Predigtreihe „Worte für die Lebensreise“ Predigt an der

Predigtreihe „Worte für die Lebensreise“
Predigt an der Kelterhocketse am 6. September 2015 in Billensbach zu Psalm 27,1
Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten?
Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?
Das ist unser heutiges Wort für die Lebensreise, liebe Gemeinde hier oben bei der
Billensbacher Kelterhocketse!
I.
Es kommt mir vor wie ein trotziges Bekenntnis, dieser Anfang von Psalm 27. Da scheint einer
in einer schwierigen Situation zu stecken. Da ist etwas, was ihm Angst macht, was ihn
fürchten machen möchte. Was ihm die Lebenskraft zu entziehen droht.
Aber er hält dagegen. Er lässt sich nicht unterkriegen, nicht von der Angst überwältigen.
Der Herr ist mein Licht und mein Heil; was kann es da noch geben, vor dem ich mich
fürchten sollte? Der Herr ist meines Lebens Kraft - wovor sollte mir da noch grauen?
Es sind vollmundige Worte, die hier gesprochen werden. Mein Glaube ist nicht immer so
stark, dass ich mich nicht fürchten würde, das muss ich zugeben. Und manchmal ist mir auch
zum Grauen zumute. Aber genau dann wünsche ich mir, dass Gott mein Licht und mein Heil
ist, dann suche ich Zuflucht bei ihm wie ein kleines Kind, das sich hinter die Schürze der
Mutter rettet.
Diese Worte für die Lebensreise heute sind also nicht unbedingt eine Zustandsbeschreibung
(„ja genau, so ist es“), sondern sie sind mehr eine Zielvorgabe. Sie benennen, was ich mir
wünsche, wonach ich mich sehne, worauf ich hoffe.
Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten?
Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?
Dahin möchte ich kommen…!
Dieses Bibelwort ist der Taufspruch meines Sohnes. Maximilian ist vier Monate zu früh auf
die Welt gekommen, 750 Gramm hat er gewogen bei seiner Geburt, nicht einmal eine Tüte
Milch. Vier Monate lag er in der Kinderklinik: lange Zeit im Inkubator, im Brutkasten, später
dann im Wärmebettchen. Er war verkabelt und hatte diverse Schläuche an sich.
Ausgeliefert und hilflos lag er da, obwohl sich Schwestern und Ärzte liebevoll um ihn
kümmerten, obwohl er am dritten Tag bereits auf der Brust seiner Eltern lag und ihre
Körpernähe zu spüren bekam.
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Und so hilflos und ausgeliefert er da lag, so ausgeliefert und hilflos haben wir Eltern uns
gefühlt. Mit allem muss man rechnen in der ersten Zeit, alles Mögliche geht eib´nem durch
den Kopf und spielt man in Gedanken durch. Wie soll dieses kleine Bündel überleben in der
kalten, harten, rauen Welt?
Ein Zufluchtsort war mir damals dieses Wort, das so trotzig und zuversichtlich gegen die
Furcht und das Grauen „anhofft“. Ein Wort wie ein Anker, an dem ich mich festhalten kann.
Nein, das mich festhält und mir Kraft und Zuversicht gibt. Der Herr ist mein Licht und mein
Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir
grauen?
II.
Licht, Heil und Kraft werden hier genannt. Licht brauchen alle Lebewesen: Pflanzen, Tiere,
Menschen. Bei uns Menschen wirkt sich das Licht außerdem noch auf die Psyche aus. Nach
einem langen, trüben Winter brauchen wir die Sonne, um nicht depressiv zu werden.
Wir brauchen Licht, um nicht im Dunkeln zu tappen: um uns orientieren, um uns für einen
Weg entscheiden zu können. Und doch müssen wir manchmal eine Richtung einschlagen,
ohne zu sehen, wie der Weg weitergeht. Müssen wir Schritte wagen und im Dunkeln
losgehen.
Der Herr ist mein Licht bedeutet dann für mich, dass ich Gott an meiner Seite weiß. Im
Vertrauen darauf, dass er mitgeht, gehe ich dann die ersten Schritte im Dunkeln. Unsicher,
tastend… Aber Schritt für Schritt lichtet es sich. Im Vertrauen darauf, dass Gott mit mir geht,
dass mein Licht bei mir ist, wird es dann auch wieder hell: zeichnen sich Wege ab, die ich
gehen kann, finden sich Lösungen, klären sich Dinge.
Dunkelheit steht auch für Unheil, für Bedrohung und Angst. Deshalb ist der Herr nicht nur
mein Licht, sondern auch mein Heil. Davon ist der Psalmbeter überzeugt. Heil ist nicht
dasselbe wie Glück, und doch hängt es damit zusammen. „Gott nahe zu sein ist mein Glück“,
hieß die Jahreslosung letztes Jahr.
Aber wenn Gott mein Heil ist, dann ist das mehr als Glück. Dann ist das etwas, was mich
auch im Unglück noch trägt.
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Der Herr ist mein Heil auch dann, wenn ich mit dem Verlust eines lieben Menschen
zurechtkommen muss. Der Herr ist mein Heil auch dann, wenn ich unglücklich bin, weil eine
Beziehung in die Brüche gegangen ist, wenn ich meinen Arbeitsplatz verloren habe.
Der Herr ist mein Heil auch dann, wenn alles andere „unheil“ ist, kaputt und zu Bruch geht.
Weil er mich festhält, damit ich nicht untergehe. Weil er mich rettet, damit ich nicht verloren
gehe. Weil er mir Halt gibt, damit ich nicht haltlos bin. Weil er mich in die Arme nimmt,
wenn mich alle verlassen. Weil er mir eine Zuflucht ist, wenn sie mich jagen und hinter mir
her sind. Weil er meine Kraft ist, wenn ich schwach und hilflos bin. Der Herr ist meines
Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?
Was jetzt ein bisschen wie bloße Behauptungen klingt, liebe Gemeinde, das sind
Glaubenserfahrungen. Das sind Erfahrungen, die jeder von uns mit Gott machen kann, wenn
wir ihm vertrauen: wenn wir seine Hand auch im Dunkeln nicht loslassen; wenn wir ihn
suchen und nach ihm fragen, auch wenn er uns weit weg vorkommt; wenn wir ihn nicht
aufgeben, auch wenn wir den Eindruck haben, das bringt doch alles nichts mit dem Glauben.
III.
Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten?
Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?
Dieses Wort für die Lebensreise geht mir manchmal verloren, weil so viel Furchtbares und
Grauenvolles geschieht, in meinem Leben und um mich herum. Aber dann erinnere ich mich
plötzlich wieder daran, an mein Licht und mein Heil. Und dann spüre ich plötzlich wieder die
Kraft, die von diesem Wort ausgeht, die Kraft, die von Gott ausgeht.
Manchmal ist das der Fall, wenn ich meinen Maximilian sehe. Wie das Frühchen von damals
als mittlerweile 15-Jähriger ein unverzichtbarer Spieler seiner B-Jugend-Handballmannschaft
ist, ohne den nichts geht. Wie er Atem genug hat, um mit der Tuba in seinem Posaunenchor
für ein tragfähiges Fundament zu sorgen. Wie er andere mit seinem Humor zum Lachen
bringen kann…
Dann muss manchmal dran denken: Ja, der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte
ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen? Ja, so ist
es.
Amen.
Pfarrer Rüdiger Jeno, Beilstein