: oper Cardillac Oper in drei Akten, Originalfassung von 1926 Text von Ferdinand Lion nach E.T.A. Hoffmanns Novelle „Das Fräulein von Scuderi“ Musik von Paul Hindemith Der Goldschmied Cardillac.....................................Kai-Moritz von Blanckenburg Die Tochter.........................................................Anna Schoeck Der Offizier........................................................Junghwan Choi Der Goldhändler..................................................Markus Wessiack Der Kavalier.......................................................Jin-Hak Mok Die Dame...........................................................Svitlana Slyvia Der Führer der Prévôté..........................................Jorge Martinez Mendoza Opernchor, Extrachor, Statisterie, Schleswig-Holsteinisches Sinfonieorchester Musikalische Leitung............................................Peter Sommerer Inszenierung......................................................Markus Hertel Ausstattung.......................................................Martin Fischer Choreinstudierung...............................................Bernd Stepputtis Dramaturgie.......................................................Elisabeth Kühne Premiere: 6. Juni 2015, 19.30 Uhr, Großes Haus Flensburg Vorstellungsdauer: 1 ¼ Stunden, ohne Pause Aufführungsrechte: Schott Music, Mainz Wir danken den Holzbildhauern der Werkkunstschule Flensburg, die im Rahmen einer Kooperation Schmuckstücke als Requisiten für die Produktion gefertigt haben. Regieassistenz und Abendspielleitung: Ulla Wentenschuh; Ausstattungsassistenz: Sara Morea; Musikalische Einstudierung: Theo Saye / Peter Geilich / Felix Pätzold; Inspizienz: Oliver Pauli; Übertitelinspizienz: Venita Gliesche; Souffleuse: Erika Gomolzig; Maske: Noreen Becker; Kostümanfertigung: Heike Reimers / Tina Hempel; Technische Leitung: Dieter Riekhoff; Bühne: Joachim Sprung / Dirk Struve; Beleuchtung: Lutz Moritz / Constantin Hein; Ton: Rainer Dettmer / Jörg Karkossa; Requisite: Michael Goldammer / Andreas Behnke; Leiter der Werkstätten: Bodo von Husen. Wir machen darauf aufmerksam, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen durch jede Art elektronischer Geräte strikt untersagt sind. Zuwiderhandlungen sind nach dem Urheberrechtsgesetz strafbar. Bitte schalten Sie Ihr Mobiltelefon aus! Schleswig-Holsteinische Landestheater und Sinfonieorchester GmbH Generalintendant und Geschäftsführer: Peter Grisebach Spielzeit 2014 / 2015, www.sh-landestheater.de paul hindemith Cardillac www.sh-landestheater.de Sei still, Seele mein… und spanne nicht die dunklen Flügel auf! Ein Mörder geht um in Paris… … und versetzt eine ganze Stadt in Angst und Schrecken. Einziger Hinweis auf den Täter: Allen Opfern der rätselhaften Mordserie wurde nach ihrem gewaltsamen Tod ein Schmuckstück des geachteten Goldschmieds Cardillac – einem Meister seiner Kunst – geraubt. Zur Beruhigung der verunsicherten Menge setzt der König ein Sondergericht ein, die sogenannte „brennende Kammer“, die den Täter aufspüren und seiner gerechten Strafe überführen soll. Doch schon bald findet sich ein neues Opfer in den Straßen von Paris: Diesmal ist es ein Kavalier, der für eine Liebesnacht seiner angebeteten Dame „das Schönste, was Cardillac je schuf“ zum Geschenk macht – mit tödlichen Folgen. Auch ein Offizier fordert vom Goldschmied das Schönste, was er je geschaffen hat, doch meint er damit nicht dessen Schmuck, sondern seine Tochter, deren Geliebter er ist. Cardillac – nur um seine kunstvollen Werke besorgt – gibt sie freimütig hin: „Könnte ich lieben, was mir nicht ganz gehört? Nur das, was ich geschaffen, bleibt mir treu.“ Und doch scheint Cardillacs Tochter wie an unsichtbaren Fäden an ihren Vater gebunden: Einerseits will sie mit ihrem Geliebten fliehen, andererseits vermag sie es nicht, sich vom Vater zu lösen. Als der Offizier, um die Kraft des Vaters zu brechen, eine Kette kauft, überschlagen sich die Ereignisse. Denn Cardillac, „eingewachsen dem Werk, wie Gott als er die Welt schuf“, kann sich unmöglich von seinen Arbeiten trennen und sieht nur einen Weg wieder in den Besitz des Schmuckstücks zu gelangen: Mord. Der Anschlag misslingt, doch statt den wahren Täter zu offenbaren, bezichtigt der Offizier den Goldhändler des Überfalls. Erst unter dem Druck der aufgebrachten Menge, die das todbringende Werk des Goldschmieds zerstören will, entlarvt sich Cardillac selbst – und wird vom Volk grausam gerichtet. Vom Kriminalfall zum Künstlerdrama Lange war Paul Hindemith, der sich Anfang der 20er Jahre bereits als anerkannter Komponist der jüngeren Generation etabliert hatte, auf der Suche nach einem geeigneten Stoff für ein größeres Bühnenwerk gewesen. „Wenn ich einen Operntext hätte, würde ich in einigen Wochen die größte Oper herstellen“, klagte Hindemith. Kurzzeitig spielte er sogar mit dem Gedanken ein „Suche Libretto“-Inserat in die Zeitung zu setzen. Dabei brach täglich eine wahre Sturzflut schlechter Texte über den Komponisten herein, der inzwischen sein ganz eigenes Auswahlsystem entwickelt hatte: „Meine Mutter sortiert aus, meine Schwester liest nach und zum Schluss beschäftigt sich unser Hund noch auf seine Weise mit der Sache.“ Als Hindemith 1925 schließlich auf den Elsässer Dramatiker Ferdinand Lion traf, konnte er seine Suche für beendet erklären: Stoff und Librettist waren gefunden. Für ihre erste abendfüllende Oper Cardillac griffen Hindemith und Lion auf E.T.A. Hoffmanns schaurig-romantische Novelle „Das Fräulein von Scuderi“ zurück, die 1820 im dritten Band der Serapionsbrüder veröffentlicht wurde. Dreh- und Angelpunkt dieser Erzählung, die als eine der frühsten deutschen Kriminalgeschichten gilt, ist die Titelfigur: Die gewitzte Schriftstellerin Madeleine de Scuderi klärt darin durch ihre beharrliche Suche nach der Wahrheit als eine Art frühe Miss Marple im Paris Ludwig XIV. eine geheimnisvolle Mordserie und den Tod des Goldschmieds Cardillacs auf. Aus der romantischen Vorlage E.T.A. Hoffmanns übernahm Lion dabei nur den Handlungskern, setzte aber sonst andere Akzente. Der augenscheinlichste Unterschied betrifft wohl die Figur des Fräuleins von Scuderi, die Hindemith und Lion in ihrer Oper zugunsten der Fokussierung auf Cardillac und seinen Verbrechen vollständig eliminierten. Aus einer Detektivgeschichte wird ein Künstlerdrama. Genie und Wahnsinn Dass Genie und Wahnsinn gar nicht so weit voneinander entfernt sind, sich manchmal sogar bedingen, ist spätestens seit der Genieästhetik des Sturm und Drang ein weit verbreiteter Topos. Im 19. Jahrhundert wurde der Künstler dann voll- ends zum begabten Außenseiter stilisiert, der aus einem unbändigen inneren Drang heraus schafft und sich dabei auch über die gesellschaftlichen und moralischen Grenzen hinwegsetzt – denn erst das Anderssein, die Abweichung von der Norm bringt das Außergewöhnliche hervor. Auch Cardillac lebt ausschließlich für seine Kunst, nur aus dem zu Schaffenden zieht er seinen Lebensinhalt: „Aus den Werken saug ich meine Kraft und meine Kraft geb ich den Werken hin.“ Eine Besessenheit, die bis zum mörderischen Verbrechen führt, mit Goldgier aber wenig zu tun hat. Cardillacs Arbeiten sind Teil seiner ureigensten Persönlichkeit. Ihr Verlust bedeutet zugleich den Verlust eines Teils der Identität. Dieses „Cardillac-Sydrom“ (eine inzwischen anerkannte psychische Störung) lässt sich immer wieder bei Künstlern beobachten, die sich nicht von ihren Werken trennen können – seien es nun Maler, Bildhauer oder Schriftsteller, die ihr Manuskript lieber in der Schublade lassen, als es zu veröffentlichen. Neue Sachlichkeit Als Cardillac am 9. November 1926 in Dresden uraufgeführt wurde, waren die Zeiten der rauschhaften Klangmagie eines Richard Wagners längst vorbei. Expressionismus und Neue Sachlichkeit hießen die Schlagworte, die das Musikleben in den folgenden Jahren prägen sollten. Da gab es die aufwühlende Atonalität Arnold Schönbergs und Alban Bergs, die Zeitopern Kurt Weills und Berthold Brechts und schließlich schon den Neoklassizismus Strawinskys. Allen diesen Strömungen gemeinsam war die Überwindung einer als überholt empfundenen Ästhetik, der Bruch mit der Überlieferung, kurz: eine bewusst antiromantische Haltung. Auch Hindemiths Cardillac nahm vieles von diesen Tendenzen auf, beruft sich jedoch vor allem auf den Begriff der Neuen Sachlichkeit, der 1925 vom Kunstkritiker Gustav Friedrich Hartlaub als Titel einer Wanderausstellung zeitgenössischer Kunst geprägt wurde. Pathetischen Überschwang und affektierte Operngesten sucht man hier vergebens. Mit radikalem Formwillen – Hindemith greift nicht nur auf das Modell der Nummernoper zurück, sondern wendet vielfach auch barocke Kompositionstechniken an – und einer fast schon kammerorchestralen Besetzung erschafft Hindemith stattdessen eine virtuos-konzertante Musik von erstaunlicher Eigenständigkeit: Immerhin ein Drittel der Oper gestalten sich als rein instrumentale Musik. Entsprechend der nüchternen Typisierung der Figuren (der Offizier, die Tochter, der Kavalier etc.) vermeidet Hindemiths Komposition auch jegliches Einfühlen oder psychologisches Ergründen. Eine Musik so frei wie ihr kunstschaffender Protagonist Cardillac, der lieber stirbt, als sein Werk zerstört zu sehen – das einzige Individuum in einer namenlosen Masse. Elisabeth Kühne Sowie ich ein Geschmeide gefertigt und abgeliefert, fiel ich in eine Unruhe, in eine Trostlosigkeit, die mir Schlaf, Gesundheit – Lebensmut raubte. – Wie ein Gespenst stand Tag und Nacht die Person, für die ich gearbeitet, mir vor Augen, geschmückt mit meinem Geschmeide, und eine Stimme raunte mir in die Ohren: „Es ist ja dein – es ist ja dein – nimm es doch – was sollen die Diamanten dem Toten!“ […] Selbst wusste ich nicht, wie es kam, dass ich einen unaussprechlichen Hass auf die warf, denen ich Schmuck gefertigt. Ja! im tiefsten Innern regte sich eine Mordlust gegen sie, vor der ich selbst erbebte. […] Eben hatt ich einem Herrn vom Hofe einen reichen Schmuck abgeliefert, der, ich weiß es, einer Operntänzerin bestimmt war. Die Todesfolter blieb nicht aus – das Gespenst hing sich an meine Schritte – der lispelnde Satan an mein Ohr! – […] In blutigem Angstschweiß gebadet, wälzte ich mich schlaflos auf dem Lager! Ich seh im Geiste den Menschen zu der Tänzerin schleichen mit meinem Schmuck. Voller Wut springe ich auf – werfe den Mantel um – steige herab die geheime Treppe – fort durch die Mauer nach der Straße Nicaise. – Er kommt, ich falle über ihn her, er schreit auf, doch von hinten festgepackt stoße ich ihm den Dolch ins Herz – der Schmuck ist mein! – Dies getan fühlte ich eine Ruhe, eine Zufriedenheit in meiner Seele, wie sonst niemals. Das Gespenst war verschwunden, die Stimme des Satans schwieg. Nun wusste ich, was mein böser Stern wollte, ich musst ihm nachgeben oder untergehen! E.T.A. Hoffmann: „Das Fräulein von Scuderi“
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