Die Finanzgerichte Düsseldorf und Nürnberg äußern sich ebenfalls

Die Finanzgerichte Düsseldorf und Nürnberg äußern sich ebenfalls
zu den Bauleistungen
Die Odyssee geht weiter bei der Inanspruchnahme der Subunternehmer.
Wieder sind zwei Subunternehmer im einstweiligen Rechtsschutz an die
Finanzgerichte
herangetreten.
Wieder
gibt
es
Entscheidungen
mit
unterschiedlichen Begründungen.
FG Düsseldorf, Beschluss vom 31.08.2015 – 1 V 1486/15
Das FG Düsseldorf hat die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt, da nach Ansicht
des Gerichts sich das Finanzamt zu Recht auf die Änderungsvorschrift des § 27 Abs.
19 UStG berufen habe. Der Beschluss betrifft die Jahre 2009 und 2010. Der
Gesetzgeber
habe
Verhältnismäßigkeit
das
Prinzip
und
des
Zumutbarkeit
Vertrauensschutzes
zugunsten
der
im
Rahmen
der
Rechtssicherheit
zulässigerweise eingeschränkt.
Der Subunternehmer genießt durch die Möglichkeit der Abtretung eine Art
Vertrauensschutz.
FG Nürnberg, Beschluss vom 26.08.2015 – 2 V 1107/15
Der Beschluss des FG Nürnberg betrifft die Jahre 2010 bis 2012. Ebenfalls wird hier
die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt, allerdings mit einer interessanten
Begründung.
Für
die
Frage
der
Aussetzung
der
Vollziehung
sei
das
Aussetzungsinteresse des Subunternehmers mit den gegen die Aussetzung der
Vollziehung sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen.
Das Gewicht der ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der
betroffenen Vorschrift ist bei dieser Abwägung nicht von ausschlaggebender
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Bedeutung. Diese Rechtsprechung ist mit den verfassungsrechtlichen
Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes vereinbar.
Über die Frage der Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit brauche sich das Gericht
nicht äußern, da diese Zweifel bereits vom FG Berlin-Brandenburg geäußert wurden.
Praxistipp:
Aktuell erhalte ich immer wieder die Rückmeldung, dass die Finanzämter den
Subunternehmern mitteilen, eine Abtretung komme nur dann in Betracht, wenn der
Subunternehmer von sich aus die Umsatzsteuer- Festsetzungen ändert. Diese
Aussage ist jedoch nicht richtig. Das Finanzamt hat kein Ermessen bei der Annahme
der Abtretung. Das Finanzgericht Düsseldorf stellt in seinem Beschluss auch noch
einmal klar, dass das Finanzamt zur Annahme der Abtretung verpflichtet sei. In
derartigen Fällen kann aber bereits auf das BMF-Schreiben vom 31.07.2014 in
Randnummer 7 verwiesen werden. Hier heißt es, dass das Finanzamt die Abtretung
anzunehmen hat. Darüber hinaus zielt die in § 27 Abs. 19 Satz 4 Nr. 4 UStG
genannte Mitwirkungspflicht nicht auf die Korrektur der Umsatzsteuerfestsetzungen
ab. Die Vorschrift des § 27 Abs. 19 UStG kann wie folgt aufgeteilt werden:
·
§ 27 Abs. 19 Satz 1 und 2 UStG betreffen das Festsetzungsverfahren
·
§ 27 Abs. 19 Satz 3 und 4 UStG betreffen das Erhebungsverfahren
Stand: 25.09.2015
Autor: Dipl.-Fw. (FH) Robert Hammerl LL.M., Steuerberater
Anlagen:
FG Düsseldorf 31.08.2015
BMF 31.07.2014
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Finanzgericht Düsseldorf, 1 V 1486/15 A (U)
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Finanzgericht Düsseldorf, 1 V 1486/15 A (U)
Datum:
31.08.2015
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 V 1486/15 A (U)
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Die Beschwerde wird zugelassen.
1
Gründe:
I.
2
Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung von gemäß § 27 Abs. 19 UStG geänderten
Umsatzsteuerbescheiden der Jahre 2009 und 2010.
3
Die Antragstellerin ist in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG als Bauunternehmen unternehmerisch tätig. Sie
erbrachte in den Streitjahren 2009 und 2010 Bauleistungen an die als Bauträger tätige T GmbH T . Die
Antragstellerin unterwarf diese Leistungen nicht der Umsatzsteuer. Die von der Antragstellerin ausgestellten
Rechnungen enthalten den Hinweis an den Leistungsempfänger auf dessen Steuerschuldnerschaft gemäß
§ 13b UStG. Entsprechend trug der Bauträger T die Steuerschuld (sog. Reverse-Charge-Verfahren).
4
Die Antragstellerin reichte ihre Umsatzsteuererklärungen für das Jahr 2009 am 10.06.2010 und für das Jahr 2010
am 13.05.2011 beim Antragsgegner, dem Finanzamt () FA , ein. Die Bauleistungen der Antragstellerin an T
wurden erklärungsgemäß in den gemäß § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden
Umsatzsteuerbescheiden nicht der Besteuerung unterworfen. Mit Bescheid vom 02.03.2011 hob das FA den
Vorbehalt der Nachprüfung für die Umsatzsteuerfestsetzung des Jahres 2009 auf. Am 09.10.2012 erließ das FA
nach Durchführung einer Lohnsteuer-Außenprüfung einen gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten
Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2010, am 02.09.2014 hob das FA nach der Durchführung einer
Betriebsprüfung für die Jahre 2010 bis 2012 den Vorbehalt der Nachprüfung auch für die
Umsatzsteuerfestsetzung des Jahres 2010 auf.
5
Mit Schreiben vom 01.08.2014 beantragte T unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs BFH vom
22.08.2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128) die Erstattung der nach § 13b UStG für Bauleistungen
(auch) der Antragstellerin abgeführten Umsatzsteuer in den Jahren 2009 und 2010, weil sie diese nicht
unmittelbar für eigene Werklieferungen verwandt habe, auch wenn der Anteil der umsatzsteuerpflichtigen
Umsätze 10 % überstiegen habe.
6
Das FA ordnete daraufhin am 04.11.2014 die Durchführung einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der
Antragstellerin an. Das FA ist der Auffassung, dass aufgrund des Erstattungsantrages des Bauträgers die
Umsatzsteuer für die gegenüber T erbrachten Bauleistungen nunmehr von der Antragstellerin zu entrichten sei.
Der Prüfer wies die Antragstellerin zudem auf die Möglichkeit der Forderungsabtretung bei Erstellung geänderter
Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis hin und fügte dem Bericht einen Vordruck für Forderungsabtretung bei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht über die bei der Antragstellerin durchgeführte
Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom 01.12.2014 Bezug genommen.
7
Die Antragstellerin erteilte T keine korrigierten Rechnungen mit offenem Umsatzsteuerausweis über die
erbrachten Bauleistungen in den Jahren 2009 und 2010, so dass eine Abtretung der hieraus resultierenden
Erhöhung der Werklohnforderung der Antragstellerin gegen T an das FA ausschied.
8
Das FA erließ am 08.04.2015 gemäß § 27 Abs. 19 UStG geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2009
und 2010, und forderte die Antragstellerin zur Zahlung von Umsatzsteuern iHv 4.191,40 (2009) und 45.447,05
(2010), insgesamt iHv 49.638,45 auf. Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 21.04.2015
Einspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass aus Vertrauensschutzgründen die Umsatzsteuer für die an T
in den Jahren 2009 und 2010 erbrachten Bauleistungen nicht im Jahr 2015 festgesetzt werden könne. Sie wäre
dann mit einer Anwendung des § 27 Abs. 19 UStG einverstanden, wenn seitens der Finanzverwaltung garantiert
werde, dass für den Fall, dass die Abtretung ihre Wirkung verliere, z. B. wegen der Einrede der Verjährung,
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diese gleichwohl schuldbefreiend wirke. Den im Rechtsbehelfsverfahren gestellten Antrag auf Aussetzung der
Vollziehung der geänderten Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 lehnte das FA am 07.05.2015 ab.
Diese begehrt die Antragstellerin nunmehr durch das Gericht.
Zwar seien nach den Erkenntnissen des BFH in dem Urteil vom 22.08.2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20, BStBl II
2014, 128) die Voraussetzungen für die Umkehr der Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG für die
Bauleistungen der Antragstellerin an T nicht (mehr) gegeben. Der Antragstellerin stehe jedoch Vertrauensschutz
für solche Umsätze zu, die bis zur Veröffentlichung des BMF-Schreibens vom 05.02.2014 (IV D 3-S 7279/11
/10002, BStBl I 2014, 233) ausgeführt worden seien.
10
Einer Änderung des Umsatzsteuerbescheides für das Jahr 2010 vom 09.10.2012 stehe zudem § 173 Abs. 2 AO
entgegen, weil dieser Bescheid aufgrund einer Außenprüfung ergangen sei, und die Antragstellerin hinsichtlich
der von ihr entsprechend den in den Streitjahren maßgeblichen Richtlinien des BMF steuerfrei belassenen
Bauleistungen nicht einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung verdächtig sei.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
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die Vollziehung der mit dem Einspruch angefochtenen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010, jeweils
vom 08.04.2015, bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung auszusetzen.
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Der Antragsgegner beantragt,
14
den Antrag abzulehnen,
15
hilfsweise die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zuzulassen.
16
Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass die angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheide der Jahre
2009 und 2010 rechtmäßig seien. Die Voraussetzungen für eine Änderung der bestandskräftigen
Umsatzsteuerbescheide gemäß § 27 Abs. 19 UStG seien erfüllt.
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Die Antragstellerin habe Bauleistungen an T erbracht, die dieser als Bauträger zur Ausführung eigener gemäß §
4 Nr. 9a UStG grundsätzlich steuerfreier Umsätze verwendet habe. Gemäß dem BFH-Urteil vom 22.08.2013 (V R
37/10 BFHE 2463, 20, BStBl II 2014, 128) sei daher die Vorschrift des § 13b UStG in der in den Jahren 2009 und
2010 gültigen Fassung nicht anwendbar, und nicht der Bauträger T, sondern die Antragstellerin Steuerschuldner.
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T habe sich als Leistungsempfänger auf die vorgenannte Rechtsprechung berufen und Erstattung der zu
Unrecht gemäß § 13b UStG von ihm einbehaltenen Umsatzsteuer beantragt. Nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG
müsse daher korrespondierend die Änderung der Steuerfestsetzung des leistenden Unternehmers erfolgen.
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Die Nachforderung der Umsatzsteuer sei auch nicht betragsmäßig begrenzt, weil der Bauträger beispielsweise
die Steuer nach § 13b UStG zugleich (teilweise) als Vorsteuer abgezogen habe (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG).
Auch in diesem Fall gelte die gesamte Umsatzsteuer für Bauleistungen als entrichtet" im Sinne des § 27 Abs. 19
UStG. Nicht erforderlich sei, dass die Steuer, die der Leistungsempfänger T in der Annahme entrichtet habe,
Steuerschuldner zu sein, bereits wieder an diesen erstattet worden sei.
20
Gegen die Änderung der Steuerfestsetzungen könne nicht eingewandt werden, dass der Fiskus die
Umsatzsteuer durch Zahlungen/Abtretungen des leistenden Unternehmers (vorübergehend) doppelt
vereinnahme. Für den Leistungsempfänger bestehe ein Erstattungsanspruch mindestens in gleicher Höhe, der
zwingend durch die Finanzverwaltung bedient werden müsse.
21
Nach § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG stehe einer Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung bei dem leistenden
Unternehmer auch nicht die Vorschrift des § 176 AO entgegen.
22
Die Regelung sei verfassungskonform und verstoße nicht gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Es liegt kein Fall der echten
Rückwirkung" vor.
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§ 27 Abs. 19 UStG sei der Regelung des § 174 Abs. 2 oder 3 AO vergleichbar. Die Vorschrift des § 27 Abs. 19
Satz 1 und 2 UStG löse einen Widerstreit, der darin bestehe, dass der Leistungsempfänger sich erfolgreich - für
einen bereits entstandenen Steueranspruch - zur Wehr setze und aufgrund dessen - ohne Rückgriff auf eine
andere Steuerfestsetzung - dieser unstrittig steuerbare und steuerpflichtige Vorgang in Gänze nicht der
Umsatzbesteuerung unterläge. Mit einer Korrektur nach § 174 AO gehe ebenfalls eine Änderung eines bereits
abgeschlossenen Zeitraums einher. Würde eine solche Änderung an einem etwaigen Vertrauensschutz
scheitern, wäre der Vorschrift der Sinn vollkommen genommen.
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Der Gesetzgeber gehe zudem davon aus, dass ein unter Umständen bestehendes Vertrauen des Leistenden in
die bisherige Verwaltungsauffassung nicht schutzwürdig sei, weil dieser gegen den Leistungsempfänger einen
zivilrechtlichen Anspruch auf zusätzliche Zahlung der Umsatzsteuer habe. § 27 Abs. 19 Satz 3 und 4 UStG biete
dem leistenden Unternehmer die Möglichkeit, diesen zivilrechtlichen Anspruch gegenüber dem
Leistungsempfänger auf die (noch ausstehende) Zahlung der Umsatzsteuer an das Finanzamt abzutreten. Diese
Abtretung wirke im Falle der Annahme durch das Finanzamt unter den weiteren Voraussetzungen des § 27 Abs.
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19 Satz 4 UStG an Zahlung statt und führe damit zum Erlöschen des Umsatzsteueranspruchs (§ 47 AO). Unter
Berücksichtigung des Neutralitätsprinzips sei der Leistende dann nicht in seinem Vertrauen verletzt, da er so
gestellt sei wie vor dem Änderungsbescheid. Im Folgenden trage ausschließlich das Finanzamt das Risiko der
Geltendmachung der Forderung gegenüber dem Leistungsempfänger.
Die Vorschrift des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG setze lediglich das Bestehen eines zivilrechtlichen Anspruchs gegen
den Leistungsempfänger, nicht jedoch dessen uneingeschränkte Durchsetzbarkeit und Werthaltigkeit voraus.
Zwischen den Beteiligten getroffene Bruttovereinbarungen und Abtretungsverbote oder die zivilrechtliche
Verjährung seien unbeachtlich. Auch eine einredebehaftete und damit wirtschaftlich ganz oder teilweise wertlose
Forderung könne zivilrechtlich abgetreten werden. Etwaige Einwendungen des Leistungsempfängers in Bezug
auf die Werthaltigkeit der abgetretenen Forderungen richteten sich ausschließlich gegen das Finanzamt und
könnten den leistenden Unternehmer deshalb nicht mehr (finanziell) belasten und dadurch in seinem Vertrauen
verletzen.
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Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Satz 3 und 4 UStG bestehe kein Ermessen im Hinblick auf
die Annahme der Abtretung, das Finanzamt müsse diese vielmehr zwingend annehmen. Für die Frage des
Vertrauensschutzes sei daher nicht im Einzelfall zu differenzieren, ob die Abtretung tatsächlich vom leistenden
Unternehmer angeboten werde. Komme es ausschließlich aufgrund des Handelns des Leistenden (z.B.
aufgrund dessen Weigerung, die Rechnungen gegenüber dem Leistungsempfänger zu korrigieren bzw. die
Abtretung anzubieten) nicht zur Abtretung, sei dieser insoweit nicht (mehr) schutzwürdig, da das Finanzamt
seine Abtretung unter den Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Satz 3 und 4 UStG zwingend hätte annehmen
müssen, wenn diese angeboten worden wäre. Die aufgrund der fehlenden Mitwirkung des Leistenden bei diesem
entstehende finanzielle Belastung könne unter diesen Umständen nicht mehr zu Lasten der Finanzverwaltung
ausgelegt werden.
27
Ein zivilrechtlicher Anspruch des leistenden Unternehmers gegenüber seinem Leistungsempfänger auf
zusätzliche Zahlung der Umsatzsteuer bestehe zudem regelmäßig. Seien die Parteien irrtümlicherweise
übereinstimmend davon ausgegangen, dass ein bestimmter Vorgang nicht der Umsatzsteuer unterliege, könne
die Frage, wer die tatsächlich angefallene Umsatzsteuer zu tragen hat, einer ergänzenden Vertragsauslegung
zugänglich sein (Bundesgerichtshof BGH , Urteil vom vom 14.01.2000 V ZR 416/97, UR 2000, 247). Selbst bei
einer sog. Bruttovereinbarung führe die irrige Annahme, dass der Leistungsempfänger Steuerschuldner sei, bei
späterer Aufdeckung dazu, dass eine vertragliche Regelungslücke vorliege, welche einer ergänzenden
Auslegung bedürfe. Deshalb habe der leistende Unternehmer in den hier strittigen Fällen dem Grunde nach
stets einen Anspruch auf zusätzliche Zahlung der Umsatzsteuer. Ob sich diese irrige Annahme, dass der
Leistungsempfänger Steuerschuldner sein sollte, ausdrücklich aus einem Vertrag, aus einer Rechnungserteilung
ohne gesonderten Umsatzsteuerausweis oder aus einem Hinweis gemäß § 14a Abs. 5 UStG in der Rechnung
ergebe, könne dahingestellt bleiben, weil der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer, deren Erstattung er nun
beantragt habe, stets in der Annahme seiner Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG entrichtet habe, indem er
selbst von einem Nettobetrag ausgegangen sei, auf den die Umsatzsteuer zusätzlich zu berechnen sei.
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Dieser Anspruch sei auch zivilrechtlich noch nicht verjährt. Die zivilrechtliche Verjährung der zusätzlichen
Forderung des leistenden Unternehmers gegen den Leistungsempfänger beginne nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB
erst mit Kenntnis über die den Anspruch begründenden Umstände, d.h. erst wenn das Finanzamt den
leistenden Unternehmer darüber informiert habe, dass § 13b UStG rückwirkend nicht anzuwenden sei und er
daher Steuerschuldner (geworden) sei.
29
Zudem würde der Leistungsempfänger widersprüchlich und rechtsmissbräuchlich handeln, wenn er die
Verjährungseinrede erheben sollte. Schließlich sei es der Leistungsempfänger, der durch sein treuwidriges
Verhalten gegenüber seinem Vertragspartner nachträglich und für diesen unerwartet einen steuerlich bereits
abgeschlossenen Vorgang aufleben lasse.
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Nach § 241 Abs. 2 BGB könne ein Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte,
Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Weiter regele § 242 BGB, dass der Schuldner
verpflichtet sei, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es
erfordern. So folge aus § 242 BGB insbesondere, dass jede Partei auf die Rechtsgüter der anderen Beteiligten
an einem Rechtsverhältnis angemessen Rücksicht nehmen müsse. Rechte müssten schonend ausgeübt
werden, Rechtsgüter der anderen Vertragspartei, insbesondere die Person, ihr Eigentum und ihr Vermögen,
dürften nicht verletzt werden. Da zwischen den Parteien seinerzeit vereinbart worden sei, dass der
Leistungsempfänger die Umsatzsteuer trage und abführe, und dies Kalkulationsgrundlage gewesen sei, müsse
dem leistenden Unternehmer nachträglich eine zivilrechtliche Nachforderungsmöglichkeit gegenüber seinem
Vertragspartner gegeben werden, wenn dieser sich einseitig von der getroffenen Absprache löse (vgl. BGH,
Urteil vom 12.06.2002 VIII ZR 187/01 Rn. 12, NJW 2002, 3110).
31
Dem Anspruch stehe auch ein ggf. vereinbartes Abtretungsverbot nicht entgegen. Das Abtretungsverbot könne
sich nicht auch auf eine Umsatzsteuerforderung beziehen, die nach den zivilrechtlichen Vereinbarungen zum
Zeitpunkt der Vereinbarung gar nicht bestanden habe, weil diese Steuer nach dem Vertrag von dem
Leistungsempfänger geschuldet war. Das gemäß § 399 BGB vereinbarte Abtretungsverbot greife in den
vorliegenden Fällen entweder aufgrund der (ggf. analogen) Anwendung des § 354a HGB bzw. aufgrund eines
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Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht.
Die Steuerfestsetzungen gegenüber der Antragstellerin seien im Zeitpunkt der Antragstellung durch den
Leistungsempfänger gemäß § 169 AO noch nicht verjährt. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung für die
Umsatzsteuer 2009 zum 31.12.2014 sei durch die Anordnung der Umsatzsteuersonderprüfung am 04.11.2014
und die Vornahme von Prüfungshandlungen noch im Jahr 2014 gehemmt worden (§ 171 Abs. 4 AO).
33
Der Antragsgegner sei an der Änderung der Steuerfestsetzungen auch nicht aus Vertrauensschutzgründen
gehindert. § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG schließe die Anwendung des § 176 AO ausdrücklich aus.
34
Die Umsatzsteuerfestsetzung 2010 habe trotz der vorangegangenen Betriebsprüfung nachträglich geändert
werden können. § 27 Abs. 19 UStG stelle eine gegenüber den Vorschriften der Abgabenordnung eigenständige
Änderungsvorschrift dar (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Buchst. d AO) und enthalte keine der Regelung in § 173 Abs. 2 AO
entsprechende Einschränkung der Änderungsmöglichkeit.
35
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie
die dem Gericht übermittelten Steuerakten Bezug genommen.
36
II.
37
Der Antrag ist nicht begründet.
38
Nach summarischer Überprüfung des derzeitigen Sach- und Streitstands bestehen keine ernstlichen Zweifel an
der Rechtmäßigkeit der mit dem Einspruch angefochtenen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010.
39
Nach § 69 Abs.3 Satz 1 i.V.m. Absatz 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- kann das Gericht der Hauptsache
auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht
durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel sind anzunehmen,
wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für
die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage
treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der
Beurteilung der Tatfragen bewirken. Der Prüfung der Sach- und Rechtslage sind der unstreitige Sachverhalt, die
gerichtsbekannten Tatsachen und die präsenten Beweismittel zugrunde zu legen (stdg. Rechtsprechung, vgl.
z.B. Beschluss des BFH vom 14. Mai 2008 V B 227/07, BFH/NV 2008, 1371 mwN).
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Bei der ausreichenden, aber auch erforderlichen summarischen Prüfung hat das FA zu Recht die
bestandskräftigen und nicht (mehr) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerbescheide
der Jahre 2009 und 2010 mit den angefochtenen Änderungsbescheiden vom 08.04.2015 gemäß § 27 Abs. 19
UStG in der Fassung vom 22.12.2014 (Art. 7 Nr. 9 des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an
den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014 -KroatAnpG-,
BGBl I 2014, 1266) geändert.
41
1. Die Voraussetzungen für eine Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und
2010 gemäß § 27 Abs. 19 UStG sind bei summarischer Prüfung erfüllt.
42
Gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG ist für den Fall, dass Unternehmer und Leistungsempfänger davon
ausgegangen sind, dass der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG auf eine vor dem 15. Februar
2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet, und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt, die gegen
den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern, soweit der Leistungsempfänger die
Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu sein.
43
Es ist unstreitig, dass sowohl die Antragstellerin als Unternehmerin als auch T als Leistungsempfänger zunächst
davon ausgingen, dass T gemäß § 13b UStG die Umsatzsteuer für die in den Jahren 2009 und 2010 in
Zusammenhang mit dem Bauvorhaben A von der Antragstellerin erbrachten Bauleistungen schuldete. Nach
Bekanntwerden des Urteils des BFH vom 22.08.2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128) stellte sich
diese Annahme als unrichtig heraus, weil T als Bauträger nicht selber Werklieferungen ausführte. T hat nunmehr
mit Schreiben vom 01.08.2014 die Erstattung dieser Umsatzsteuer vom FA gefordert.
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Hinsichtlich der Höhe der auf die von der Antragstellerin erbrachten Bauleistungen entfallende Umsatzsteuer,
gegen die im Übrigen auch keine Einwendungen erhoben werden, wird auf den Bericht über die bei der
Antragstellerin durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom 01.12.2014 Bezug genommen.
45
2. Der Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 im Bescheiden vom
08.04.2015 stand bei summarischer Prüfung § 169 Abs. 1 AO nicht entgegen. Die Festsetzungsfrist dürfte bei
beiden Steuerfestsetzungen noch nicht abgelaufen sein.
46
Die vierjährige Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuerfestsetzung des Jahres 2010 endete gemäß §§ 169 Abs. 2
Nr. 2; 170 Abs. 2 Nr.1 AO mit Ablauf des Jahres 2015, weil die Antragstellerin ihre Umsatzsteuerjahreserklärung
47
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Finanzgericht Düsseldorf, 1 V 1486/15 A (U)
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im Jahr 2011 einreichte.
Die vierjährige Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuerfestsetzung des Jahre 2009 wäre regulär zum 31.12.2014
abgelaufen, sie war jedoch gemäß § 171 Abs. 4 AO durch den Beginn der am 04.11.2014 angeordneten
Umsatzsteuer-Sonderprüfung, die sich ausdrücklich auf die Umsatzsteuer des Jahres 2009 bezog, in ihrem
Ablauf gehemmt.
48
3. Der Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 dürften die
Grundsätze des Vertrauensschutzes nicht entgegen stehen.
49
a. Der Änderung nach § 27 Abs. 19 UStG dürfte die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO nicht
entgegenstehen.
50
Die Vertrauensschutzregeleung des § 173 Abs. 2 AO bezieht sich ausschließlich auf Änderungen iSv § 173 Abs.
1 AO, nicht aber Änderungen, die aufgrund anderer Vorschriften erfolgen (BFH, Urteil vom 04.11.1992 XI R
32/91, BFHE 170, 291; BStBl II 1993, 425).
51
b. Der Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2009 und 2010 gemäß § 27 Abs. 19
UStG dürfte auch § 176 AO nicht entgegen stehen.
52
aa. Hinsichtlich des Streitjahres 2009 liegen die Voraussetzungen für eine Änderungssperre des § 176 Abs. 2 AO
bei summarischer Prüfung nicht vor, so dass es insoweit auf die Frage, ob der Gesetzgeber die Anwendung des
§ 176 Abs. 2 AO in verfassungs- und europarechtlich zulässiger Weise ausgeschlossen hat, nicht ankommen
dürfte.
53
Gemäß § 176 Abs. 2 AO darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides nicht zuungunsten des
Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass einen allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung,
einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem
geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist.
54
Für das Streitjahr 2009 war anwendbar das BMF-Schreiben vom 31.03.2004 (IV D 1-S 7279-107/04, BStBl I 2004,
453). Hiernach vertrat die Finanzverwaltung die Auffassung, dass Bauträger mit ihren unter das
Grunderwerbsteuergesetz fallenden Umsätzen keine Bauleistungen erbringen und damit ein Übergang der
Steuerschuldnerschaft für bezogene Bauleistungen ausscheidet (vgl. Lippross in UR 2014, 717 (719)). Diese
Auffassung entspricht der des BFH im Urteil vom 22.08.2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20; BStBl II 2014, 128),
wonach der das eigene Grundstück bebauende Bauträger keine bauwerksbezogene Werklieferung erbringt und
daher ein Übergang der Steuerschuldnerschaft ausgeschlossen ist. Erst mit BMF-Schreiben vom 16.10.2009 (IV
B 9-S 7279/0 in BStBl I 2009, 1298) stellt die Finanzverwaltung für Umsätze, die nach dem 31.12.2009
ausgeführt werden, für die Beurteilung von Bauträgerleistungen nicht auf die Grunderwerbsteuerbarkeit des
Vorgangs, sondern darauf ab, ob die Bauträgerleistung als solche als Werklieferung iSv § 3 Abs. 4 UStG zu
qualifizieren sei (vgl. Lippross in UR 2014, 717 (719)). Bei summarischer Prüfung dürften die Antragstellerin und
T für das Streitjahr 2009 auch bei Zugrundelegung der für diesen Veranlagungszeitraum geltenden
Verwaltungsvorschrift zu Unrecht von einem Übergang der Steuerschuldnerschaft gemäß § 13b UStG a.F. für die
Abschlagsrechnung vom 23.11.2009 ausgegangen sein, unabhängig davon, ob im Übrigen noch mehr als 10 %
der Umsätze des T der Umsatzsteuer unterlagen.
55
bb. Hinsichtlich des Streitjahres 2010 liegen bei summarischer Prüfung zwar die Voraussetzungen des § 176
Abs. 2 AO vor, gemäß § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG dürfte die Anwendung dieser Norm jedoch ausgeschlossen
sein.
56
cc. In diesem Ausschluss des § 176 Abs. 2 AO liegt bei summarischer Prüfung keine unzulässige Rückwirkung.
57
Bei summarischer Prüfung folgt der Senat nicht der Auffassung des FG Berlin-Brandburg (Beschluss vom
05.06.2015 5 V 5026/15, DStR 2015, 1538), dass § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG eine sog. echte Rückwirkung entfaltet
und damit gegen das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen verstößt, welches aus Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz
GG abgeleitet wird.
58
Eine Rechtsnorm entfaltet "echte" Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem
Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll ("Rückbewirkung von
Rechtsfolgen"). Das ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Da eine Norm erst mit der Verkündung
rechtlich existent ist, muss der von einem Gesetz Betroffene bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum
endgültigen Gesetzesbeschluss, grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht
gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen
Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird. Die maßgebliche Rechtsfolge steuerrechtlicher Normen ist
dabei das Entstehen der Steuerschuld. Im Sachbereich des Steuerrechts liegt eine echte Rückwirkung daher nur
vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert (vgl.
Bundesverfassungsgericht BVerfG , Beschluss vom 07.07.2010, 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BStBl. II
2011, 76; FG Berlin-Brandburg, Beschluss vom 05.06.2015 5 V 5026/15, DStR 2015, 1538).
59
Mit der Einführung der Änderungsmöglichkeit des § 27 Abs. 19 UStG unter Ausschluss der
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Vertrauensschutzregelung des § 176 AO dürfte der Gesetzgeber keine bereits entstandene Steuerschuld
nachträglich abgeändert haben.
Der BFH hat mit seinem Urteil vom 22.08.2013 (V R 37/10, BFHE 243,20; BStBl II 2014, 128) erkannt, dass
abweichend von der bisherigen Verwaltungsauffassung (vgl. dazu BMF, Schreiben vom 16.10.2009 IV B 9 S7279/0, BStBl I 2009, 1298) eine Verlagerung der Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen gemäß § 13b UStG
auf einen Bauträger als Leistungsempfänger tatsächlich nicht eintritt. Als Reaktion auf das für den Fall, dass der
Bauträger unter Hinweis auf dieses Urteil die Erstattung der zu Unrecht gemäß § 13b UStG einbehaltenen
Umsatzsteuer begehrt, die korrespondierende Umsatzsteuerfestsetzung des Bauunternehmers aber nach
allgemeinen Regeln nicht mehr änderbar ist, drohende fiskalische Fiasko (vgl. Wäger in UR 2014, 81;
Sterzinger in UR 2014, 797; ders. in UR 2015, 293), hat der Gesetzgeber die Änderungsmöglichkeit des § 27
Abs. 19 UStG eingeführt.
61
Der Gesetzgeber dürfte durch § 27 Abs. 19 UStG das im Steuerrecht recht schwach ausgeprägter
Vertrauensschutzprinzip zu Gunsten der Rechtsrichtigkeit (vgl. dazu Loose in Tipke/Kruse AO § 176 Tz 1) in
noch zulässiger Weise weiter eingeschränkt haben.
62
Der Gesetzgeber ist gerade im Steuerrecht in eng umgrenzten Fallgruppen nicht gehindert, dem Gedanken der
Rechtsrichtigkeit Vorrang vor einem etwaigen Vertrauensschutz einzuräumen, ihm kommt bei der Frage nach der
Zulässigkeit der Aufhebung oder Änderung auch bestandskräftiger Verwaltungsentscheidungen eine
umfassende Befugnis zur Ausgestaltung des hierbei auftretenden Konflikts zwischen Rechtssicherheit,
Rechtsfrieden, Gerechtigkeit und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu (BVerfG, Beschluss vom 10.06.2009 1 BvR
571/07, HFR 2009, 921).
63
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Erlass von Gesetzen mit echter
Rückwirkung grundsätzlich unzulässig. Belastende Steuergesetze dürfen ihre Wirksamkeit daher grundsätzlich
nicht auf bereits abgeschlossene Tatbestände erstrecken oder schutzwürdiges Vertrauen ohne hinreichende
Rechtfertigung anderweitig enttäuschen. Demgegenüber sind Gesetze mit unechter Rückwirkung, die auf
gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirken,
grundsätzlich zulässig, auch wenn sie damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwerten.
Allerdings können sich auch im Fall der unechten Rückwirkung aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und
dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen für die Zulässigkeit solcher Gesetze ergeben. Diese sind erst
überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des
Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die
Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (BVerfG, Beschluss vom 10.06.2009 1 BvR 571/07, HFR
2009, 921).
64
Auch im Verwaltungsverfahren ist hiernach vom Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der normativen Vorgaben
der Grundsatz des Vertrauensschutzes zu beachten. Für den Bürger muss eine gewisse Vorhersehbarkeit
staatlicher Entscheidungen gegeben sein, die ihm damit die Möglichkeit gewährt, sich auf die staatlichen
Entscheidungen einzustellen und einzurichten. Die gebotene Beachtung des Vertrauensschutzes führt aber
nicht in jedem Fall zu dem Ergebnis, dass jegliche einmal erworbene Position ungeachtet der wirklichen
Rechtslage Bestand haben muss. Erforderlich ist vielmehr eine an den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und der
Zumutbarkeit im Einzelfall vorzunehmende Prüfung, ob jeweils die Belange des Allgemeinwohls, wie etwa die
Wiederherstellung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, oder die Interessen des Einzelnen am Fortbestand einer
Rechtslage, auf die er sich eingerichtet und auf deren Fortbestand er vertraut hat, den Vorrang hat (BVerfG,
Beschluss vom 10.06.2009 1 BvR 571/07, HFR 2009, 921).
65
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze dürfte das Vertrauensschutzprinzip durch § 27 Abs. 19 UStG bei
summarischer Prüfung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit zugunsten der Rechtsrichtigkeit in
noch zulässiger Weise eingeschränkt worden sein. § 27 Abs. 19 UStG betrifft den Fall, dass sich der
Vertragspartner des Steuerpflichtigen, ein Bauträger, für diese vor Februar 2014 an ihn ausgeführte Umsätze auf
die Entscheidung des BFH vom 22.08.2013 (V R 37/10, BStBl II 2014, 128) beruft und die Erstattung der zu
Unrecht gemäß § 13b UStG einbehaltenen Umsatzsteuer begehrt. Die Regelung dürfte durch die hiermit
verbundene Gefahr von Steuerausfällen in diesen Altfällen hinreichend gerechtfertigt sein. In diesem
Zusammenhang dürfte auch zu berücksichtigen sein, dass in Fällen bereits festsetzungsverjährter
Umsatzsteuerfestsetzungen auch nach § 27 Abs. 19 UStG keine Änderung mehr möglich ist.
66
Dem berechtigten Interesse des auf die geltenden Verwaltungsanweisungen zur Frage der
Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen an Bauträger vertrauenden Bauunternehmers wie der Antragstellerin
dürfte durch § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG in Zusammenhang mit den hierzu ergangenen
Verwaltungsanweisungen hinreichend Rechnung getragen werden, zumal die Frage des Vertrauensschutzes im
Gesetzgebungsverfahren ausführlich diskutiert wurde (vgl. Deutscher Bundestag Finanzausschuss,
Wortprotokoll der 12. Sitzung vom 23.06.2014, Protokoll-Nr. 8/12, S. 20 ff).
67
Gemäß § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG kann das für den leistenden Unternehmer zuständige Finanzamt auf
Antrag zulassen, dass der leistende Unternehmer dem Finanzamt den ihm gegen den Leistungsempfänger
zustehenden Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer abtritt, wenn die Annahme der
Steuerschuld des Leistungsempfängers im Vertrauen auf eine Verwaltungsanweisung beruhte und der leistende
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Unternehmer bei der Durchsetzung des abgetretenen Anspruchs mitwirkt. Die Abtretung wirkt hiernach an
Zahlungs statt, wenn
1. der leistende Unternehmer dem Leistungsempfänger eine erstmalige oder geänderte Rechnung mit offen
ausgewiesener Umsatzsteuer ausstellt,
69
2. die Abtretung an das Finanzamt wirksam bleibt,
70
3. dem Leistungsempfänger diese Abtretung unverzüglich mit dem Hinweis angezeigt wird, dass eine Zahlung
an den leistenden Unternehmer keine schuldbefreiende Wirkung mehr hat, und
71
4. der leistende Unternehmer seiner Mitwirkungspflicht nachkommt.
72
Hierdurch wird der Antragstellerin die Möglichkeit eröffnet, den zivilrechtlichen Anspruch gegenüber dem
Bauträger auf die (noch ausstehende) Zahlung der Umsatzsteuer an das FA an Zahlung statt abzutreten. Bei
summarischer Prüfung ist das FA bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG zur
Annahme der Abtretung verpflichtet (vgl. hierzu OFD Frankfurt am Main, Verfügung vom 19.06.2015 S 7279
A-14-St 113, Anlage 1: Arbeitshilfe für die hessischen Finanzämter unter 1.2.3 (Seite 12), Anlage 2:
bundeseinheitlich abgestimmte Arbeitshilfe unter 2.2, 2.2.1 (Seiten 24, 25)). Für den Fall, dass der
Bauunternehmer berichtigte Rechnungen mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer erteilt, die erfolgte Abtretung
dem Bauträger angezeigt wird und der Bauunternehmer die berichtigten Rechnungen in Kopie dem Finanzamt
übermittelt, muss das FA nach dem Vortrag des Antragsgegners die Abtretung annehmen mit der Folge, dass
ausschließlich das Finanzamt das Risiko der zivilrechtlichen Geltendmachung der Forderung gegenüber dem
Leistungsempfänger trägt.
73
Ausweislich des Vortrags des Antragsgegners und der Verwaltungsanweisungen der OFD Frankfurt am Main
(Verfügung vom 19.06.2015 S 7279 A-14-St 113, Anlage 1: Arbeitshilfe für die hessischen Finanzämter unter
1.2.3 (Seite 12), Anlage 2: bundeseinheitlich abgestimmte Arbeitshilfe unter 2.2, 2.2.1 (Seiten 24, 25)) darf das
FA die Annahme der Abtretung, und damit die Wirkung des § 47 AO hinsichtlich der auf der Änderung des
Umsatzsteuerbescheides nach § 27 Abs. 19 UStG beruhenden Umsatzsteuernachforderung nur in
Ausnahmefällen verweigern. Zu diesen Ausnahmefällen gehört weder die zivilrechtliche Problematik der
Bruttovereinbarungen, Abtretungsverbote oder die auf der Hand liegenden Verjährungsfragen. Nach dem
unwidersprochenen Vortrag des Antragsgegners besteht aufgrund der Ermessensreduzierung auf Null eine
Verpflichtung zur Annahme der Abtretung für die Finanzverwaltung, sobald die zivilrechtliche
Umsatzsteuernachforderung aufgrund berichtigter Rechnungen entstanden ist, auf die Werthaltigkeit der
Forderung kommt es nicht an (vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter § 13b nF A 32; Sterzinger in UR 2014, 797
(810)).
74
Bei summarischer Prüfung erscheint diese Regelung als hinreichender Interessenausgleich des Widerstreits, der
dadurch entsteht, dass sich ein Bauträger auf die unrichtige Anwendung des § 13b UStG beruft und sich gegen
einen bereits festgesetzten Steueranspruch zur Wehr setzt, mit der Folge, dass ein steuerpflichtiger Vorgang
tatsächlich nicht der Umsatzbesteuerung unterläge, würde nicht auf die
75
- ebenso unrichtige - Umsatzsteuerfestsetzung des Leistenden zurückgegriffen.
76
Bei dieser Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass die Beteiligten von Anfang an davon ausgingen, dass
Umsatzsteuer anfällt. Hätte der Leistungsempfänger diese nicht als vermeintlicher Steuerschuldner an das
Finanzamt abgeführt, hätte er die Gegenleistung nicht um den Steuerbetrag gekürzt. Daher dürfte Einigkeit
zwischen den Beteiligten darüber bestanden haben, dass, wenn der Leistungsempfänger nicht Steuerschuldner
nach § 13b UStG ist, er diesen Betrag als Teil seiner Gegenleistung dem Leistenden schuldet, weil dann dieser
die Steuer dem Finanzamt schuldet (Stadie in Rau/Dürrwächter UStG § 13b nF A 35). Die zivilrechtliche
Vereinbarung über die Höhe des an den Leistenden zu zahlenden Entgeltes beruhte auf einem beiderseitigen
Irrtum über die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger. Nur, wenn sowohl auf
Seiten des Leistungsempfängers als auch auf Seiten des Leistenden an den ursprünglichen, unrichtigen
Umsatzsteuerfestsetzungen festgehalten wird, dürfte sich die Frage stellen, ob die Übertragung der
Steuerschuldnerschaft zur Disposition der beteiligten Geschäftspartner stehen kann (vgl. dazu BFH, Urteil vom
22.08.2013 V R 37/10, BFHE, BStBl II 2014, 128; FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.06.2015 5 V
5026/15, juris)
77
Die Regelung dürfte auch dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes
Gebot der Belastungsvorhersehbarkeit genügen. Das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit
schützt davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur
Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können (BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 1 BvR 2457/08,
BVerfGE 133, 143).
78
Eine unbegrenzte Heranziehungsmöglichkeit dürfte auch der Ausschluss des § 176 Abs. 2 AO nicht begründen,
weil eine Änderungsmöglichkeit nach § 27 Abs. 19 UStG nach Eintritt der regulären Festsetzungsverjährung, wie
bereits ausgeführt, nicht mehr gegeben ist und daher nur ein genau umrissener Zeitraum der
Leistungserbringung betroffen ist.
79
25.09.2015 08:55
Finanzgericht Düsseldorf, 1 V 1486/15 A (U)
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/fgs/duesseldorf/j2015/1_V_1486_15_...
Für die Frage der Belastungsvorhersehbarkeit dürfte zu berücksichtigen sein, dass nicht die Frage der
Steuerpflicht des Umsatzes, sondern die Frage der Steuerschuldnerschaft von allen Beteiligten - Leistender,
Leistungsempfänger, Finanzverwaltung - unrichtig beurteilt wurde. Auch dürfte es sich bei der der
Umsatzsteuerpflicht unterliegenden Bauleistung nicht um einen in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossenen
Vorgang handeln. Abweichend von der ursprünglich getroffenen zivilrechtlichen Vereinbarung, dass der
Leistungsempfänger die unstreitig geschuldete Umsatzsteuer für die Werklieferung an das Finanzamt entrichtet,
beantragt der Leistungsempfänger nunmehr die Erstattung der in Erfüllung der Vereinbarung mit dem
Werkunternehmer an das Finanzamt entrichteten Umsatzsteuer. Hierin liegt eine tatsächliche Änderung des
Sachverhaltes, unabhängig davon, ob diese - im Verhältnis zum Bauunternehmer - als abredewidrig oder - im
Verhältnis zum Fiskus - als Geltendmachung der korrekten Besteuerung nach dem Gesetz zu beurteilen ist (vgl.
FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.06.2015 5 V 5026/15, DStR 2015, 1538; Lippross in UR 2014, 717
(722 f)). Hinzu kommt, dass der Leistende seine Zahlungsverpflichtung durch Abtretung seines Anspruchs
gegen den Leistungsempfänger auf den Teil des Entgeltes, welcher der Umsatzsteuer entspricht, genügen kann,
und das Finanzamt regelmäßig zur Annahme der Abtretung verpflichtet ist, so dass die Erfüllungswirkung des §
47 AO eintritt. Der Gesetzgeber dürfte damit eine zumutbare Regelung getroffen haben, wie der Leistende eine
finanzielle Belastung aus den Änderungsanträgen des Leistungsempfängers vermeiden kann (vgl. Lippross in
UR 2014, 717 (722)); Sterzinger in UR 2014, 797 (811)). Auch mit einer Zinsbelastung des Leistenden ist nach
dem unstreitigen Vortrag des Antragsgegners nicht zu rechnen (vgl. OFD Frankfurt am Main, Verfügung vom
19.06.2015 S 7279 A-14 St 113, juris).
80
Die nach deutschem Verfassungsrecht gebotenen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit,
entsprechen den gleichlautenden europarechtlichen, die für alle Rechtsakte der Union gelten. Für den
europarechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Anwendung des reverse-chargeVerfahrens ist zu berücksichtigen, dass dieses im Regelfall keine finanzielle Belastung bei den von diesen
Maßnahmen betroffenen Personen bewirkt, während es zum anderen ermöglicht, beträchtliche
Mehrwertsteuerausfälle zu verhindern (EuGH, Urteil vom 13.12.2012, BLV Wohn-und Gewerbebau, C-395/11, DB
2012, 2911). Damit ist das Ziel des Gesetzgebers, beträchtliche Mehrwertsteuerausfälle zu verhindern, im
Rahmen der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, auch wenn eine Abbedingung des
Vertrauensschutzes ausschließlich nach Kassenlage mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht mehr
vereinbar sein dürfte (FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.06.2015 5 V 5026/15, DStR 2015, 1538).
81
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
82
Die Beschwerde war zum einen aufgrund der weitreichenden Auswirkungen des § 27 Abs. 19 UStG und zum
anderen aufgrund der abweichenden Beurteilung der Frage, ob der Ausschluss des § 176 Abs. 2 AO gegen das
verfassungs- und europarechtlich gebotene Gebot der Rechtssicherheit verstößt, durch das FG BerlinBrandenburg (Beschluss vom 03.06.2015 5 V 5026/15, DStR 2015, 1538) gemäß §§ 128 Abs. 3; 115 Abs. 2 FGO
wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
83
25.09.2015 08:55
POSTANSCHRIFT
Bundesministerium der Finanzen, 11016 Berlin
Nur per E-Mail
Oberste Finanzbehörden
der Länder
BETREFF
BEZUG
GZ
DOK
HAUSANSCHRIFT
TEL
Wilhelmstraße 97, 10117 Berlin
+49 (0) 30 18 682-0
E-MAIL
[email protected]
DATUM
31. Juli 2014
Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Bauleistungen nach § 13b Abs. 5
Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 UStG (a.F.);
Anwendung des § 27 Abs. 19 UStG
TOP 13 der Sitzung AO II/2014;
Mein Schreiben vom 10. Juli 2014
- IV A 3 - S 0354/14/10001 - (Dok. 2014/0617733)
und Ihre hierzu abgegebenen Stellungnahmen
IV A 3 - S 0354/14/10001
IV D 3 - S 7279/11/10002
2014/0652740
(bei Antwort bitte GZ und DOK angeben)
1
Der BFH hat in seinem Urteil vom 22. August 2013, V R 37/10, BStBl 2014 II S. 128,
die Regelungen zur Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Bauleistungen
nach § 13b Abs. 5 Satz 2 i. V. mit Abs. 2 Nr. 4 UStG (i. d. F. vor der Änderung durch das
Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und
zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25. Juli 2014, BGBl. I S. 1266)
abweichend von der früheren Verwaltungsauffassung ausgelegt.
2
Nach der früheren Verwaltungsauffassung waren Unternehmer, die eigene Grundstücke
zum Zweck des Verkaufs bebauen (z. B. Bauträger), Steuerschuldner für die von anderen
Unternehmern an sie erbrachten Bauleistungen, wenn die Bemessungsgrundlage der von
ihnen getätigten Bauleistungen mehr als 10 Prozent der Summe ihrer steuerbaren und
nicht steuerbaren Umsätze (Weltumsatz) beträgt.
3
In dem vom BFH entschiedenen vorgenannten Streitfall versteuerte das Bauträgerunternehmen als Leistungsempfänger zunächst die von ihm bezogenen Leistungen als Steuerschuldner, machte aber später geltend, dass die Voraussetzungen des § 13b UStG nicht
Postans chr if t Ber li n: Bundes ministerium der Fin anz en, 11016 Berli n
www.bundesfinanzministerium.de
vorgelegen hätten und forderte die von ihm gezahlte Umsatzsteuer vom Finanzamt zurück. Der BFH entschied wie folgt:
Seite 2
1.
2.
Der Leistungsempfänger von Bauleistungen ist nur dann Steuerschuldner für die an
ihn erbrachte Leistung, wenn er diese Leistung seinerseits zur Erbringung einer Bauleistung verwendet.
Auf den Anteil der vom Leistungsempfänger ausgeführten Bauleistungen am Gesamtumsatz kommt es dabei nicht an.
4
Mit BMF-Schreiben vom 5. Februar 2014 (BStBl I S. 233) und vom 8. Mai 2014 (BStBl
I S. 823) wurden die Finanzämter angewiesen, die Grundsätze des o. a. BFH-Urteils vom
22. August 2013 in vollem Umfang für nach dem 14. Februar 2014 (= Tag der Veröffentlichung des BMF-Schreibens vom 5. Februar 2014 im BStBl Teil I) ausgeführte Umsätze
allgemein anzuwenden. Die betroffenen Unternehmer können danach für die Vergangenheit an der bisherigen Handhabung festhalten. Die Notwendigkeit von Rechnungsberichtigungen besteht nicht. Diese Vereinfachungsregelung (Nichtbeanstandungsregelung)
gewährt beiden Unternehmern bei einvernehmlicher unveränderter Beibehaltung der bisherigen Handhabung uneingeschränkte Rechtssicherheit und Vertrauensschutz, sofern
nicht zu einem späteren Zeitpunkt von der einvernehmlichen Handhabung abgewichen
wird.
5
In Ergänzung der beiden vorgenannten BMF-Schreiben gilt unter Bezugnahme auf das
Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder Folgendes:
I.
6
Besteuerung des leistenden Unternehmers
Sind leistender Unternehmer und Leistungsempfänger bei einer vor dem 15. Februar
2014 erbrachten steuerpflichtigen Bauleistung davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger nach § 13b UStG die Steuer schuldet, und stellt sich diese Annahme nach dem
BFH-Urteil vom 22. August 2013, V R 37/10, BStBl 2014 II S. 128, im Nachhinein als
unrichtig heraus und machen die beteiligten Unternehmer keinen Gebrauch von der Vereinfachungsregelung/Nichtbeanstandungsregelung (vgl. Rz. 4), ist die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Umsatzsteuerfestsetzung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG
für noch nicht festsetzungsverjährte Besteuerungszeiträume (§ 169 Abs. 1 AO) zu ändern,
soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme
entrichtet hatte, Steuerschuldner i. S. d. § 13b UStG zu sein. Dieser Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung gegen den leistenden Unternehmer steht § 176 AO nicht entgegen
(§ 27 Abs. 19 Satz 2 UStG).
Seite 3
7
Der leistende Unternehmer kann in den Fällen des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG die gesetzlich entstandene und von ihm geschuldete Umsatzsteuer zivilrechtlich gegenüber dem
Leistungsempfänger zusätzlich zum Netto-Entgelt geltend machen. Das für den leistenden Unternehmer zuständige Finanzamt hat in diesen Fällen nach § 27 Abs. 19 Satz 3
UStG auf Antrag zuzulassen, dass der leistende Unternehmer den ihm gegen den Leistungsempfänger zustehenden Anspruch auf (nachträgliche) Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer dem Finanzamt abtritt, wenn die Annahme der Steuerschuld des
Leistungsempfängers im Vertrauen auf eine Verwaltungsanweisung beruhte. Diese Abtretung erfolgt nach Maßgabe des Zivilrechts durch Angebot seitens des leistenden Unternehmers, mit dem er sich verpflichtet, bei der Durchsetzung des Anspruchs mitzuwirken, und Annahme durch das Finanzamt. Die Mitwirkungspflicht des leistenden Unternehmers bezieht sich hierbei zuvorderst auf den Nachweis der Richtigkeit und den Bestand seiner (abgetretenen) Forderung sowie die Wirksamkeit der Abtretung.
8
Die vorgenannte Abtretung wirkt nach § 27 Abs. 19 Satz 4 UStG an Zahlungs statt und
führt damit zum Erlöschen des Umsatzsteueranspruchs (§ 47 AO), wenn
- der leistende Unternehmer dem Leistungsempfänger eine erstmalige oder geänderte
Rechnung mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer ausstellt,
- die Abtretung an das Finanzamt wirksam bleibt,
- dem Leistungsempfänger diese Abtretung unverzüglich mit dem Hinweis angezeigt
wird, dass eine Zahlung an den leistenden Unternehmer keine schuldbefreiende Wirkung mehr hat, und
- der leistende Unternehmer seiner Mitwirkungspflicht nachkommt.
II. Verfahrensmäßige Abwicklung der Änderungsanträge der Leistungsempfänger
9
Hat der Leistungsempfänger unter Berufung auf das o. a. BFH-Urteil vom 22. August
2013, V R 37/10, die Erstattung der Umsatzsteuer gefordert, die er ursprünglich in der
Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner i. S. d. § 13b UStG zu sein, sind die entsprechenden Umsätze an den Leistungsempfänger zu ermitteln.
10 Der Leistungsempfänger hat dem für ihn zuständigen Finanzamt dazu Folgendes im
Einzelnen darzulegen (die Beleganforderung im Einzelfall bleibt hiervon unberührt):
- Name, Anschrift und Steuernummer des leistenden Unternehmers,
- Rechnungsdatum, Rechnungsnummer, Bezeichnung der erbrachten Bauleistung, Entgelt und - soweit die Rechnung bereits berichtigt wurde - Steuersatz und Steuerbetrag,
Zeitpunkt der Zahlung und/oder der Schlusszahlung der hierüber erteilten Rechnungen
oder Gutschriften,
Seite 4
- Zeitpunkt und Höhe der geleisteten Anzahlungen oder Teilzahlungen sowie Rechnungsdatum und Rechnungsnummer der hierüber erteilten Rechnungen oder Gutschriften,
- Zuordnung der bezogenen Bauleistung bzw. der geleisteten Anzahlung zu dem jeweiligen Ausgangsumsatz unter Angabe des konkreten Ausgangsumsatzes (Bauvorhabens) als objektbezogenen Nachweis dafür, dass die Eingangsleistung nicht zur Erbringung von selbst erbrachten Bauleistungen verwendet wurde.
11 Die vorgenannten Auskünfte sind zur Feststellung der für die Besteuerung erheblichen
Sachverhalte sowohl beim Leistungsempfänger als auch beim leistenden Unternehmer
erforderlich (§§ 90, 93 Abs. 1 AO). Der Leistungsempfänger ist darauf hinzuweisen, dass
diese Auskünfte auch zum Zweck der Besteuerung der jeweils leistenden Unternehmer
nach § 27 Abs. 19 UStG angefordert werden.
12 Das für den Leistungsempfänger zuständige Finanzamt informiert umgehend das für den
jeweiligen leistenden Unternehmer zuständige Finanzamt über die Tatsachen, die jeweils
zur Festsetzung der Umsatzsteuer nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG notwendig sind.
13 Anschließend ist der jeweilige leistende Unternehmer unverzüglich von dem für ihn zuständigen Finanzamt darüber zu informieren, dass der Leistungsempfänger sich auf das
o. a. BFH-Urteil vom 22. August 2013, V R 37/10, berufen und die Erstattung der
Umsatzsteuer gefordert hat, die er ursprünglich in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner i. S. d. § 13b UStG zu sein. Zugleich ist der leistende Unternehmer darauf hinzuweisen,
- inwieweit diese Umsatzsteuer nunmehr von ihm geschuldet wird,
- dass eine Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG
beabsichtigt ist und
- dass er seine Umsatzsteuerschuld nach § 27 Abs. 19 Satz 3 und 4 UStG durch Abtretung seiner - nach berichtigter Rechnungsstellung bestehenden - zivilrechtlichen Forderung gegen den Leistungsempfänger erfüllen kann, sofern die Annahme der Steuerschuld des Leistungsempfängers im Vertrauen auf eine Verwaltungsanweisung beruhte, er sich verpflichtet, bei der Durchsetzung des abgetretenen Anspruchs mitzuwirken, und die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
14 Die Abtretung der zivilrechtlichen Forderungen gegen den Leistungsempfänger nach
§ 27 Abs. 19 Satz 3 UStG sollte zur Beschleunigung des Verfahrens auch schon vor einer
Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG erfolgen.
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15 Im Hinblick auf die Zielsetzung des § 27 Abs. 19 UStG soll die Entscheidung über den
(anteiligen) Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers bis zur Rückmeldung des
jeweils für den leistenden Unternehmer zuständigen Finanzamts über das Vorliegen einer
(wirksamen) Abtretung nach § 27 Abs. 19 Satz 4 UStG zurückgestellt werden. Das für
den leistenden Unternehmer zuständige Finanzamt hat das für den Leistungsempfänger
zuständige Finanzamt umgehend über das Ergebnis seiner Maßnahmen bzw. über mit
ihm getroffene Abtretungsvereinbarungen zu informieren.
III. Nachzahlungszinsen nach § 233a AO
16 Bei der Verzinsung der nachträglichen Umsatzsteuerfestsetzung gegenüber dem leistenden Unternehmer nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG gilt der Antrag des Leistungsempfängers auf Erstattung der zunächst von ihm entrichteten Umsatzsteuer als rückwirkendes
Ereignis i. S. d. § 233a Abs. 2a AO. Der Zinslauf von Nachzahlungszinsen nach § 233a
AO beginnt in diesen Fällen folglich erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in
dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist.
IV. Abtretung der zivilrechtlichen Forderungen innerhalb der Finanzverwaltung
17 Die Finanzbehörden können gegen den Umsatzsteuererstattungsanspruch (oder andere
Steuererstattungsansprüche oder Steuervergütungsansprüche) des Leistungsempfängers
mit der vom leistenden Unternehmer durch Abtretung erworbenen zivilrechtlichen Forderung grundsätzlich ab deren Fälligkeit aufrechnen (§ 226 AO i. V. m. §§ 387 - 396 BGB).
18 Die für eine Aufrechnung erforderliche Gegenseitigkeit ist gewahrt, wenn die (durch
Abtretung vom leistenden Unternehmer erworbene zivilrechtliche) Forderung derselben
Körperschaft zusteht (§ 226 Abs. 1 AO) oder von derselben Körperschaft verwaltet wird
(§ 226 Abs. 4 AO), die auch die Hauptforderung (Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch)
schuldet.
19 Soweit sich die Aufrechnungslage weder aus § 226 Abs. 1 AO aufgrund der Ertragsberechtigung noch aus § 226 Abs. 4 AO aufgrund der Verwaltungshoheit ergibt, kann in
geeigneten Fällen die erforderliche Gegenseitigkeit seitens der Finanzverwaltung dadurch
hergestellt werden, dass die zivilrechtliche Forderung gegen den Leistungsempfänger
zwecks Einziehung an die Körperschaft, die den Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch zu erfüllen hat, abgetreten und damit die Gläubiger-/Schuldneridentität i. S. d. § 226 Abs. 1
AO herbeigeführt wird (vgl. BFH-Urteil vom 5.9.1989, VII R 33/87, BStBl II S. 1004).
20 Für die Erklärung der Aufrechnung ist die Finanzbehörde zuständig, die den Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers zu erfüllen hat.
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V. Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
21 Der Umsatzsteuer-Anwendungserlass vom 1. Oktober 2010 (BStBl I S. 846), der zuletzt
durch BMF-Schreiben vom 25. Juli 2014 - IV D 2 - S 7100/08/10007 :003 (2014/0635108), BStBl I S. xxx, geändert worden ist, wird in Abschnitt 27.1 wie folgt
geändert:
1.
Nach Absatz 4 wird folgende Zwischenüberschrift angefügt:
„Anwendung von § 27 Abs. 19 UStG“.
2.
Folgender Absatz 5 wird angefügt:
„(5) Zur Anwendung von § 27 Abs. 19 UStG vgl. BMF-Schreiben vom
31. Juli 2014, BStBl I S. xxx.“
Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.
Im Auftrag
Dieses Dokument wurde elektronisch versandt und ist nur im Entwurf gezeichnet.