Walter Kotschate

Schulische Förderung und berufsvorbereitende Integrationsmaßnahmen als Elemente der Behandlung im Maßregelvollzug
0.
Autor:
Walter Kotschate
Lehrer für Grund- und Hauptschulen, Diplompädagoge
Derzeitige Tätigkeit des Autors im Maßregelvollzug: Aufbau und Durchführung eines Kurses zur Erlangung des Qualifizierenden Abschlusses der Mittelschule in der Forensik Regensburg
Schwerpunkt soll hier die schulische Förderung im Maßregelvollzug sein, der
Vollständigkeit halber wird zunächst kurz auch auf die berufliche Bildung eingegangen.
1.
Berufliche Bildung im Maßregelvollzug
Die berufliche Bildung gehört zu einem Gutteil zu den Standards im Maßregelvollzug. Einzelne Maßnahmen gehen aber darüber hinaus.
Als Beispiele für berufliche Bildung in Regensburg sollen hier genannt werden:
1. Obligatorische Angebote
 Ergotherapie
Ziele: Umgang mit verschiedenen Materialien und Werkzeugen, Tagesstruktur, Ausdauer, Frustrationstoleranz, soziale Kompetenzen
 Arbeitstherapie
Ziele: Förderung von motorischen Fertigkeiten, Durchhaltevermögen,
Vorbereitung auf den ersten Arbeitsmarkt
 Externes Probearbeiten
2. Fakultative Angebote
 Flurfördermittelschein (= „Staplerschein“) Bei Patienten sehr begehrt,
da oft Lagertätigkeiten angestrebt werden und der Staplerschein Bewerbungsvorteile verschafft.
 Berufspraktika
klinikintern und in speziellen Einrichtungen, die Berufserprobung und
auch Ausbildung anbieten oder vermitteln.
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2.
Schulische Förderung im Maßregelvollzug
Schulabschlüsse stellen mit Sicherheit keinen Standard im Maßregelvollzug
dar, und dergleichen Angebote können nur von sehr wenigen Patienten genutzt werden. Im Folgenden soll nun dargestellt werden, wie ein derartiges
Angebot zur Therapie und zum Therapieerfolg beiträgt.
Zunächst zur Theorie. Hier muss festgestellt werden, dass es kaum wissenschaftliche Literatur zu dieser Thematik gibt.
Bedingt Vergleichbares findet sich allenfalls in Literatur zum Regelvollzug. Inwieweit diese auf den Maßregelvollzug übertragbar ist, wäre allerdings ein
Thema für sich.
Zur Bildung bzw. Pädagogik im Maßregelvollzug sind lediglich zwei wissenschaftliche Arbeiten bekannt:
2.1. Hollweg/Winkelkötter 2012
Hierbei handelt es sich um eine empirische Erhebung über Bildungsdefizite im
Maßregelvollzug in Nordrhein-Westfalen.
Nach ihrer Untersuchung haben
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über 50 % der Maßregelvollzugspatienten keine berufliche Qualifikation
(Zum Vergleich: 26.2 % der Gesamtbevölkerung bundesweit. Quelle:
Homepage des Statistischen Bundesamtes, 2013)
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ca. 30 % keinen Schulabschluss (Zum Vergleich: 3,8 % der Gesamtbevölkerung bundesweit. Quelle: ebd.)
2.2. Eine von O. Zetsche im Rahmen einer Diplomarbeit gemachte Erhebung
über Bildungsvoraussetzungen bei Maßregelvollzugs-Patienten im Bundesland Sachsen, der zu ähnlichen Ergebnissen kommt.
Ebender promoviert gerade über „Auswirkungen pädagogischer Maßnahmen
innerhalb der Therapie im Maßregelvollzug“. Die Promotionsarbeit wird wohl
im Herbst erscheinen.
Interessant ist hier ein „Abfallprodukt“ dieser Arbeit.
Zetsche hat mit Hilfe eines Prä-Post-Designs die Auswirkungen eines Schulprojekts, in dem Maßregelvollzugs-Patienten den Hauptschulabschluss nachholen, auf diese Patienten untersucht.
Die Ergebnisse sollen – weil nicht direkt Thema der Promotion – demnächst in
einem Aufsatz in einer pädagogischen Zeitschrift des Juventa-Verlags erscheinen. O. Zetsche hat dem Autor freundlicherweise schon vorab seine wesentlichen Schlussfolgerungen zukommen lassen. Grob umrissen konnte er
Folgendes feststellen:
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Es ergaben sich zunächst signifikante Verbesserungen der schulischen Kompetenzen der Patienten, insbesondere im sprachlichen, mathematischen und
allgemeinbildenden Bereich.
Das ist natürlich nicht weiter verwunderlich, jedes andere Ergebnis wäre für
die Beteiligten bitter gewesen.
Interessant ist jedoch der 2. Teil der Erhebung. Hier ging es um das Sozialund Lernverhalten der Patienten.
Auch hier fiel die Beurteilung nach der Maßnahme deutlich positiver aus als zu
deren Beginn. Als Parameter sind hier z.B. zu nennen:
Kooperationsverhalten, Selbstwahrnehmung, Selbstkontrolle, Einfühlungsvermögen und Hilfsbereitschaft, aber auch Bereitschaft, sich anzustrengen, Ausdauer, Selbständigkeit beim Lernen oder Konzentrationsfähigkeit. Das sind,
wie später noch dargestellt werden soll, Erfahrungen, die auch im Regensburger Projekt gemacht werden konnten.
Soweit der (leider dürftige) theoretische Hintergrund.
Im nächsten Punkt soll kurz darauf eingegangen werden, wie es um (schulische) Bildung in den bayerischen Forensiken bestellt ist:
2.3. Welche Arten von Beschulung gibt es?
Anhand einer kleinen Umfrage, die der Autor durchgeführt hat, lässt sich Folgendes sagen (ohne irgendwelchen Anspruch auf Vollständigkeit):
Weitverbreitet sind Kurse in Deutsch als Fremdsprache (weil Deutschkenntnisse Voraussetzung für die Therapie sind).
Ebenso besteht vielerorts die Möglichkeit, Schulabschlüsse nachzuholen.
Vornan steht der Qualifizierende Abschluss der Mittelschule (Quali), aber
auch Hauptschulabschluss und Mittlere Reife werden angeboten.
Hinzu kommen Förderung bei
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der Berufsausbildung (Berufsschule)
Alphabetisierung
2.4. Gesetzliche Voraussetzungen zur Bildung im Maßregelvollzug
Wenn es, wie hier, um Standards in der Therapie geht, muss man sich natürlich auch die Frage stellen: „Haben MVR-Kliniken überhaupt einen Bildungsauftrag?“ Oder: „Sind die Kliniken zur Bildung verpflichtet?“
Dergleichen Fragen lassen sich eindeutig mit „nein“ beantworten.
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Im Entwurf des bayrischen Maßregelvollzugs-Gesetzes findet sich aber trotzdem ein Abschnitt über die Bildung1:
„Geeigneten untergebrachten Personen kann Gelegenheit zur schulischen
Bildung, Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung oder Teilnahme an anderen ausbildenden oder weiterbildenden Maßnahmen gegeben werden.“
((Bayerischer Landtag, Gesetzentwurf über den Vollzug der Maßregeln ..., Drucksache
17/4944, 19.01.2015, S.9)
In den Erläuterungen dazu steht weiterhin:
„Dem Wiedereingliederungsgebot folgend kann die Maßregelvollzugseinrichtung, soweit es sinnvoll und erforderlich ist, der untergebrachten Person Gelegenheit zur schulischen Bildung, Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung
oder Teilnahme an anderen ausbildenden oder weiterbildenden Maßnahmen
gewähren. (ebd. S.36)
Es handelt sich hier also um eine Kann-Bestimmung.
Es liegt nahe, an dieser Stelle einen Vergleich zum Regelvollzug zu ziehen.
Das bayerische Strafvollzugsgesetz sagt folgendes:
Art. 40
Unterricht
1) „1Für geeignete Gefangene, die den Abschluss der Hauptschule nicht erreicht
haben, soll Unterricht in den zum Hauptschulabschluss führenden Fächern
oder ein der Förderschule entsprechender Unterricht vorgesehen werden. 2Bei
der beruflichen Ausbildung ist berufsbildender Unterricht vorzusehen; dies gilt
auch für die berufliche Weiterbildung, soweit die Art der Maßnahme es erfordert.
2) „Unterricht soll während der Arbeitszeit stattfinden.“ (BayStVollzG, GVBI,
2007)
Art. 41
Zeugnisse über Bildungsmaßnahmen
„Aus dem Zeugnis über eine Bildungsmaßnahme darf die Inhaftierung eines
Teilnehmers oder einer Teilnehmerin nicht erkennbar sein.“ (ebd.)
Hier ist es eine „Soll-Bestimmung“ und die Regelung ist sehr detailliert. Warum hier ein Unterschied zwischen Strafvollzug und Maßregelvollzug gemacht
werden soll, ließe sich sicher diskutieren.
1
Alle für die Bildung im Maßregelvollzug wichtigen Bestimmungen befinden sich im Anhang dieses Aufsatzes.
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Soweit zum Hintergrund. Nun soll das Schulprojekt vorgestellt werden, wie es
an der Regensburger Forensik durchgeführt wird.
3.
Das Schulprojekt der Regensburger Forensik:
Angeboten wird:
3.1. Deutsch als Fremdsprache
(hier arbeiten 2 Lehrkräfte in sehr geringer Teilzeit):
Diese Bildungsmöglichkeit wurde zunächst auf einer weiterführenden Station
eingeführt, dann auf die Eingangsstation ausgedehnt, um die Therapie bei Patienten zu ermöglichen, die nicht oder nur sehr schlecht Deutsch sprechen.
Das Angebot wurde dann auf Wunsch von Patientenseite ausgedehnt.
Dass der Wunsch von den Patienten kam, belegt, dass ein Bedürfnis nach
Weiterbildung bei diesen durchaus vorhanden ist.
3.2. Ansprechpartner in Sachen Schule und Lernen
Darüber hinaus kümmert sich die Patientenschule um alles, was mit Schule
und Unterricht zu tun hat. Wenn z. B. der Patient
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
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Englisch lernen will
Abitur auf der Abendschule machen will
usw.
Hier stehen die Lehrer als Ansprechpartner zur Verfügung, sie versorgen die
Patienten mit Unterrichtsmaterial und helfen diesen gegebenenfalls beim Lernen.
3.3. Quali-Kurs (Kurs zur Erlangung des Qualifizierenden Abschlusses der
Mittelschule):
Im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit steht jedoch der sog. Quali-Kurs.
Begonnen wurde das Projekt zum Schuljahrsanfang 2008/2009 mit der zugegebenermaßen etwas optimistischen Vorstellung, dass es sich hier um eine
Art Unterstützungsmaßnahme für ausgesuchte Patienten handeln würde, die
den ohnehin schon einmal gelernten Schulstoff wiederholen und dann am
Schuljahrsende ihre Prüfungen ablegen könnten.
Um den Stoff zu bewältigen, wurde ein halbes Jahr veranschlagt, der Rest
sollte Zeit zum Üben sein.
Es wurden 6 Patienten ausgesucht, davon sollte einer die Prüfung für den
Mittleren Schulabschluss (Mittlere Reife) machen.
Es stellte sich sehr schnell heraus, dass dieser Plan nicht funktionieren kann,
weil die Patienten – im Regelfall - nur bis etwa zur 6. oder 7. Klasse aktiv am
Unterricht teilgenommen haben. Danach waren sie in der Schule, wenn überhaupt, nur noch körperlich anwesend. Vom in dieser Zeit durchgenommenen
Schulstoff ist deshalb nur in Ausnahmefällen etwas vorhanden.
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Das heißt, dass ein Patient im Normalfall in einem Schuljahr mindestens 3
Jahre Stoff nachzuholen hat. Das betrifft v.a. das Fach Mathematik.
In einem Schuljahr deshalb, weil die Therapiedauer bei den meisten in Frage
kommenden Patienten so kurz ist, dass ein längerer Schulbesuch nicht möglich ist.
Hinsichtlich der Gestaltung des Schuljahres bedeutet das aber auch, dass es
sich nicht um Wiederholung von bereits Gelerntem handeln kann, sondern
„richtiger“ Unterricht stattfinden muss, in dem sehr viel Neues durchgenommen wird.
Aus diesen Erfahrungen und Überlegungen heraus entstand das nunmehr in der Patientenschule angewendete Konzept:
Im Kurs wird ausschließlich auf den „Quali“ vorbereitet.
Was den Mittleren Bildungsabschluss betrifft, werden die Patienten lediglich
mit Lehrmaterial, Hilfe bei der Bearbeitung von Aufgaben und durch sonstige
Beratung unterstützt, ansonsten sind sie auf sich selbst gestellt (die Gründe
hierfür liegen hauptsächlich in der geringen Anzahl der Lehrerstunden).
Ein „einfacher“ Hauptschulabschluss wird nicht angestrebt, da die Gefahr besteht, dass diejenigen Patienten, die zum Quali fähig wären, aus purer Faulheit sagen könnten: „Ein einfacher Hauptschulabschluss genügt.“ Es ist jedoch
so, dass, falls ein Patient einmal nicht das Ziel „Quali“, also eine Abschlussnote von 3,0 oder besser, erreichen sollte, er automatisch den „einfachen“
Hauptschulabschluss erhält, wenn seine Abschlussnote zwischen 3,0 und 4,0
liegt. Das war bisher immer der Fall.
Die Vorgehensweise ist folgende:
1. Die Therapeuten schlagen Kandidaten vor, oder die Patienten äußern
den Wunsch der Teilnahme am Kurs.
2. Mit Hilfe eines Tests werden die Kandidaten ausgewählt. Dieser Test
besteht überwiegend aus ausgewählten älteren Quali-Aufgaben, hauptsächlich in den Fächern Deutsch und Mathematik.
Getestet werden dabei folgende Fähigkeiten:
 In Mathematik: Rechnen, räumliches Vorstellungsvermögen, Lösungsstrategien bei komplexen Aufgaben
(z.B. Rechte Winkel bei einer Pyramide anhand eines
Schrägbilds finden)
 In Deutsch: Rechtschreibung (kurzes Diktat), Textverständnis
(Lesen eines Ausschnitts aus einem Jugendbuch), Kennen von
Sprachbildern, Ideen für einen Aufsatz, schriftsprachliche Fähigkeiten
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 Allgemeinbildung:
Fragen beantworten anhand einer tabellarischen Aufstellung (in
diesem Fall zu Arbeitsrecht),
Fragen aus der Physik.
(z.B. Was ist ein Atom?)
Wichtig für gesamten Test ist:
Er ist nicht standardisiert, weil
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


die Patienten auf Grund von Prüfungsangst scheitern könnten,
sie die Fragen nicht verstehen könnten,
Fragen wegen eines kleinen Details nicht beantwortet werden
könnten (z. B.: Der Patient kann das 1x1 nicht und kann deshalb
eine Flächenberechnung nicht ausführen, obwohl er einen Begriff
von der Fläche hat und weiß, wie man Flächen berechnet),
der persönliche Eindruck wichtig ist.
der Tester auch die Lernfähigkeit des Patienten abschätzen
kann, wenn er ihm beim Lösen der Aufgaben hilft.

Am Ende des Tests erfolgt eine Schätzung der in der Quali-Prüfung zu
erwartenden Note in den verschiedenen Fächern, sowie des zu erwartenden Gesamtnotendurchschnitts auf 1 Stelle hinter dem Komma. Diese Schätzung war - mit wenigen Ausnahmen – bisher sehr genau. Die
Ausnahmen entstehen in der Regel dadurch, dass sich die künftige
Lernbereitschaft bzw. der Fleiß des Patienten in diesem Rahmen nicht
testen lassen. (Die Abweichung betrug in den letzten 3 Jahren ca. 0,3
Notenpunkte, einzelne Ausreißer nach oben und unten um 0,5 bis 0,9
Notenpunkte).
Nach dem Test bestehen für den Patienten 3 Möglichkeiten:
a) Er hat gute Chancen, die Quali-Prüfungen zu bestehen, dann wird
ihm eröffnet, dass er teilnehmen darf, und wie es nun weitergeht.
b) Es bestehen Zweifel, dass er besteht: Er erhält die Chance, teilzunehmen, ihm wird jedoch angekündigt, dass er einer „verschärften
Beobachtung“ unterliegt, was Leistungen, Fleiß und Mitarbeit anbelangt. Falls sich abzeichnen sollte, dass er nicht erfolgreich sein wird,
muss er den Kurs, nach spätestens 3 Monaten, wieder verlassen.
Das lässt sich - auch dem Patienten gegenüber - damit begründen,
dass ihm die Frustration erspart werden soll, ein Jahr auf etwas hingearbeitet und es dann doch nicht geschafft zu haben.
c) Der Patient hat keine Chancen, die Prüfungen zu bestehen: Das wird
ihm so gesagt und es wird dann gemeinsam nach alternativen Möglichkeiten der Weiterbildung für ihn gesucht.
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3. Nächster Schritt ist ein Mathe-Vorkurs. Er startet im Juni bzw. Anfang
Juli.
Es handelt sich hierbei um Arbeitsblätter, die den Stoff der 5./6. Jahrgangsstufe umfassen. Den haben die Patienten in der Regel schon gelernt, da sie in dieser Zeit noch aktiv zur Schule gegangen sind.
Die Patienten bearbeiten die Blätter eigenständig, es wird korrigiert und
nachbereitet. Die einzelnen Arbeitseinheiten sind auf ca. 3 Std./Woche
ausgelegt.
2 Ziele werden dabei hauptsächlich verfolgt:
a) Die Patienten sollen sich hinsichtlich Mathe „warmlaufen“. Beim Start
des eigentlichen Unterrichts sind sie dann viel aufnahmebereiter,
wenn es darum geht, neuen Stoff zu lernen.
b) Es kann so in Erfahrung gebracht werden, wie selbständig sie arbeiten. Maßgabe in dieser Hinsicht ist nämlich folgende: Falls sie Hilfe
benötigen, sollen sie sich diese in erster Linie bei Mitpatienten holen,
ansonsten sich an das Pflegepersonal wenden. Erst wenn diese beiden Möglichkeiten ausgeschöpft sind, stehen die Lehrer zur Verfügung.
Dies begründet sich damit, dass selbständiges Arbeiten bei derart
dichtgedrängtem Stoff und der engen Personaldecke bei den Lehrern
unabdingbare Voraussetzung ist.
4.
Anfang September ist dann Beginn des regulären Unterrichts.
Zunächst an 3 Vormittagen à 3 Stunden. Die Unterrichtszeit erhöht sich
dann übers Jahr fortlaufend bis ca. 20 Stunden pro Woche.
Diese Vorgehensweise lässt sich zum einen damit begründen, dass
sich die Patienten erst langsam an das Stillsitzen, Lernen und an kontinuierliches Arbeiten gewöhnen müssen, zum anderen damit, dass die
sonstigen therapeutischen Maßnahmen sonst zu kurz kämen.
Die Zeit bis Dezember gilt dabei als Probezeit, v.a. für die „Wackelkandidaten“ (wobei zu bemerken ist, dass bisher noch kein Teilnehmer die
Probezeit nicht bestanden hat).
Wohl nicht zuletzt aufgrund dieses Konzepts kann sich der Erfolg des
Quali-Kurses bisher durchaus sehen lassen. Bis auf 2 Patienten konnten alle Teilnehmer den „Qualifizierenden Abschluss der Mittelschule“
erlangen, wobei auch diese beiden ein Zeugnis über den „Erfolgreichen
Abschluss der Mittelschule“ erhielten und somit einen Schulabschluss
vorweisen können.
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Auswirkungen auf die Patienten
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Vornan steht natürlich zunächst einmal der Schulabschluss, der den
Patienten bessere Chancen am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ermöglicht.
Es lassen sich aber auch zahlreiche positive Nebeneffekte feststellen:
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Zunächst ist eine enorme Hebung des Selbstwertgefühls bei den Patienten festzustellen. Der Patient kann (zumeist zum ersten Mal im Leben sagen: „Ich habe lange auf etwas hingearbeitet und dann etwas
geschafft.“
Wobei umgekehrt ein Misserfolg natürlich fatal wäre. „Ich hab es doch
gewusst, ich bin nichts wert.“
Um die Patienten vor diesem Misserfolg zu bewahren, erfolgt deshalb
gegen Ende des Schuljahres, vor den Prüfungen, auch oft intensive
schulische Einzelbetreuung. Die Patienten wissen das sehr wohl zu
schätzen und sagen das auch.
Weil die Lehrer viel Zeit mit den Patienten verbringen, also in intensivem Kontakt zu ihnen stehen, entsteht auch eine gewisse emotionale
Bindung. Diese ist meist intensiver als sie etwa der Bezugstherapeut zu
„seinen“ Patienten hat, beziehungsweise findet auf einer anderen Ebene statt.
D.h. als Lehrer erfährt man viel über den einzelnen Patienten. Wenn
dieses Wissen ins Team der Therapeuten eingebracht wird, nützt das
auch bei anderen therapeutischen Maßnahmen. Dazu ist aber ein intensiver Kontakt mit den Stationen und den jeweiligen Therapeuten unabdingbar. Deshalb erfolgt ca. alle 3-4 Wochen ein Besuch der Lehrer
in den Kurven-Visiten der jeweiligen Stationen. Im Bedarfsfall wird auch
sofort mit den zuständigen Therapeuten Kontakt aufgenommen.
Des Weiteren stellen sich im Lauf des Schuljahres verschiedene Softskills bei den Patienten ein, z.B. Durchhaltevermögen, Selbständigkeit
oder Sorgfalt.
Auch können im Lauf des Unterrichts bei den Patienten zahlreiche Defizite abgebaut werden. z.B. mangelnde Fähigkeit zur Teamarbeit, mangelnde Arbeitseinstellung, schlechtes Durchhaltevermögen, Fehler bei
der Selbstwahrnehmung oder auch schlechte Konzentrationsfähigkeit.
Hier lassen sich im Fortschreiten des Schuljahres erhebliche Verbesserungen feststellen.
Als besonderes Beispiel soll noch auf die positiven Effekte eingegangen werden, die der schulische Unterricht in den doch relativ kleinen Gruppen bei entsprechendem Engagement der Lehrer auf ADHS bzw. ADS-Patienten hat:
Im aktuellen Schuljahr weisen in der Regensburger Patientenschule 3 von
insgesamt 10 Schülern dieses Krankheitsbild auf.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich hier zahlreiche Möglichkeiten bieten, die
Therapeuten bei der Behandlung zu unterstützen:
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


So etwa beim Bewusstmachen von Hyperaktivität oder
mit einer langsamen Steigerung der Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit
Der wohl wichtigste Aspekt ist dabei jedoch: Der Patient bekommt im
Unterricht Strukturen vermittelt, die ihm zunächst im jeweiligen Fach
weiterhelfen, etwa in Mathematik beim Lösen von Gleichungen: Er bekommt ein Lösungsschema für Gleichungen vermittelt. Damit kann er
zunächst eine Gleichung lösen. Aber: Er merkt auch, dass ihm klare
Strukturen auch sonst weiterhelfen. Im Laufe des Schuljahrs stellten
sich dadurch Persönlichkeitsentwicklungen ein, die andere Therapeuten
teilweise nicht für möglich gehalten hätten.
Aber: Um dergleichen Erfolge zu erzielen, ist ein intensives Eingehen auf die
einzelnen Patienten unabdingbar, und ebenso auch wieder ein intensiver Kontakt zum therapeutischen Team.
Auch wenn die Regensburger Forensik-Schule und deren Konzept bisher so
rundum positiv dargestellt wurden, lässt sich nicht verleugnen, dass es auch
des Öfteren Probleme gibt. Alles andere wäre bei der Klientel, die hier behandelt wird, eher ungewöhnlich.

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So kommt es durchaus vor, dass einzelne Patienten unmotiviert oder
faul sind,
oder Schwierigkeiten bestehen, aus den Schülern, die zunächst als
Einzelkämpfer für ihren Erfolg arbeiten, ein Team zu formen, in dem
man sich gegenseitig unterstützt.
Auch gibt es manchmal disziplinarische Probleme oder mangelnde Zuverlässigkeit der Patienten, was etwa die Anfertigung der Hausaufgaben betrifft.
Um diesen Problemen zu begegnen, wird jedoch nicht auf den auf den Stationen üblichen Maßnahmenkatalog zurückgegriffen, sondern zunächst das Gespräch mit dem Patienten gesucht. In schwierigen Fällen in einem Dreiergespräch zusammen mit dem jeweiligen Bezugstherapeuten. Bei diesem Gespräch wird zunächst zusammen nach Gründen für das Fehlverhalten des Patienten gesucht (z.B. Überlastung), danach werden Möglichkeiten erörtert, wie
das Verhalten geändert werden kann.
In besonders schwierigen Fällen wird dem Patienten mit dem Abbruch der
Schule gedroht. Wirklich durchgeführt werden musste aber eine solche Maßnahme bisher noch nicht.
Anders geartete Probleme ergaben sich vereinzelt bei der Zusammenarbeit
mit dem therapeutischen Team: Es gab einzelne Therapeuten, die fürchteten, dass von Seiten der Lehrer in ihre Kompetenzen eingegriffen wird.
Das ging aber nie so weit, wie etwa in einer anderen, dem Autor bekannten
Klinik, in der die Lehrer angewiesen sind, wenn Patienten Dinge erzählen, die
nicht zur Schule gehören, sie an Therapeuten zu verweisen.
Was das bedeutet sei an folgendem Beispiel erläutert:
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Ein Patient hat Liebeskummer oder Probleme mit Mitpatienten und öffnet sich
nun überraschend einem Lehrer. Nach der o.a. Maßgabe soll der nun den Patienten abblocken und ihn an seinen Therapeuten verweisen.
In der Regensburger Forensik wird das zum Glück nicht so gehandhabt. In einem derartigen Fall würde der Lehrer dem Patienten zuhören. Sein nächster
Weg führt aber umgehend zum zuständigen Therapeuten. Und das nicht nur
um Zuständigkeiten klar zu trennen, sondern natürlich auch, um den Patienten
in seiner Therapie voran zu bringen.
Letztendlich wurde aus derartigen Gründen in diesem Schuljahr auch die Zusammenarbeit mit den Stationen intensiviert. So nimmt alle 3 bis 4 Wochen
ein Lehrer an den jeweiligen Kurvenvisiten teil. Das erhöht die Synergieeffekte, stärkt aber auch die Anerkennung der Arbeit in der Schule, da die Kollegen
auf den Stationen zunehmend wissen, was in der Schule – neben Unterricht –
geschieht.
Ein weiteres Problem betrifft den Lehrkörper selbst. Es rührt daher, dass, wie
weiter oben schon ausgeführt, es für die Patienten enorm frustrierend und eine enorme Belastung für ihr Selbstwertgefühl wäre, wenn sie ihr Ziel, den
Quali, nicht erreichen würden.
Als Lehrer, wenn man seinen Beruf ernst nimmt, setzt man sich deshalb selbst
enorm unter Druck, um das zu verhindern. Dieser Druck steigt zum Schuljahrsende, wenn die Prüfungen näher rücken, enorm an und wird zu einer erheblichen Belastung.
Ein Punkt, der etwas außerhalb des bisher Dargestellten angesiedelt ist, aber
für eine Patientenschule enorme Bedeutung hat, wenn es um Schulabschlüsse geht, muss hier noch erwähnt werden:
Die Zusammenarbeit mit der Schule, in der letztlich die Prüfungen abgelegt werden.
Zumindest in Bayern ist es nämlich so, dass die Patienten ihre Prüfungen als
sog. Externe an nahegelegenen öffentlichen Schulen ablegen. Das bringt für
sie den Vorteil mit sich, dass im Zeugnis der Name der prüfenden Schule erscheint. Der Aufenthalt in einer psychotherapeutischen Klinik findet keinerlei
Erwähnung.
Ziel der Zusammenarbeit muss sein, dass für die Patienten der Forensik die
gleichen Voraussetzungen wie für die Schüler der Partnerschule geschaffen werden. Das bedeutet vor allem, dass in den Fächern, in denen die
Prüfungen von der Schule gestellt werden, die Schwerpunkte bekannt sind,
die im Unterricht und in der Prüfung gesetzt werden. Auch ist es wichtig zu erfahren, welche Lehrbücher an der Schule verwendet werden. Hilfreich sind
ebenso Hefteinträge der Schüler der Partnerschule.
In Regensburg wird der Kontakt intensiv gepflegt. Mehrfach im Jahr finden
Gespräche mit den zuständigen Lehrern statt, in denen über den Unterricht im
laufenden Schuljahr ganz allgemein gesprochen wird, aber z.B. auch darüber,
wie weit man jeweils bei der Bewältigung des Jahrespensums im Unterrichtsstoff vorangeschritten ist. Auch nehmen die Lehrer der Forensik-Schule immer
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zusammen mit den Patienten an der jährlichen Info-Veranstaltung der Partnerschule zum Quali teil.
Auf der anderen Seite kommen die Lehrerkollegen der Partnerschule einmal
im Jahr zur Fortbildung in die Forensik. Hier werden sie ausführlich über die
Arbeit der Klinik informiert (mit Patientengespräch, Hausführung, Fragen zur
Suchtprävention).
Insgesamt lässt sich sagen, dass durch die Pflege dieser Kontakte die Arbeit
der Forensik von Seiten der Partnerschule sehr anerkannt ist. Sie wird auch
bei anderen Stellen lobend erwähnt. D.h. die Patientenschule hilft nicht nur
dem Patienten bei seiner Therapie, sondern trägt auch zu einem besseren
Bild der Klinik in der Öffentlichkeit bei.
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4.
Möglichkeiten und Ausblick
Im letzten Punkt soll noch kurz auf die Möglichkeiten eingegangen werden, die
sich in der Forensik durch Bildungsarbeit ergeben können und ein kleiner
Ausblick erfolgen, dahingehend, welche Arten von Bildung im Maßregelvollzug
aus Pädagogensicht noch sinnvoll wären.
Zunächst: Das Angebot der Möglichkeit eines Schulabschlusses erhöht die Attraktivität der Klinik bei den Patienten. So gibt es z.B. in der Forensik in Parsberg die Möglichkeit, sich in einem Kurs auf die Prüfungen des M-Zugs der
Mittelschule vorzubereiten und so den Mittleren Bildungsabschluss zu erlangen. Das hat dazu geführt, dass Patienten wegen dieser Bildungsmöglichkeit
dorthin verlegt werden wollten.
Welche weiteren Möglichkeiten der Bildung wären aus Sicht der Lehrer sinnvoll?
Ganz vorne stehen hier


Alphabetisierung und
Grundbildung (Mathe, Deutsch, Allgemeinbildung)
Das betrifft die gesamte Forensik, aber insbesondere den § 63er-Bereich,
denn hier gibt es überproportional viele minderbegabte oder bildungsferne Patienten.
Des Weiteren wären vorstellbar:
Projekte im kulturellen Bereich/Deutsch
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Theatergruppe
Patientenzeitung
Bücher lesen
Medienkunde (z.B. richtig Fernsehen, wie lese ich eine Zeitung, wie
nutze ich das Internet?)
Englisch (auch im Hinblick auf den Quabi für Patienten mit Berufsabschluss)
Pädagogische Unterstützung bei Berufsausbildung
Ideen ließen sich hier sicher noch mehr finden. Um Sinn und Notwendigkeit
derartiger Maßnahmen zu begründen und letztlich auch finanzierbar zu machen, wäre es sehr hilfreich, zunächst in wissenschaftlichen Studien die Auswirkungen von Bildung auf die Therapie und den Therapieerfolg untersuchen.
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Anhang
Bildung im Maßregelvollzug
(Aus dem Entwurf zum Maßregelvollzugsgesetz, bzw. der Begründung hierzu.
Stand: 01.06.2015)
Art. 10 Arbeit, Beschäftigung, Bildung
Geeigneten untergebrachten Personen kann Gelegenheit zur schulischen Bildung, Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung oder Teilnahme an anderen
ausbildenden oder weiterbildenden Maßnahmen gegeben werden.
(Bayerischer Landtag, Gesetzentwurf über den Vollzug der Maßregeln ..., Drucksache 17/4944,
19.01.2015, S.9)
Art. 44 Junge untergebrachte Personen
(1) 1Der Vollzug der Unterbringung von Personen, die zur Tatzeit das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, soll erzieherisch ausgestaltet werden, solange
sie das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (junge untergebrachte Personen), soweit dies bei Volljährigkeit angezeigt ist. 2Art. 126 Abs. 2 BaySt-VollzG
gilt entsprechend.
(2) Junge untergebrachte Personen sind nach Möglichkeit in spezialisierten Einrichtungen unterzubringen.
(3) Schulpflichtige junge untergebrachte Personen er-halten in der Maßregelvollzugseinrichtung allgemein- oder berufsbildenden Unterricht in Anlehnung an die
für öffentliche Schulen geltenden Vorschriften, soweit dies ihr Gesundheitszustand und die räumlichen und organisatorischen Verhältnisse der Maßregelvollzugs-einrichtung zulassen.
(4) 1Jungen untergebrachten Personen werden altersgemäße Beschäftigungs-,
Bildungs- und Freizeit-möglichkeiten sowie entwicklungsfördernde Hilfestellungen
angeboten. 2Die Bereitschaft zur Annahme dieser Angebote ist zu wecken und zu
fördern.
(ebd. S.16)
Erläuterungen dazu:
Dem Wiedereingliederungsgebot folgend kann die Maßregelvollzugseinrichtung,
soweit es sinnvoll und erforderlich ist, der untergebrachten Person Gelegenheit
zur schulischen Bildung, Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung oder Teilnahme an anderen aus-bildenden oder weiterbildenden Maßnahmen gewähren.
Selbstverständlich ist, dass die Durchführung einer Bildungsmaßnahme, beispielsweise das Anstreben eines Schulabschlusses, die Beendigung der Unterbringung nicht verzögern oder beeinträchtigen darf.
(ebd. S. 36)
Für junge untergebrachte Personen (Art. 44) ist die Sondervorschrift in Art. 44
Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 126 Abs. 2 BayStVollzG ergänzend zu beachten.
(ebd.)
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Art. 126 Abs. 2 BayStVollzG
(2) 1 Die Personensorgeberechtigten werden in die Planung und Gestaltung des
Vollzugs einbezogen, soweit dies zweckmäßig ist. 2 Dies ist zwingend, wenn die
Personensorgeberechtigten anders ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkommen können
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