Politische Entschuldigungen. Theoretische Annäherung und

Karina Strübbe | TU Dortmund
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09.02.2016
Politische Entschuldigungen – Theoretische Annäherung und empirische Analyse
sprachlicher Äußerungen von Bundespolitikern
1 Thematische Einleitung und Forschungsfragen
Wozu Entschuldigungen dienen, ist aus dem Alltag bekannt. Allgemein dienen Entschuldigungen zur Wiederherstellung von Beziehungen und zur Wiedergutmachung. Die Voraussetzung ist dabei, dass der Entschuldigung ein Fehlverhalten oder ein Versäumnis vorangegangen ist. Das Dissertationsprojekt nimmt politische Entschuldigungen in den Fokus, wobei insbesondere Vorkommen und Funktionen von Entschuldigungen in der Politik im Interesse der
Arbeit liegen. Die bisherige Forschung im Bereich von Entschuldigungen thematisiert einerseits interpersonale Entschuldigungen, wobei der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf politische Entschuldigungen Grenzen gesetzt sind. Andererseits wurde staatlichen Entschuldigungen in den letzten Jahrzehnten erhöhte Aufmerksamkeit zugewandt, doch beschränkt sich das
Spektrum politischer Entschuldigungen nicht auf die staatliche Ebene. Angesichts der vorliegenden Forschungslücke liegt ein erstes Bestreben der Arbeit darin, wissenschaftliche Literatur zu sichten und daraus einen ersten Ansatz einer Theorie politischer Entschuldigungen zu
generieren. Im Anschluss an die theoretische Annäherung an politische Entschuldigungen
wird ein vorläufiges Modell entwickelt, das politische Entschuldigungen (vor-) kategorisiert.
Im empirischen Teil dieser wird das sprachliche Handeln politischer Akteure in Bezug auf
entschuldigende bzw. entschuldigungsähnliche Äußerungen untersucht, um ein möglichst
umfassendes Bild der Realität und des Vorkommens politischer Entschuldigungen zu bekommen. In einem zweiten Analyseschritt wird auf die Funktion im politischen Prozess Bezug
genommen. Insbesondere hieran zeigt sich die Relevanz der Thematik. Entschuldigungen ist
das Eingeständnis von Fehlern inhärent, was u.a. Reue impliziert. Hier stellt sich die Frage
nach der Funktion von Entschuldigungen im politischen Leben einerseits und für den politischen Prozess andererseits. Während Entschuldigungen im Kontext internationaler Beziehun1
gen oftmals eine potenziell positive Wirkung (Daase 2013) attestiert wird, gilt „die Politik“ in
Bezug auf Alltagskommunikation als entschuldigungsfeindliche Sphäre (Gast 2010). Ziel der
Arbeit ist daher, neben einer Synthese und Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Literatur zu politischen Entschuldigungen eine empirische Analyse politischer Entschuldigungen
hinsichtlich ihrer Form, Darstellung und Funktion zu leisten.
2 Theoretische Grundlagen
Da es sich um ein noch relativ wenig erforschtes Feld der politischen Kommunikation handelt,
ist es mangels umfassender Theorien notwendig, sich auf breiter Basis dem Begriff politischer Entschuldigungen anzunähern. Die Sichtung der aus unterschiedlichen Disziplinen
stammenden Arbeiten legt drei Theoriestränge mittels derer Entschuldigungen im Allgemeinen betrachtet werden, nahe, nämlich 1. sprechaktbasiert (Austin 1975; Searle 1976), 2. aus
Erfordernissen der Höflichkeit bzw. der Gesichtswahrung erklärt (Goffman 1955, 1967;
Leech 1983; Lange 1984; Brown und Levinson 1987) und 3. normativ-philosophisch (Arendt
1958; Smith 2008). Aus politikwissenschaftlicher Perspektive sind bis dato zwei Versuche
der Theoriebildung – beide beschränken sich auf „staatliche Entschuldigungen“ – zu verzeichnen (Nobles 2008; Engert 2011). Im theoretischen Teil der Arbeit wird daher der Versuch gemacht, einen Theorieansatz politischer Entschuldigungen zu entwickeln und eine Typologie vorzuschlagen. Hierzu werden zunächst die frühen soziologischen Ansätze Goffmans
(1955, 1967) und Tavuchis‘ (1991) zu einer ersten Annäherung an den Entschuldigungsbegriff betrachtet. Um die Anforderungen an Entschuldigungen bestimmen zu können, werden
die normativen Ansätze, u.a. von Smith (2008, 2014) („categorical apology“) oder Walker
(2006) („moral repair“) einbezogen. Erkenntnisse aus der Linguistik betreffen v.a. die Sprechakttheorie nach Austin (1975) und Searle (1976) sowie Weiterentwicklungen dieser (Ehlich
2010a; Hoffmann 2010). Schließlich werden Entschuldigungen aus politikwissenschaftlicher
Perspektive betrachtet, wobei die Fokussierung auf staatliche Entschuldigungen (z. B. Torpey
2003; Barkan und Karn 2006) dominiert.
Basierend auf der zugrundeliegenden Theorie ergibt sich folgende Arbeitsdefinition politischer Entschuldigungen: Sie müssen öffentlich und in variierender Intensität institutionalisiert sowie mediatisiert sein (Harris et al. 2006; MacLachlan 2010; Horelt 2012). Konstitutiv,
2
um sie als politisch bezeichnen zu können, ist dabei, dass sie entweder von ein Politiker oder
aber einer mit dem politischen Leben assoziierten Person geäußert werden müssen (Harris et
al. 2006, S. 719).
3 Typologie & methodisches Vorgehen
Basierend auf den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird zwecks Kategorisierung
von politischen Entschuldigungen eine Typologie entwickelt (siehe Anhang). Politische Entschuldigungen werden einerseits nach dem sie äußernden Akteur und andererseits nach Art
der Verantwortungsübernahme differenziert. Den theoretischen Betrachtungen schließt sich
eine empirische Analyse an. Um ein möglichst breites Handlungsspektrum abzudecken, werden 1. Bundestagsprotokolle der 17. und 18. Legislaturperiode, 2. Parteitagsprotokolle – sofern veröffentlicht – im Zeitraum von 2000 bis heute und 3. mediale Berichterstattung1 im
Zeitraum der 17. und 18. Legislaturperiode nach vorher festgelegten Signalformulierungen
durchsucht und daraus das Analysekorpus erstellt.2 Anschließend werden die Daten in einem
ersten Schritt diskursanalytisch (Rehbein 2001, Ehlich 2010a) analysiert, um sie anschließend in Schritt zwei hinsichtlich ihrer Funktion im politischen Kontext anhand der Typologie
verorten zu können. Für die Durchsuchung der Protokolle werden folgende Signalformulierungen verwendet3: entschuldig*4, tut mir/uns leid, verzeih*, vergeb*, sorry, Nachsicht und
pardon. Die Treffer werden zunächst als entschuldigungsähnliche Äußerungen eingestuft und
ins Korpus aufgenommen. Eine weitere Bereinigung der Daten von Pseudotreffern ist notwendig, da eine Realisierung der Signalformulierung nicht automatisch eine Entschuldigung
beinhaltet5. Bevor die Daten analysiert werden können, werden die Äußerungen zunächst den
im theoretischen Teil der Arbeit entwickelten Kategorien zugeordnet werden und anschließend thematisch-inhaltlich vorsortiert. Dies dient allein dem Zweck, die Äußerungen zu ord1
Voraussetzung ist dabei das Vorhandensein von Direktzitaten, welche eine Äußerung enthalten, die möglicherweise als Entschuldigung zu verstehen ist.
2
Der Zeitraum von 2009 bis 2015 (17. und 18. Legislaturperiode) wurde gewählt, um ein genügend großes
Analysekorpus zu erhalten, und möglichst viele Facetten und Erscheinungsformen von Entschuldigungen zu
erfassen.
3
Das Vorkommen dieser Formulierung bedeutet Aufnahme in das Korpus, es sei denn es handelt sich eindeutig
um eine Verwendung im anderen Kontext oder aber der Fund ist als Pseudotreffer zu werten, weil er eindeutig
nicht als persönliche Entschuldigung zu werten und somit nicht für die Arbeit relevant ist.
4
Die Asteriske (*) dienen als Platzhalter für alle möglichen Flexionsformen der jeweiligen Begriffe.
5
Beispielsweise wird mittels tut mir leid relativ häufig Bedauern ausgedrückt, was im Verständnis der Arbeit
von Entschuldigungen zu unterscheiden ist.
3
nen und vorläufigen Funktionen bzw. Bezugsrahmen zuzuweisen. In Anbetracht der Masse
der Daten wäre eine Analyse andernfalls nicht möglich.
4 Hypothesen und vorläufige Ergebnisse
Aktueller Arbeitsstand (Februar 2016) ist, dass die theoretische Grundlegung der Arbeit sowie die Skizzierung des Forschungsstandes weitgehend abgeschlossen sind und nur noch
einer abschließenden Überarbeitung bedürfen. Die Datenerhebung wurde im Sommer 2015
abgeschlossen. Derzeit findet die Analyse statt. Die erhobenen Daten legen bisher nahe, dass
Entschuldigungshandeln in der politischen Alltagskommunikation – anders als etwa Gast
(2010) schreibt – durchaus nicht unüblich ist, andererseits jedoch, dass Entschuldigungen, je
schwerer das Fehlverhalten ist, möglichst umgangen werden und etwa die Frage der Schuld
anders bewertet wird, selbst wenn dies zulasten der eigenen Glaubwürdigkeit geht. Dies ist
jedoch zunächst noch als Hypothese zu werten, da die Analyse noch nicht beendet ist. Als
ergiebigste Quellen erweisen sich die Bundestagsprotokolle einerseits und die Medienberichte
andererseits. Die Bundestagsprotokolle weisen überraschend viele Treffer auf, wobei sich ein
Großteil auf geringfügige Vergehen einerseits und institutionelle Fehltritte andererseits beziehen. Ferner zeichnet sich ab, dass parlamentarisches Entschuldigungshandeln hochgradig
institutionalisiert ist, was auch die Erscheinungsform der Äußerung und ihre Funktion an sich
berührt. Besonders auffällig bei den aus Medienberichten generierten Fällen politischer Entschuldigungen ist ein der Art und Weise der Erhebung geschuldetes Phänomen; nämlich die
öffentlicher Einforderung von Entschuldigungen, die nicht nur im Kontext medialer Berichterstattung auftaucht, hier jedoch verstärkt zu beobachten ist. Weitere generelle Aussagen können derzeit angesichts des Arbeitsstandes noch nicht getroffen werden.
4
5 Literaturverzeichnis
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Online
verfügbar
unter
http://www.regensburgerpolitikwissenschaftler.de/frp_working_paper_05_2010.pdf, zuletzt
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Anhang
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