Landtag von Baden-Württemberg Antrag Stellungnahme

Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 /
15. Wahlperiode
30. 06. 2015
7086
Geänderte Fassung
Antrag
der Fraktion der FDP/DVP
und
Stellungnahme
des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport
Wird die Landesregierung bei von ihr selbst organisierten
Podiumsdiskussionen dem Anspruch der Überparteilichkeit
gerecht?
Antrag
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. zu welchem Zweck sie die Veranstaltungsreihe „Gemeinsam gute Schule machen“ durchführt;
2. warum bei allen vier bislang durchgeführten Veranstaltungen der genannten Reihe mit dem Ministerpräsidenten und dem Kultusminister stets zwei Vertreter
der Landesregierung beziehungsweise jeweils ein Angehöriger der Regierungsfraktion GRÜNE und ein Angehöriger der Regierungsfraktion SPD, aber keine
Vertreter der Oppositionsfraktionen auf dem Podium saßen;
3. welche Bestimmungen für die Organisation und Durchführung von allgemein
politischen Diskussionsveranstaltungen an den baden-württembergischen Schulen vor allem hinsichtlich der Zusammensetzung der Podien mit Angehörigen
politischer Parteien gelten;
4. inwiefern sie einen Widerspruch zwischen ihrem Handeln bei der Besetzung
der Podien der Veranstaltungsreihe „Gemeinsam gute Schule machen“ und ihre
Vorgaben hinsichtlich der Zusammensetzung von Podien bei allgemein politischen Diskussionsveranstaltungen an den Schulen sieht und inwiefern sie sich
den in der politischen Bildung maßgeblichen Grundsätzen des „Beutelsbacher
Konsens“ verpflichtet fühlt, wonach unter anderem „was in Wissenschaft und
Politik kontrovers ist, auch im Unterricht kontrovers erscheinen“ muss (Kontroversitätsgebot);
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Eingegangen: 30. 06. 2015 / Ausgegeben: 18. 09. 2015
Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet
abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente
Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“.
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5. wie sie die bei ihrer Veranstaltung am 13. Juni 2015 in Ulm getätigten Äußerung des Podiumsteilnehmers und Landeselternbeiratsvorsitzenden Dr. C. R.
bewertet, der dazu aufrief, „den Rattenfängern nicht zu folgen, dem Herrn S.,
Vorsitzender des Philologenverbands, oder dem Vertreter der FDP/DVP-Landtagsfraktion, die in der Diskussion kein sachliches Argument gebracht haben,
sondern die Mitglieder der Kommission nur persönlich angegriffen haben“;
6. ob sie den Äußerungen von Dr. C. R. zustimmt;
7. warum weder der Ministerpräsident noch der Kultusminister Herrn Dr. C. R.
widersprachen oder sich von den Äußerungen distanzierten und somit den Eindruck stillschweigender Zustimmung entstehen ließen;
8. warum sie einen Mitschnitt der Podiumsdiskussion in Ulm über die Website
des Kultusministeriums im Internet verbreitet, ohne sich dabei von den Äußerungen von Dr. C. R. zu distanzieren;
9. ob sie plant, nachträglich den Äußerungen von Dr. C. R. zu widersprechen oder
sich davon zu distanzieren;
10. wie viele weitere Veranstaltungen in der Reihe „Gemeinsam gute Schule machen“ geplant sind und ob sie beabsichtigt, zukünftig entsprechend dem oben
genannten Kontroversitätsgebot des „Beutelsbacher Konsens“ auch Vertreter
der Oppositionsfraktionen im Landtag als Podiumsteilnehmer einzuladen.
30. 06. 2015
Dr. Rülke, Dr. Timm Kern
und Fraktion
Begründung
Das Kultusministerium veranstaltet unter dem Motto „Gemeinsam gute Schule machen“ eine Reihe von Podiumsdiskussionen zur Bildungspolitik in BadenWürttemberg. Bei den vier Veranstaltungen, die bislang stattfanden, saßen jeweils
sowohl der Ministerpräsident als auch der Kultusminister nach einer einführenden
Rede auf dem Podium. Somit waren nicht nur zwei Mitglieder der Landesregierung vertreten, sondern auch die Regierungsfraktionen von GRÜNEN und SPD
repräsentiert. Eine Vertreterin oder ein Vertreter der Oppositionsfraktionen fand
sich nicht auf den Podien. Es drängt sich daher die Frage auf, ob die offensichtlich einseitige Besetzung der Podien nicht in deutlichem Widerspruch zur für die
Schule geltenden Vorgabe steht, dass sie „bei der Mitwirkung von Vertreterinnen
und Vertretern der im Bundestag und im Landtag vertretenen Parteien […] keine
einseitige Auswahl vornehmen“ dürfen (Bekanntmachung des Kultusministeriums
zur Mitwirkung von Fachleuten aus der Praxis im Unterricht, vom 29. Oktober
1999, zuletzt geändert am 14. Dezember 2004).
Dass der Ministerpräsident und der Kultusminister bei den Veranstaltungen als
überparteiliche Regierungsvertreter fungierten, ist nach ihrem Verhalten auf der
Podiumsdiskussion am 13. Juni 2015 in Ulm zumindest fraglich. Der auf diesem
Podium vertretene Landeselternbeiratsvorsitzende Dr. C. R. rief im Zusammenhang mit der Diskussion über das Arbeitspapier „Gymnasium 2020“ des Kultusministeriums dazu auf, „den Rattenfängern nicht zu folgen, dem Herrn S., Vorsitzender des Philologenverbands, oder dem Vertreter der FDP-Landtagsfraktion, die in
der Diskussion kein sachliches Argument gebracht haben, sondern die Mitglieder
der Kommission nur persönlich angegriffen haben.“ Weder distanzierten sich Ministerpräsident und Kultusminister von dieser verbalen Entgleisung, noch griffen
sie mäßigend ein. Unabhängig vom jeweiligen Standpunkt wäre beispielsweise
ein Hinweis möglich gewesen, dass es die FDP/DVP-Landtagsfraktion war, die
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eine Aktuelle Debatte im Landtag zum Thema „Gymnasium 2020“ beantragte, damit die Geheimniskrämerei über das Papier beendete und einen Austausch von
Sachargumenten initiierte. Indem der Ministerpräsident und der Kultusminister
aber zu diesen Äußerungen schwiegen, entstand der Eindruck ihrer Billigung und
Zustimmung. Es kann demnach bezweifelt werden, dass die Vertreter der Landesregierung sich dem Grundsatz des für die politische Bildung maßgeblichen „Beutelsbacher Konsens“ verpflichtet fühlten, wonach „was in Wissenschaft und Politik
kontrovers ist, auch im Unterricht kontrovers erscheinen“ muss (Kontroversitätsgebot). Nach Auffassung der FDP/DVP-Landtagsfraktion haben der Ministerpräsident und der Kultusminister hierbei jedoch eine Vorbildfunktion. Deshalb wird
die Landesregierung mit diesem Antrag zu einer Stellungnahme zu den erwähnten
Äußerungen von Dr. C. R. aufgefordert und gefragt, wie sie sich zukünftig bei von
ihr selbst organsierten und durchgeführten Veranstaltungen zu kontroversen politischen Themen zu verhalten beabsichtigt.
Stellungnahme
Mit Schreiben vom 21. Juli 2015 Nr. 0222.10/14 nimmt das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport zu dem Antrag wie folgt Stellung:
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. zu welchem Zweck sie die Veranstaltungsreihe „Gemeinsam gute Schule machen“ durchführt;
Die Veranstaltungen „Gemeinsam gute Schule machen“ wurden durchgeführt, um
die interessierte Öffentlichkeit – insbesondere Eltern, Lehrerinnen und Lehrer sowie auch Schülerinnen und Schüler – über wesentliche, durch den Landtag beschlossene Veränderungen im Schulsystem zu informieren und mit diesen hierüber
ins Gespräch zu kommen.
2. warum bei allen vier bislang durchgeführten Veranstaltungen der genannten
Reihe mit dem Ministerpräsidenten und dem Kultusminister stets zwei Vertreter
der Landesregierung beziehungsweise jeweils ein Angehöriger der Regierungsfraktion GRÜNE und ein Angehöriger der Regierungsfraktion SPD, aber keine
Vertreter der Oppositionsfraktionen auf dem Podium saßen;
Die Veranstaltungen, an denen die genannten Personen als Mitglieder der Landesregierung teilnahmen, dienten der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung. In
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass es zu den
Aufgaben einer Regierung gehört, bezogen auf ihre Organfähigkeit, der Öffentlichkeit ihre Politik, ihre Maßnahmen und Vorhaben sowie die künftig zu lösenden
Fragen dazulegen und zu erläutern. Demnach ist es Aufgabe der Landesregierung,
die Öffentlichkeit umfänglich über ihre Arbeit zu informieren. Hierzu gehört auch,
ausführlich über vom Gesetzgeber beschlossene Veränderungen im Schulsystem
zu berichten, die Konsequenzen für Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler sowie Schulträger und weitere Betroffene zu erläutern sowie sich
mit diesen hierüber auszutauschen. Die Gestaltung der Veranstaltungen folgt dabei
dieser Aufgabenstellung. Hiervon zu unterscheiden sind die Anhörungen und Debatten im parlamentarischen Prozess sowie die öffentlichen Erörterungen im Zusammenhang mit dem parlamentarischen Verfahren, bei denen ein ergebnisoffener
kontroverser Diskurs im Mittelpunkt steht. An diesen Diskursen sind die Vertreterinnen und Vertreter der Oppositionsfraktionen regelmäßig beteiligt.
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3. welche Bestimmungen für die Organisation und Durchführung von allgemein
politischen Diskussionsveranstaltungen an den baden-württembergischen Schulen vor allem hinsichtlich der Zusammensetzung der Podien mit Angehörigen
politischer Parteien gelten;
4. inwiefern sie einen Widerspruch zwischen ihrem Handeln bei der Besetzung
der Podien der Veranstaltungsreihe „Gemeinsam gute Schule machen“ und ihre
Vorgaben hinsichtlich der Zusammensetzung von Podien bei allgemein politischen Diskussionsveranstaltungen an den Schulen sieht und inwiefern sie sich
den in der politischen Bildung maßgeblichen Grundsätzen des „Beutelsbacher
Konsens“ verpflichtet fühlt, wonach unter anderem „was in Wissenschaft und
Politik kontrovers ist, auch im Unterricht kontrovers erscheinen“ muss (Kontroversitätsgebot);
Im Vorfeld von Wahlen veröffentlicht das Kultusministerium Hinweise, die gewährleisten sollen, dass die Schulen ihrer Verpflichtung zu parteipolitischer Neutralität gerecht werden. In diesem Rahmen wird darauf hingewiesen, dass ganzjährig, also auch während der sog. Karenzzeit vor der Wahl, pluralistisch besetzte
Podiumsdiskussionen zulässig sind. Es wird dort ausgeführt: „Die Schülermitverantwortung (SMV) kann auch während der Karenzzeit öffentliche Diskussionsveranstaltungen mit den Kandidaten der Parteien durchführen. Angesichts der Vielzahl
der zu den Wahlen zugelassenen Parteien ist für die Einladung der Kandidatinnen
und Kandidaten eine Auswahl zu treffen, die sich an der ‚Bedeutung‘ ihrer Partei
zu orientieren hat. Entscheidend für die Bedeutung einer Partei in diesem Sinne
sind nach der Rechtsprechung:
– die Ergebnisse ‚vorausgegangener Wahlen zu Volksvertretungen‘,
– die aktuellen Prognosen beziehungsweise die damit verbundenen konkreten Aussichten für die Wahlen.
Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass diese Kriterien nicht nur die bereits im Parlament vertretenen Parteien erfüllen können.“
Diese Regelung befasst sich nicht mit solchen Veranstaltungen, bei denen in Wahrnehmung der Eigenverantwortung der Landesregierung durch den zuständigen Minister und den Ministerpräsidenten Fragen zu deren Bildungspolitik beantwortet
werden. Ein Widerspruch, wie in der Fragestellung angedeutet, wird nicht gesehen.
Die Grundsätze des „Beutelsbacher Konsens“ beziehen sich auf den Unterricht und
nicht auf die Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung.
5. wie sie die bei ihrer Veranstaltung am 13. Juni 2015 in Ulm getätigten Äußerung des Podiumsteilnehmers und Landeselternbeiratsvorsitzenden Dr. C. R.
bewertet, der dazu aufrief, „den Rattenfängern nicht zu folgen, dem Herrn S.,
Vorsitzender des Philologenverbands, oder dem Vertreter der FDP/DVP-Landtagsfraktion, die in der Diskussion kein sachliches Argument gebracht haben,
sondern die Mitglieder der Kommission nur persönlich angegriffen haben“;
6. ob sie den Äußerungen von Dr. C. R. zustimmt;
7. warum weder der Ministerpräsident noch der Kultusminister Herrn Dr. C. R.
widersprachen oder sich von den Äußerungen distanzierten und somit den Eindruck stillschweigender Zustimmung entstehen ließen;
9. ob sie plant, nachträglich den Äußerungen von Dr. C. R. zu widersprechen oder
sich davon zu distanzieren;
Es ist nicht Aufgabe der Landesregierung, die Meinungen und Äußerungen des
Vorsitzenden eines Beratungsgremiums des Kultusministeriums zu bewerten.
8. warum sie einen Mitschnitt der Podiumsdiskussion in Ulm über die Website des
Kultusministeriums im Internet verbreitet, ohne sich dabei von den Äußerungen
von Dr. C. R. zu distanzieren;
Es ist nicht Angelegenheit des Kultusministeriums, audiovisuelle Dokumentationen nachträglich zu verändern.
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Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 7086
10. wie viele weitere Veranstaltungen in der Reihe „Gemeinsam gute Schule machen“ geplant sind und ob sie beabsichtigt, zukünftig entsprechend dem oben
genannten Kontroversitätsgebot des „Beutelsbacher Konsens“ auch Vertreter
der Oppositionsfraktionen im Landtag als Podiumsteilnehmer einzuladen.
Die Reihe ist abgeschlossen.
Im Übrigen wird auf die Antwort zu Ziff. 4 verwiesen.
Stoch
Minister für Kultus,
Jugend und Sport
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