Sozialarbeiter in blauer Uniform

Quelle: NZZ vom 03.12.15
Sozialarbeiter in blauer Uniform
15 Jahre nach Gründung des umstrittenen Zürcher Sicherheitsdiensts SIP kommt es zur
Volksabstimmung
Aus einem Pilotprojekt mit 6 Mann ist über die Jahre ein städtischer Betrieb mit 42,5
Stelleneinheiten geworden. Ob Strichplatz oder Asylzentrum: Die SIP sorgt in Zürich für
Ordnung - bis anhin allerdings ohne rechtliche Grundlage.
CHRISTINA NEUHAUS
1995 liess die Stadt den Oberen Letten räumen und löste damit die letzte offene Drogenszene auf.
Doch die Drogenabhängigen verschwanden nicht einfach aus Zürich. Auf der Suche nach etwas Ruhe
und einigen Sitzbänken zogen sie durch die Stadt und trafen sich bald am Stadelhofen, bald auf der
Bäckeranlage. Wenn Anwohner oder Ladenbesitzer reklamierten, löste die Polizei die Ansammlungen
jeweils auf, worauf das Trüppchen weiterzog, um sich für kurze Zeit woanders niederzulassen. Fünf
Jahre später - nach einer vorübergehenden Sperrung der Bäckeranlage - wies das Sozialdepartement
ein paar Sozialarbeiter mit Sinn für ordnungsdienstliche Aufgaben an, regelmässig nach dem Rechten
zu sehen.
Die «Wegweispolizei»
Ursprünglich hatte die SIP (Sicherheit, Intervention, Prävention) vor allem den Auftrag, Auswüchse
zu verhindern und wenn nötig Randständige und Drogensüchtige von der Strasse zu holen. Mit der
Zeit erweiterte der Stadtrat das Aufgabengebiet des sechsköpfigen Sicherheitsdienstes jedoch stetig
und vergrösserte ihn auf einen Bestand von fast 50 Mann. Heute patrouilliert die uniformierte mobile
Einsatztruppe im städtischen Drive-in-Bordell in Altstetten, bewacht das Asylzentrum des Bundes in
Zürich-West und übernimmt Sicherheitsaufträge für weitere Gemeinden.
Im Gemeinderat der Stadt Zürich gab die wackelige Rechtsgrundlage der als Versuchsprojekt
gegründeten SIP jedoch immer wieder zu Diskussionen Anlass. 2013 wehrte sich eine Mehrheit,
bestehend aus SVP, FDP, GLP und AL, erstmals gegen die geplante Aufstockung des Dienstes: die
Bürgerlichen, weil sie mit den ausserkommunalen Aufträgen nicht einverstanden waren, die Linken
aus grundlegender Skepsis gegenüber den «SIPlern». Der damalige Sozialvorsteher Martin Waser, ein
Mann von beachtlicher Überzeugungskraft, brachte die Grünliberalen schliesslich zum Umdenken,
worauf der Ausbau doch noch angenommen wurde. Im Gegenzug forderte die GLP jedoch, die
Rechtsgrundlage für die SIP anzupassen.
Das Volk hat das letzte Wort
Wasers Nachfolger Raphael Golta (sp.) will den parlamentarischen Vorstoss nun umsetzen. Wie der
Stadtrat am Mittwoch mitgeteilt hat, soll das Konzept der SIP auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt
werden. An der vor allem von linken Kreisen kritisierten Ausrichtung will der Stadtrat dagegen nichts
ändern. Statt von «niederschwelliger Wegweispolizei» wie die Skeptiker von der Alternativen Liste
spricht er lieber von «niederschwelliger Vermittlung bei Nutzungskonflikten».
Wie Raphael Golta am Mittwoch ausführte, ist in der noch nicht öffentlichen stadträtlichen Weisung
im Wesentlichen der Ist-Zustand der SIP beschrieben; neue Aufgaben seien keine dazugekommen. Der
Vorschlag des Stadtrats kommt nun zuerst in den Gemeinderat, bevor - 15 Jahre nach deren Gründung
- auch das Volk über die SIP abstimmen darf.