehr oder weniger verschonten Wohnungen ab Samstag wieder bezogen werden, die restlichen vier laut Herren ab kommender Woche. Das erscheint angesichts der Zerstörung im Dachstock allerdings optimistisch. Die Liegenschaft wird laut Herren nun nicht mehr wie ein Unglücksort, sondern wie ein gewöhnliches Bauprojekt behandelt. Herren liess es offen, ob die Familien auch wirklich wieder in die beziehbaren Wohnungen zurückkehren. Denn angesichts der anstehenden grossen Sanierungsarbeiten ist mit Lärmimmissionen zu rechnen. Wer nicht in die Wohnung zurück will oder nicht bei Freunden unterkommt, dem hilft die Stadt Urdorf: «Wir bieten den Geschädigten Unterkunft in einem Hotel an», sagt Herren. «Die Gemeinde hat für benachbarte Baustelle einen Baustopp erlassen.» Kurz nach dem Unglück vom Donnerstagnachmittag. JK Andreas Herren Sicherheitsvorstand Urdorf In der Nacht auf Freitag wurde Kran vom Dach entfernt und abtransportiert. JK Gemeinderat Herren: Urdorf bezahlt die Hotelkosten. ARU ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● In der vergangenen Nacht haben rund 10 der 30 Hausbewohner die Offerte der Stadt angenommen und im Ortskommandoposten Embri genächtigt. Die Bahnhofstrasse selbst ist seit gestern 11.30 Uhr wieder für den Verkehr geöffnet. In der Nacht auf gestern wurde der Kran abgebaut und abtransportiert. Verantwortlich dafür war ein Team der Firma Rollende Werkstatt Kran AG. Ihr gehört der Unglückskran. Geschäftsführer Heini Dillier selbst half vor Ort. Die Baustelle neben dem Unglückshaus wurde vorerst geschlossen. «Die Gemeinde hat für dieses Projekt einen Baustopp erlassen, bis geklärt ist, was zum Unfall geführt hat», so Herren. Die Kantonspolizei ermittelt, gibt über Details aber keine Auskunft. Laut Dillier steht im Vordergrund, dass der Boden dem Krangewicht nachgegeben hat. Bodenproben wurden genommen. Das Ausmass der Zerstörung zeigt sich vornehmlich auf der Ostseite des Mehrfamilienhauses. Ein Loch klafft von der Dachetage bis ins Parterre, dort wo ganze Balkone dem Gewicht des herabstürzenden Krans nachgegeben haben. Neben Betonfassadenteilen liegen auch Möbelstücke auf der Einfahrt. Auf dem Dach sind am Nachmittag mehrere Arbeiter damit beschäftigt, lose Ziegel zu entsorgen, bevor es mit einer Plache überdeckt wird. Genauere Angaben zum finanziellen Schaden konnten weder Sicherheitsvorstand Herren noch die Kantonspolizei machen. Dillier geht von einem Millionenschaden aus. Für Herren steht ohnehin fest: «Der immaterielle Schaden ist für die Bewohner um einiges grösser.» Eine Mutter erzählte gestern vom Schock, den das ramponierte Haus ausgelöst habe, und eine andere Bewohnerin schreibt auf Facebook: «Erst am Tag darauf realisiere ich, was für ein Glück wir hatten, dass uns nichts passiert ist.» Bilder des Unglückshauses und weitere Artikel zum Thema auf limmattalerzeitung.ch WARUM IST DER KRAN UMGEKIPPT? Hat der Boden nachgegeben? D er Unglückskran gehört der Firma Rollende Werkstatt Kran AG aus Sachseln (OW). Die Firma betreibt nach Angaben des Geschäftsführers Heini Dillier 160 Kräne. Der Urdorfer Kran hat eine Höhe von 36 Metern, der Kranarm misst 55 Meter. Das Gesamtgewicht geht gegen 100 Tonnen, davon sind 60 Tonnen Zentralballast am Fusse des Krans und 16 Tonnen Gegenballast für den Kranarm. Diese 16 Tonnen Gegenballast waren es auch, die auf der einen Seite der Liegenschaft auf die Balkone gefallen sind und diese abgebrochen haben. Es wird vermutet, dass der Untergrund nachgegeben hat, und der Kran deshalb umkippte. (JK)
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