Südostschweiz, Graubünden, 4.6.2015

REGION
Südostschweiz | Donnerstag, 4. Juni 2015
Deutlicher Hinweis auf ein Verbrechen: Der von einer unbekannten Spitze verursachte Lochbruch im Stirnbein des in Falein entdeckten Mannes aus dem Frühmittelalter hat wohl zu dessen Tod geführt.
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Bild Marco Hartmann
Über die Gewalttat von Pnez
kann man nur spekulieren
Was genau ist den frühmittelalterlichen Toten aus Falein widerfahren? Man wird es wohl nie wissen.
Trotzdem liefert die Forschung Anhaltspunkte rund um das Verbrechen aus der Vergangenheit.
von Jano Felice Pajarola
D
er Fund hat grosses Aufsehen erregt im vergangenen Herbst: Hinter einem
Maiensäss im Gebiet Pnez
bei Filisur-Falein, auf Boden der Gemeinde Bergün, wurden bei
Bauarbeiten zwei menschliche Schädel
und verschiedene Knochen gefunden
(Ausgabe vom 18. Oktober). Was zuerst
als Fall für die Rechtsmediziner galt,
wurde nach einer C14-Datierung bald
einmal zu einer archäologischen Angelegenheit – die Skelettteile stammten
aus dem 7. oder 8. Jahrhundert, also
aus dem Frühmittelalter. Ein neuzeitliches Verbrechen konnte damit ausgeschlossen werden. Doch was weiss die
Wissenschaft inzwischen über die Toten von Falein?
Eine Spitze im Schädel
Eingehend mit den Schädeln und Knochen befasst hat sich Christine Cooper,
Anthropologin im Amt für Kultur und
Archäologie des Fürstentums Liechtenstein. Ihr wurden die Skelettteile Ende
2014 zur Begutachtung übergeben. Sie
stellt anhand der Überreste fest, dass
es sich bei den Toten um drei Individuen gehandelt haben muss. Da ist einerseits ein junger Mann, dessen Sterbealter sich aufgrund der Schädelnähte
und des Zahnzustands auf 20 bis 30 beziffern lässt. Sein Stirnbein weist einen
Lochbruch auf, dessen Rand ins Schädelinnere vorsteht. Alle Merkmale dieser Verletzung weisen gemäss Cooper
auf eine Entstehung um den Todeszeitpunkt hin. «Am ehesten», schreibt sie
in ihrem Bericht, «dürfte das Eindringen einer Spitze diesen Lochbruch verursacht haben.» Vermutlich liege der
Verletzung Fremdeinwirkung zugrunde – und da keine Heilungsspuren erkennbar seien, habe sie wohl zum Tod
des Mannes geführt.
Gewalt auch an der Frau
Andererseits ist da eine Frau, die wohl
im mittleren Erwachsenenalter starb –
gemäss Cooper mit etwa 40 bis 50 Jahren. Auch an diesem weiblichen Schädel finden sich Spuren von Gewalteinwirkung um den Todeszeitpunkt: eine
Impressionsfraktur, ein Eindrückungsbruch mit Knochenteilen, die leicht ins
Schädelinnere vorstehen. Die Delle verursacht haben könnte – wie beim jungen Mann – eine Spitze, wobei sie bei
der Frau nicht einen Lochbruch auslöste. Ausserdem verläuft im linken Scheitelbein eine elf Zentimeter lange Fraktur. Cooper geht davon aus, dass mindestens eine der beiden Verletzungen
durch Fremdeinwirkung vor dem Todeszeitpunkt entstanden ist. Aus den
weiteren Knochen schliesst die Anthro-
pologin schliesslich auf ein drittes Individuum unter den Faleiner Toten – es
gab drei Schienbeinpaare. Es war vermutlich ebenfalls eine Frau, sie dürfte
adult bis matur gewesen sein, also 20
bis 45 Jahre alt.
Zwei Ungewöhnlichkeiten
Cooper schliesst in ihrem Bericht auf
eine vermutliche Gewalttat als Todesursache. Als eher ungewöhnlich taxiert
sie die Art der Verletzung: Bei frühmittelalterlichen Skeletten würden sonst
überwiegend Schwerthiebe festgestellt.
Als ungewöhnlich stuft sie zudem den
Umstand ein, dass eine Frau betroffen
ist. Und was war das Tatwerkzeug? Infrage komme eine vierkantige Spitze –
sie könne zu einer Waffe gehört haben,
aber auch zu einem Gerät beispielsweise aus der Landwirtschaft. Sicher bestimmen lasse es sich nicht. Cooper betont letztlich auch: «Über die Art des
Ereignisses, das zum Tod der Individuen geführt hat, lässt sich nur spekulie-
ren.» Dem Archäologischen Dienst
Graubünden geht es da nicht besser.
Zumal die undokumentierte Bergung
in verschiedenen Punkten Erkenntnisse verunmöglichte: Wie war die Abfolge der Erdschichten vor Ort? Wie lagen
die Skelette zueinander? Wie war das
Grab beschaffen? Existierten Beigaben
oder Trachtelemente, weitere Tote?
«Zu den Umständen des Befundes können wir praktisch nichts sagen», stellt
Kantonsarchäologe Thomas Reitmaier
fest. Was man auch nicht sicher weiss:
Wie sah es in Pnez vor gut 1200 Jahren
aus? «Es fällt auf, dass hier möglicherweise bereits im Frühmittelalter ein
Weg von Filisur über Falein-Pnez nach
Stuls bestanden hat», meint Reitmaier.
Letztlich sei unklar, ob das Maiensässgebiet damals schon offen und waldfrei gewesen sei, auch wenn es in den
wenigen zeitgenössischen Quellen ausdrücklich als «Alp- und Weidegebiet»
bezeichnet werde. «In dieser Zeit ist
für eine Bestattung aber nicht zwin-
Das Rätsel von Falein lösen – mit Fabulierlust im Parc-Ela-Schreibwettbewerb
Der Parc Ela nimmt sich
des Themas Falein an – auf
besondere Art und Weise.
An einem Forschungsabend gestern in Filisur
wurde er lanciert: der ParcEla-Krimiwettbewerb zu
den Toten von Falein.
Wie sind der Mann und die
beiden Frauen gestorben?
Gesucht sind die besten
Geschichten zum mysteriösen Knochenfund. Wenn
man schon nicht wisse, was
vor 1200 Jahren in Falein
geschehen sei – «warum
dann diese Lücke nicht mit
Fantasie füllen?», heisst es
in der Ausschreibung. Der
Wettbewerb ist «offen für
alle, die Lust am Schreiben haben». Willkommen
sind Texte auf Deutsch
oder Romanisch. Offen ist
auch das Format. Kurzgeschichten und Erzählungen
können ebenso abgegeben
werden wie Spoken Word
oder Slam Poetry – nur
mehr als 10 000 Zeichen
sollten die Werke nicht aufweisen. Eingereicht werden
können sie bis Ende Jahr an
[email protected].
Bewertet werden von
einer Jury Inhalt, Originalität und sprachlicher
Ausdruck. Zu gewinnen
gibt es als Hauptpreis ein
Wochenende in der Heidihütte auf Falein für bis zu
acht Personen oder 1000
Franken in bar und ein professionelles Lektorat. Zudem wird die Siegergeschichte in der Fachzeitschrift Archäologie Graubünden und auf «suedostschweiz.ch» publiziert.
Dort werden auch weitere
der besten Geschichten
aus dem Wettbewerb des
Parc Ela veröffentlicht. Nähere Informationen finden
sich online unter www.parcela.ch/krimi. (jfp)
gend eine zugehörige Kirche notwendig», erläutert Reitmaier. Allerdings
mache der Umstand, dass mindestens
zwei Personen gewaltsam zu Tode gekommen seien, das Ganze «natürlich
etwas delikat» – man könne da schon
auf die Idee kommen, die Leichen sei-
Die Toten
von Falein
suedostschweiz.ch/dossier
en abseits von den dauernd bewohnten Siedlungen im Wald verscharrt
worden. Der Fundort müsse ja nicht
zwingend auch der Tatort sein. Noch
etwas ist Reitmaier aufgefallen: dass in
und um Bergün im letzten Jahrhundert bereits mehrfach Skelette zum
Vorschein gekommen sind, ebenfalls
abseits der heute bekannten Dauersiedlung und der Kirchen – «leider alle
undatiert und nicht untersucht.» 1960
wurden bei Meliorationsarbeiten bei
Pedra Grossa, unweit des Schwimmbads, menschliche Knochen entdeckt,
aber nicht aufgehoben. Und 1930 hatte
man wenig oberhalb von Bergün, am
Weg nach Sagliaz, die Gebeine von vier
bis fünf Leichen gefunden, nahe beieinander, in etwa einem Meter Tiefe und
mit Steinen bedeckt. «Das zeigt zumindest, dass derartige Entdeckungen kein
Einzelfall sind», so Reitmaier. «Und die
undokumentierte Bergung hat schon
vor bald 100 Jahren die Fachleute rätseln lassen.»
Beitrag von TV Südostschweiz
heute um 18 Uhr