REEDEREIEN OHNE VERANTWORTUNGSBEWUSSTSEIN Aktuelle Zahlen zur Schiffverschrottung zeichnen klägliches Bild. Brüssel, 4. Februar 2016 – Ungeachtet des Vorbilds einiger weniger nachhaltiger Unternehmen haben die meisten Reeder auch 2015 wieder saftige Profite mit Hilfe schmutziger und gefährlicher Schiffabwrackung auf den Stränden Südasiens eingefahren. Das belegen die heute von der NGO Shipbreaking Platform in Brüssel veröffentlichten Zahlen. Insgesamt 768 große Handelsschiffe sind im vergangenen Jahr weltweit verschrottet worden – 469 davon gingen auf die Strände Indiens, Pakistans und Bangladeschs. Dort können die Verschrotter die Einhaltung grundlegender Arbeitsrechte sowie internationaler Umweltstandards nicht garantieren. Deutsche Reeder – darunter Rickmers Reederei, die Norddeutsche Vermögen, Neu Seeschifffahrt, Ost-West-Handel und Schifffahrt, und F. Laeisz Schiffahrtsgesellschaft – belegen mit 23 Schrottschiffen, die auf den Stränden gelandet sind, Platz fünf der übelsten Verschmutzer unter den Seefahrtsnationen weltweit – in Europa sind nur noch die griechischen Reeder schlimmer. Einer der schwerwiegenden Unfälle, bei dem Arbeiter verletzt oder getötet worden sind, war eine heftig Explosion bei Shitol Enterprise, einem Schiffsverschrotter in Bangladesch. Die tödliche Explosion einer Gasflasche tötete an Ort und Stelle vier Arbeiter. Vier weitere Männer wurden schwer verletzt und erlitten Brandwunden am ganzen Körper. Das Schiff, das sie gerade zerlegten, gehörte einem griechischen Reeder, Universal Shipmanagement Corporation. Das Schrottschiff war unter Flagge von St. Kitts Nevis, einer typischen Billigflagge für Schrottschiffe, ins Land gekommen. Griechische Reeder haben 2015 wieder einmal die größte Anzahl von Schrottschiffen zur Strandung verkauft – und zum ersten Mal seit vielen Jahren war Bangladesch wieder das beliebteste Zielland für die ausgedienten Schiffe. Auch die Verschrottung deutscher Schiffe hat in den vergangenen Jahren immer wieder zu schweren Verletzungen und Todesopfern in den shipbreaking yards in Bangladesch und Indien geführt. DIE SCHLIMMSTEN VERSCHMUTZER 2015 – Beispiele besonders schlechter Verschrottungspraxis Der Preis für den schlimmsten Verschmutzer geht für das Jahr 2015 an IDAN OFER, Sohn des berühmten Reeders Sammy Ofer. Idan Ofer besitzt die QUANTUM PACIFIC GROUP und hält eine Mehrheitsbeteiligung an Israels größtem börsennotierten Unternehmen, der ISRAEL CORPORATION. Zusammen haben diese beiden Reedereien allein im Jahr 2015 neun Schrottschiffe auf die Strände Südasiens verkauft, sechs davon alleine nach Bangladesch. Griechische Reeder haben als Gruppe im Jahr 2015 wieder ein Mal die größte Anzahl von Schrottschiffen an die südasiatischen Verschrotter verkauft – insgesamt 87 Schiffe. Seit die NGO Shipbreaking Platfrom seit 2009 Daten über die Verschrottungspraxis zusammenstellt, haben die griechischen Reeder die Liste der größten Verschmutzer ohne Unterbrechung angeführt. Ohne jegliches Einschreiten der griechischen Regierung lehnt die maritime Industrie weiterhin die Verantwortung für den Schaden an Mensch und Umwelt in Südasien ab. Trotz zahlreicher Initiativen für nachhaltige Schifffahrt und Investments in umweltfreundliche Technologien an Bord ihrer Schiffe, haben auch einige bekannte südkoreanische Reedereien wie HYUNDAI und HANJIN; der taiwanesische Containerschiffgigant EVERGREEN; und japanische Reeder wie die zu TOYOTA gehörenden TOYOFUJI und K-LINE Schrottschiffe an die schlimmsten Abwrackstrände in Bangladesch verkauft. Südkoreanische Reeder haben allein 27 Schrottschiffe nach Südasien verkauft, hauptsächlich nach Bangladesh. Auch japanische Reeder haben ausschließlich in Südasien verschrotten lassen, viele in Bangladesch – entgegen der eigenen Firmenwerte und selbstgesteckten Nachhaltigkeitszielen. Das deutsche Emissionshaus NORDDEUTSCHE VERMÖGEN, welches privaten Investoren Anteile an Schiffsfonds anbietet, sah 2015 drei seiner alten Containerschiffe in Südasien auf den Strand laufen – die Northern Glance, die Northern Diversity und die Northern Vitality. Letztere ist 2012 in Wilhelmshaven von den Behörden im Hafen festgehalten worden, nachdem die NGO Shipbreaking Platform von einem bevorstehenden illegalen Export nach Indien erfahren hatte. Obwohl dem Unternehmen durch diesen Fall die furchtbaren Arbeitsbedingungen in den Abwrackwerften bekannt waren, hat bei der Norddeutschen Vermögen kein Umdenken stattgefunden – und mit der Northern Glance landete mindestens ein Schiff auf dem Strand in Bangladesch, wo es durch illegal Kinderarbeit verschrottet worden ist. Mehr zur Verschrottungspraxis der Norddeutschen Vermögen und der Geschichte der Northern Vitality finden Sie hier. Das polnische Staatsunternehmen POLSTEAM hat ebenfalls Schiffe nach Bangladesch und Pakistan verkauft und lehnt jegliche Verantwortung für sein Handeln ab. Die NGO Shipbreaking Platform hat die Europäische Kommission alarmiert, um in Zukunft dafür zu sorgen, damit sich wenigstens Regierungen an bestehende Gesetze halten. “Trotz aller internationaler Aufmerksamkeit für die Probleme der Schiffverschrottung auf den Stränden Südasiens zeigen die Statistiken für 2015, dass die große Mehrheit der Reeder ihre Praktiken nicht verbessert hat – ganz im Gegenteil, viele haben sich für die schlechteste Variante entschieden: Bangladesch, wo immer noch Kinderarbeit illegal zum Einsatz kommt, wenn die alten Kähne auf dem Gezeitenstrand zerteilt werden”, sagt Patrizia Heidegger, Geschäftsführerin der NGO Shipbreaking Platform. [1] Die Zahlen für 2015 zeigen, dass sich die Abwärtsspirale ungebremst weiterdreht. Die Reeder verkaufen ihre Schiffe mit Hilfe von Cash Buyern nach Südasien, Firmen, die auf den Schrotthandel mit alten Schiffen spezialisiert sind. Sie versprechen den Reedern nicht nur die besten Preise für ihre Schrottschiffe, sondern befreien die Schiffseigner auch von ihrer Verantwortung sich selbst um das sichere und saubere Verschrotten zu kümmern. [2] Alte Schiffe haben in ihren Strukturen große Mengen toxischer Stoffe, darunter Ölschlämme, Asbest und giftige Schiffsfarben mit Schwermetallen – es würde den Reedern weniger Profite einbringen, wenn sie ihre Schiffe in einer Schiffrecyclingsanlage verschrotten ließen, welche sich an Umwelt- und Sozialstandards hält. Eine Gruppe führender Reedereien, welche sich der Verantwortung eines sicheren und sauberen Recyclings stellen, zeigt, dass Alternativen möglich sind. Auch die Europäische Union wird Ende des Jahres eine Liste mit EU-konformen Schiffrecyclingsanlagen weltweit zur Verfügung stellen. Dies wird auch die Nachfrage nach besseren Praktiken, zum Beispiel von Investoren wie ABN-Amro oder Konsumgüterherstellern wie H&M, Volkswagen oder Philips zufriedenstellen, die sich gegen die schlechte Verschrottungspraxis wenden. Jedoch werden nur Schrottschiffe unter europäischer Flagge rechtlich verpflichtet sein, in eine solche Anlage zu gehen. Jenseits rechtlicher Verpflichtungen ist es jedem Reeder freigestellt, einen Recycler zu wählen, der nach europäischen Normen arbeitet. Die traurige Realität der Schiffsverschrottung zeigt aber, dass die meisten Reeder weiterhin bereit sind Menschenleben und die sensible Küstenregionen zu opfern, wenn man damit mehr Geld verdienen kann. Diese Tatsache ruft nach verantwortungsbewussten Regierungen endlich ihre Muskeln spielen zu lassen, und Maßnahmen zu schaffen, Reeder zu sicherem Schiffrecycling zu verpflichten. Ein wirtschaftlicher Anreiz, welcher auf dem Verursacherprinzip (polluter pays) beruht, wäre ein Schritt in die richtige Richtung. [3] Die NGO Shipbreaking Platform fordert, dass die Regierungen der weltweit führenden Seefahrtsnationen, insbesondere Griechenland und Deutschland, eine besondere Verantwortung übernehmen Lösungen zu finden und schmutzige und gefährliche Abwrackpraktiken zu beenden. Sie finden detaillierte Zahlen und eine Analyse zu allen Schrottschiffen 2015 hier. Die Liste aller 2015 verschrotteten Schiffe finden Sie hier. Für Hintergrundinformationen zu den weltweiten Verschrottungspraktiken klicken Sie hier. KONTAKT: Allgemeine Presseanfragen (auf English): Nicola MULINARIS Communications and Legal Advisor Tel.: +32 (0)2 6094 418 [email protected] Für Statements und Interviews (auch auf Deutsch):Patrizia HEIDEGGER Executive Director Tel.: +32 (0)2 6094 419 patrizia@shipbreakingplatform ANMERKUNGEN [1] Letztes Jahr haben allein in Bangladesch mindestens 16 Arbeiter in den shipbreaking yards ihr Leben verloren: bei Explosionen, durch Stürze oder unter Stahlplatten begraben. Mindestens 22 Arbeiter, darunter auch Kinder, sind schwer verletzt worden. Manche von ihnen warten immer noch auf medizinische Behandlung. Viele mehr wurden durch das Einatmen giftiger Dämpfe oder von Asbestfasern krank. Laut Weltarbeitsorganisation (ILO) zählt die Schiffabwrackung zu den gefährlichsten Jobs der Welt. Auch die yards in Pakistan verfügen nicht über ausreichend Infrastruktur, um sichere Arbeitsbedingungen und die umweltgerechte Entsorgung von Giftmüll sicherzustellen. Trotz Verbesserungen bei einigen wenigen indischen Recyclern bestehen weiterhin Bedenken bezüglich der Abwrackung in der ungeschützten Gezeitenzone auf dem Strand; der Mangel an angemessenen Unterkünften für die Arbeiter sowie medizinische Versorgung; und die Schwäche der Giftmüllentsorgung außerhalb der yards (insbesondere für Asbest und PCBs). Auch in anderen Teilen der Welt arbeiten Schiffsverschrotter nicht zwangsläufig besser. Die letztliche Prüfung, ob ein Schiffsrecycler den Standards eines sicheren und sauberen Recyclings entsprechen kann, wird die Aufnahme in die Liste der Europäischen Kommission sein: das Bewerbungsverfahren läuft und eine erste Liste EU-konformer Schiffsrecycler wird Ende 2016 veröffentlicht werden. [2] Cash Buyer wie GMS und Wirana stehen hinter fast allen Deals, bei denen Schrottschiffe nach Südasien verkauft werden. Zur Rolle der Cash Buyer und ins besondere der Billigflaggen für die letzte Reise siehe unter Bericht: What a difference a flag makes. Why ship owners’ responsibility to ensure sustainable ship recycling needs to go beyond flag state jurisdiction (2015) [3] Die Möglichkeiten, ein wirtschaftliches Anreizsystem für sicheres Schiffrecycling einzuführen, wird derzeit auf EU-Ebene diskutiert. Die Idee ist, dass all Schiffe, welche EU-Häfen anlaufen, eine Lizenz für Schiffrecycling erwerben müssen. Gelder, die über die Jahre zur Seite gelegt werden müssen, können nur dann an den letzten Schiffseigner zurückbezahlt werden, wenn dieser beweisen kann, dass das Schiff in einer EU-zertifizierten Anlage recycelt worden ist.
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