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Allen erkenntnishungrigen
Führungskräften gewidmet
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Coopers
Welt
Leadership für eine neue Zeit
Edition Summerhill
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Impressum:
1. Auflage, 2016
Copyright © 2016 Edition Summerhill e.U., St. Margarethen/Raab, Österreich
Wir danken dem Amalthea Signum Verlag für die Rückgabe der Rechte
an der Cooper-Erzählung aus "K. Völkl, H. P. Wallner, D. Kresse, 2008,
Das LILA-Management Prinzip, 1. Auflage" an die Autorin.
Umschlaggestaltung: Dodo Kresse, Wien, Österreich
Coverfotos: istock.com,
Satz, Grafiken und Fotos: Dodo Kresse,
Korrektorat: www.professionelles-lektorat.de
Druck und Bindung: Druckerei Bösmüller, Stockerau, NÖ.
Printed in Austria
ISBN 978-3-9504233-0-3 (Hardcover)
ISBN 978-3-9504233-1-0 (ebook)
www.summerhill.at.
www.cooperswelt.de
[email protected]
Besuchen Sie uns auf Facebook und Pinterest: Edition Summerhill
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags. Kein Teil
des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm und andere
Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter
Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet
werden.
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Wir leben Nachhaltigkeit!
Edition Summerhill – Eco-Premium Books
Edition Summerhill bietet Inspirationen für ein schöneres Leben. Ein
Aspekt dabei ist die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft und der Gesellschaft. Wir möchten sicherstellen, dass unsere Bücher und Leistungen den
Menschen Unterstützung leisten, sich ganzheitlich zu entwickeln. Ganzheitlich betrachtet aber müssen unsere Bücher in der Produktion ebenso
einen Beitrag zu einer besseren Welt leisten. Das erkennen wir an einer
nachgewiesenen ökologischen Nebenwirkungsarmut und einem sozialen Wirkungsreichtum. In der Produktion dürfen unsere Produkte die
Umwelt nicht belasten. Wir wollen Ihnen, lieber Leserin, lieber Leser, in
dieser Frage jeden Zweifel nehmen!
Daher arbeiten wir mit einem Druckpartner, der alle denkmöglichen Auswirkungen auf die Umwelt berücksichtigt und minimiert.
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Klimaneutrale Produktion mit CO2 Ausgleich,
ausgewählte Recyclingpapiere,
giftstofffreie Farben
Ein regionaler Ansatz in der Wertschöpfung ist ebenso wichtig, damit
Transportkosten minimiert werden. Wir drucken daher in Österreich. In
der Produktion ist der Umgang mit Menschen und der Gesellschaft wichtig:
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Gesunde Arbeitsbedingungen,
faire Entlohnung,
eine inspirierende Atmosphäre,
und ein Geist der Nachhaltigkeit.
Auch das haben wir bei unserem Druckpartner Bösmüller gefunden.
Überzeugen Sie sich selbst: www.boesmueller.at/zertifikate/
Natürlich haben Eco-Premium Books ihren Preis. Welchen Sinn aber hätte
es, mit billigen Büchern aus schlechten Produktionsbedingungen unseren
Planeten zu belasten? Wir bedanken uns bei Ihnen für Ihren fairen Beitrag
für eine bessere Welt!
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Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird,
wenn es anders wird, aber soviel kann ich sagen:
es muss anders werden, wenn es gut werden soll.
Georg Christoph Lichtenberg
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Vorwort
Leadership für eine neue Zeit: Viel wird darüber gesprochen, geschrieben
und diskutiert. Die Kernbotschaft lautet: Zunehmende Komplexität und
steigende Dynamik erfordern agile Unternehmen und damit eine veränderte Form der Führung. Doch was wir derzeit in der Wirtschaftswelt
beobachten, lässt sich durchaus mit Hyperaktivität beschreiben. Traditionelle Unternehmen kaufen Startups, um schnell ein digitales Geschäftsmodell mit jugendlichem Drive zu erhalten. Softwareentwickler gelten
mit Methoden wie Scrum und Co als neue Gurus der Selbstorganisation
und diese Praktiken werden von anderen Unternehmensbereichen hastig
als Blaupause übernommen. CEOs legen ihre Krawatten ab und pilgern
scharenweise ins Silicon Valley. Wer heute nicht schon agil, innovativ und
digital als Schlagworte auf Website und im Werbematerial anführt, gilt als
hoffnungslos rückständig.
Diese Entwicklung hat im Grunde viel Positives. Endlich weichen verkrustete Strukturen auf. Es kommt Bewegung in starre Systeme. Warum
sollte deshalb Skepsis angebracht sein? Die Vorbehalte richten sich vor
allem gegen die Oberflächlichkeit, mit der oft versucht wird, Veränderung
zu bewirken. Das liegt vor allem daran, dass Agilität mit Aktivität verwechselt wird. Dabei liegt der Schlüssel für Agilität im Wesen der Organisation und weniger in dem, was sie tut. Führungskräfte müssen deshalb
tief tauchen, um ihre Unternehmen erfolgreich in eine neue Form des
Arbeitens und Organisierens zu begleiten. Das beginnt bei der eigenen
Person. Und gerade das ist wohl der schwierigste Teil des Weges. Noch
immer gilt Innehalten und Reflexion im Management als Schwäche und
Zeitverschwendung.
Auch der Irrglaube, dass Organisationen wie Maschinen funktionieren
hält sich hartnäckig. Mitarbeiter werden dabei als Rädchen betrachtet, an
denen die Manager einfach drehen müssen, um etwas zu verändern. Das
Erstaunen ist groß, wenn das so gar nicht mehr funktioniert. Mittlerweile
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breitet sich in den Führungsetagen Ratlosigkeit aus, auch wenn dies nur
hinter verschlossenen Türen zugegeben wird. Schließlich gilt nach wie
vor Stärke als hohe Managementtugend. Wer will da schon als Zauderer
und Zweifler dastehen?
Jedoch sind Führungskräfte heute mehr denn je gut beraten, einfach einmal stehen zu bleiben und aufzublicken von ihrem gewohnten Spielfeld.
Dabei sollten sie all ihre Glaubenssätze und Einstellungen zur Seite legen,
die ihnen unmerklich die Sicht in die Zukunft verstellen. Zugegeben: Das
ist keine einfache Übung. Mit diesem Buch zeigen Dodo Kresse, Kurt Völkl und Heinz Peter Wallner auf fabelhafte Weise, wie es dennoch gelingen
kann. So gar nicht in der Management- und Beraterdiktion verfasst, ist
der Einstieg in Coopers Welt fast ein wenig unbequem. Doch gerade darin
liegt das Besondere.
Der argentinische Autor Jorge Bucay hat es treffend formuliert: Kindern
erzählt man Geschichten zum Einschlafen, Erwachsenen, damit sie aufwachen. Das gilt wohl auch für Coopers Welt. Die Einladung lautet: Lassen Sie sich ein auf diese Geschichte, die gleichzeitig eine Reise ist. Lassen
Sie Fragen und auch Irritation zu. Versuchen Sie, zu beobachten, ohne
gleich zu beurteilen. Sie werden dafür mit einem Perspektivenwechsel
belohnt, der ein wertvoller Begleiter auf Ihrem persönlichen Weg in die
neuen Zeiten sein kann.
Mag. Eva-Maria Ayberk
Leiterin des Hernstein Instituts für Management und Leadership
www.hernstein.at
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Inhalt
SEI DANKBAR FÜR DAS CHAOS
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Neues Denken:
Reise ins Land des Unplanbaren
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Erstes Gleichnis: WASSER UND BROT
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Neue Haltung:
Darwin und Spencer
auf dem falschen Dampfer 39
Zweites Gleichnis: FLEISCH UND BLUT
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Neues Tun:
Das Ende der Einsamkeit 55
Drittes Gleichnis: WORT UND TAT
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Neue Erkenntnis:
Das Bessere möglich machen
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Viertes Gleichnis:
TRAUM UND WIRKLICHKEIT
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Leadership für eine neue Zeit
Das Geheimnis der liegenden Acht
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COOPERS RÜCKBLICK
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Theorie zum
Lernen in der liegenden Acht 85
DIE VIER PHASEN DER ENTWICKLUNG
85
DIE FÜNF PRINZIPIEN ERFOLGREICHER VERÄNDERUNG 87
Vertiefung
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Leadership für eine neue Zeit
SEI DANKBAR FÜR DAS CHAOS
Cooper verließ das Firmengebäude in der Wiener Innenstadt und steuerte auf den Naschmarkt zu. Das Gespräch mit seinem Vorgesetzten hatte
ihn zusätzlich zu den Schwierigkeiten in der Firma verstimmt. Die sonst
so angenehme Szenerie des Marktes ließ ihn daher heute seltsam kalt.
Die Preisfeilscherei der Gemüsehändler konnte ihn ebenso wenig erheitern wie der beleibte Gurkenverkäufer, der sich die Seele aus dem Leib
schrie, um seine Essiggurken an den Mann zu bringen. Im Gegenteil,
das Geplärre erschien ihm wie ein Sinnbild für seine eigene Situation. Er
strengte sich ebenso an, seine Mitarbeiter zu mehr Engagement anzufeuern und seinen Leuten klarzumachen, dass sie mehr Eigenverantwortung
übernehmen sollten. Und was war das Ergebnis? – Sie sahen ihn genauso unbeeindruckt an, wie er gerade eben den Gurkenhändler anschaute – unbeteiligt, unberührt und versunken in die eigene Gedankenwelt.
Warum kam er nicht heran an seine Leute? Warum war es so schwierig,
ihre Lust auf Entwicklung, auf Bildung und Verantwortung zu wecken?
Zugegeben, heute war ihm dieser Gusto ebenfalls vergangen. Der CEO,
dem er ansonsten unbedingten Respekt und beinahe so etwas Ähnliches
wie Freundschaft entgegenbrachte, hatte ihn heute eindringlich gebeten,
die Selbstverantwortung seines Teams anzuheben. Zukünftig hätte sich
alles um eine höhere Agilität zu drehen, hatte er gesagt. Einfach so, als
verfügte Cooper über einen Zauberstab, mit dem er so etwas herbeihexen
könnte. Das war ja bei vielen der Grund, weshalb sie überhaupt in seiner
Organisation arbeiteten – weil sie sich selbst keinen „Job organisieren“
wollten. Oder konnten? Darüber war sich Cooper auch nicht im Klaren.
Seine Leute waren es gewohnt, im „alten System“ zu funktionieren: Von
oben kommen die Befehle, die Ziele, die Ideen, die Kontrolle, die Verantwortung – einfach alles … und unten „funktioniert man eben“ wie ein
Zahnrädchen – präzise greift eins ins andere. Präzise? Cooper seufzte und
schnupperte an einer Ananas. Sie duftete nach gar nichts und er legte sie
enttäuscht zurück. Können sich Zahnrädchen selbst organisieren? Cooper
suchte nach einer Antwort und fand nur weitere Fragen. Er kannte sich
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Coopers Welt
nicht aus, und das mochte er gar nicht. Es passte einfach nicht zu ihm,
keinen klaren Kopf zu haben.
Er fühlte sich, als wären seine Schultern zehn Zentimeter schmäler und
sein Gang angestrengter geworden. Was war zu tun? Nicht einmal ein
Therapeut könnte ihm hier weiterhelfen. Man kann schwerlich eine ganze
Organisation auf die Couch legen, um sie zu coachen. Im Lauf seiner Karriere hatte er eine Menge Sachliteratur durchgeackert, aber nur weniges
hatte ihn wirklich berührt oder gar bereichert. Stets war er nur seinem
Instinkt gefolgt und damit nicht schlecht gefahren. Er hatte sich immer
als amikaler Abteilungsleiter gesehen. Als einer, zu dem man Vertrauen
haben kann. Er hatte es genossen, wenn er zu fühlen glaubte, dass die
Menschen zu ihm aufblickten und ihn ins Vertrauen zogen. Und er hatte
sich immer als absolut kompetent empfunden. Wo war diese verdammte
Weggabelung gewesen, an der er begonnen hatte, die Kontrolle zu verlieren? Hatte sich etwa die Welt verändert, ohne dass er es bemerkt hatte?
Waren das Zeichen des Älterwerdens oder schlimmer noch - des Alters?
Wohl kaum, denn sein Käpt’n war um die zehn Jahre älter und anscheinend entdeckte jener die Veränderungen der Zeit sehr wohl - und darüber hinaus auch die Notwendigkeit, darauf zu reagieren, und zwar ohne
Aufschub.
Cooper kratzte sich den Nacken, während er zögernd den einkaufenden
Männern und Frauen auswich und ein paar Rempler einstecken musste.
Vielleicht, dachte er weiter, hatte sich die Zeit verändert, aber seine Leute
nicht. Waren sie einfach stehen und stecken geblieben – mit ihm? Wegen
ihm? Die trüben Gedanken bauten eine gläserne Wand zwischen ihm und
dem Treiben des Marktes. Er hätte so gerne an diesem lebendigen Pulsieren teilgehabt, sich an den Farben der Pfirsiche, Melonen und Papayas
erfreut, über den eckigen Schädel des Knurrhahns und über die Stacheln
des Seeigels gestaunt und die Heiterkeit des wolkenlosen Himmels in sich
aufgesogen. Alles plätscherte an ihm vorbei. Der Tag fand ohne ihn statt.
Ein jäher Schmerz ließ ihn zusammenzucken. Er rieb sich das Schienbein und konnte gerade noch den Schatten des Geschäftsmannes, des14
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sen Aktenkoffer ihn getroffen hatte, bemerken. Keine Entschuldigung.
Wahrscheinlich hatte ihn der eilige Typ gar nicht bemerkt. Wo war seine
Kraft geblieben? Seine Zuversicht und sein Humor, für den er in der Firma geradezu berüchtigt war? Cooper war froh, dass solche Tage in der
Minderheit blieben. Mehrere hintereinander von dieser Sorte konnte und
wollte er sich gar nicht vorstellen. Denn allzu deutlich spürte er diese feine Grenzlinie – unsichtbar, aber real. Wenn er diese überschreiten würde,
wäre er imstande, einfach alles hinzuwerfen – seine Arbeit, seine Ehe, seine Familie, sein Leben in der Stadt. Er wusste, dass er sich diese Grenze
am besten gar nicht genauer ansehen sollte. Es genügte, von ihrer Existenz zu wissen, um sich ganz schnell wieder zur Ordnung zu rufen. Um
Lösungen zu suchen und zu finden, um die Gedanken zu strukturieren
und „normal“ zu bleiben. Er mochte seinen Job. Er mochte die Menschen
mit ihren Schrulligkeiten, mit ihren Wünschen und Träumen. Und sie
mochten ihn – zumindest war das bis heute so gewesen.
Coopers Magen knurrte. Er lehnte sich an einen der beiden Stehtische
vor einem kleinen italienischen Delikatessenladen und bestellte ein Glas
Merlot und eine Kleinigkeit zu essen. Ich muss dringend etwas ändern,
dachte er und leerte sein Glas. Sorgsam fegte er die Krümel seines Mortadella-Weckerls von der Tischplatte und erschrak, als sich eine Hand auf
die seine legte. Er zuckte zurück und erkannte in dem Mann, der nun
lachend hervortrat, seinen alten Freund Professor Edu Art.
„Ein bisschen schreckhaft heute, was, Cooper?“, meinte er. Edu Art stand
neben ihm - im eleganten Nadelstreifanzug, dem man seine Nadelstreifen
kaum ansah. Dazu trug er meisterlich saloppe Maßschuhe und keine Krawatte. Er hatte die Angewohnheit, mühelos elegant zu wirken, ohne dabei
im Mindesten etwas Schnöseliges an den Tag zu legen. Cooper wusste
nicht genau, wie er das eigentlich anstellte, aber da Edu Art auch in seinem Inneren so war – nämlich blitzgescheit, ohne dabei den Humor zu
verlieren –, hatte es sich Cooper angewöhnt, Edu Art als eine Art Naturwunder zu betrachten, das man nicht weiter hinterfragt. Er freute sich
über die Begegnung, den ersten Lichtblick des Tages.
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Coopers Welt
„Bist du nur hier, um die ‚Urbanek-Regel’ zu bestätigen, oder was führt
dich hierher?“, fragte Cooper.
„Regel?“
„Die ‚Hier-trifft-man-die-richtigen-Leute’-Regel.“
Edu Art legte seinem Freund den Arm um die Schulter und raunte: „Wer
weiß schon zu sagen, wer der oder die Richtige ist?“
„Wie wahr, Professor“, stimmte Cooper zu und bestellte noch zwei Gläser
Merlot. „Dennoch bist du wahrscheinlich heute der Richtige, um mir bei
einer verzwickten Sache zu helfen. Ich steh wie vor einer Wand. Und sei
sie nur aus Papier, so kann ich sie trotzdem weder eintreten noch zerreißen oder sonstwie entfernen.“
„Beziehungsschwierigkeiten?“
„Das fehlt mir gerade noch. Es kommt schließlich immer alles zusammen.“
„So melancholisch kenne ich dich gar nicht, altes Haus.“
Cooper runzelte die Stirn. „Melancholisch ist nicht das richtige Wort. Ich
bin ratlos.“
„Kurzfristig ratlos, wie ich annehmen möchte?“ Edu Art zog die linke
Braue hoch.
„Gewiss, wir sind doch richtige Burschen!“, Copper lächelte. „Aber im
Ernst: Ich weiß nicht, was ich tun soll. Du kennst doch meinen Käpt’n?“
„Nennst du ihn immer noch Käpt’n, deinen Chef, und bist ihm so zugetan?“, amüsierte sich Edu Art. „Ich mag deine romantische Huckleberry-Finn-Ader. Die hält dich elastisch, in jeder Hinsicht. Also ja, natürlich kenne ich Fen O’Men, ein prächtiger Mensch, sehr belesen. So wie
man sich einen CEO nur wünschen kann.“
„Klar sind wir uns zugetan, wie du so hübsch sagst. Das ändert aber
nichts daran, dass ich ihn derzeit überhaupt nicht verstehen kann. Niemand, zur Hölle, weiß, was der Kerl von mir will!“ Cooper hieb mit der
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Faust auf das fragile Stehtischchen.
Edu Art hielt den Tisch in Balance und meinte: „Eventuell will er, dass du
dich um deine Leute kümmerst. Das ist so üblich bei einem Abteilungsleiter.“
„Deinen Humor in Ehren, aber…“ Cooper schüttelte den Kopf. „Egal.
Wenn der Käpt’n Chinesisch reden würde, könnte es mir nicht unverständlicher sein.“
„Was will er denn so Ungewöhnliches?“
„Du weißt ja, er ist unheimlich bewandert in diesen modernen Wissenschaften“, erklärte Cooper..„Immer wieder fängt er davon an, etwa mit
Bionik. ‚Cooper‘, sagt er dann, ‚mein lieber Cooper! Wir müssen das in
unsere Organisation tragen – fliegen wie die Zugvögel, organisieren wie
die Insekten, bauen wie die Ameisen, Schwärme bilden wie die Fische.‘
Sind wir ein Tiergarten? Als ob das alles so einfach umzusetzen wäre!
Außerdem bin ich froh, wenn sich keine Schwärme bilden – in der Cafeteria …“
„Wirst du jetzt zynisch auf deine alten Tage?“ Edu Art deutete einem der
Kellner, ihm nachzuschenken, was prompt geschah.
„… und dann doziert er“, Cooper ignorierte Edu Arts Zwischenfrage,
„von dieser und von jener neuesten Erkenntnis aus der Hirnforschung,
aus der Kybernetik, der Quantentheorie, der Systemtheorie, der Soziologie, et cetera … Er spricht von Nichtlinearität, Komplexität, Agilität,
Kohärenz und kollektivem Denken - und all das möge zum Schlüssel für
die Probleme in unserer Organisation werden. Immer wieder sagt er: ‚Du
weißt schon, was ich meine, nicht wahr?’ Und ich nicke nur stumm und
hab’ keine Ahnung. Wahrscheinlich schau ich so gscheit aus, dass er keinen Verdacht schöpft. Meine hohe Stirn führt ihn vielleicht in die Irre …“
„Deine hohe Stirn? Das könnte sein“, pflichtete Edu Art ihm bei und ordnete seine Manschetten.
„Dann sagt er noch: ‚Das wird unsere verstaubte Firma in eine moder17
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ne, agile Organisation verwandeln, auf die wir beide stolz sein werden.
Und du wirst das umsetzen, Cooper! Ich weiß, dass ich mich auf dich
verlassen kann. Darüber hinaus möchte ich, dass du mich erstaunst, mich
geradezu verblüffst!‘ Also, ich kann dir sagen, mein Käpt’n wäre mehr
als erstaunt, wenn er wüsste, wie ahnungslos ich bin. Ich hab mich in der
vorherigen Firma bereits für das Arbeiten in großen Gruppen engagiert,
das war wirklich hip damals, aber in den meisten Fällen ist davon nur ein
schaler Nachgeschmack geblieben. Begeistert waren bloß die Beratungsunternehmen. Bei uns blieb eine bestenfalls irritierte, in den meisten Fällen aber emotional völlig unberührte Gruppe zurück. Wer will sich schon
freiwillig entwickeln? Ohne ein dringendes Muss, ob in Form von Krankheit oder einer anderen Not, sind doch alle Menschen ziemlich träge und
faul. Alleine die Kunst der Reflexion ist nur wenigen gegeben. Wer denkt
schon ein bisschen weiter als bis zur eigenen Nasenspitze? Und immer
wieder empfiehlt er mir die neuesten Bücher, mein Käpt’n. Tolle Bücher,
zugegeben, aber ich hab keinen Klon, der sich ein Jahr Urlaub nimmt, auf
eine einsame Insel zieht und alles studieren kann, um dann daraus seine
Schlüsse zu ziehen. Wann soll ich das lesen – während ich schlafe? Und
verstehen! Ich kann’s ja gar nicht verstehen. Wirklich, Professor, das ist
mir alles zu kompliziert! Zu theoretisch. Es klingt ja recht faszinierend ab
und zu. Aber wenn es zur Pflicht wird, das alles zu durchschauen, dann
läuft mir die Gänsehaut über den Nacken. Selbstorganisation und Lebendigkeit, klar, darüber habe ich auch einiges gelesen, schon vor Jahren. Was
hilft mir das? Sind doch meine Leute oft so wenig selbstorganisiert, dass
sie zu mir laufen, nur wenn sie ein Formular für die Spesenabrechnung
ausfüllen müssen. Gerade so, dass ich ihnen nicht die Hand mit dem Kuli
führen muss. Und Lebendigkeit? Wann habe ich schon Freude auf ihren
Gesichtern gesehen? Vielleicht, wenn sich das Wochenende nähert.“
Edu Art legte seinen Kopf leicht in den Nacken und sah Cooper unter halb
geschlossenen Lidern an. Das machte er immer, wenn er etwas Wesentliches zu sagen hatte.
Cooper horchte also.
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„Alles Entscheidende entsteht trotzdem, Cooper“, sagte Edu Art und
nickte dazu.
„Nietzsche?“ Cooper erinnerte sich an Edu Arts Vorliebe für den Philosophen.
„Exakt“, bemerkte Edu Art. „Und ich meine, dass Nietzsche recht hatte.
Worauf wartest du? Auf einen leichten Weg? Willst du deinem Boss ein
Konzept vorlegen, das er an jeder Straßenecke für ein paar Euro kaufen
kann? Sei dankbar für die störrische Organisation, für alle Steine, die dir
im Weg liegen, für jede kleinkrämerische, spießige Meldung aus dem
Mund deines Teams. Für jede Plage und Mühe, die sie dir durch ihre
Unmündigkeit, Faulheit und Verantwortungslosigkeit bereiten.“
Cooper betrachtete ihn ungläubig. Was redete er da? War das ansteckend?
Jetzt faselte Professor Edu Art auch schon unverständliches Zeug. Hatte
sich denn die ganze Welt gegen ihn verschworen? Oder lag es einfach an
ihm – wurde er verrückt? Fühlte sich das so an?
„Wenn du nun denkst, ich hätte ein wenig zu viel Merlot genossen“, sagte Edu Art, als er Coopers Blick auffing, „so irrst du dich. Ich meine das
ganz ernst. Würde ein Zahnarzt einen Patienten fortschicken, weil dieser
ein schlechtes Gebiss hat? Sicher nicht. Da erst ist sein ganzes Geschick,
all das, was er über die Jahre an Theorie und Praxis erfahren hat, richtig
gefordert. So ist es auch bei dir, Cooper. Du bist gefordert. Jetzt! Und die
Praxis in all deinen Jahren als Abteilungsleiter in dieser Organisation wird
dir nun dabei helfen, aus der tatsächlich schon sehr verstaubten Bude eine
moderne, dynamische Organisation zu machen, die wirklich zukunftsfähig ist. Das hast du deinem Käpt’n nämlich voraus, die Nähe zur Praxis.
Wenn er auch vieles gelesen und gedacht haben mag – du bist der Mann
vor Ort! Du bist der Umsetzer, ohne dich wird nichts geschehen. Ohne
dich bleibt der Baum des Lebens grau. Es ist an dir, ihn saftig grün zu
machen. Du bist der, der dieser Organisation neues Leben einhauchen
wird. Vertraue auf dich und vertraue besonders auf dein Bauchgefühl,
auf deine Intuition.“
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Coopers Welt
Jetzt wusste Cooper wieder, warum er Professor Edu Art so mochte. Es
gab Menschen, denen man nur zuzuhören brauchte, um neue Kraft und
Energie zu finden. Edu Art war einer dieser seltenen und inspirierenden
Menschen.
Cooper fühlte, wie ihn der Gedanke an seine Möglichkeiten, die Organisation mit neuem Leben zu erfüllen, erfrischte und aufmunterte. Ja, das
war doch damals der Grund gewesen, diese berufliche Laufbahn einzuschlagen. Diffus erinnerte er sich an ein Sachbuch über dynamische Systeme und über Selbstorganisation im Management, das ihn vor vielen Jahren tief beeindruckt hatte. Er hatte es nicht wirklich verstanden, aber es
gab ihm eine Ahnung, ein unscharfes Bild, wie ‚es‘ gehen könnte. Damals
hatte er sich mit diesem unscharfen Bild zufriedengegeben. ‚Fuzzylogik‘
wird reichen, hatte er gehofft und war in die Organisations- und Personalentwicklung gegangen. Irgendwo auf diesem Weg war ihm die ‚Idee‘
der Selbstorganisation dann entfallen, so zwischen Kaffee und Budget. Er
konnte sich nicht mehr erinnern. Aber das war jetzt auch nicht wichtig.
Wichtiger war, dass er wieder neue Hoffnung schöpfte.
Langsam verflüchtigte sich der schlammfarbene Nebel, der den ganzen
Tag über seiner Stimmung gelegen hatte. Die ersten mutigen Gedanken tauchten auf wie zartblaue Streifen, die den dunklen Regenhimmel
durchbrechen.
„Ich brauche jemanden, der mir dabei hilft“, sagte Cooper. „Jeder, der
Großes tun will, braucht Hilfe.“
„Nun“, meinte Edu Art, „ich wüsste schon jemanden, der dir da enorm
weiterhelfen könnte.“
„Wen?“
Edu Art zögerte sichtlich, den Namen preiszugeben. Er sah Cooper lange
an, wiegte den Kopf hin und her und klopfte mit seinem Siegelring sachte
auf die Tischplatte. Cooper hatte ein gespaltenes Verhältnis zu Siegelringen. Sie kamen ihm anachronistisch vor, doch Edu Art konnte sich das
leisten. Der Teufel allein wusste, warum.
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Leadership für eine neue Zeit
„Nun komm schon! Wenn du mir auch nur irgendjemanden nennen
kannst, der sich auf diesem Gebiet ein paar Lorbeeren verdient hat, dann
sprich. Ich zahle gut, wie du weißt. Alles hat seinen Preis.“
„Dieser Preis ist tatsächlich hoch“, sprach Edu Art leise. „Ich bin mir nicht
sicher, ob du ihn bezahlen kannst oder willst.“
„Was soll das heißen?“, fragte Cooper. „Tu nicht so geheimnisvoll.“
„Das hat tatsächlich mit Geheimnissen zu tun“, gab sich Edu Art weiter
zugeknöpft.
„Also, wie heißt der Knabe?“
„Es ist kein Knabe.“
„Dann halt Typ, Meister, Guru, hochherrschaftlicher Know-how-Kaiser,
ist doch egal!“, knurrte Cooper ungeduldig.
„Ich denke nicht, dass es gleichgültig ist, wie man jemanden nennt,
Cooper. Der Name bestimmt den Inhalt mit“, sagte Edu Art mit gedämpfter Stimme.
„Genug! Wie heißt er?“ Cooper lehnte sich so weit nach vorn, dass sein
Gesicht von Edu Arts Kopf nur noch wenige Zentimeter entfernt war.
„Er ist mitnichten ein Er“, antwortete Edu Art und grinste. „Durch enge
Freunde weiß ich“, setzte er fort und senkte seine Stimme, „dass eine Art
Beraterin in ein paar bedeutenden Unternehmen zu tiefgreifenden Änderungen beigetragen hat. Ihr Wissen und vor allem ihre Intuition sind
erstaunlich. Aber sie spricht in Gleichnissen, die man erst entschlüsseln
muss, um hinter deren Geheimnisse zu kommen. Doch es hat sich bisher
in jedem Fall ausgezahlt. So sagt man jedenfalls. Wenn du deinen Käpt’n
dazu bringen kannst, sich darauf einzulassen, dann will ich gerne den
Kontakt zu Madame Dim En Sion herstellen.“
„Und wie heißt sie im wirklichen Leben, diese Madame Dim En Sion?“,
wollte Cooper wissen.
Edu Art leerte sein Glas, stellte es sorgsam ab und sagte: „Belassen wir es
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Coopers Welt
bei diesem Namen. Es ist wohl systemimmanent, dass sich Personen mit
geheimem Wissen gern bedeckt geben. Ich muss dir aber noch etwas dazu
sagen, Cooper. Es werden Reisen zu eventuell weit entfernten Orten notwendig sein. Ich weiß auch nichts Näheres, lediglich, dass diese Gleichnisse an bestimmten Orten übermittelt werden, bei denen Madame Dim
En Sion die Koordinaten festlegt.“
„Wenn ich noch dazu in der Lage wäre“, erwiderte Cooper, „würde ich
gerne darauf anstoßen, alter Freund. Ich bin es aber leider nicht. Lass uns
daher ein einfaches Glas Wasser auf die Reisen der Erkenntnis trinken, wo
auch immer sie uns hinführen werden.“
„Kolossaler Gedanke, Cooper! Wasser, so klar wie die Erkenntnis!“ Mit
einem Mal wirkte Edu Art stocknüchtern, verriet sich aber durch einen
zweiten offenen Hemdknopf.
Man trank also noch zwei Gläser Wasser und danach trennten sich die
beiden mit Coopers Versprechen, Professor Edu Art anzurufen, sobald er
mit seinem Käpt’n gesprochen hatte.
Die Sonne stand tief, als Cooper die Ringstraße überquerte und in sein
Büro zurückschlenderte. Aus der einen Stunde Mittagspause waren nun
doch zwei geworden. Aber Cooper spürte, er hatte etwas ganz Wichtiges
vor sich und so etwas wie einen heimlichen Joker in der Tasche.
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Leadership für eine neue Zeit
Neues Denken:
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