«Marken muss man spüren, nicht anschreiben. Willkommen in der 4

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Z E I T S C H R I FT F Ü R M A R K E N U N D D E S I G N 2 0 0 9 / 2 010
«Marken muss man spüren, nicht
anschreiben. Willkommen in der
4. Dimension der Markenkommunikation.»
SONDERAUSGABE
MARKEN
Interview mit Andrej Isler, CEO x-act AG, Agentur für erlebbare Kommunikation
MESSEN
EVENTS
DESIGN
Event
Live-Kommunikation:
Der Mensch ist die Marke
Veränderungen in der Kommunikationslandschaft erfassen auch die
Event- oder Live-Kommunikation. Es
entstehen neue kommunikative
Methoden und Ansätze, die weit über
reine Event-Logistik hinausgehen. Andrej Isler spricht von den
Veränderungen im Übergang
von der dritten in die vierte Markendimension.
EVENT
Andrej Isler, was bewegt die Welt der EventAgenturen und ihrer Auftraggeber?
Wir befinden uns in einer spannenden Zeit. Es ist eine Zeit
des Umbruchs der globalen Wirtschaft, die naturgemäss
auch die Branche der Live-Kommunikation erfasst. Die gesellschaftlichen und kulturellen Aspekte in unserer globalisierten Welt verändern sich, und das beeinflusst den Menschen, das heisst unsere Kunden und die Kunden unserer
Kunden. In der Live-Kommunikation müssen wir deshalb
fragen: Was will der Mensch heute, woher kommt er, was
bewegt ihn im tiefsten Inneren?
Was bewegt den Menschen im 3. Jahrtausend
und was bewegt Ihre Auftraggeber und deren
Kunden?
Es geht heute um eine andere Fragestellung als jene des
letzten Jahrhunderts, der grossen Zeit der Werbung, oder
pointiert ausgedrückt, der Überzeugsindustrie. Die grosse
Zeit der Werbung war eine Beeinflussung von sogenannten
Zielgruppen, aber eine künstliche. Diese Art der Werbung
ging davon aus, dass man Bedürfnisse künstlich erzeugen
kann. Sie führte zu einem Informations-Overload, einer
kommunikativen Überfütterung des Konsumenten.
Ein neues Denken demgegenüber geht nicht vom Markt
und seinen Produkten oder Dienstleistungen aus. Natürlich
wollen wir alle, Agenturen und Auftraggeber, immer noch
Menschen – Kunden – gewinnen, indem wir sie überzeugen. Aber nicht mehr mittels des bekannten Monologs
über eine Marke «Wir sind, wir können – Sie müssen». Der
Mensch – nicht die Marke – soll im Mittelpunkt stehen. Wir
wollen wissen, was den Menschen im Innersten bewegt.
Das ist immer eine Auseinandersetzung mit oder besser
eine Begegnung zwischen Menschen.
Worin drückt sich dieser Wandel aus?
Die fundamentale Fragestellung heute lautet: Was sind die
innersten Wünsche, Träume und Hoffnungen des Menschen? In der Live-Kommunikation der Zukunft wird es
deshalb verstärkt darum gehen, nicht mehr oberflächliche
Markeninszenierungen durch künstlich erstellte Erlebniswelten zu gestalten. Letztendlich sucht der Mensch immer
etwas, was von ihm ganz persönlich stammt und das von
innen kommt. In der künftigen Marketingkommunikation
geht es um das Innen. Das Finden dieses «Innen», quasi
eines urmenschlichen Kerns, kann nur erreicht werden,
wenn der Mensch Ausgangspunkt und damit Teil eines Produktes oder einer Marke ist.
Was ist der Beitrag einer Live-KommunikationsAgentur zu diesem Prozess?
Unsere Aufgabe in der Kommunikation besteht darin,
für Marken Räume zu schaffen. Aber nicht einfach dreidimensionale Räume, sondern auch im übertragenen
Sinn. Das ist nach unserer Ansicht nicht eine Angelegenheit der traditionellen Wissenschaften, weil
zum Beispiel gerade die Neurologie wieder
eine Rationalisierung, gewissermassen
über den Menschen hinweg, darstellt.
Urmenschliche, emotionale Motive wie
Wünsche, Freude, Angst oder die Suche
nach Orientierungsmustern wie Sicherheit, Anerkennung, Freude oder Harmonie kann man nicht neurologisch lokalisieren. Sie kommen nicht aus der Bibliothek des
Verstandes, sondern von der Bühne der Herzen. Deshalb müssen wir woanders ansetzen.
Welches sind die Ansatzpunkte?
Bei den ursprünglichen Ritualen: Was Menschen im Innersten bewegt, sind wie gesagt Themen wie das Bedürfnis
nach Sicherheit, nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe, einer
Community oder der Drang nach Anerkennung. Das ist eine
andere Ebene als der Wunsch nach Gütern wie einem neuen
Auto oder einem High-Definition-Fernsehgerät. Letztere
sind lediglich die materielle Manifestation der erwähnten
tieferliegenden Sehnsüchte und deren materielle Befriedigung. Die tieferliegenden Motive, die den Menschen bewegen, gingen in unserer westlichen Gesellschaft aber etwas
verloren. Wir befassen uns deshalb mit archaischen Ritualen,
welche genau den Zweck verfolgen, diese tiefen Sehnsüchte
des Menschen zu befriedigen.
Event
Archaische Rituale, wie wir sie etwa in der Welt der Kelten
finden und in die der Mensch integriert war, sind gewissermassen die Urform von Events. Raum für Marken zu schaffen
bedeutet deshalb, die künstliche Ebene der Markeninszenierung zu verlassen und in gewisser Weise zu diesen Ritualen
als Urform des Menschseins zurückzufinden. Das ist die
vierte Dimension der Live-Kommunikation.
Wie kann diese vierte Dimension der Markenführung systematisiert werden?
Sie kann als eine Art Paradigmawandel von der dritten Dimension der bisherigen kognitiven zu einer affektiven Ebene beschrieben werden. Es ist gewissermassen ein Schritt
zurück zu den archaischen Formen von Ritualen, das heisst
von der kognitiven oder bewussten Kommunikation hin zu
einer weniger bewussten, affektiven Kommunikation. Farben beispielweise nehmen wir kognitiv wahr und ordnen
ihnen nach der traditionellen Farbenlehre relativ bewusst
eine Funktion zu. Rot zum Beispiel wird mit Aktivität verbunden. Jede Farbe hat aber auch eine Frequenz. Wenn wir
die Bedeutung dieser Frequenz kennen, können wir sie in
die Raumgestaltung einbinden. Damit erreichen wir eine
zusätzliche, eben die vierte Ebene und gelangen damit zu
einer unglaublichen Steigerung des Wirkungsgrades in der
Kommunikation.
Andrej Isler, CEO and
kation, Zürich
«
Wenn man in der Markenführung vom
Menschen ausgeht, dann braucht man diesem
Menschen nicht mitzuteilen, was diese
Marke ist, wie sie aussieht und welche Farbe
oder welches Erkennungszeichen sie trägt.
Eine Marke muss man spüren, nicht anschreiben.
»
Wie werden sie diese Erkenntnisse in der Praxis
umgesetzt?
Indem wir beispielsweise Meetings und Kongresse interaktiv und dialogorientiert umsetzen und den Menschen in
den Mittelpunkt stellen. Einer unserer Kunden, eine weltbekannte Schweizer Schuhmarke, war auf der Suche nach
einer neuen Verkaufsstrategie für ihr weltweites Ladennetz. Wir sind auf eine völlig neue Art an das Projekt herangegangen. Statt einfach die Präsentation einer vorgefertigten Strategie zu inszenieren, wollten wir Interaktion.
In der ersten Stufe wurden die Verkaufsleiter der Läden
aus aller Welt herbeigezogen. Sie alle kamen mit einer klaren Vorstellung der Verhaltensmuster ihrer Kunden: In einem dreitätigen Workshop wurde dann nicht über die
Marke, sondern über den Menschen, eben den Kunden
gesprochen.
Es zeigt sich, dass auch in einer globalisierten Welt die
Kulturen sehr unterschiedlich sind und die Ladenbesucher
verschiedene Ansprachen oder Abneigungen pflegen. Wir
sind zudem auf eine Typologie mit unterschiedlichsten
Charakteren gestossen: auf den Sicherheit Suchenden,
den Bestätigung Suchenden, den Machtmenschen, den
sprichwörtlichen Kontrollfreak, den Unentschlossenen
oder den Künstlertyp. Das liess dann Schlüsse zu auf
die richtigen Themen in der Begegnung mit diesem
Menschen, also auf die Live-Kommunikation mit dem Kunden. Die erhaltenen Inputs wurden dann in der zweiten
Stufe am letzten Tag des Workshops in einer Verkaufsstrategie synthetisiert und erst dann wurde die Marke wieder
integriert.
Letztlich geht es aber auch in der Kommunikation immer darum, ein Dach als gemeinsamer
Nenner für Zielgruppen oder anders gesagt: die
grosse Markenstory zu finden.
Wir gehen immer von der grossen Story aus respektive wir
suchen sie, bis wir die passende gefunden haben. Ohne
Story arbeiten wir nicht. Die – gemeinsame – Story unserer
Kunden oder besser der Kunden unserer Kunden, also der
Konsumenten, steht immer im Mittelpunkt, weil wir damit
den Menschen bewegen. Wenn er in diese Story integriert
ist, wird er gewissermassen zum Helden. Er wird Teil der
Marke. Die Marke erhält Profil.
EVENT
Creative Director, x-act AG,
Agentur für Live-Kommuni-
EVENT
Vorgehensweisen um 180 Grad. Die dabei entstehenden
Prozesse und Resultate weisen eine Richtung, die mit mehr
Sinn, Sinnhaftigkeit und emotionaler Verankerung im Einklang stehen. Für Live-Kommunikations-Strategien bedeutet ein solches Vorgehen, dass man viel früher in der Strategiebildung einsteigen muss; episodische Markenevents
durchführen reicht da nicht mehr. Von dieser Strategie gelangt man dann zur richtigen Form. Auf dieser – frühen –
Ebene werden die Weichen richtungsweisend gestellt.
Interaktion statt vorgefertigter Strategie.
Wie überträgt man solche Erkenntnisse vom
Einzelnen auf eine Gruppe?
Wenn es gelingt, das Bedürfnis des Einzelnen mit der grossen Wirkung des Ganzen, also einer Gruppe, zu koppeln,
dann kann man damit nicht nur externe Zielgrupen nachhaltig erreichen, auch intern kann man so ganze Veränderungsprozesse oder ein Change-Management massiv verkürzen. Hierauf baut beispielsweise unsere Methodik der
Grossgruppen-Kommunikation auf. Diese setzt noch vor
dem nach aussen getragenen Markenverständnis an. Ein
Beispiel aus der Praxis: Wir führten ein neues LeadershipManagement-Programm für eine weltweit tätige Grossbank ein. Wir sagten: Eine Marke wird durch die Menschen
geprägt. Der Grossevent begann daher in einer leeren Halle. Wenn man in der Markenführung vom Menschen ausgeht, dann braucht man diesem Menschen nicht mitzuteilen, was diese Marke ist, wie sie aussieht und welche Farbe
oder welches Erkennungszeichen sie trägt. Eine Marke
muss man spüren, nicht anschreiben. Den Teilnehmern, allesamt COOs der Bank, haben wir deshalb nicht theoretisch und nach dem alten Muster mit Vorträgen aufoktroyiert, was Change Management ist. Wir haben sie den
Veränderungsprozess auf spielerische Weise direkt gestalten und erfahren lassen, indem sie in dieser Halle eine
künstliche Stadt aus Karton-Backsteinen von null auf bauten. Die Information, die es dazu brauchte, um zu vermitteln, das war Leadership-Management unter Involvierung
der Teilnehmenden. 600 Menschen bauten in dreieinhalb
Stunden diese künstliche Stadt auf. Das ist es, was wir unter dem Motto «der Mensch ist die Marke» verstehen. Veränderung und Führung auf der Basis der teilnehmenden
Menschen, nicht einer Theorie oder eines kognitiven Kommunikationsprozesses. Deshalb sprechen wir nicht mehr
von Event-Marketing, sondern von Live-Kommunikation
und sagen: Brand = People. Das ist unser Ansatz.
EVENT
Rituale sind gewissermassen die Urform von Events.
Was bedeutet das, der Kunde als Held?
Es bedeutet den Übergang vom werberischen Monolog
zum Dialog in der Live-Kommunikation. Ein Beispiel sind
moderne Workshops und Kongresse: sie operieren nicht
mehr auf der Basis, dass ein Referent auf der Bühne sein
Wissen an den Teilnehmern «vollstreckt», sondern auf Modulen und Methodiken, bei denen die Teilnehmenden integriert werden und damit zu «Helden» oder – einfacher
ausgedrückt – zu Protagonisten werden. Interaktion ist das
Schlüsselwort, welches die passive Einwegkommunikation
ersetzt. Dieser Prozess ist eine Umkehrung traditioneller
INTERVIEW: URS SEILER
x-act: Agentur für
Marken- und Kundenerlebnisse
x-act gehört in der Schweiz zu den Pionieren auf dem
Gebiet der erlebbaren Kommunikation und des Erlebnis-Marketings. Andrej Isler, Kommunikationsberater,
Feng-Shui-Experte und Querdenker ist Inhaber von
x-act, der Agentur für Marken- und Kundenerlebnisse.
www.x-act.ch