Solidität und Wagnis: Das "Stop-and-go

Brief: 03/00
PHILOSOPHIE UND METHODIK DER
UNTERNEHMENS-EVOLUTION
DR. SLIWKA-FÜHRUNGSBRIEF
Die sieben Führungsfelder
des Unternehmens:
1. Führungs-Kraft
2. Zentrale Leistungsidee
3. Märkte und Produkte
4. Marketing-Kommunikation
5. Mitarbeiter-Verantwortung
6. Ertrags- u. Besitzentwicklung
7. Zeiten - Ziele - Zukunft
Solidität und Wagnis:
Das "Stop-and-go-Verfahren"
Jede gute Führungskraft kennt das: Das Schwanken zwischen Mut und Vorsicht. Immer wieder hat man Phasen, da möchte man weiterkommen, etwas
riskieren. Da muss man wieder investieren, neue Produktversuche machen,
die oft viel Geld kosten und bei denen man nicht immer sicher ist, ob sie
geraten. Dabei geht man auch finanzielle Risiken ein. Man hat neue Mitarbeiter eingestellt. Ihr Arbeitsertrag ist noch nicht in den Gewinnen sichtbar. Erst
einmal haben sich nur die Kosten kräftig erhöht.
Dann kommen die Phasen des "Kosten-Kollers". Man wird wieder vorsichtiger. Möglicherweise kommt Angst dazu. Jedes Unternehmerdasein ist eine
Gratwanderung zwischen Solidität und Wagnis. Wer nur stocksolide arbeitet
und immer auf Nummer Sicher gehen will, der kommt nie voran. Zum
Unternehmerdasein gehört, dass etwas riskiert wird. Wer nur auf Mut und
Risiko und das Prinzip Hoffnung setzt, der kann das ganze Unternehmen
riskieren.
Dieser Brief schlägt ein Verfahren vor, dieses Dilemma zwischen Solidität
und Wagnis methodisch in einem "Stop and go-Verfahren" zu lösen.
Rhythmus und Wellen - ein bewährtes Prinzip
Aus der Evolutions- und Systemtheorie weiß man, dass die Natur - die das
bewährteste Managementsystem der Welt hat - mit dem Prinzip Rhythmus arbeitet. Das geht vom Herzschlag bis zu den Jahreszeiten. Die Physiker wissen, dass
z.B. die Welle im Meer das Ergebnis zweier sich widerstrebender Kräfte ist.
Ebenso wie Ebbe und Flut. Die Welle ist das Ergebnis zwischen der beharrenden
Kraft der Masse und der bewegenden Kraft des Windes. Mit dem Prinzip Rhythmus wird das Dilemma zweier sich jeweils widersprechenden Kräfte gelöst.
Rhythmen zu schaffen, ist deshalb eine der interessantesten Methoden, einem
System, also auch einem Unternehmen Stabilität zu geben und trotzdem etwas
zu bewegen, ein System stabil zu halten, aber nicht starr.
Und auch das gehört zu den ältesten Erkenntnissen der Menschen: "Alles hat
seine Stunde". Es gibt eine Zeit zum Wachsen und Voranstürmen, und es gibt
eine Zeit der Ruhe, um inne zu halten.
Das institutionalisierte "Stop-and-go-Verfahren"
Ein mittelständisches Familienunternehmen hat dieses Prinzip in seinem Beiratsstatut festgeschrieben. Der Beirat entscheidet jeweils und gibt dem Management grünes Licht, ob wieder auf Expansion gesetzt werden sollte: Das ist das
Go-Signal.
Der Beirat entscheidet dann aber auch, wann wieder konsolidiert werden muss,
wann die Relation zwischen Risiko und Solidität wieder in Richtung Solidität
verbessert werden muss.
Das Management will weiterkommen. Und das ist gut so. Aber ihm ab und zu
eine Grenze zu setzen und die Bremse zu ziehen, wenn zuviel riskiert wird, ist
ebenso gut. Die Konsequenz ist der Rhythmus.
Unternehmens-Evolution: Die Methode der permanenten Entwicklung der geistigen Struktur des Unternehmens in
seinen sieben Werte-Ebenen. Das Unternehmen wird klüger und stärker in einem parallelen Prozess.
Das Generationenproblem in der Firma
Kürzlich hat mich eine Dame gefragt - sie war die Juniorchefin eines Unternehmens - wie sie wohl das Verhältnis zu ihren Eltern verbessern könne. Es gäbe
sehr viel Streit. Die junge Dame hat sehr viele neue Ideen, will neue Geschäftszweige begründen. Und dazu muss sie investieren, auch Fremdkapital aufnehmen. Aber ihre Eltern bremsen.
Dieser Generationenkonflikt ist typisch: Die Senioren repräsentieren die bewahrende Kraft, die Junioren die bewegende Kraft. Auch das ist gut. Wichtig ist nur,
dass man Spielregeln aushandelt, wie diese beiden Kräfte zusammenarbeiten
können. Auch hier bewährt sich das "Stop and go-Verfahren".
Die Vorgehensweise:
1. Einstellungen klären und eventuell verändern
Es muss allen Führungskräften klar sein, dass in einer guten Unternehmensentwicklung beide Faktoren realisiert werden müssen: Solidität und Wagnis. Und
dies im richtigen Verhältnis. Dazu müssen die vorwärtsdrängenden, manchmal
ungeduldigen und risikofreudigen Führungskräfte einsehen, dass finanzielle
Solidität und eine gute Kapitalbasis eine der wichtigen unternehmerischen Tugenden sind, die manchmal heute vergessen werden.
Kürzlich hat mir ein Universitätsprofessor der Universität Trier - ein Betriebswirtschaftler - erzählt, dass er einen seiner Schüler, der sich in dem sogenannten
"neuen Markt" mit einer Internetfirma selbständig gemacht hat, gefragt habe:
"Wann wollen Sie denn Ihren Break-even-point erreicht haben und schwarze
Zahlen schreiben?" Der hat ihm zur Antwort gegeben: "Darüber denke ich gar
nicht nach. Ich will das Unternehmen hochpuschen, um dann mit großen Umsatzzahlen an die Börse zu gehen. Und da hole ich mir mein Geld". Der Professor
ist erschrocken über diese Denkweise und diese Mentalität.
Aus vielen eigenen Gesprächen weiß ich, dass finanzielle Solidität für manche
heute fast zu einem Fremdwort und zu einer antiquierten Tugend geworden ist.
Man muss es leider so sagen. Viele junge Leute, die in üppigen Verhältnissen
aufgewachsen sind, können nicht mehr mit Geld umgehen: Es war ja immer alles
da. Das ist gefährlich.
Aber: Die eigene Einstellung zu überprüfen und möglicherweise zu verändern,
gilt auch für die andere Seite, die Konservativen und die Vorsichtigen. Sie müssen einsehen, dass man heute mit der alten Produktpalette, mit der man jahrelang
Erfolg hatte, nicht mehr sicher ist, auch in Zukunft Erfolg zu machen. Sie müssen
einsehen, dass man heute sehr viel mehr in Werbung und Marketing investieren
muss, um in dem Riesenkonzert des Werbegeschreis noch gehört zu werden. Sie
müssen einsehen, dass man, wenn man neue Produkte entwickelt, auch Flops
produziert und keine Marktforschung der Welt einem letztlich genau voraussagen kann, wie erfolgreich ein bestimmtes Produkt sein wird. Jedes neue Produkt
ist ein Entdeckungsverfahren im Markt auf der Suche nach neuen Entwicklungschancen. Sie müssen einsehen, dass man immer auch wieder in Mitarbeiter investieren muss, z. B. in Weiterbildungsprozesse, die zunächst immer einmal Geld
kosten, ohne dass sich auf Heller und Pfennig berechnen lässt, was es bringt.
Weder der naive Optimismus "Wir investieren drauflos, und es wird schon gutgehen" ist die richtige Einstellung noch eine ständige Bremsermentalität, das
Denken, dass alles, was man investiert, sich sofort rechnen muss.
2. Die Prinzipien Risiko und Wagnis in der Unternehmensphilosophie festschreiben
Der jungen Dame, die mir über ihre konservativen Eltern gejammert hat, habe ich
geraten: "Setzen Sie sich doch einmal mit Ihren Senioren zusammen und erarbeiten sie gemeinsame Spielregeln in Form einer Unternehmensphilosophie. Es ist
besser, sich einmal zu Spielregeln zusammenzuraufen als sich ständig um jede
Einzelentscheidung zu streiten". Eine Unternehmensphilosophie ist ja kein Wort
zum Sonntag. Ich halte nichts von solchen Formulierungen, die man manchmal
auf diesen Papieren findet, wie z. B. "Wir wollen den Kunden dienen" oder "Bei
uns steht der Mensch im Mittelpunkt".
Jedes Unternehmen besteht aus zwei Welten:
1. Der materiellen Welt, die in den Inventuren und Bilanzen, den Gewinn- und Verlustrechnungen erfaßt ist.
2. Der geistigen Welt, der Welt der Werte und Ideen, die von Führung und Mitarbeitern gelebt und von Kunden erlebt wird.
Eine gute Unternehmensphilosophie setzt sehr konkrete Spielregeln, nach welchen Prinzipien das Unternehmen geführt werden sollte. Ich schlage vor, dass
eine dieser Spielregeln das "Stop-and-go-Verfahren" ist. Das heißt, dass immer
in Perioden gearbeitet wird, wo man wieder nach vorne geht und etwas riskiert
und mit Perioden der auch finanziellen Konsolidierung. Man braucht sich dann
später nicht um jede Einzelentscheidung zu streiten, ob das jetzt gemacht werden sollte oder nicht.
3. Festlegen, wie weit kann das Risiko gehen?
In dem geschilderten Unternehmen mit dem Beirat gibt es in der geschriebenen
Unternehmensphilosophie eine weitere Regel, die lautet: Die Geschäftsleitung
muss für die Go-Phase ihre Ideen dem Beirat vorlegen und vor allem eine Frage
beantworten: Was kann es das Unternehmen im höchsten Fall kosten, wenn
diese Investition, Werbeaktion, Produktentwicklung restlos schief läuft?
In dem Unternehmen hat sich heute der Begriff durchgesetzt: Was wäre der
GAU? Also der größte anzunehmende Unfall? Der Beirat arbeitet dann nach der
Regel: Wir sind bereit, einiges zu riskieren, aber wir sind nie bereit, das Unternehmen selbst zu riskieren. Das spitzt sich zu der Frage zu: Würde der komplette
Misserfolg dieser neuen Ideen das Unternehmen bedrohen? Wenn ja, dann
würde der Beirat ablehnen. Wenn nein, dann würde er sagen: "Dieses kalkulierte
Risiko könnt ihr eingehen".
4. Das "Stop-and-go-Verfahren" institutionalisieren
Wo es einen Beirat gibt, kann der Beirat jene Funktion übernehmen, "stop" oder
"go" zu sagen und die Grenzen des Risikos aufzuzeigen.
Wo es diese Institution nicht gibt, sollte in den Strategie-Gesprächen vor allem
bevorzugt bei dieser von mir immer wieder favorisierten Jahresanfangs-Konferenz dieses Thema auf die Tagesordnung kommen. Man sollte sich die Frage
stellen: In welcher Phase des Unternehmens sind wir? Ist es notwendig, Ruhe zu
geben, zu konsolidieren oder ist es richtig, auf Schub zu setzen? Wenn aus
einem offenen Gespräch dieser beiden Kräfte der bewegenden und der bewahrenden Kraft ein vernünftiger Konsens entsteht, dann wissen auch beide Seiten,
dass sie nachher zu der gemeinsam getroffenen Entscheidung zu stehen haben
und dass es nicht zu ständigen Querelen und immer neuen Diskussionen kommt,
ob das nun noch gemacht werden sollte oder nicht.
5. Es bleibt die Frage nach dem Feuerwehreinsatz oder der schnellen Chance
Nun ist es in der Unternehmenswirklichkeit so, dass man mit den besten Plänen
Entwicklungen draußen im Markt nicht im Griff haben kann. Es können plötzliche Veränderungen auftreten, auf die wir reagieren müssen und die auch zu
finanziellem Engagement führen. Es können Probleme auftreten, die uns plötzlich etwas kosten. Es können sich Chancen bieten, die wir nutzen müssen, weil
sie einmalig sind. Und es kann sein, dass Gefahren und Chancen dann eintreten,
wenn sie einem nicht ins Konzept passen. Bei jeder Finanzplanung sollten immer
für solche Situationen aktivierbare Finanzreserven vorgesehen sein.
Einen ganz speziellen Fall, Chancen zu nutzen, möchte ich besonders ansprechen. Wenn ein neues Produkt entwickelt worden ist und zunächst vorsichtig im
Markt getestet wird, ob es ankommt, dann ist diese Vorsicht so lange löblich,
solange man die Akzeptanz nicht kennt. Selbst mit den kräftigsten Marketinganstrengungen und dem dicksten Werbeetat kann ein Produkt, das von seiner
Konstruktion oder Qualität keine Akzeptanz hat, nicht auf Dauer zum Erfolg
werden. Es kostet viel Geld und wird doch ein Flop. Deshalb ist jede Anfangsphase einer neuen Produktentwicklung eher eine Sensibilitätsphase: Einpflanzen in den Markt und beobachten.
Aber: Sobald man merkt, dass das Produkt Akzeptanz hat - es wird gekauft und
nachgekauft und die Käufer sind mit der Qualität zufrieden - dann ist es klug,
Schub zu geben.
Die wahre Stärke eines Unternehmens liegt nicht in seinem materiellen Besitz, sondern in seinem Wertesystem und seiner
Intelligenz.
Die Gründe dafür sind einleuchtend: Bei neuen Produkten, die ankommen, gibt
es sehr schnell Nachahmer. Und wenn dieser Nachahmer jemand mit viel Kapital
ist, dann klaut er die Ideen und setzt sein nachgeahmtes Produkt mit großem
Wirbel in die Welt und wird der Platzhirsch für dieses Produkt. Es war Ihre Idee,
aber Sie haben trotzdem den Markt verloren.
Der zweite Grund ist: Das neue Produkt muss man sehr schnell mit dem eigenen
Image verbinden. Ein Produkt zu forcieren, von dem man weiß, dass es ankommt,
ist ja auch kein großes Risiko. Man bringt dieses Produkt dann schneller in die
Gewinnzone, erreicht schneller den Break-even-point, und es beginnt, Ertrag zu
erwirtschaften. Es wird zum Deckungsbeitragsbringer. Solche Chancen darf man
nie halbherzig nutzen.
Der Schaukelprozess zwischen materiellem und geistigem Gewinn
Die Basisformel des evolutionären Spiels - auch der Unternehmens-Evolution lautet: Jede gute Entwicklung ist Erkenntnis- und Ertragsgewinn in Rückkopplung. Ein Unternehmen, das sich entwickelt, wird ständig klüger (das ist der
Erkenntnisgewinn) und wird materiell reicher (das ist der Ertragsgewinn). Und
das in einem sich gegenseitig stimulierenden Prozess. Klüger wird das Unternehmen nicht nur durch neues Wissen, durch neue Mitarbeiter, die neues Knowhow bringen, sondern auch durch Versuch und Irrtum. Man muss einiges versuchen, auf die Gefahr hin, dass es nicht funktioniert. Der Erkenntnisgewinn ist ein
Entdeckungsverfahren, bei dem man nie sicher ist, was man entdeckt. Deshalb
muss man in diesen Erkenntnisgewinn einen Teil der Erträge investieren, wenn
das Unternehmen Zukunft haben soll.
Von dem, was man probiert, gelingt einiges. Das bringt wieder neue Erträge, die
die materielle Seite des Unternehmens stützen. Erkenntnis- und Ertragsgewinn
in richtige Verbindung gebracht, ist die erfolgreichste Überlebensstrategie
überhaupt. Sie lässt sich mit dem hier vorgeschlagenen "Stop and go-Verfahren" präzise anwenden.
Ich halte dieses Verfahren für eine der klügsten Managementideen überhaupt,
weil beides erreicht wird: Wir kommen voran, aber auf vernünftige und solide
Weise.
Die Quintessenz:
In der Geschäftsleitung ein Gespräch darüber führen, wie das Unternehmen in Zukunft diese beiden
Phasen - die Wagnisphase und die Soliditätsphase - methodisch klarer steuern sollte.
copyright: Dr. oec. Manfred Sliwka
Zu guter Letzt - Eine Anekdote und ein persönliches Erlebnis zum Thema:
Henry Ford hat seinem Friseur nie Trinkgeld gegeben. Sein Sohn jedoch immer
ein sehr üppiges Trinkgeld. Beide hatten den gleichen Friseur. Irgendwann
hat der Friseur dies dem Vater Ford einmal "gesteckt". Die Antwort des Vaters:
"Der kann sich das auch leisten. Der hat einen reichen Vater".
Diese Anekdote habe ich vor längerer Zeit einmal beiläufig einem Seniorunternehmer erzählt. Da sagte er zu mir: "Wir gehen nachher gemeinsam essen.
Mein Sohn kommt dazu. Ich habe eine Bitte - aber verraten Sie nicht, dass ich
Sie gebeten habe. Können Sie nicht diese Anekdote beim Mittagessen erzählen? Mein Sohn hat, wenn es ums Geld geht, das gleiche Problem".
Evolution ist Erkenntnis- und Ertragsgewinn in Rückkopplung: Die Zahlen folgen den Ideen - die Ideen den Werten.
DR.
OEC
MANFRED SLIWKA
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