Pater Theodor Bernhard Wolf OSB

Herr, bleibe bei uns; denn es wird bald Abend,
der Tag hat sich schon geneigt. Da ging er mit hinein, um bei ihnen zu bleiben.
Lk 24, 29
Pater Theodor
Bernhard Wolf OSB
Dr. phil.
Mönch der Abtei Ettal
Geboren am 6. 6. 1926 in Löwenberg
Profess am 20. 11. 1960 in Ettal
Priesterweihe am 12. 4. 1964 in Gars
Gestorben am 4. 10. 2015 in Ettal
Beerdigt am 7. 10. 2015 in Ettal
Als am Sonntag, dem 4. Oktober 2015 unser Mitbruder, seit langer Zeit mehr und mehr
geschwächt, in der Krankenabteilung unseres Klosters starb, kam ein fast 90-jähriger
Weg an sein Ziel. Von diesem Weg zeugt nicht zuletzt das Klosterzimmer unseres P.
Theodor, angefüllt mit einer Menge von Büchern, mit einer unübersehbaren Zahl von
Erinnerungsstücken und Bildern. Unter den vielen Bildern aber ragt eines durch Größe
und Platzierung hervor: Ein schöner Kunstdruck, der Rembrandts kostbares Emmausbild
aus dem Pariser Louvre zeigt. Da ist in der Mitte Jesus zu sehen, der eben das Brot bricht,
und die beiden Jünger, denen die Augen aufgehen, so dass sie den Herrn erkennen, der
so lange unerkannt mit ihnen ging. Und der Maler hat in sein Bild noch eine weitere
Person gefügt, die im Evangelium, wie wir es kennen, nicht vorkommt. Es mag gut sein,
dass diese weitere Person der Leser, der Betrachter des Evangeliums ist, der, wenn er
nur lange genug das Evangelium betrachtet, erkennt, dass da seine eigene, des Lesers
Lebensgeschichte erzählt wird, sein Weg, den er so oft im Dunkel nur tastend geht, der
Weg, den der Mensch gar nicht gehen könnte, wenn der unbekannte Fremde, wenn der
Herr, ihn nicht mit uns ginge, der Weg, den wir selber wie auch die Schrift nicht deuten
könnten, wenn nicht ein anderer, der, in dem aller Sinn gründet, uns den Sinn erschließt.
Und so mag auch uns dieses Osterevangelium den Weg unseres P. Theodor ein wenig
erschließen. Der Weg unseres Mitbruders begann am 6. Juni 1926 im schlesischen
Löwenberg, führte über Brackwede in Westfalen, wo er im behüteten Elternhaus
mit seinen drei Schwestern aufwuchs, über den Militärdienst im letzten Kriegsjahr
1944/1945 und die amerikanische Kriegsgefangenschaft nach dem Abitur in Bielefeld
an die Universität München. Dort lenkte ihn die Begegnung mit der Person und dem
Werk Gabriel Marcels zum Philosophiestudium, das er mit einer Dissertation über den
Philosophen abschließen konnte, ehe der nun nicht mehr ganz junge Bernhard Wolf sich
in Ettal auf den benediktinischen Weg der Gottsuche machte. Diesen Weg war ihm seine
älteste Schwester bei den Benediktinerinnen in Varensell als Schwester Hiltrud bereits
vorangegangen. Verlief nun die nächste Wegstrecke unseres P. Theodor in den üblichen
Etappen von Noviziat, der sich anschließenden zeitlichen Profess am 20. November 1960
vor Abt Johannes Hoeck, der ewigen Profess 1963 vor Abt Karl Groß und der Priesterweihe
1964 durch Weihbischof Johannes Neuhäusler, so waren die folgenden Jahrzehnte für
einen Benediktiner eher untypisch. Da sehen wir unseren Mitbruder zwar über viele Jahre
als Lehrer an unserem Gymnasium und als Präses der Ettaler Marianischen Kongregation,
aber zugleich auch als Dozenten an der philosophischen Hochschule bei St. Stephan in
Augsburg, von 1973 bis 1984 als Lehrbeauftragten an der Universität Salzburg, fast fünf
Jahre als Spiritual am Kolleg St. Benedikt in Salzburg, bei zahlreichen Veranstaltungen
in der regionalen Erwachsenenbildung, besonders im Kreisbildungswerk, und schließlich
von 1984 bis 2002 als Präsidenten der Bayerischen Benediktinerakademie und immer,
immer wieder als Einzelseelsorger. Gerade in diesem Bereich teilte P. Theodor mit manch
einem seinen Weg auf eine Art, die für seine Mitbrüder nicht immer einfach nachvollziehbar
war. Insgesamt schien der facettenreiche Weg unseres Mitbruders mit dem, was man
gemeinhin unter stabilitas loci, einem Grundakkord benediktinischer Profess, versteht,
oft genug wenig zusammenzustimmen. Bedurfte er deshalb des Emmausbildes in seiner
Mönchszelle, damit er vom Bild angeregt immer wieder beten konnte wie die beiden Jünger:
Herr bleibe bei uns? Bleibe bei mir, wenn ich so verschiedene Wege gehe. Bleibe bei mir
und lehre mich so, dass ich selbst bei mir bleibe, mich nicht verliere auf den Wegen dieser
Welt und immer wieder auf den einen Weg zurückfinde, der Du, Herr, selber bist, Du, der
Du doch gesagt hast, dass Du der Weg bist und die Wahrheit und das Leben.
Das Altwerden ist unserem lieben Mitbruder nicht leicht gefallen und damit das zunehmende
Angewiesensein auf Hilfe und das Gebundensein an den Ort. Und es mag sein, dass er
gerade in den letzten Jahren und Monaten viel über den fast 90 Jahre währenden Weg
nachgedacht hat, gerade auch als ihm das Sprechen mehr und mehr schwer fiel, und
dass ihm wie den Emmausjüngern der Herr selbst zum Deuter des Weges wurde, dass Er
unserem Mitbruder zum Erschließer nicht nur der Schrift sondern zum Erschließer des
eigenen Lebens wurde. Da kann es doch sein, dass mit dem zunehmenden Kräfteverfall,
mit zunehmender Gebrechlichkeit, manche innere Verletzung zu heilen begann, manche
zerbrochene Hoffnung sich gerade in ihrer Zerbrochenheit als Segen erwies. Und es kann
schließlich doch gut sein, dass unser P. Theodor jetzt von den Emmausjüngern das ganze
Gebet lernte: Herr, bleibe bei uns, denn es wird bald Abend, der Tag hat sich schon
geneigt.
Wir glauben, dass in den Morgenstunden des 4. Oktober der unerkannte Wegbegleiter,
der Schrifterklärer Jesus, dieses Gebet seines Jüngers erhört hat und ihn bei der Hand
nahm, damit der Jünger beim Herrn bleibe, an des Herrn Tisch für immer Platz nehmen
darf, dort, wo der Herr ihm das Brot bricht. Und wir hoffen, dass unserem P. Theodor nun
die Augen offen stehen eine Ewigkeit lang, dass er sich vom Herrn ganz und gar erkannt
erfährt, deshalb den Herrn erkennt und in der Gemeinschaft der Heiligen sagen darf:
Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den
Sinn der Schrift erschloss?
Am Mittwoch, 7. Oktober 2015, feierten wir für unseren Mitbruder die Eucharistie und
setzten seinen Leichnam in der Gruft unterhalb der Gedächtniskapelle bei.
Wir bitten um das Gebet für unseren verstorbenen Mitbruder und sind gerne zu gleichem
Dienst bereit.
Ettal, im Oktober 2015
Abt Barnabas und Konvent
der Benediktinerabtei Ettal