1 Einleitung 1.1 Thema der Untersuchung 1.1.1 Gegenstand und Zielsetzung Im Fokus dieser Arbeit stehen Schreibungen von Konstruktionen, die dem Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung (GZS) aller Wortarten zugehörig sind. Es wird der Versuch unternommen, Tendenzen der Getrennt- und Zusammenschreibung in Regelwerken und Gebrauchstexten des 18. und 19. Jahrhunderts herauszufiltern. Dabei werden die Schreibungen sowohl hinsichtlich der ihnen eigenen Gesetzmäßigkeiten analysiert als auch hinsichtlich ihrer Relation zu zeitgenössischen Schreibanweisungen und zur heutigen Regelung der GZS. In der Entwicklung der deutschen Orthographie im 18. und 19. Jahrhundert ist die Getrennt- und Zusammenschreibung immer nur am Rande betrachtet worden. Untersuchungen zu Schreibweisen besaßen vor allem deskriptiven Charakter, Schreibvorschläge blieben auf das einzelne Regelwerk beschränkt. Offizielle Normierungsvorschläge gab es weder in den Bekanntmachungen der I. Orthographischen Konferenz von 1876 noch in den Festlegungen der II. Orthographischen Konferenz aus dem Jahre 1901. Aus diesem Grund besaß Dudens „Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache“ aus dem Jahre 1880 auch in den Auflagen nach 1901 keine Regelungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung. Schreibungsregulative wurden einzig durch die Lemmata angegeben. Da der Wunsch der Sprachgemeinschaft nach möglichst geringer Anzahl an Varianten in der Schreibung und Klarheit in den Regelvorgaben gerade durch den formulierten Anspruch einer Einheitsorthographie ausgeprägt war, wurden durch die Verlagsredaktion des Dudens dem Rechtschreibwörterbuch Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung hinzugefügt. Diese Schreibungsregulative waren am Usus orientierte Regelungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung, die im Verlauf der Zeit jedoch normativen Charakter gewannen. Zum Gegenstand einer amtlichen Regelung wurde die Getrennt- und Zusammenschreibung aber erst im Jahre 1996. Gerade die Regelung dieses Bereiches war einer scharfen Kritik ausgesetzt, sodass die Neuerungen der 2006 ausgearbeiteten amtlichen Regelung vor allem diesen Bereich betrafen. Auffällig an der Neuregelung aus dem Jahre 2006 ist die große Menge an Variantenschreibungen, die dem oben formulierten Wunsch der Sprachgemeinschaft nach möglichst wenigen Varianten entgegensteht und nach Jacobs die Uneinheitlichkeit der GZS befördert: 11 „Im übrigen wäre es natürlich erfreulich, wenn zukünftige Verbesserungen der Variantenbehandlung nicht erst durch institutionell nachgeordnete Wörterbuch-Redaktionen initiiert werden müßten, sondern schon in der Kodifikation selbst angelegt wären. Eine Voraussetzung dafür wäre eine klare und genaue Kennzeichnung von Varianten im Regeltext, insbesondere im Hinblick darauf, ob sie frei oder an bestimmte Lesarten oder Konstruktionen gebunden sind.“ (Jacobs, 2007, 79) Dieser Umstand verdeutlicht bereits die Problematik einer Normierung dieses orthographischen Bereiches. Die Erarbeitung von Regelungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung gestaltet sich als ein schwieriger Prozess, da neben graphischen Aspekten auch die Bereiche der Phonologie, Semantik, Wortbildung und Syntax nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Aus diesem Grund sind Normierungsvorschläge der Getrennt- und Zusammenschreibung auch in besonderem Maße von der sprachwissenschaftlichen Schule bestimmt, vor derem Hintergrund sie ausgearbeitet werden. Eine Vergleichbarkeit der Regelungsempfehlungen und vor allem eine Konsensentscheidung im Rahmen einer offiziellen Entscheidung werden dadurch erschwert. Denn die Hervorhebung entweder des einen oder des anderen sprachwissenschaftlichen Aspektes führt als Konsequenz zu einer vollkommen unterschiedlichen Betrachtung der Getrennt- und Zusammenschreibung. Untersuchungen zu diesem Gegenstand in Regelwerken aus dem 18. und 19. Jahrhundert müssen deshalb auch immer das dahinter stehende Konzept beleuchten, um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu ermöglichen. Um Regelungsempfehlungen zu dem tatsächlichen Schreibgebrauch in Relation setzen zu können, muss eine von den Ausführungen in den einzelnen Regelwerken abstrahierende Untersuchungsmethode gefunden und ein eigenes Analyseraster konzipiert werden. Hierin besteht eine große Schwierigkeit dieser Arbeit, die in den Besonderheiten des Bereiches der GZS, der häufig nicht als orthographischer, sondern im Kern als grammatischer Bereich angesehen wird, begründet liegt. Das bedeutet, dass orthographische Prinzipien, die für andere Bereiche der Orthographie, z. B. den Bereich der Groß- und Kleinschreibung, als praktikabel erscheinen, hier nicht bzw. nicht ausreichend Anwendung finden. Das wird zudem durch den Fakt erschwert, dass in Arbeiten zur GZS keine einheitlichen Systematisierungen vorliegen, sowohl in Bezug auf die zugrunde gelegten Prinzipien als auch auf die Klassifizierungsgruppen. Sehr oft werden einzelne Typen der GZS und zum Teil Einzelfallschreibungen thematisiert. Im Wesentlichen wird hier der Blick auf die sogenannten Grenzfälle der GZS gelenkt. Bei der Erarbeitung eines Analyserasters im Rahmen dieser Arbeit ist jedoch zu beachten, dass die GZS in Regelwerken und Gebrauchstexten des 18. und 19. Jahrhunderts untersucht wird und alle Schreibungen dieses Bereiches erfasst werden sollen. Das heißt auch, 12 dass bestimmte, für die heutige Zeit geltende Wortbildungsmuster zu dieser Zeit möglicherweise noch nicht existiert haben. Erste Überlegungen für diese Arbeit wurden bereits 2002 in Angriff genommen. Der anfängliche Ansatz, der GZS inhärente Grundsätze zu erkennen und zu formulieren und darauf aufbauend ein Analyseraster für die Untersuchungen zur GZS zu erstellen, konnte durch die Arbeiten von Jacobs (2005) und insbesondere von Fuhrhop (2006, 2007) weiterentwickelt werden. Diese Arbeiten haben motiviert, den einmal eingeschlagenen Weg weiter zu beschreiten. 1.1.2 Problembereiche Zur Skizzierung der Schwierigkeiten der GZS sei Herberg in Nerius et al. zitiert: „Insgesamt erweist es sich, dass die Getrennt- und Zusammenschreibung auch nach der Neuregelung von 1996/2006 ein schwieriger und komplizierter Teilbereich der deutschen Orthographie bleibt, in dem sprachliche Veränderungen und eindeutige Regelungen behutsam ausbalanciert werden müssen und in dem somit auch gewisse Variationsmöglichkeiten für den Sprachbenutzer unerlässlich sind.“ (Nerius et al., 2007, 187) Diese hier beschriebene Schwierigkeit eröffnet sich aus der besonderen Prägung des Bereiches der GZS, der zwar orthographisch geregelt werden muss, aber eigentlich nicht in den Kernbereich der Orthographie zu gehören scheint. Das offenbart sich bereits im 18. und 19. Jahrhundert, denn nur wenige Orthographielehren widmen sich dem Bereich der GZS. Dafür gibt es zahlreiche Grammatiken und Sprachlehren, die sich dem Problem annehmen, aber kaum Schreibungsregulative formulieren. Auch neuere Arbeiten im Bereich der Orthographie, von Günther (1997), Jacobs (2005) und Fuhrhop (2007b), fokussieren eher die grammatischen Grundlagen der GZS. Aus der Stellung der GZS zwischen den Forderungen der Orthographie einerseits und den grammatischen Funktionsmechanismen der GZS andererseits eröffnen sich folgende Problembereiche: 1. Welche Konstruktionen gehören dem Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung an? 2. Welche Prinzipien und Grundsätze determinieren den Bereich der GZS? 3. Sind Prozesse, die der GZS zugrunde liegen, wortartenspezifisch? 4. Lassen sich für die GZS Beschreibungskriterien herausfiltern, die Übersichtlichkeit, Transparenz sowie Auswertbarkeit einer Analyse ermöglichen? 5. Lässt sich die GZS letztlich überhaupt klar regeln? 6. Ist die Getrennt- und Zusammenschreibung zu beherrschen? 13 zu 1. Welche Konstruktionen gehören dem Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung an? Den Untersuchungsbereich der GZS zu bestimmen, ist ein schwieriges Unterfangen. Denn es geht hier nicht um die Beschreibung von Graphemen, sondern um größere Einheiten, die Morphemkonstruktionen und Lexeme, aber auch Einheiten der syntaktischen Ebene, die Wortgruppen, umschließen. Die Zugehörigkeit von Konstruktionen zum Untersuchungsbereich der Getrennt- und Zusammenschreibung wird durch den Grad ihrer zumindest als möglich empfundenen Zusammenschreibung bestimmt. Dieses Kriterium bleibt wiederum recht vage. Die einfache Vorstellung, Wörter zusammenzuschreiben und Nicht-Wörter getrennt zu schreiben, verschließt den Blick auf die Problemhaftigkeit des Begriffes Wort. Zunächst scheint es ein Leichtes, eine Beschreibung des Begriffes Wort zu finden, denn jeder Muttersprachler hat genaue Vorstellungen von dem, was ein Wort charakterisiert. Bei genauem Hinsehen und Herausfiltern von prägenden Merkmalen des Wortes kristallisiert sich jedoch sehr schnell heraus, dass eine eindeutige Definition recht problematisch ist. Das Wort als die Menge der Elemente, die sich zwischen zwei Spatien befinden, stellt wohl die grundlegendste Beschreibung dieses Begriffes dar. Aber sie scheint nicht wirklich imstande, die wahre Problematik dieses Bereiches zu erfassen. Es muss jenseits der Begriffe Wort und Wortgruppe möglich sein, den Gegenstandsbereich der GZS zu beschreiben (vgl. 2.2). zu 2. Welche Prinzipien und Grundsätze determinieren den Bereich der GZS? Da die GZS nicht in den Kernbereich der Orthographie gehört, kann wohl nicht von einem alleinigen Wirken orthographischer Prinzipien ausgegangen werden. Somit muss zunächst untersucht werden, welche Prinzipien als die spezifischen Prinzipien der GZS angenommen werden können. Zudem muss eruiert werden, ob es Grundsätze gibt, die zur Beschreibung der Wirkmechanismen der GZS besonders geeignet sind (vgl.2.3). zu 3. Sind Prozesse, die der GZS zugrunde liegen, wortartenspezifisch? Die generellen Regeln zur GZS sind nach der Wortart der Basiskonstituente gegliedert. Das impliziert, dass Prozesse der GZS, die komplexen Konstruktionen zugrunde liegen, wohl von der Wortart der Basiskonstituente abhängen. Ein Blick auf Konstruktionen, bei denen die Wortarten beider Konstituenten gleich sind, verdeutlicht bereits in exemplarischer Weise die unterschiedlichen Schreibmöglichkeiten (Tischtuch, Magen-Darm-Katarrh/ blaugrün, weißrot, leicht verdaulich/ kennenlernen, spazieren fahren). Während die erste 14 Substantiv-Substantiv-Konstruktion, die als typisches substantivisches Kompositum angesehen werden kann, eindeutig zusammengeschrieben wird, gibt es bei den Adjektiv-Adjektiv-Konstruktionen sowie den Verb-Verb-Konstruktionen sowohl die Möglichkeit der Zusammen- als auch der Getrenntschreibung, wobei die Zusammenschreibung bei Verb-Verb-Konstruktionen eher untypisch ist. Im adjektivischen Bereich und im substantivischen Bereich ist zudem die Bindestrichschreibung möglich. Schon diese Beispiele offenbaren, dass, abhängig von der Basiskonstituente, wohl jeweils andere Prozesse in den einzelnen Bereichen wirken und dass die Art sowie die Produktivität von Wortbildungsmustern für die einzelnen Bereiche unterschiedlich ist (vgl. 3.2). zu 4. Lassen sich für die GZS Beschreibungskriterien herausfiltern, die Übersichtlichkeit, Transparenz sowie Auswertbarkeit einer Analyse ermöglichen? Bei Betrachtung der Regelungen zur GZS in der 25. Auflage des Dudens ist auffällig, dass ganz verschiedene Kriterien aufgeführt werden. Neben der Wortartenzugehörigkeit der Konstituenten werden semantische, syntaktische, intonatorische und rein formale Aspekte genannt. Auf die Art der Wortbildungskonstruktion wird ebenfalls Bezug genommen. Diese Kriterien müssen untersucht werden auf ihre Praktikabilität für ein Analyseraster, das logisch strukturiert, einfach handhabbar und auf Sprachlehren und Gebrauchstexte angemessen anwendbar ist (vgl. 3.3/3.4). zu 5. Lässt sich die GZS letztlich überhaupt klar regeln? Im Sinne der doppelten Kodifikation der Orthographie existieren für den Bereich der GZS sowohl generelle als auch singuläre Regelungen. Während für bestimmte Bereiche der GZS die Regelung so eindeutig ist, dass es gar keine expliziten Regelungen gibt, so z. B. beim substantivischen Bereich, existieren viele problematische Bereiche, wie es sich auch bei den Orthographiereformen von 1996 und 2006 herauskristallisiert hat. Hier betreffen die orthographischen Regeln neben generellen vornehmlich eingeschränkt generelle Regeln und Einzelwortfestlegungen. Als „typische Problemfälle der Rechtschreibung“ bezeichnet Fuhrhop z. B. „Substantiv-Verb-Verbindungen, Adjektiv-Verb-Verbindungen, vereinzelte Verb-Verb-Verbindungen, Adjektiv-Adjektiv-Verbindungen, nicht-Adjektiv und nicht-Partizip-Verbindungen, schließlich die Substantiv-Partizip-I-Verbindungen und Verbindungen mit Stadtadjektiven, insbesondere bei Straßennamen.“ (Fuhrhop, 2007b, 157). Betrachtet man die Duden-Regelung in der 25. Auflage, wird deutlich, dass zwar generelle Regeln für ebendiese Fälle aufgeführt werden, für Konstruktionen mit einem Verb, Adjektiv oder Partizip als Basiskonstituente und für 15 Konstruktionen mit geografischen Namen auf -er, aber die generellen Regeln wiederum Aussagen enthalten, die nur gültig sind für eine eingeschränkte Menge der Konstruktionen. Neben diesen Grenzfällen werden Aussagen zur Schreibung von Numeralia und von Konstruktionen aus Präposition und Substantiv vorgenommen. Andere Regeln werden dagegen ausgespart, z. B. die Schreibung von Fügungen, die als Konjunktion verwendbar sind (soweit) oder als adverbiale Wortgruppe fungieren (so weit). Eine klare Regelung der GZS im Sinne von Eindeutigkeit zu erreichen ist sicher problematisch. Einerseits wird der Bereich der GZS von zu vielen unterschiedlichen Faktoren determiniert. Andererseits könnte eine optimierte, an wenigen (und logischen) Grundsätzen orientierte Kodifizierung wiederum usuellen Schreibgewohnheiten entgegenwirken. Diese Problemhaftigkeit beschreibt Herberg folgendermaßen: „Die Getrennt- und Zusammenschreibung ist der nach 1996 am stärksten ins Kreuzfeuer der Reformkritiker geratene Bereich der Neuregelung, denn naturgemäß konnte dieser besonders schwierige Komplex auch mithilfe des Neuansatzes nicht einfach oder gar perfekt geregelt werden.“ (Nerius et al., 2007, 177) Fakt ist, dass aufgrund der Vielschichtigkeit der GZS die Regelungen dieses Bereiches immer viele singuläre Regeln enthalten werden. zu 6. Ist die Getrennt- und Zusammenschreibung zu beherrschen? Betrachtet man die jetzige Regelung des Bereiches der GZS, ist die Frage, ob die GZS für den Schreiber leicht beherrschbar ist, wohl zu verneinen. Das liegt zum einen sicher in dem Gegenstandsbereich, der Getrennt- und Zusammenschreibung selbst, vor allem aber in der Kodifizierung dieses Bereiches begründet. „[...] Damit wird schon deutlich, dass die Unsicherheiten häufig nicht allein in der Schreibung liegen, sondern in der Grammatik, denn die zu klärende Frage lautet: Liegen Wörter oder Syntagmen vor? […] Anders als in der Grammatik wird aber in der Schreibung bei jedem konkreten Fall eine konkrete Entscheidung darüber getroffen, ob es ´mehr´ ein Wort ist oder ´mehr´ ein Syntagma, denn in einem konkreten Fall kann ein konkreter Schreiber nur getrennt oder zusammen schreiben: Man kann nicht halb getrennt oder halb zusammenschreiben. Diese konkrete Entscheidung kann zum Teil gelenkt werden, ob sie vorgeschrieben werden darf, ist in Einzelfällen zu klären: die Intuition der Schreiber darf nicht zerstört werden.“ (Fuhrhop, 2007b, 158) An sich sollte jeder orthographische Bereich für den Schreiber beherrschbar und die orthographischen Regeln einfach zu handhaben sein. Das scheint bei den in 16 der 25. Auflage des Dudens (2009) formulierten Regeln nicht zu funktionieren. Herberg konstatiert, dass diese im Vergleich zur Regelung aus dem Jahr 1996 vornehmlich durch „inhaltliche, also semantische Kriterien“ charakterisiert seien. „Die notorisch schwierige Handhabung solcher Kriterien, die aus der alten Regelung bekannt ist, bringt eine Stärkung der Kodifikation per Einzelfestlegung im Wörterverzeichnis gegenüber der Rolle der Regeln mit sich. Dies auch deshalb, weil in einer nun größeren Zahl von Fällen sowohl Getrennt- als auch Zusammenschreibung möglich sind.“ (Herberg in Nerius et al., 2007, 178) Die Getrennt- und Zusammenschreibung ist also durchaus zu beherrschen, wenn die Kodifizierung nicht den ihr innewohnenden Gesetzmäßigkeiten entgegensteht. „Tatsache ist, dass nicht die Schreibung (hier speziell die Getrennt- und Zusammenschreibung) schwierig ist, sondern die grammatischen Strukturen, die dahinter stehen. Schreibprobleme machen die grammatischen Probleme nur sichtbar.“ (Eisenberg, 2013, 327) 1.2 Forschungslage Die GZS im Sinne eines orthographischen Phänomens wurde lange Zeit recht stiefmütterlich behandelt. Aus den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts liegen Arbeiten von Herberg (1981, 1983, 1986a, 1986b, 1988), Schaeder (1985), Küttel (1983, 1988) vor. Während sich Herberg im Rahmen seiner Forschungen verstärkt mit dem Leipziger Duden auseinandersetzte, arbeitete Schaeder auf dem Gebiet der Entwicklung der GZS im Rechtschreib-Duden von 1880 bis zur 18. Auflage 1980. Küttel untersuchte die Getrennt- und Zusammenschreibungen in Schülertexten mit dem Fokus auf Fehlerschwerpunkten. Mit dem Beginn der ersten Neuregelung aus dem Jahre 1996 gelangte die GZS erneut in den Blickpunkt sprachwissenschaftlicher Forschungen. Das beweisen zahlreiche Publikationen, u. a. von Günther (1997), Gallmann (1997, 1999) zu bestimmten Teilaspekten und nicht zuletzt die Arbeiten von Jacobs (2005, 2007) und Fuhrhop (2006, 2007), die sich im Wesentlichen mit dem Gesamtbereich der GZS beschäftigen. Während Jacobs die GZS einer grammatischen Systemanalyse unterwirft, beschäftigt sich Fuhrhop gerade mit den problembehafteten Bereichen der GZS. Jacobs untersucht mit Mitteln der Optimalitätstheorie, welche Prozesse die GZS beeinflussen. Deshalb beziehen sich seine Untersuchungen zunächst auf den Kernbereich der GZS. Er geht davon aus, dass durch den Nachweis bestimmter Gesetzmäßigkeiten, die den Kernbereich der GZS bestimmen, die Schreibung der GZS insgesamt optimiert werden könnte. Er bewertet vor dem Hintergrund seiner Ergebnisse der Optimalitätsanalyse das System der alten 17 Regelungen zur GZS bis zum Inkrafttreten der Rechtschreibreform 1998 und das der Regelung von 1998–2006. In Jacobs 2007 werden zudem die Variantenschreibungen der aktuellen Regelung aus sprachwissenschaftlicher Sicht bewertet, indem von vier grundlegenden Schreibvarianten ausgegangen wird. Die von Fuhrhop untersuchten Grenzfälle der GZS beziehen sich auf komplexe verbale und adjektivisch-partizipiale Konstruktionen. Da die Entstehung komplexer Konstruktionen, die den Gegenstandsbereich der GZS ausmachen, als teilweise sehr produktives Wortbildungsmodell der heutigen Zeit gilt, haben sich in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Arbeiten mit diesen Phänomenen beschäftigt, vornehmlich jedoch mit dem Fokus auf den diesen Konstruktionen zugrunde liegenden Wortbildungsmustern. Die Produktivität dieser Wortbildungsprozesse ist besonders im substantivischen und adjektivischen Bereich sehr hoch und offenbart Univerbierungstendenzen. Ursache dieser Univerbierungstendenzen ist häufig Sprachökonomie, die besonders in unserem Zeitalter der Informationsflut von essentieller Bedeutung ist. Dabei ist der Gebrauch bestimmter Wortbildungsmuster zur Bildung komplexer Wörter nachweisbar. „Von besonderer Durchschlagskraft und Langzeitwirkung sind in der deutschen Gegenwartssprache – neben Substantiv/Substantiv-Zusammensetzungen – die folgenden WB-Muster: 1. Substantiv + Adjektiv-Komposita (SAK) (umweltfreundlich, ausländerfeindlich, kontextabhängig, koalitionsfähig), 2. Substantiv + Partizip I-Komposita (SPI-K) (kostendeckend, schalldämpfend, vertrauensbildend, schattenspendend), 3. Substantiv + Partizip II-Komposita (SPII-K) (senderorientiert, kontextbezogen, kalorienreduziert, radargesteuert). (Wilss, 1986, 3) Mit Univerbierungstendenzen beschäftigt sich auch Lawrenz (1995, 1996, 1997, 2006), die die „Phrasenkomposition“ als produktivstes Wortbildungsmuster ansieht, sich gleichzeitig aber auch mit heutigen Wortbildungsmustern der „Phrasenderivation“ sowie „Phrasenkonversion“ beschäftigt (eine Neid-aufReichtum-ohne-Leistung-Steuer, eine Kinder-über-Mittag-Betreuung, Vogel-Straußartiges Verhalten, Wir-sind-wieder-Wer). Substantivische Komposita werden u. a. in den Arbeiten von Scherer (2012), Borgwaldt (2013) und Schlücker (2014) betrachtet. Aber auch verbale Wortbildungen stehen aufgrund ihrer besonderen Spezifik im Zentrum der Forschung. Das beweisen die Publikationen von u. a. Poitou, Krause, Fritz, Fuhrhop, Eichinger in dem Sammelband „Verbale Wortbildung im Spannungsfeld zwischen Wortsemantik, Syntax und Rechtschreibung“ (2007), 18 der von Kauffer/Métrich herausgegeben worden ist, aber auch Arbeiten von Pittner (1998), Donalies (1999), Gallmann (1999), Schlotthauer/ Zifonun (2008). Untersuchungen zu usuellen Getrennt- und Zusammenschreibungen des 18. und 19. Jahrhunderts sind bis vor wenigen Jahren kaum durchgeführt worden. Einzelne Untersuchungen, u. a. zu Schreibungen in Texten von Goethe und Adelung, wurden von Herberg (1983) durchgeführt. Eindeutig hervorzuheben sind in diesem Kontext die kürzlich erschienenen umfangreichen Arbeiten von Morcinek (2012) sowie Solling (2012). Während sich Morcinek mit der Getrennt- und Zusammenschreibung komplexer Verbverbindungen in der Zeit von 1750–1996 beschäftigt, untersucht Solling die Getrennt-, Zusammen- und Bindestrichschreibung substantivischer Komposita mit substantivischer Erstkonstituente in der Zeit zwischen 1550 und 1710. Damit ist die Arbeit von Solling, bezogen auf einen Fall substantivischer Komposita, als direkter Vorläufer für die Untersuchungen in der vorliegenden Arbeit zu werten. 1.3 Methodische Vorgehensweise Beschäftigungen mit der Getrennt- und Zusammenschreibung sind immer mit dem Problem verbunden, was als Wort oder Wortgruppe zu gelten hat. Deswegen ist es zunächst notwendig, eine Bestimmung der Begriffe Wort sowie Wortgruppe vorzunehmen und zu einer Beschreibung des Gegenstandsbereiches der GZS zu gelangen. Da die Forschungsarbeiten zum Begriff Wort sehr umfangreich sind und jeweils durch Bezüge auf ganz unterschiedliche Bedingungsgefüge entstehen, muss ein für die GZS praktikabler Wortbegriff herausgearbeitet und in Relation zu dem Begriff Wortgruppe gestellt werden. Von diesen Betrachtungen zum Wort und zur Wortgruppe ausgehend, wird der Bereich der Gesamtmenge der Wörter und Wortgruppen mit Bezug auf die GZS eingegrenzt, sodass klar herausgestellt wird, welche Konstruktionen letztlich in die Untersuchung einbezogen werden. Anschließend wird ein Analyseraster erarbeitet. Dieses hat die Funktion, die Darstellung eindeutiger Untersuchungsergebnisse, bezogen auf den Umfang des zu untersuchenden Textkorpus, zu ermöglichen. Um eine Vergleichbarkeit der Resultate der Untersuchungen des 18. und 19. Jahrhunderts zu erreichen und Entwicklungstendenzen aufzeigen zu können, muss das Analyseraster sowohl auf die Regelwerke als auch auf die zu untersuchenden Gebrauchstexte anwendbar sein. Es muss klar voneinander abgrenzbare Klassifizierungsgruppen enthalten, die durch die Beachtung der die Getrennt- und Zusammenschreibung wesentlich beeinflussenden Kriterien entstehen und somit von den unterschiedlichen sprachwissenschaftlichen Einzelbetrachtungen zur GZS abstrahieren. 19 Um ein Analyseraster, das die Grundlage der Untersuchungen zur GZS in dieser Arbeit bildet, herauszuarbeiten, werden zunächst bestehende Klassifizierungsbeispiele hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Klassifizierungsprinzipien untersucht. Dabei werden Arbeiten von Herberg (1986), Küttel (1983), Schaeder (1995), Fuhrhop (2007b) betrachtet sowie die Klassifizierung im Duden aus dem Jahre 1991 und der amtlichen Regelungen von 1996 und 2006. Herberg beschäftigte sich vornehmlich mit dem Leipziger Duden (vgl. Herberg, 1981), Schaeder verstärkt mit der Entwicklung der GZS im Rechtschreib-Duden von 1880 bis zur 18. Auflage 1980 (vgl. Schaeder, 1985). Fuhrhop setzt sich mit der Frage auseinander, ob bestimmte komplexe Konstruktionen des Bereiches der Getrennt- und Zusammenschreibung eher als Wort oder als Syntagma fungieren (vgl. Fuhrhop, 2007b). Untersuchungen zur GZS in Gebrauchstexten und zum Einfluss der Regelwerke auf die Schreibung wurden noch nicht hinreichend durchgeführt. Allerdings werden in der Habilitationsschrift Küttels Getrennt- und Zusammenschreibungen in Schülertexten untersucht. Durch die hier vorgenommene Analyse von usuellen Schreibungen sind insbesondere Anregungen für die Erarbeitung eines Analyserasters zu erwarten. Außerdem werden die traditionellen und die neuen Regelungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung analysiert. Die Auseinandersetzung mit der traditionellen Regelung erfolgt durch die Betrachtung der Schreibungsregulative zur Getrennt- und Zusammenschreibung in der 20. Auflage des Dudens 1991, da hier die Linien der Leipziger und Mannheimer Dudenausgaben vereint werden. Die amtlichen Regelungen der Getrennt- und Zusammenschreibung von 1996 und 2006 werden in ihrer Strukturierung analysiert, um eine Vergleichbarkeit der Untersuchungsresultate des 18. und 19. Jahrhunderts mit der heute geltenden amtlichen Regelung zu ermöglichen. Nach der Analyse der einzelnen Klassifizierungen werden die dem Analyseraster dieser Arbeit zugrunde liegenden Klassifizierungsprinzipien beschrieben und anschließend wird das Analyseraster vorgestellt. Dieses bildet die Grundlage für die Untersuchungen von Regelwerken und Gebrauchstexten im 18. und 19. Jahrhundert. Einerseits werden die Betrachtungen zur GZS in den Regelwerken zueinander und zu den usuellen Schreibungen in Beziehung gesetzt, andererseits werden die Schreibungen der GZS in den Gebrauchstexten auf mögliche sichtbare Entwicklungslinien hin untersucht. 1.4 Untersuchungszeitraum Als Untersuchungszeitraum interessant erschien das 18. und 19. Jahrhundert, weil hier im orthographischen Bereich die ersten Normierungsbemühungen sichtbar 20 wurden, die dann in den beiden orthographischen Konferenzen von 1876 und 1901 und der Herausgabe des ersten Dudens gipfelten. Dudens Regelwerk „Vollständiges orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Nach den preußischen und und bayerischen Regeln“, das 1880 in der 1. Auflage in Leipzig erschien, erreichte nach der II. Orthographischen Konferenz im Jahre 1902 seine 7. Auflage, jetzt mit dem Titel „Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Nach den für Deutschland, Österreich und die Schweiz gültigen amtlichen Regeln“. Bei einem Bezug auf Sprachlehren und orthographische Regelwerke aus dem Zeitraum des 18. und 19. Jahrhunderts ist die Frage zu klären, ob, in welchem Umfang und in welchem Bereich Ausführungen zur GZS auszumachen sind. Zudem ist zu analysieren, ob die Regelungsempfehlungen zur GZS eher deskriptiven oder bereits präskriptiven Charakter aufweisen. Den Anfangspunkt der Untersuchungen zu den Regelwerken bildet Freyers „Anweisung zur Teutschen Orthographie“ aus dem Jahre 1722, den Endpunkt Wilmanns’ Werk „Die Orthographie in den Schulen Deutschlands. Zweite, umgearbeitete Ausgabe des Kommentars zur Preußischen Schulorthographie“ aus dem Jahre 1887. Daneben werden Gebrauchstexte aus beiden Jahrhunderten hinsichtlich der hier vorkommenden Schreibungen im Bereich der GZS untersucht. Ein Blick auf zwei Jahrhunderte hat gewisse Vorteile, da Entwicklungslinien pa rallel untersucht werden können. Der Nachteil besteht in der geringeren Quantität der zu untersuchenden usuellen Texte im jeweiligen Jahrhundert. Diesem soll entgegengewirkt werden durch das Einbeziehen temporaler, regionaler sowie textsortenspezifischer Aspekte. Für die Gebrauchstexte werden für das 18. Jahrhundert folgende zeitliche Zäsuren genutzt: um 1720, um 1750, um 1780, um 1800, und für das 19. Jahrhundert in analoger Weise: um 1820, um 1850, um 1880 und um 1900. Jeweils vier Texte pro Zeitraum mit einem Umfang von ca. 4000 Wörtern werden in die Untersuchungen zur GZS einbezogen. Im 18. Jahrhundert werden Texte aus nord-, oberdeutschen, west- und ostmitteldeutschen Druckereien genutzt, die zudem verschiedenen Texttypen entsprechen. So werden narrativ-deskriptive, faktisch-deskriptive sowie publizistische Texte in die Untersuchungen einbezogen. Für das 19. Jahrhundert wird auf die Beachtung einer regionalen Zugehörigkeit verzichtet, da sich als Auswertung der Untersuchungen zum 18. Jahrhundert zeigte, dass die Zugehörigkeit eines Textes zu einem bestimmten Gebiet bereits am Ende des 18. Jahrhunderts keinen nachweisbaren Einfluss auf die GZS innerhalb des Textes hatte. Somit werden im 19. Jahrhundert vornehmlich temporale und textsortenspezifische Aspekte bei der Auswahl der Gebrauchstexte beachtet. 21 Bei der Auswahl der Regelwerke wurden solche Autoren einbezogen, die nachweislich einen großen Einfluss auf die orthographischen Bemühungen der damaligen Zeit hatten und die zu den vorherrschenden Richtungen der Orthographieentwicklung zu zählen sind. So werden im 18. Jahrhundert Regelwerke von Freyer (1722), Aichinger (1754), Gottsched (1762), Heynatz (1770, 1772) und Adelung (1788), im 19. Jahrhundert von Heyse (1820), Bauer (1827, 1828), Becker (1824, 1839, 1842/43), Sanders (1878), Duden (1872), Raumer (1855, 1876) und Wilmanns (1878, 1880, 1887) hinsichtlich ihrer Ausführungen zur GZS untersucht. 22
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