SCHUH, G./ STRACK, J.: "Die Virtuelle Fabrik - Chance für KMU", in: Ratgeber für KMU, L’Agefi, 1998, S. 131-133 Virtuelle Fabrik - Chance für KMU Grossen Unternehmen traut man mehr Skaleneffekte und Effizienz zu als KMUs. KMUs gelten demgegenüber als flexibler. Nun steigt die Dynamik vieler Märkte. Gleichzeitig hat der Kostendruck zugenommen. Grossunternehmen tun sich derzeit sehr schwer, mehr Agilität an den Tag zu legen und gleichzeitig effizienter zu werden. Das ist die Chance der KMUs im nächsten Jahrzehnt. Durch die Zusammenarbeit in der Virtuellen Fabrik können KMUs am Markt „wie Grossunternehmen“ auftreten und gleichzeitig ihre Flexibilität als Stärke ausspielen. In der Wirtschaft zeichnet sich seit Anfang der 90er Jahre ein Trend zu prozessorientierten Leistungseinheiten in optimaler Betriebsgrösse ab, die entsprechend unterschiedlichen Kundenwünschen zusammen konfiguriert werden können. Segmentierungen und Verkleinerungen lassen solche Leistungseinheiten auch innerhalb von Grosskonzernen entstehen. Bekannte Beispiele dafür sind Grosskonzerne wie ABB oder Leica. Die Suche nach mehr Flexibilität steht bei diesen Bestrebungen im Vordergrund. Die zwar flexiblen KMUs sind in vielen Bereichen weniger professionell gemanaged und bewältigen nur unkritische Massen. Durch ihre Spezialisierung hängen sie stärker von Konjunkturzyklen und Grossunternehmen ab, eine Risikosplittung zwischen Projekten und Tätigkeiten in verschiedenen Branchen ist selten möglich. Aufträge werden unter Deckungsbeitrag angenommen, Investitionen ohne Amortisationschancen getätigt und Restkapazitäten bleiben unverwertet. Forschung und Entwicklung ist unterdotiert und Marktforschung wird kaum betrieben. Zusätzlich haben KMUs Marktmachtnachteile, da sie selten international tätig sind bzw. Grossaufträge bewältigen können. starr Intraorganisatorische Virtualisierung: Auflösung, Segmentierung flexibel Optimal konfigurierte Leistungseinheit fokussiert spezialisiert Interorganisatorische Virtualisierung: Poolung Abbildung 1: Virtualisierungsrichtungen 1 SCHUH, G./ STRACK, J.: "Die Virtuelle Fabrik - Chance für KMU", in: Ratgeber für KMU, L’Agefi, 1998, S. 131-133 Die Chance für KMUs liegt daher in unternehmensübergreifender Zusammenarbeit unter Beibehaltung der Eigenständigkeit. Die optimale Befriedigung von Kundenwünschen in Netzwerken steht dabei im Vordergrund (vgl. Abbildung 1). Im Gegensatz zu der Einzelunternehmung, die am Markt nur alleine als Spezialist agiert, kann ein KMU im Netzwerkverbund durch sein wesentlich breiteres Leistungsspektrum eine grössere Marktmacht ausüben. Damit können die Grössenvorteile grosser Unternehmen (Finanzkraft, Marktzugang, Beschaffungspoolung etc.) mit den Vorteilen kleiner Einheiten (Flexibilität, Führbarkeit, Kundennähe etc.) kombiniert werden. Hierzu bietet die Virtuelle Fabrik (Definition vgl. Kasten) ideale Voraussetzungen, um sich in dem zur Zeit stattfindenden ruinösen Preiswettkampf zu behaupten. Durch ein Kapazitätsmanagement in der Virtuellen Fabrik wird allen Partnern ein intensiver Leistungsaustausch ermöglicht, um mengenmässige Marktschwankungen abzufangen und somit eine bessere kapazitive Auslastung der vorhandenen Ressourcen zu erzielen. Die Erfahrungen zeigen, dass dies vor allem für einfache, standardisierbare und leicht kommunizierbare Leistungen und Produkte sinnvoll ist, für deren Koordination keine komplexen Schnittstellen nötig sind. Eine Virtuelle Fabrik ist eine Zusammenführung von realen Fabriken bzw. Unternehmensbereichen mit dem Ziel, kurzfristig ein konkretes Geschäft zu realisieren, das von einer einzelnen (realen) Fabrik nicht oder nur weniger gewinnbringend abgewickelt werden kann. Dieser multilaterale Verbund mehrerer realer Fabriken liefert durch eine strikte Auftragsorientierung zusätzliche Flexibilität im Vergleich zu den bekannten Kooperationsformen, wie z. B. einem Zulieferverbund, der strategischen Allianz oder der verlängerten Werkbank. Zusätzlich lässt sich innerhalb der Virtuellen Fabrik ein Kompetenzmanagement verwirklichen, um schneller auf sich änderndende Leistungsanforderungen des Marktes reagieren zu können. Entsprechend dem Kernkompetenzansatz kann durch die Virtuelle Fabrik eine Fokussierung und Konzentration auf die eigenen Stärken vorgenommen werden. Einerseits wird ein schneller und informeller Zugriff auf nicht unternehmensintern vorhandene Kompetenzen ermöglicht. Andererseits können durch die Know-how-Transparenz und Zusammenarbeit in der Virtuellen Fabrik Tätigkeitsbereiche, in denen anderere Unternehmen kompetenter sind, ausgelagert werden. Insbesondere die beiderseitige Möglichkeit von Kapazitäts- und Kompetenzamanagement als Grundgedanke der Virtuellen Fabrik erfordert für eine effiziente und schnelle Zusammenarbeit ein Vertrauensverhältnis unter den Partnern. Die stabile Basis bildet hierfür das Kooperationsnetzwerk (vgl. Abbildung 2), in dem zur Abstimmung der Wertschöfpungskette vertrauensfördernde Spielregeln definiert, Rollen und Aufgaben bestimmt sowie neue Instrumente implementiert werden. Mit dieser Grundaktivierung des Beziehungsnetzes der Partner wird die schnelle Reaktionsfähigkeit für den auftragsspezifischen Aufbau von Virtuellen Fabriken als dynamische Netzwerke garantiert. Entsprechend den Erfahrungen der Virtuellen Fabrik ist eine reine informationstechnische Vernetzung der Mitgliedsunternehmen, wie es in anderen Kooperationsprojekten versucht wird, nicht aussreichend. 2 SCHUH, G./ STRACK, J.: "Die Virtuelle Fabrik - Chance für KMU", in: Ratgeber für KMU, L’Agefi, 1998, S. 131-133 Temporär konfiguriertes Netzwerk Stabile Plattform Abbildung 2: Das Kooperationsnetzwerk als Basis für dynamische Netzwerke Das Kooperationsnetz dient ausserdem als Plattform für die verschiedensten strategischen Ziele der Mitgliedsunternehmen, die es zu harmonisieren gilt. Bei einer Partnerumfrage kristallisierten sich folgende vier Hauptziele heraus: Die Virtuelle Fabrik kann als flexibles Kooperationsnetz zum Vermarkten von Restkapazitäten, als Akquisitionsinstrument zum Gewinn neuer Kunden sowie neuer Aufträge, als Lernarena zum Know-how- sowie Informationsaustausch und/ oder als Diversifikationsinstrument zum Erschliessen neuer Märkte und Geschäftsfelder genutzt werden. Damit ist es jedem Mitgliedsunternehmen möglich, entsprechend seinen individuellen Zielen verschiedene Nutzenpotentiale in der Virtuellen Fabrik zu erschliessen (vgl. Abbildung 3). Nutzenpoteniale in den bestehenden Geschäftsbereichen Nutzenpoteniale durch neue Geschäfte Schnellere Umsetzung von Innovationen Benchmarking Konzentration auf Kernkompetenzen Ausgleich zur Branchenkonjunktur Kapazitätsausgleich Komplettanbieter Imagegewinn Aufbau von Managementkompetenz Flexibilisierung der Organisationstrukturen Ausnutzung von Synergien Kontakt zu neuen Kunden Know-how Transfer Risikosplitting Verminderung des Finanzierungsbedarfs Schnittstellenmanagement Abbildung 3: Nutzenpotentiale für KMUs in der Virtuellen Fabrik Herauszugreifen sind insbesondere grössenspezifische Problembereiche, die innerhalb einer Virtuellen Fabrik vereinfacht oder gelöst werden können. Durch eine Zusammenlegung von gewissen administrativen Tätigkeiten sowie der Hinterlegung standardisierter Prozesse 3 SCHUH, G./ STRACK, J.: "Die Virtuelle Fabrik - Chance für KMU", in: Ratgeber für KMU, L’Agefi, 1998, S. 131-133 können vermehrt Skaleneffekte erzielt werden. Gemeinsam können in sogenannten Leistungsteams neuartige Leistungen oder Produkte ausgearbeitet werden, um längerfristige Marktchancen oder -trends zu antizipieren. Ausserdem lässt sich durch ein gemeinsames Auftreten eine gewisse Imagebildung durch die Marke Virtuelle Fabrik realisieren und der Marktauftritt überregional gestalten. Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass KMUs sich durch die Beteiligung in Virtuellen Fabriken vielfache Optionen erschliessen können, die eine höherwertige Lösungsfähigkeit der Kundenprobleme und -bedürfnisse mit sich bringen. Weiterführende Literatur: Katzy, B., Schuh, G., Millarg, K.: „Die Virtuelle Fabrik - Produzieren in Netzwerken“; in: Technische Rundschau; Nr. 43; 1996; S. 30-34 Müller-Stewens, G. (Hrsg.): „Virtualisierung von Organisationen“; Band 16; SchäfferPoeschel Verlag; Stuttgart; 1997 Schuh, G.; Wiendahl, H. P. (Hrsg.): „Komplexität und Agilität“; Springer; Berlin; 1997 Autoren: Prof. Dr. G. Schuh, Extraordinarius für betriebswirtschaftliches Produktionsmanagement an der Universität St. Gallen, Direktor des Instituts für Technologiemanagement und Verwaltungsratpräsident des Software- und Beratungsunternehmens GPS Prof. Schuh Komplexitätsmanagement GmbH, Würselen (D) J. Strack, Assistent am Institut für Technologiemanagement der Universität St. Gallen 4
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