Rede der Bundesministerin der Verteidigung Dr. Ursula von der Leyen beim Großen Zapfenstreich anlässlich „60 Jahre Bundeswehr“ am 11. November 2015 vor dem Reichstag in Berlin - Es gilt das gesprochene Wort - 1 In dem Bewusstseins seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen und beseelt von dem Willen als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen. So einzigartig klar und anspruchsvoll beginnt die Präambel unseres Grundgesetzes Und so findet sich in diesem Satz auch alles über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unserer Bundeswehr. Wir feiern heute ihren 60. Geburtstag vor dem Deutschen Bundestag, dem Sitz unserer Volksvertretung, dem Herzstück unserer parlamentarischen Demokratie. An keinem anderen Ort wird die Verbindung zwischen unserem Parlament und seiner Armee greifbarer als hier. Wir befinden uns auch nur wenige Meter von der Spree und dem Verlauf der Berliner Mauer entfernt, an die uns bis heute Kreuze der Mauertoten mahnen. 26 Jahre ist es nun her, dass diese Mauer fiel. Und 25 Jahre, dass die Streitkräfte beider deutscher Staaten zu einer Armee der Einheit zusammenfanden. Ich war am Montag bei einem feierlichen Gelöbnis, das an dieses Ereignis erinnern sollte, in Bad Salzungen. Und ich war bewegt, wie selbstverständlich heute junge Soldatinnen und Soldaten aus Ost und West, Nord und Süd Schulter an Schulter den gemeinsamen Eid schwören. Es war eine außergewöhnliche Leistung, dass die Bundeswehr und die ehemalige Nationale Volksarmee so schnell zusammen wachsen konnten. Dahinter standen sicher auch Mut und klug abgewogene Entscheidungen. Ausschlaggebend für den Erfolg jedoch war das Vertrauen in die Soldaten – und das Vertrauen in die Bundeswehr als Verfassungsinstitution des nunmehr vereinten Deutschlands. Ein riesiger Vertrauensvorschuss stand auch am Beginn der Bundeswehr. Denn wir dürfen nicht vergessen: Das demokratische Deutschland schuf die Bundeswehr in einer Zeit, da die Wiederbewaffnung alles andere als populär war. 2 Der Widerstand war groß. Verständlicherweise, denn nur wenige Jahre nachdem Deutschland Europa und die Welt in die Katastrophe von Krieg und Shoa gestürzt hatte, Städte vielfach noch in Trümmern lagen, das Land besetzt und geteilt war, Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen vor den Trümmern ihrer Existenz standen, Millionen Toten zu beklagen waren – da war es für die, die überlebt hatten, schwer vorstellbar und verkraftbar, je wieder eine Armee zu haben. Die Befürworter einer Bundeswehr wussten nach den bitteren Erfahrungen der Nazizeit, dass es nicht allein auf den äußeren Rahmen, sondern vor allem auf die innere Verfasstheit und das Selbstverständnis ankommen würde. Die Streitkräfte unserer neuen freiheitlichen Demokratie sollten das Werteverständis des Grundgesetztes widerspiegeln. Sie mussten aus „Staatsbürgern in Uniform“ bestehen, wie es seitdem heißt. Wir können heute sagen: Die Bundeswehr hat das in sie gesetzte Vertrauen gerechtfertigt. Aber für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ist das Wissen ebenso wichtig, sich immer auf das Parlament und die Regierung verlassen zu können. Niemand hat das wohl so prägnant und glaubwürdig formuliert wie Helmut Schmidt. Er, der Frontoffizier des Zweiten Weltkrieges, der die bittere Erfahrung machen musste, einem verbrecherischen Regime gedient zu haben, sagte bei seiner bewegenden Ansprache zum Feierlichen Gelöbnis am 20. Juli 2008 zu den jungen Rekruten: „Ihr könnt Euch darauf verlassen: Dieser Staat wird Euch nicht missbrauchen. Denn die Würde und das Recht des einzelnen Menschen sind das oberste Gebot – nicht nur für die Regierenden, sondern für uns alle.“ Die Angehörigen der Bundeswehr verneigen sich auch wegen dieser Sätze vor ihrem ehemaligen Chef, dem großen Menschen Helmut Schmidt. Die Bundeswehr war von Beginn an gedacht als ein Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung im Bündnis. Wir bauten von Tag eins an auf das Schutzversprechen unserer Bündnispartner - allen voran der Vereinigten Staaten von Amerika. Im Ernstfall hätten sie gemeinsam mit unseren niederländischen, französischen, 3 belgischen, dänischen, kanadischen und britischen Freunden Seite an Seite mit der Bundeswehr die Freiheit der Bundesrepublik Deutschlands verteidigt. Wir konnten uns auf unsere Partner verlassen – und sie schenkten uns Vertrauen. Dessen gilt es sich zu erinnern, wenn wir heute in der Allianz daran arbeiten, auch unseren Freunden im Osten ihre Befürchtungen zu nehmen – oder wenn wir uns gemeinsam auf Bedrohungen aus dem Süden vorbereiten. Die Bundeswehr ist eine verlässliche Größe für die NATO und umgekehrt. Und nicht nur für diese Allianz. Denn in der Europäischen Union teilen wir nicht nur Freiheit und Wohlstand, wir sind – das spüren wir in diesen Tagen hautnah - auch in unserer Sicherheit miteinander verbunden. Gestern wie heute gilt: kein Staat Europas wird seine Sicherheit alleine gewährleisten können. Wir brauchen die starke und handlungsfähige Allianz nicht nur mit unseren amerikanischen Verbündeten. Auch wir Europäer werden in einer sich rapide verändernden Welt nur mit einem Maximum an Solidarität und Gemeinsamkeit bestehen. Das bedeutet, dass alle einen fairen Teil der gemeinsamen Verantwortung zu schultern haben. Die Blaue Flagge, mit den gelben Sternen, die hier auf den Türmen des Reichstags neben Schwarz-Rot-Gold weht – sie ist Zeichen dieses Vertrauens, aber auch der gegenseitigen Verpflichtung. Meine Damen und Herren, wer sind die Menschen, denen Deutschland, denen unsere Bündnispartner vertrauen? Aus der Wehrpflichtarmee von einst ist eine Freiwilligenarmee geworden; aus einer ursprünglich reinen Männertruppe eine Streitkraft mit Soldatinnen und Soldaten. Unsere Bundeswehr ist angewiesen auf Frauen und Männer mit ihren vielfältigen Talenten, die die Vielfalt unserer Gesellschaft widerspiegeln. Doch unsere fast 180.000 Soldatinnen und Soldaten könnten heute ihren Dienst nicht leisten ohne die derzeit über 70.000 zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das große Räderwerk am Laufen halten. 4 Heute ist die Bundeswehr die Armee eines Landes, das sich zu seiner Verantwortung in der Welt bekennt. Heute – wie vor 60 Jahren – geloben unsere Soldatinnen und Soldaten zu Beginn ihres Dienstes, „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Geleitet von unserer Verfassung, deren Präambel all unserem Handeln die Richtung weist. In der heißt es: In dem Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…. Dies bedeutet: unsere Bundeswehr, das sind Soldatinnen und Soldaten der Menschenrechte und Menschenwürde, die hierfür einstehen nach innen wie nach außen. Nach innen ist die „Innere Führung“ zum Selbstverständnis der Bundeswehr geworden - das Gebot des jederzeit respektvollen Umgangs miteinander. Gewissensgeleitet, einsichtig und mitmenschlich. Nach außen begegnet uns diese Verantwortung im Umgang mit unserem Nächsten. Es ist der Flüchtling, den unsere Marine im Mittelmeer vor dem Ertrinken rettet. Es ist der Bündnispartner, mit dem wir Schulter an Schulter Gefahr teilen. Aber es ist auch der verwundete Gegner, den wir in unserem Feldlazarett versorgen. … beseelt von dem Willen als gleichberechtigtes Glied ….geht der Satz in der Präambel weiter. War dies vor 60 Jahren noch vor allem Wunsch eines Landes, das am Boden lag und sich langsam wieder Vertrauen erwerben musste, so sind wir heute fest im Kreise der Demokratien verankert. Dies bewährt und beweist sich gerade auch in der Verlässlichkeit bei schwierigen, gemeinsam entschiedenen Einsätzen. In einigen Tagen werden 20 Nationen nach Berlin kommen, um mit uns das weitere gemeinsame Vorgehen in Afghanistan zu beraten. Hier wird fassbar, was es bedeutet, „gleichberechtigtes Glied“ zu sein. Nämlich Anerkennung und Verpflichtung zugleich. Wir Deutschen bauen seit Jahrzehnten auf Schutzversprechen unserer Partner. Sie erwarten umgekehrt, dass wir notfalls mit all unseren Fähigkeiten für sie einstehen und dafür auch Vorsorge tragen. Die Bundeswehr hat das in ihren Einsätzen gelernt. 5 In der Präambel heißt es weiter: …in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen.… Europa ist ein Friedensprojekt, das über sich hinaus Bedeutung hat. Wie großartig und visionär waren unsere Väter und Mütter des Grundgesetzes, aus der Erfahrung des Grauens des zweiten Weltkrieges, uns diesen Friedensauftrag in einem vereinten Europa für die Welt zu geben. In diese Präambel fügt sich unser heutiges Tun ein. Da ist die Soldatin im Nordirak, die den Peschmerga in die Lage versetzt, sein Volk, die Kurden und die jesidischen Flüchtlinge zu schützen. Da ist der Truppenarzt, der auf der Fregatte SchleswigHolstein dem Flüchtlingskind Sophia auf die Welt hilft. Da ist die zivile Beamtin, die im Auftrag der Bundeswehr ein Jahr für die Nato in Kabul arbeitet. Da ist der Eurofighterpilot, der den Luftraum im Baltikum schützt. Es ist aber auch der Soldat, der in Afghanistan im Karfreitagsgefecht im Kampf gefallen ist. Mit ihm gedenken wir all derer, die im Einsatz gefallen sind, in Ausübung ihres Dienstes ihr Leben gelassen haben oder Verwundungen an Leib und Seele erleiden mussten. Unsere Gedanken werden auch immer bei ihren Familien sein. Die Bundeswehr, das waren und sind zu jeder Zeit großartige Menschen. Und zwar nicht nur dann, wenn sie wie bei der Sturmflut in Hamburg 1962, dem Jahrhunderthochwasser 2013 oder jetzt bei der Aufnahme von Flüchtlingen im Inland helfen – so gut und so wertvoll diese Hilfe ist. Soldatinnen und Soldaten sind Vorbilder, weil sie im Extremfall bereit sind, ihre Mitmenschen zu schützen. Mit dem Wichtigsten, was sie haben: auch mit ihrem Leben. Ihnen gebührt unsere Anerkennung für ihren Einsatz, ihren Mut und ihre Hingabe an ihren ganz und gar nicht gewöhnlichen Beruf. Und der direkte Dank für das, was Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr seit 60 Jahren leisten: unser Land und seine Werte zu schützen. Das ist das Verdienst der Männer und Frauen in Uniform. Für unser Land ist die Bundeswehr aber noch mehr als die Summe ihrer Soldatinnen und Soldaten und zivilen Beschäftigten: Als Instrument staatlicher Sicherheit ist sie Garant unserer Freiheit! Sie verdient daher nicht nur Dank – sondern die Weitsicht, 6 den Verstand, und die tätige Unterstützung unserer Gesellschaft und unseres Staates, damit sie dies auch in der Zukunft leisten kann! Vor allem aber verdienen alle Angehörigen der Bundeswehr unseren Rückhalt. Mehr noch, sie verdienen unser Herz für ihren Dienst für unser Land! Meine Damen und Herren, der Bundeswehr einen herzlichen Glückwunsch und ihren Angehörigen Gottes Segen! 7
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