Die Getrennt- und Zusammenschreibung im Deutschen von 1700

1 Einleitung
1.1 Thema der Untersuchung
1.1.1 Gegenstand und Zielsetzung
Im Fokus dieser Arbeit stehen Schreibungen von Konstruktionen, die dem Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung (GZS) aller Wortarten zugehörig
sind. Es wird der Versuch unternommen, Tendenzen der Getrennt- und Zusammenschreibung in Regelwerken und Gebrauchstexten des 18. und 19. Jahrhunderts herauszufiltern. Dabei werden die Schreibungen sowohl hinsichtlich der
ihnen eigenen Gesetzmäßigkeiten analysiert als auch hinsichtlich ihrer Relation
zu zeitgenössischen Schreibanweisungen und zur heutigen Regelung der GZS.
In der Entwicklung der deutschen Orthographie im 18. und 19. Jahrhundert
ist die Getrennt- und Zusammenschreibung immer nur am Rande betrachtet
worden. Untersuchungen zu Schreibweisen besaßen vor allem deskriptiven Charakter, Schreibvorschläge blieben auf das einzelne Regelwerk beschränkt. Offizielle
Normierungsvorschläge gab es weder in den Bekanntmachungen der I. Orthographischen Konferenz von 1876 noch in den Festlegungen der II. Orthographischen
Konferenz aus dem Jahre 1901. Aus diesem Grund besaß Dudens „Vollständiges
Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache“ aus dem Jahre 1880 auch
in den Auflagen nach 1901 keine Regelungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung. Schreibungsregulative wurden einzig durch die Lemmata angegeben. Da der Wunsch der Sprachgemeinschaft nach möglichst geringer Anzahl
an Varianten in der Schreibung und Klarheit in den Regelvorgaben gerade durch
den formulierten Anspruch einer Einheitsorthographie ausgeprägt war, wurden
durch die Verlagsredaktion des Dudens dem Rechtschreibwörterbuch Regeln zur
Getrennt- und Zusammenschreibung hinzugefügt. Diese Schreibungsregulative
waren am Usus orientierte Regelungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung,
die im Verlauf der Zeit jedoch normativen Charakter gewannen. Zum Gegenstand
einer amtlichen Regelung wurde die Getrennt- und Zusammenschreibung aber
erst im Jahre 1996. Gerade die Regelung dieses Bereiches war einer scharfen Kritik
ausgesetzt, sodass die Neuerungen der 2006 ausgearbeiteten amtlichen Regelung
vor allem diesen Bereich betrafen. Auffällig an der Neuregelung aus dem Jahre
2006 ist die große Menge an Variantenschreibungen, die dem oben formulierten
Wunsch der Sprachgemeinschaft nach möglichst wenigen Varianten entgegensteht und nach Jacobs die Uneinheitlichkeit der GZS befördert:
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„Im übrigen wäre es natürlich erfreulich, wenn zukünftige Verbesserungen der Variantenbehandlung nicht erst durch institutionell nachgeordnete Wörterbuch-Redaktionen
initiiert werden müßten, sondern schon in der Kodifikation selbst angelegt wären. Eine
Voraussetzung dafür wäre eine klare und genaue Kennzeichnung von Varianten im Regeltext, insbesondere im Hinblick darauf, ob sie frei oder an bestimmte Lesarten oder
Konstruktionen gebunden sind.“ (Jacobs, 2007, 79)
Dieser Umstand verdeutlicht bereits die Problematik einer Normierung dieses
orthographischen Bereiches. Die Erarbeitung von Regelungen zur Getrennt- und
Zusammenschreibung gestaltet sich als ein schwieriger Prozess, da neben graphischen Aspekten auch die Bereiche der Phonologie, Semantik, Wortbildung
und Syntax nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Aus diesem Grund sind
Normierungsvorschläge der Getrennt- und Zusammenschreibung auch in besonderem Maße von der sprachwissenschaftlichen Schule bestimmt, vor derem
Hintergrund sie ausgearbeitet werden. Eine Vergleichbarkeit der Regelungsempfehlungen und vor allem eine Konsensentscheidung im Rahmen einer offiziellen
Entscheidung werden dadurch erschwert. Denn die Hervorhebung entweder des
einen oder des anderen sprachwissenschaftlichen Aspektes führt als Konsequenz
zu einer vollkommen unterschiedlichen Betrachtung der Getrennt- und Zusammenschreibung. Untersuchungen zu diesem Gegenstand in Regelwerken aus dem
18. und 19. Jahrhundert müssen deshalb auch immer das dahinter stehende Konzept beleuchten, um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu ermöglichen. Um
Regelungsempfehlungen zu dem tatsächlichen Schreibgebrauch in Relation setzen zu können, muss eine von den Ausführungen in den einzelnen Regelwerken
abstrahierende Untersuchungsmethode gefunden und ein eigenes Analyseraster
konzipiert werden. Hierin besteht eine große Schwierigkeit dieser Arbeit, die in
den Besonderheiten des Bereiches der GZS, der häufig nicht als orthographischer, sondern im Kern als grammatischer Bereich angesehen wird, begründet
liegt. Das bedeutet, dass orthographische Prinzipien, die für andere Bereiche der
Orthographie, z. B. den Bereich der Groß- und Kleinschreibung, als praktikabel
erscheinen, hier nicht bzw. nicht ausreichend Anwendung finden. Das wird zudem durch den Fakt erschwert, dass in Arbeiten zur GZS keine einheitlichen Systematisierungen vorliegen, sowohl in Bezug auf die zugrunde gelegten Prinzipien
als auch auf die Klassifizierungsgruppen. Sehr oft werden einzelne Typen der GZS
und zum Teil Einzelfallschreibungen thematisiert. Im Wesentlichen wird hier der
Blick auf die sogenannten Grenzfälle der GZS gelenkt. Bei der Erarbeitung eines
Analyserasters im Rahmen dieser Arbeit ist jedoch zu beachten, dass die GZS in
Regelwerken und Gebrauchstexten des 18. und 19. Jahrhunderts untersucht wird
und alle Schreibungen dieses Bereiches erfasst werden sollen. Das heißt auch,
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dass bestimmte, für die heutige Zeit geltende Wortbildungsmuster zu dieser Zeit
möglicherweise noch nicht existiert haben.
Erste Überlegungen für diese Arbeit wurden bereits 2002 in Angriff genommen. Der anfängliche Ansatz, der GZS inhärente Grundsätze zu erkennen und zu
formulieren und darauf aufbauend ein Analyseraster für die Untersuchungen zur
GZS zu erstellen, konnte durch die Arbeiten von Jacobs (2005) und insbesondere
von Fuhrhop (2006, 2007) weiterentwickelt werden. Diese Arbeiten haben motiviert, den einmal eingeschlagenen Weg weiter zu beschreiten.
1.1.2 Problembereiche
Zur Skizzierung der Schwierigkeiten der GZS sei Herberg in Nerius et al. zitiert:
„Insgesamt erweist es sich, dass die Getrennt- und Zusammenschreibung auch nach der
Neuregelung von 1996/2006 ein schwieriger und komplizierter Teilbereich der deutschen
Orthographie bleibt, in dem sprachliche Veränderungen und eindeutige Regelungen
behutsam ausbalanciert werden müssen und in dem somit auch gewisse Variationsmöglichkeiten für den Sprachbenutzer unerlässlich sind.“
(Nerius et al., 2007, 187)
Diese hier beschriebene Schwierigkeit eröffnet sich aus der besonderen Prägung
des Bereiches der GZS, der zwar orthographisch geregelt werden muss, aber
eigentlich nicht in den Kernbereich der Orthographie zu gehören scheint. Das
offenbart sich bereits im 18. und 19. Jahrhundert, denn nur wenige Orthographielehren widmen sich dem Bereich der GZS. Dafür gibt es zahlreiche Grammatiken
und Sprachlehren, die sich dem Problem annehmen, aber kaum Schreibungsregulative formulieren. Auch neuere Arbeiten im Bereich der Orthographie, von
Günther (1997), Jacobs (2005) und Fuhrhop (2007b), fokussieren eher die
grammatischen Grundlagen der GZS.
Aus der Stellung der GZS zwischen den Forderungen der Orthographie einerseits und den grammatischen Funktionsmechanismen der GZS andererseits
eröffnen sich folgende Problembereiche:
1. Welche Konstruktionen gehören dem Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung an?
2. Welche Prinzipien und Grundsätze determinieren den Bereich der GZS?
3. Sind Prozesse, die der GZS zugrunde liegen, wortartenspezifisch?
4. Lassen sich für die GZS Beschreibungskriterien herausfiltern, die Übersichtlichkeit, Transparenz sowie Auswertbarkeit einer Analyse ermöglichen?
5. Lässt sich die GZS letztlich überhaupt klar regeln?
6. Ist die Getrennt- und Zusammenschreibung zu beherrschen?
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zu 1. Welche Konstruktionen gehören dem Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung an?
Den Untersuchungsbereich der GZS zu bestimmen, ist ein schwieriges Unterfangen. Denn es geht hier nicht um die Beschreibung von Graphemen, sondern um
größere Einheiten, die Morphemkonstruktionen und Lexeme, aber auch Einheiten der syntaktischen Ebene, die Wortgruppen, umschließen. Die Zugehörigkeit
von Konstruktionen zum Untersuchungsbereich der Getrennt- und Zusammenschreibung wird durch den Grad ihrer zumindest als möglich empfundenen Zusammenschreibung bestimmt. Dieses Kriterium bleibt wiederum recht vage. Die
einfache Vorstellung, Wörter zusammenzuschreiben und Nicht-Wörter getrennt
zu schreiben, verschließt den Blick auf die Problemhaftigkeit des Begriffes Wort.
Zunächst scheint es ein Leichtes, eine Beschreibung des Begriffes Wort zu
finden, denn jeder Muttersprachler hat genaue Vorstellungen von dem, was ein
Wort charakterisiert. Bei genauem Hinsehen und Herausfiltern von prägenden
Merkmalen des Wortes kristallisiert sich jedoch sehr schnell heraus, dass eine
eindeutige Definition recht problematisch ist. Das Wort als die Menge der Elemente, die sich zwischen zwei Spatien befinden, stellt wohl die grundlegendste
Beschreibung dieses Begriffes dar. Aber sie scheint nicht wirklich imstande, die
wahre Problematik dieses Bereiches zu erfassen. Es muss jenseits der Begriffe
Wort und Wortgruppe möglich sein, den Gegenstandsbereich der GZS zu beschreiben (vgl. 2.2).
zu 2. Welche Prinzipien und Grundsätze determinieren den Bereich der GZS?
Da die GZS nicht in den Kernbereich der Orthographie gehört, kann wohl nicht
von einem alleinigen Wirken orthographischer Prinzipien ausgegangen werden.
Somit muss zunächst untersucht werden, welche Prinzipien als die spezifischen
Prinzipien der GZS angenommen werden können. Zudem muss eruiert werden,
ob es Grundsätze gibt, die zur Beschreibung der Wirkmechanismen der GZS
besonders geeignet sind (vgl.2.3).
zu 3. Sind Prozesse, die der GZS zugrunde liegen, wortartenspezifisch?
Die generellen Regeln zur GZS sind nach der Wortart der Basiskonstituente
gegliedert. Das impliziert, dass Prozesse der GZS, die komplexen Konstruktionen zugrunde liegen, wohl von der Wortart der Basiskonstituente abhängen.
Ein Blick auf Konstruktionen, bei denen die Wortarten beider Konstituenten
gleich sind, verdeutlicht bereits in exemplarischer Weise die unterschiedlichen Schreibmöglichkeiten (Tischtuch, Magen-Darm-Katarrh/ blaugrün, weißrot, leicht verdaulich/ kennenlernen, spazieren fahren). Während die erste
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Substantiv-Substantiv-Konstruktion, die als typisches substantivisches Kompositum angesehen werden kann, eindeutig zusammengeschrieben wird, gibt es
bei den Adjektiv-Adjektiv-Konstruktionen sowie den Verb-Verb-Konstruktionen sowohl die Möglichkeit der Zusammen- als auch der Getrenntschreibung,
wobei die Zusammenschreibung bei Verb-Verb-Konstruktionen eher untypisch
ist. Im adjektivischen Bereich und im substantivischen Bereich ist zudem die
Bindestrichschreibung möglich. Schon diese Beispiele offenbaren, dass, abhängig von der Basiskonstituente, wohl jeweils andere Prozesse in den einzelnen
Bereichen wirken und dass die Art sowie die Produktivität von Wortbildungsmustern für die einzelnen Bereiche unterschiedlich ist (vgl. 3.2).
zu 4. Lassen sich für die GZS Beschreibungskriterien herausfiltern, die Übersichtlichkeit, Transparenz sowie Auswertbarkeit einer Analyse ermöglichen?
Bei Betrachtung der Regelungen zur GZS in der 25. Auflage des Dudens ist auffällig, dass ganz verschiedene Kriterien aufgeführt werden. Neben der Wortartenzugehörigkeit der Konstituenten werden semantische, syntaktische, intonatorische
und rein formale Aspekte genannt. Auf die Art der Wortbildungskonstruktion
wird ebenfalls Bezug genommen. Diese Kriterien müssen untersucht werden
auf ihre Praktikabilität für ein Analyseraster, das logisch strukturiert, einfach
handhabbar und auf Sprachlehren und Gebrauchstexte angemessen anwendbar
ist (vgl. 3.3/3.4).
zu 5. Lässt sich die GZS letztlich überhaupt klar regeln?
Im Sinne der doppelten Kodifikation der Orthographie existieren für den Bereich
der GZS sowohl generelle als auch singuläre Regelungen. Während für bestimmte
Bereiche der GZS die Regelung so eindeutig ist, dass es gar keine expliziten Regelungen gibt, so z. B. beim substantivischen Bereich, existieren viele problematische Bereiche, wie es sich auch bei den Orthographiereformen von 1996 und
2006 herauskristallisiert hat. Hier betreffen die orthographischen Regeln neben
generellen vornehmlich eingeschränkt generelle Regeln und Einzelwortfestlegungen. Als „typische Problemfälle der Rechtschreibung“ bezeichnet Fuhrhop
z. B. „Substantiv-Verb-Verbindungen, Adjektiv-Verb-Verbindungen, vereinzelte
Verb-Verb-Verbindungen, Adjektiv-Adjektiv-Verbindungen, nicht-Adjektiv und
nicht-Partizip-Verbindungen, schließlich die Substantiv-Partizip-I-Verbindungen
und Verbindungen mit Stadtadjektiven, insbesondere bei Straßennamen.“ (Fuhrhop, 2007b, 157).
Betrachtet man die Duden-Regelung in der 25. Auflage, wird deutlich, dass
zwar generelle Regeln für ebendiese Fälle aufgeführt werden, für Konstruktionen mit einem Verb, Adjektiv oder Partizip als Basiskonstituente und für
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Konstruktionen mit geografischen Namen auf -er, aber die generellen Regeln
wiederum Aussagen enthalten, die nur gültig sind für eine eingeschränkte Menge der Konstruktionen. Neben diesen Grenzfällen werden Aussagen zur Schreibung von Numeralia und von Konstruktionen aus Präposition und Substantiv
vorgenommen. Andere Regeln werden dagegen ausgespart, z. B. die Schreibung
von Fügungen, die als Konjunktion verwendbar sind (soweit) oder als adverbiale
Wortgruppe fungieren (so weit).
Eine klare Regelung der GZS im Sinne von Eindeutigkeit zu erreichen ist
sicher problematisch. Einerseits wird der Bereich der GZS von zu vielen unterschiedlichen Faktoren determiniert. Andererseits könnte eine optimierte, an
wenigen (und logischen) Grundsätzen orientierte Kodifizierung wiederum usuellen Schreibgewohnheiten entgegenwirken. Diese Problemhaftigkeit beschreibt
Herberg folgendermaßen:
„Die Getrennt- und Zusammenschreibung ist der nach 1996 am stärksten ins Kreuzfeuer
der Reformkritiker geratene Bereich der Neuregelung, denn naturgemäß konnte dieser
besonders schwierige Komplex auch mithilfe des Neuansatzes nicht einfach oder gar
perfekt geregelt werden.“
(Nerius et al., 2007, 177)
Fakt ist, dass aufgrund der Vielschichtigkeit der GZS die Regelungen dieses Bereiches immer viele singuläre Regeln enthalten werden.
zu 6. Ist die Getrennt- und Zusammenschreibung zu beherrschen?
Betrachtet man die jetzige Regelung des Bereiches der GZS, ist die Frage, ob die
GZS für den Schreiber leicht beherrschbar ist, wohl zu verneinen.
Das liegt zum einen sicher in dem Gegenstandsbereich, der Getrennt- und
Zusammenschreibung selbst, vor allem aber in der Kodifizierung dieses Bereiches
begründet.
„[...] Damit wird schon deutlich, dass die Unsicherheiten häufig nicht allein in der Schreibung liegen, sondern in der Grammatik, denn die zu klärende Frage lautet: Liegen Wörter
oder Syntagmen vor? […] Anders als in der Grammatik wird aber in der Schreibung bei
jedem konkreten Fall eine konkrete Entscheidung darüber getroffen, ob es ´mehr´ ein
Wort ist oder ´mehr´ ein Syntagma, denn in einem konkreten Fall kann ein konkreter
Schreiber nur getrennt oder zusammen schreiben: Man kann nicht halb getrennt oder
halb zusammenschreiben. Diese konkrete Entscheidung kann zum Teil gelenkt werden,
ob sie vorgeschrieben werden darf, ist in Einzelfällen zu klären: die Intuition der Schreiber
darf nicht zerstört werden.“ (Fuhrhop, 2007b, 158)
An sich sollte jeder orthographische Bereich für den Schreiber beherrschbar und
die orthographischen Regeln einfach zu handhaben sein. Das scheint bei den in
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der 25. Auflage des Dudens (2009) formulierten Regeln nicht zu funktionieren.
Herberg konstatiert, dass diese im Vergleich zur Regelung aus dem Jahr 1996
vornehmlich durch „inhaltliche, also semantische Kriterien“ charakterisiert seien.
„Die notorisch schwierige Handhabung solcher Kriterien, die aus der alten Regelung
bekannt ist, bringt eine Stärkung der Kodifikation per Einzelfestlegung im Wörterverzeichnis gegenüber der Rolle der Regeln mit sich. Dies auch deshalb, weil in einer nun
größeren Zahl von Fällen sowohl Getrennt- als auch Zusammenschreibung möglich
sind.“ (Herberg in Nerius et al., 2007, 178)
Die Getrennt- und Zusammenschreibung ist also durchaus zu beherrschen, wenn
die Kodifizierung nicht den ihr innewohnenden Gesetzmäßigkeiten entgegensteht.
„Tatsache ist, dass nicht die Schreibung (hier speziell die Getrennt- und Zusammenschreibung) schwierig ist, sondern die grammatischen Strukturen, die dahinter stehen. Schreibprobleme machen die grammatischen Probleme nur sichtbar.“ (Eisenberg, 2013, 327)
1.2 Forschungslage
Die GZS im Sinne eines orthographischen Phänomens wurde lange Zeit recht
stiefmütterlich behandelt. Aus den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts liegen Arbeiten von Herberg (1981, 1983, 1986a, 1986b, 1988), Schaeder (1985), Küttel (1983, 1988) vor. Während sich Herberg im Rahmen seiner Forschungen
verstärkt mit dem Leipziger Duden auseinandersetzte, arbeitete Schaeder auf
dem Gebiet der Entwicklung der GZS im Rechtschreib-Duden von 1880 bis zur
18. Auflage 1980. Küttel untersuchte die Getrennt- und Zusammenschreibungen in Schülertexten mit dem Fokus auf Fehlerschwerpunkten.
Mit dem Beginn der ersten Neuregelung aus dem Jahre 1996 gelangte die GZS
erneut in den Blickpunkt sprachwissenschaftlicher Forschungen. Das beweisen
zahlreiche Publikationen, u. a. von Günther (1997), Gallmann (1997, 1999) zu
bestimmten Teilaspekten und nicht zuletzt die Arbeiten von Jacobs (2005, 2007)
und Fuhrhop (2006, 2007), die sich im Wesentlichen mit dem Gesamtbereich
der GZS beschäftigen. Während Jacobs die GZS einer grammatischen Systemanalyse unterwirft, beschäftigt sich Fuhrhop gerade mit den problembehafteten
Bereichen der GZS. Jacobs untersucht mit Mitteln der Optimalitätstheorie, welche Prozesse die GZS beeinflussen. Deshalb beziehen sich seine Untersuchungen
zunächst auf den Kernbereich der GZS. Er geht davon aus, dass durch den Nachweis bestimmter Gesetzmäßigkeiten, die den Kernbereich der GZS bestimmen,
die Schreibung der GZS insgesamt optimiert werden könnte. Er bewertet vor
dem Hintergrund seiner Ergebnisse der Optimalitätsanalyse das System der alten
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Regelungen zur GZS bis zum Inkrafttreten der Rechtschreibreform 1998 und
das der Regelung von 1998–2006. In Jacobs 2007 werden zudem die Variantenschreibungen der aktuellen Regelung aus sprachwissenschaftlicher Sicht bewertet, indem von vier grundlegenden Schreibvarianten ausgegangen wird. Die von
Fuhrhop untersuchten Grenzfälle der GZS beziehen sich auf komplexe verbale
und adjektivisch-partizipiale Konstruktionen.
Da die Entstehung komplexer Konstruktionen, die den Gegenstandsbereich
der GZS ausmachen, als teilweise sehr produktives Wortbildungsmodell der heutigen Zeit gilt, haben sich in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Arbeiten mit
diesen Phänomenen beschäftigt, vornehmlich jedoch mit dem Fokus auf den
diesen Konstruktionen zugrunde liegenden Wortbildungsmustern. Die Produktivität dieser Wortbildungsprozesse ist besonders im substantivischen und adjektivischen Bereich sehr hoch und offenbart Univerbierungstendenzen. Ursache
dieser Univerbierungstendenzen ist häufig Sprachökonomie, die besonders in
unserem Zeitalter der Informationsflut von essentieller Bedeutung ist. Dabei ist
der Gebrauch bestimmter Wortbildungsmuster zur Bildung komplexer Wörter
nachweisbar.
„Von besonderer Durchschlagskraft und Langzeitwirkung sind in der deutschen Gegenwartssprache – neben Substantiv/Substantiv-Zusammensetzungen – die folgenden
WB-Muster:
1. Substantiv + Adjektiv-Komposita (SAK)
(umweltfreundlich, ausländerfeindlich, kontextabhängig, koalitionsfähig),
2. Substantiv + Partizip I-Komposita (SPI-K)
(kostendeckend, schalldämpfend, vertrauensbildend, schattenspendend),
3. Substantiv + Partizip II-Komposita (SPII-K)
(senderorientiert, kontextbezogen, kalorienreduziert, radargesteuert). (Wilss, 1986, 3)
Mit Univerbierungstendenzen beschäftigt sich auch Lawrenz (1995, 1996,
1997, 2006), die die „Phrasenkomposition“ als produktivstes Wortbildungsmuster ansieht, sich gleichzeitig aber auch mit heutigen Wortbildungsmustern
der „Phrasenderivation“ sowie „Phrasenkonversion“ beschäftigt (eine Neid-aufReichtum-ohne-Leistung-Steuer, eine Kinder-über-Mittag-Betreuung, Vogel-Straußartiges Verhalten, Wir-sind-wieder-Wer).
Substantivische Komposita werden u. a. in den Arbeiten von Scherer (2012),
Borgwaldt (2013) und Schlücker (2014) betrachtet.
Aber auch verbale Wortbildungen stehen aufgrund ihrer besonderen Spezifik
im Zentrum der Forschung. Das beweisen die Publikationen von u. a. Poitou,
Krause, Fritz, Fuhrhop, Eichinger in dem Sammelband „Verbale Wortbildung
im Spannungsfeld zwischen Wortsemantik, Syntax und Rechtschreibung“ (2007),
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der von Kauffer/Métrich herausgegeben worden ist, aber auch Arbeiten von
Pittner (1998), Donalies (1999), Gallmann (1999), Schlotthauer/ Zifonun (2008).
Untersuchungen zu usuellen Getrennt- und Zusammenschreibungen des 18.
und 19. Jahrhunderts sind bis vor wenigen Jahren kaum durchgeführt worden.
Einzelne Untersuchungen, u. a. zu Schreibungen in Texten von Goethe und
Adelung, wurden von Herberg (1983) durchgeführt. Eindeutig hervorzuheben sind in diesem Kontext die kürzlich erschienenen umfangreichen Arbeiten
von Morcinek (2012) sowie Solling (2012). Während sich Morcinek mit der
Getrennt- und Zusammenschreibung komplexer Verbverbindungen in der Zeit
von 1750–1996 beschäftigt, untersucht Solling die Getrennt-, Zusammen- und
Bindestrichschreibung substantivischer Komposita mit substantivischer Erstkonstituente in der Zeit zwischen 1550 und 1710. Damit ist die Arbeit von Solling,
bezogen auf einen Fall substantivischer Komposita, als direkter Vorläufer für die
Untersuchungen in der vorliegenden Arbeit zu werten.
1.3 Methodische Vorgehensweise
Beschäftigungen mit der Getrennt- und Zusammenschreibung sind immer mit
dem Problem verbunden, was als Wort oder Wortgruppe zu gelten hat. Deswegen
ist es zunächst notwendig, eine Bestimmung der Begriffe Wort sowie Wortgruppe
vorzunehmen und zu einer Beschreibung des Gegenstandsbereiches der GZS zu
gelangen. Da die Forschungsarbeiten zum Begriff Wort sehr umfangreich sind
und jeweils durch Bezüge auf ganz unterschiedliche Bedingungsgefüge entstehen,
muss ein für die GZS praktikabler Wortbegriff herausgearbeitet und in Relation
zu dem Begriff Wortgruppe gestellt werden. Von diesen Betrachtungen zum Wort
und zur Wortgruppe ausgehend, wird der Bereich der Gesamtmenge der Wörter
und Wortgruppen mit Bezug auf die GZS eingegrenzt, sodass klar herausgestellt
wird, welche Konstruktionen letztlich in die Untersuchung einbezogen werden.
Anschließend wird ein Analyseraster erarbeitet. Dieses hat die Funktion, die
Darstellung eindeutiger Untersuchungsergebnisse, bezogen auf den Umfang des
zu untersuchenden Textkorpus, zu ermöglichen. Um eine Vergleichbarkeit der
Resultate der Untersuchungen des 18. und 19. Jahrhunderts zu erreichen und
Entwicklungstendenzen aufzeigen zu können, muss das Analyseraster sowohl auf
die Regelwerke als auch auf die zu untersuchenden Gebrauchstexte anwendbar
sein. Es muss klar voneinander abgrenzbare Klassifizierungsgruppen enthalten,
die durch die Beachtung der die Getrennt- und Zusammenschreibung wesentlich beeinflussenden Kriterien entstehen und somit von den unterschiedlichen
sprachwissenschaftlichen Einzelbetrachtungen zur GZS abstrahieren.
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Um ein Analyseraster, das die Grundlage der Untersuchungen zur GZS in
dieser Arbeit bildet, herauszuarbeiten, werden zunächst bestehende Klassifizierungsbeispiele hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Klassifizierungsprinzipien untersucht. Dabei werden Arbeiten von Herberg (1986), Küttel
(1983), Schaeder (1995), Fuhrhop (2007b) betrachtet sowie die Klassifizierung im Duden aus dem Jahre 1991 und der amtlichen Regelungen von 1996
und 2006. Herberg beschäftigte sich vornehmlich mit dem Leipziger Duden
(vgl. Herberg, 1981), Schaeder verstärkt mit der Entwicklung der GZS im
Rechtschreib-Duden von 1880 bis zur 18. Auflage 1980 (vgl. Schaeder, 1985).
Fuhrhop setzt sich mit der Frage auseinander, ob bestimmte komplexe Konstruktionen des Bereiches der Getrennt- und Zusammenschreibung eher als
Wort oder als Syntagma fungieren (vgl. Fuhrhop, 2007b). Untersuchungen zur
GZS in Gebrauchstexten und zum Einfluss der Regelwerke auf die Schreibung
wurden noch nicht hinreichend durchgeführt. Allerdings werden in der Habilitationsschrift Küttels Getrennt- und Zusammenschreibungen in Schülertexten
untersucht. Durch die hier vorgenommene Analyse von usuellen Schreibungen
sind insbesondere Anregungen für die Erarbeitung eines Analyserasters zu erwarten. Außerdem werden die traditionellen und die neuen Regelungen zur
Getrennt- und Zusammenschreibung analysiert. Die Auseinandersetzung mit
der traditionellen Regelung erfolgt durch die Betrachtung der Schreibungsregulative zur Getrennt- und Zusammenschreibung in der 20. Auflage des Dudens
1991, da hier die Linien der Leipziger und Mannheimer Dudenausgaben vereint
werden. Die amtlichen Regelungen der Getrennt- und Zusammenschreibung
von 1996 und 2006 werden in ihrer Strukturierung analysiert, um eine Vergleichbarkeit der Untersuchungsresultate des 18. und 19. Jahrhunderts mit der
heute geltenden amtlichen Regelung zu ermöglichen.
Nach der Analyse der einzelnen Klassifizierungen werden die dem Analyseraster dieser Arbeit zugrunde liegenden Klassifizierungsprinzipien beschrieben und
anschließend wird das Analyseraster vorgestellt. Dieses bildet die Grundlage für
die Untersuchungen von Regelwerken und Gebrauchstexten im 18. und 19. Jahrhundert. Einerseits werden die Betrachtungen zur GZS in den Regelwerken zueinander und zu den usuellen Schreibungen in Beziehung gesetzt, andererseits
werden die Schreibungen der GZS in den Gebrauchstexten auf mögliche sichtbare
Entwicklungslinien hin untersucht.
1.4 Untersuchungszeitraum
Als Untersuchungszeitraum interessant erschien das 18. und 19. Jahrhundert, weil
hier im orthographischen Bereich die ersten Normierungsbemühungen sichtbar
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wurden, die dann in den beiden orthographischen Konferenzen von 1876 und
1901 und der Herausgabe des ersten Dudens gipfelten. Dudens Regelwerk „Vollständiges orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Nach den preußischen und und bayerischen Regeln“, das 1880 in der 1. Auflage in Leipzig erschien,
erreichte nach der II. Orthographischen Konferenz im Jahre 1902 seine 7. Auflage,
jetzt mit dem Titel „Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Nach
den für Deutschland, Österreich und die Schweiz gültigen amtlichen Regeln“.
Bei einem Bezug auf Sprachlehren und orthographische Regelwerke aus dem
Zeitraum des 18. und 19. Jahrhunderts ist die Frage zu klären, ob, in welchem
Umfang und in welchem Bereich Ausführungen zur GZS auszumachen sind. Zudem ist zu analysieren, ob die Regelungsempfehlungen zur GZS eher deskriptiven
oder bereits präskriptiven Charakter aufweisen.
Den Anfangspunkt der Untersuchungen zu den Regelwerken bildet Freyers
„Anweisung zur Teutschen Orthographie“ aus dem Jahre 1722, den Endpunkt
Wilmanns’ Werk „Die Orthographie in den Schulen Deutschlands. Zweite, umgearbeitete Ausgabe des Kommentars zur Preußischen Schulorthographie“ aus
dem Jahre 1887. Daneben werden Gebrauchstexte aus beiden Jahrhunderten hinsichtlich der hier vorkommenden Schreibungen im Bereich der GZS untersucht.
Ein Blick auf zwei Jahrhunderte hat gewisse Vorteile, da Entwicklungslinien pa­
rallel untersucht werden können. Der Nachteil besteht in der geringeren Quantität
der zu untersuchenden usuellen Texte im jeweiligen Jahrhundert. Diesem soll
entgegengewirkt werden durch das Einbeziehen temporaler, regionaler sowie
textsortenspezifischer Aspekte. Für die Gebrauchstexte werden für das 18. Jahrhundert folgende zeitliche Zäsuren genutzt: um 1720, um 1750, um 1780, um
1800, und für das 19. Jahrhundert in analoger Weise: um 1820, um 1850, um
1880 und um 1900. Jeweils vier Texte pro Zeitraum mit einem Umfang von ca.
4000 Wörtern werden in die Untersuchungen zur GZS einbezogen. Im 18. Jahrhundert werden Texte aus nord-, oberdeutschen, west- und ostmitteldeutschen
Druckereien genutzt, die zudem verschiedenen Texttypen entsprechen. So werden narrativ-deskriptive, faktisch-deskriptive sowie publizistische Texte in die
Untersuchungen einbezogen. Für das 19. Jahrhundert wird auf die Beachtung
einer regionalen Zugehörigkeit verzichtet, da sich als Auswertung der Untersuchungen zum 18. Jahrhundert zeigte, dass die Zugehörigkeit eines Textes zu einem
bestimmten Gebiet bereits am Ende des 18. Jahrhunderts keinen nachweisbaren
Einfluss auf die GZS innerhalb des Textes hatte. Somit werden im 19. Jahrhundert
vornehmlich temporale und textsortenspezifische Aspekte bei der Auswahl der
Gebrauchstexte beachtet.
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Bei der Auswahl der Regelwerke wurden solche Autoren einbezogen, die
nachweislich einen großen Einfluss auf die orthographischen Bemühungen der
damaligen Zeit hatten und die zu den vorherrschenden Richtungen der Orthographieentwicklung zu zählen sind. So werden im 18. Jahrhundert Regelwerke
von Freyer (1722), Aichinger (1754), Gottsched (1762), Heynatz (1770,
1772) und Adelung (1788), im 19. Jahrhundert von Heyse (1820), Bauer (1827,
1828), Becker (1824, 1839, 1842/43), Sanders (1878), Duden (1872), Raumer
(1855, 1876) und Wilmanns (1878, 1880, 1887) hinsichtlich ihrer Ausführungen
zur GZS untersucht.
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