An das Bundesministerium der Finanzen Herrn MR van Nahmen Referat III C 2 11016 Berlin ausschließlich per E-Mail an: [email protected] Düsseldorf, 2. Februar 2016 642 Fachliche Stellungnahme zu Vorstellungen über einen möglichen Vorschlag des BMF an den Gesetzgeber zur Bestimmung der bewegten Lieferung in einem Reihengeschäft Sehr geehrter Herr van Nahmen, wir danken Ihnen für die Gelegenheit, zu den Vorstellungen über einen möglichen Vorschlag des BMF an den Gesetzgeber zur Bestimmung der bewegten Lieferung in einem Reihengeschäft vom 28.12.2015 Stellung zu nehmen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Zuordnung der bewegten Lieferung in Reihengeschäften (vgl. BFH vom 11.08.2012, V R 3/10; BFH vom 25.02.2015, XI R 15/14 und XI R 30/13) führt in der Praxis zu erheblichen Rechtsunsicherheiten. Eine gesetzliche Neuregelung des umsatzsteuerlichen Reihengeschäfts ist deshalb ausdrücklich zu begrüßen. Allgemeine Anmerkungen Eine Anknüpfung an die Transportverantwortung hat sich in der Praxis bewährt und ist als typisierender Ansatz grundsätzlich zu befürworten. Ebenso hat sich die Anknüpfung an die Verwendung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer als Nachweiserfordernis für eine abweichende Behandlung bewährt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt die Zuordnung der bewegten Lieferung im Reihengeschäft – außerhalb innergemeinschaftlicher Dreiecksgeschäfte – jedoch den allgemeinen Regelungen zur Verschaffung der Verfügungsmacht. Danach hängt die Zuordnung der Warenbewegung zu einer Lieferung „[…] von einer umfassenden Würdigung aller besonderen Umstände des Seite 2/5 zum Schreiben vom 02.02.2016 an das Bundeministerium der Finanzen Einzelfalls ab […] und insbesondere von der Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, dem Endempfänger übertragen worden ist […]. Falls nämlich die zweite Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, stattgefunden hat, bevor die innergemeinschaftliche Beförderung erfolgt, könnte die innergemeinschaftliche Beförderung nicht mehr der Lieferung an den Ersterwerber zugerechnet werden […]“ (vgl. EuGH v. 27.09.2012, C-587/10, BFH/NV 2012, S. 1919 L, Tz. 32). Angesichts dieser Rechtsprechung erscheint u. E. zweifelhaft, ob eine Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, die die Zuordnung der bewegten Lieferung typisierend an die Transportverantwortung knüpft und nur in bestimmten Fällen den Nachweis einer abweichenden Behandlung mittels der Verwendung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer vorsieht. Um die Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht sicher zu stellen, sollte es u.E. auch zugelassen werden, an die Verschaffung der Verfügungsmacht nach dem Willen der beteiligten Vertragsparteien anzuknüpfen. Die geplante Neuregelung sollte daher entsprechend ergänzt werden. Dies vorausgeschickt, nehmen wir zu den vorgeschlagenen Regelungen im Einzelnen wie folgt Stellung: Zu § 3 Abs. 6a Satz 2 und 3 UStG-E Die Neuregelung wird u.E. in vielen Fällen zu praxisgerechten Ergebnissen führen. Wie bisher kann es jedoch für Unternehmer aus anderen EUMitgliedstaaten zu Registrierungspflichten in Deutschland kommen, wenn im Einzelfall die Regelungen zum innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft nicht anwendbar sind. Dies möchten wir an zwei Beispielen verdeutlichen. Beispiel (Inboundfall) Der niederländische Unternehmer A schließt mit dem niederländischen Unternehmer B und dieser wiederum mit dem deutschen Unternehmer C ein Geschäft über denselben Gegenstand ab. Die Ware versendet A aus den Niederlanden unmittelbar an C. Nach § 3 Abs. 6a Satz 2 UStG-E ist die Versendung der Lieferung von A an B zuzuordnen. Ein abweichender Nachweis nach § 3 Abs. 6a Satz 5 UStG-E scheidet aus. Die nachfolgende Lieferung von B an C ist in Deutschland umsatzsteuerbar und mangels Steuerbefreiung steuerpflichtig. B muss sich in Seite 3/5 zum Schreiben vom 02.02.2016 an das Bundeministerium der Finanzen Deutschland registrieren lassen. Eine Nichtregistrierung aufgrund eines innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts (§ 25b UStG) ist nur möglich, wenn B unter der Umsatzsteueridentifikationsnummer eines dritten Mitgliedstaates auftritt. Beispiel (Outboundfall) Der deutsche Unternehmer A schließt mit dem niederländischen Unternehmer B und dieser wiederum mit dem niederländischen Unternehmer C ein Geschäft über denselben Gegenstand ab. Die Ware holt C bei A ab und befördert sie in die Niederlande. Nach § 3 Abs. 6a Satz 3 UStG-E ist die Beförderung der Lieferung von B an C zuzuordnen. § 3 Abs. 6a Satz 5 UStG-E ist nicht anwendbar. B muss sich regelmäßig aufgrund der innergemeinschaftlichen Lieferung an C in Deutschland registrieren lassen. Vorschlag: Der Nachweis einer abweichenden Zuordnung der Warenbewegung sollte auch möglich sein, wenn die Transportverantwortung der erste Unternehmer oder der letzte Abnehmer hat. Die Finanzverwaltung beanstandet es bereits nach geltendem Recht (A 3.14 Abs. 19 Satz 1 UStAE) nicht, wenn die Zuordnung der Warenbewegung nach dem Recht des anderen Mitgliedstaates abweichend vorgenommen worden ist. Unter dieser Voraussetzung kann eine Registrierung in Deutschland vermieden werden. Es sollte geprüft werden, diese Verwaltungsregelung in einem neuen Satz 9 des § 3 Abs. 6a UStG-E zu verankern. Einzelheiten hierzu könnten im UStAE näher dargestellt werden. Insbesondere sollte klargestellt werden, dass sowohl abweichende gesetzliche Regelungen als auch Verwaltungsanweisungen sowie die tatsächliche Verwaltungsübung in anderen Mitgliedsstaaten eine abweichende Zuordnung zulassen. Zu § 3 Abs. 6a Satz 6 UStG-E Mit Wirkung ab dem 01.05.2016 sind geänderte zollrechtliche Vorschriften anzuwenden. Die delegierte Verordnung (EU) 2015/2446 (del VO) und die Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 (DVO) zur Umsetzung des Zollkodex der Union (UZK) ergänzen bzw. präzisieren die Regelungen des UZK und ersetzen mit Inkrafttreten des UZK zum 01.05.2016 die derzeit geltende ZollkodexDurchführungsverordnung. Gemäß Art. 1 Nr. 19 der delVo ist „Ausführer“ Seite 4/5 zum Schreiben vom 02.02.2016 an das Bundeministerium der Finanzen a) b) c) die im Zollgebiet der Union ansässige Person, die zum Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung Vertragspartner des Empfängers im Drittland ist und die befugt ist, über das Verbringen der Waren an einen Bestimmungsort außerhalb des Zollgebiets der Union zu bestimmen; die Privatperson, die zur Ausfuhr bestimmte Waren befördert, wenn sich diese Waren im persönlichen Gepäck der Privatperson befinden; in anderen Fällen die im Zollgebiet der Union ansässige Person, die befugt ist, über das Verbringen der Waren an einen Bestimmungsort außerhalb des Zollgebiets der Union zu bestimmen. Da ein außerhalb des Zollgebiets ansässiger Unternehmer somit nicht als zollrechtlicher Ausführer in Betracht kommt, ist ein Nachweis im Sinne des Satzes 4 nicht möglich. Dies könnte im Vergleich zu einem EU-Unternehmer zu einer Diskriminierung führen, für die u.E. keine sachlichen Gründe erkennbar sind. Vorschlag: Die Regelung für im Drittland ansässige Unternehmer sollte ergänzt werden. Zu § 3 Abs. 6a Satz 7 UStG-E Da ein im Drittland ansässiger Abnehmer nicht selbst Zollbeteiligter sein, sondern nur indirekt vertreten werden kann, wird der Gegenstand der Lieferung regelmäßig nicht im Namen des Abnehmers, sondern nur im Namen des indirekten Vertreters für Rechnung des Vertretenen zum zoll- oder steuerrechtlich freien Verkehr abgefertigt. Vorschlag: Es sollte geprüft werden, die Regelung auf indirekte Vertreter bei der Abfertigung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr zu erstrecken. § 3 Abs. 6a Satz 8 UStG-E Wie einleitend bereits ausgeführt, sollte die Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht sichergestellt werden. Dazu sollten die typisierenden Regelungen der Sätze 2 bis 7 so ergänzt werden, dass die Zuordnung der Beförderung oder Versendung auch unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls erfolgen kann, die allerdings objektiv nachprüfbar sein müssen. Seite 5/5 zum Schreiben vom 02.02.2016 an das Bundeministerium der Finanzen Da eine Würdigung nicht objektiv nachprüfbarer Umstände des Einzelfalls durch die Beteiligten, die Finanzverwaltung und die Rechtsprechung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, mangelt es andernfalls an Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Unter dem Gesichtspunkt der objektiven Nachprüfbarkeit dürften eine Vereinbarung zwischen den Beteiligten vor Beginn des Transports oder die tatsächlich einheitliche steuerliche Behandlung durch die Beteiligten mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sein. Letzteres bedeutet, dass alle Beteiligten bei ihrer steuerlichen Würdigung die Beförderung oder Versendung tatsächlich derselben Lieferung zuordnen. In der Rechtsprechung des BFH und den Schlussanträgen der Generalanwältin im der Rs. „EMAG“ finden sich Hinweise, für die Zulässigkeit einer solchen Regelung. Der XI. Senat des BFH führte hierzu aus: „Wenn alle am Reihengeschäft beteiligten Personen fremde Dritte sind und übereinstimmend davon ausgehen, die Warenbewegung sei einer bestimmten Lieferung zuzuordnen, ist dies ein Indiz dafür, dass dies den tatsächlichen Verhältnissen entspricht“ (vgl. BFH vom 25.02.2015, XI R 30/13, BFH/NV 2015, S. 769, Tz. 39). In den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott in der Rs. „EMAG“ findet sich ein ähnlicher Hinweis: „Denkbar wäre es etwa, dass die Vertragsparteien einen anderen Beteiligten als denjenigen, der den Transport veranlasst hat, als Steuerpflichtigen bestimmen. So könnten K und EMAG sich einigen, dass EMAG Steuerpflichtiger des innergemeinschaftlichen Erwerbs in Österreich sein soll“ (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rs. „EMAG“, C-245/04, Tz. 60, Fn. 9). Vorschlag: Es sollte ein Satz 8 angefügt werden, der eine Zuordnung der Warenbewegung anhand der objektiv nachprüfbaren Umstände des Einzelfalls vorsieht. Wir wären sehr dankbar, wenn Sie unsere Anregungen im weiteren Verfahren berücksichtigen. Selbstverständlich stehen wir für ein vertiefendes Gespräch zu diesem Thema jederzeit gerne zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen Dr. Kelm Rindermann, RA StB Fachleiterin Steuern und Recht
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