porträt (Bild oben) Totempfähle, Knochen, bunt bemalte Steine auf dem Weg zu Lorenz Kuntner: „Wir sind nur Erde, Staub und letztendlich werden wir zu einem Nichts. Was bleibt, ist, was wir mit unseren Händen geformt haben.“ (Bild unten) Wenn der Indianer den Cowboy trifft, dann sagt der eine zum anderen: „Wir sind schon zwei Sturköpfe und Spitzbuben, wir lieben, was tun, und wir lieben vor allem die Frauen.“ 50 No. 15 / 2015 ® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl Den wilden Westen in der Tasche Vinschgau – ein Tal der Berge, der Tradition und des Brauchtums. Trotzdem, oder möglicherweise deshalb, leben talaufwärts, in einem Dorf kurz vor der Grenze, zwei Unikate – Cowboy und Indianer. Text und Fotos: Elisabeth Steiner und Mirjam Platzgummer E isengebilde, Totempfähle, an denen Hunderte Knochen baumeln und klimpern, bunt bemalte Steine mit Gesichtern. Dazwischen ein schmaler Pfad. „Der mit dem Windhauch spricht“ steht mitten auf dem steinigen Weg und blickt gedankenverloren in Richtung Fluss. Einen Schamanenhut, mit Federn bestückt, trägt er auf seinem Kopf. Und all das mitten im Vinschgau. Eigentlich heißt er Lorenz Kuntner, Er ist ein Querdenker. Ein Aussteiger. Einer, der nichts von Konventionen hält. „Wir alle müssen sterben, zurückkehren zur Mutter Natur, die uns in ihren Händen hält. Wir sind nur Erde, Staub und letztendlich werden wir zu einem Nichts. Was bleibt, ist, was wir mit unseren Händen geformt und hinterlassen haben“, sagt er und zeigt auf das Gebilde hinter sich. Lorenz nimmt den Hut vom Kopf und fährt sich mit einer ausladenden Bewegung durch die grau melierten Haare. Warme Wollkleidung und eine simple Jeans lassen nicht vermuten, dass in dem älteren Mann ein Vollblutindianer steckt. Er versucht, seinen Kunstwerken eine Seele einzuhauchen, ihnen Ausdruck zu verleihen. Lorenz arbeitet ausschließlich mit Schrott und Naturmaterialien. Hauptsache außergewöhnlich. „Die Kunst des Verdrängens“ ist eines von hundert Objekten, die er gefunden, geformt und bemalt hat. Einen alten Besen hat er kurzerhand zu einem Kopf umfunktioniert, die Arme bestehen aus verrosteten Rechen, und der Körper aus einer großen Leiter. Ketten, Rohre und Gitter dienen als Verzierung. Seine Inspiration sucht und findet er in der Natur, vor allem aber am Suldenbach, der direkt an seinem Freilichtmuseum kurz hinter Prad am Stilfser Joch vorbeifließt. Dies war immer schon seine Heimat, hier fühlt er sich wohl, hier findet er Zeit und Platz für seine größte Leidenschaft: die Kunst. Zehn Minuten Fußmarsch von Prad entfernt, entdeckt man sein Reich. Es scheint, als hätte man ® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl Nachwuchstalente sich in einen Märchenwald verirrt: schweigende Blicke, überall Augen, die auf den Betrachter starren. Augen aus Stein, aus Blech und Metall. Kleine, ovale, dicke, runde Gesichter mit eigenen Geschichten. Ursprünglich arbeitete Lorenz als Sekretär in der Schweiz und verdiente dort mehr, als er zum Leben brauchte. Glücklich war er nicht, die Stadt engte ihn ein. Er kehrte ihr den Rücken und ging wieder in seine alte Heimat, nach Prad, zurück. Als Kind las er die „Winnetou“-Bücher von Karl May, richtig gefallen haben sie ihm nie, denn „echte Indianer gibt es heute in Amerika keine mehr, aber ich bin einer!“ Deshalb begann er, sein Haus und den großen Garten um- und auszubauen und nach eigenen Ideen zu gestalten. Anfangs beauftragte er einen Künstler, der seine Vorstellungen verwirklichen sollte. Es gefiel ihm nicht, dass der Künstler nur sein Handwerk anwendete, die Kreativität dabei völlig vergaß. Lorenz wurde selbst zum Künstler: Die Hausmauer schmückte er mit Geweihen, Knochen und Fuchsschwänzen aus, und der Garten wurde nach und nach zum lebendigen Kunstwerk. Auf die Frage, womit er denn sein Geld verdiene, antwortet er mit einem verschmitzten Lächeln: „Touristen melken!“ Er verkauft seine selbst bemalten Steine und hat bereits mehrere Gedichtbände im Eigenverlag veröffentlicht. Damit bestreitet er seinen Lebensunterhalt. Geschichten erzählt er auch in seinen „unkeuschen Texten“. Bereits das dritte Jahr in Folge ist Lorenz Kuntner bei der „Quetschkommode“ dabei, dem Kleinkunstfestival in Prad Mitte August. Es zählt zu den originellsten und ausgefallensten Veranstaltungen im Land: Fast ein Dutzend „Ziachorgl“-Spieler, Volkstanz- und Theatergruppen, Aktionsmaler und Pantomimen treten dort auf. Die engen Gassen sind voll mit Schaulustigen und Kunstliebenden, die Mischung aus Kunst, Brauchtum und Moderne verbindet die Generationen. No. 15 / 2015 51 porträt Auch die einheimischen Künstler lassen hier ihren Fähigkeiten freien Lauf: Mitten auf der Straße steht ein bunter Planwagen, der alle Blicke auf sich zieht. Von außen wirkt er wie ein urtümlicher Wohnwagen. Selbstgemalte Pferde zieren die Außenplane, Töpfe und Schuhe hängen daran. Der Eingang ist mit einem Hirschfell verdeckt, sogar eine Glocke baumelt am Schädel eines Hirsches. Davor ein Schild mit der Aufschrift: „Schöne Frau, du sollst es wagen, die Sterne nach deinem Schicksal zu befragen.“ Im Inneren des Wagens ist es eng, das Gesicht des Rangers liegt im Halbdunkel. Ein leicht muffiger Geruch geht von den Tierfellen aus. Er selbst sitzt auf einer einfachen Holzbank und vor ihm steht ein kleiner, selbstgezimmerter Tisch, dort legt er dem weiblichen Geschlecht die Karten. Stille. Intensive Blicke. Antworten auf die mehr oder weniger wichtigen Fragen des Lebens. Vor dem Gefährt hat sich eine regelrechte Schlange gebildet. Frauen jeden Alters erwarten hier eine Auskunft über ihr Schicksal. Dies ist nur eines der vielen Talente von Franz Gapp. Seine Rastalocken stehen in direktem Kontrast zu seinen hellblauen Augen, die an die lichten Stellen des Suldenbaches erinnern. Der Mittsechziger sitzt ganz ruhig da. Hin und wieder lächelt er einer Frau kurz zu. Das ist seine Welt, hier fühlt er sich wohl. „In meinem früheren 52 No. 15 / 2015 In seinem Wagen legt Franz Gapp, der Ranger, die Karten: Frauen jeden Alters erwarten eine Auskunft über ihr Schicksal. Leben war ich sicher auch schon Ranger. Nun habe ich meine wahre Berufung wiedergefunden.“ Der ganze Stolz von Franz Gapp ist seine „Farm“. Dort fühlt er sich frei und angenommen. „Jeder, der meine Leidenschaft für den Wilden Westen verstehen will, muss einmal auf meinen Hof kommen und mit mir ausreiten.“ Auf der „Farm“ riecht es nach Pferdemist, die robusten, sauber gestriegelten Tiere schnauben leise. Wann immer der Ranger ein Problem hat, wendet er sich ihnen zu. Für ihn besitzt alles eine Seele, und die Tiere waren schon immer ein großer Trost. Vor allem, als seine Frau Anna bereits in jungen Jahren starb. Plötzlich musste er sich um seine drei Kinder kümmern, sie alleine großziehen. Das war nicht immer einfach, doch seine Leidenschaft für den Wilden Westen und die Pferde haben ihm geholfen, jede Krisensituation zu überstehen. Neben der Melkmaschine liegen einfache Schreibblöcke. Immer, wenn ihm etwas einfällt, kritzelt er einige Worte darauf, aus denen dann seine Gedichte entstehen. Bei einem echten Ranger dürfen die Frauen natürlich auch nicht zu kurz kommen. Stets charmant, gibt er sogar Tipps fürs Liebesleben. Gastfreundlich lädt er jeden Besucher zu einem Glas Whisky-Cola ein, mit dem Whisky spart er dabei nicht. Nebenbei plaudert er gerne, erzählt von seiner Farm und dem Leben auf dem Hof. ® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl „Ich liebe es, wenn es langsam Nacht wird. Dann scheint es mir, als könnte ich das Magische, welches mich fesselt, fast schon greifen. Am schönsten ist es, bei Vollmond nackt zu baden, denn nur wer jede Scham ablegt, findet wirklich zu sich selbst.“ Franz plädiert für Berührungen. Geistiger und körperlicher Natur. Er liebt das Experimentelle. Wichtig ist ihm auch, jeden Moment auszukosten und seinen einen Hektar großen Hof mit Freude zu bewirtschaften. Seine drei Kinder, mittlerweile erwachsen, helfen ihm dabei. Ein fixes Einkommen hat der Ranger nicht, er lebt von dem, was sein Hof ihm gibt. Franz philosophiert viel über das Leben. Er hat zwar seine ureigene Sichtweise, lässt aber auch andere Meinungen zu, die ihn zum Nachdenken anregen. Mit der rechten Hand reibt er träumerisch an seinem weißen Spitzbart. „Viele Menschen haben einfach nicht den Mut, so frei und ohne Zwang und Scham zu leben, das finde ich sehr schade!“, meint der Ranger. Mit jedem Schluck von dem bittersüßen Getränk wird er lustiger, bewegt seine Arme geschwinder, und in dem älteren Mann scheint etwas wie Leidenschaft, eine Freude fürs Leben, aufzukommen. Er baut auf die Geduld, denn „erst dann werden sich die Träume erfüllen, und Träume sind das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann“. ® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl Lorenz Kuntner, der Indianer, verdient sein Geld mit bemalten Steinen: Er nennt es „Touristen melken.“ Mitten im Gespräch klopft es, Glocke gibt es in diesem in die Jahre gekommenen Rangerhaus keine. Intuitiv weiß Franz: „Das ist sicher ‚Der mit dem Windhauch spricht‘, unser alter Indianerhäuptling“, und öffnet die Tür, um seinen langjährigen Freund zu begrüßen. Lorenz hat sein grünes Auto, das er mit Figuren aller Art bemalt hat, etwas ungünstig vor dem Haus geparkt. Der Ranger schimpft: „Das kannst du hier nicht stehen lassen, so können meine Pferde die schöne Aussicht nicht genießen. Ich wusste ja schon immer, dass Indianer nichts vom Autofahren verstehen“. Lorenz lacht und nickt. „Wir sind schon zwei alte „Sturköpfe“ und „Spitzbuben“, vor allem aber lieben wir, was wir tun, und die Frauen!“ n Mirjam Platzgummer, 19, aus Latsch, besucht die 5. Klasse des Sprachengymnasiums in Schlanders. Sie will nach der Matura auf Reisen gehen und dann Kommunikationswissenschaften studieren. Elisabeth Steiner, 19, aus Graun im Vinschgau geht mit ihr in die gleiche Klasse. Sie wird im Herbst ein Theologiestudium beginnen. Ihr Text wurde beim Gabriel-Grüner-Schülerwettbewerb, einem Projekt von ff, Agentur Zeitenspiegel, dem Bildungsausschuss der Gemeinde Mals und den Oberschulzentren in Mals und Schlanders mit dem zweiten Preis ausgezeichnet. No. 15 / 2015 53
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