Auf der Flucht getrennt | Manuskript Auf der Flucht getrennt Bericht: Julia Cruschwitz Seit über zwei Jahren hat Shafigheh Taheri ihren Sohn Ramtin nicht gesehen. Auf der Flucht aus Afghanistan wurden sie getrennt. Sie war unterwegs mit ihren Kindern Ramtin und Razieh. Der Kleine war damals 8 Jahre alt, seine große Schwester schon 21. Es passierte kurz vor der Überfahrt übers Mittelmeer. Shafigheh Taheri Als wir in der Türkei waren am Wasser, hat der Schlepper mich in ein Boot steigen lassen. Dann sagte er: das Boot ist voll. Und er versicherte mir: die Kinder kommen nach. Sie kamen aber nie. Ramtin und Razieh waren ein Jahr lang verschwunden. So lange hatte ihre Mutter keinen Kontakt zu ihnen. Sie war inzwischen in Thüringen gelandet. Und dann endlich meldeten sich die Kinder, hatten sich irgendwie zu Verwandten im Iran durchgeschlagen. Aber Ruhe fand Mutter nie, sorgte sich vor allem um den kleinen Ramtin. Shafigheh Taheri Es ist mein Kind. Es tut mir so leid, aber ich kann nichts tun. Die Familie ist aus Afghanistan geflohen. Aber weil dort offiziell kein Krieg herrscht, wurde Shafigheh Taheri hier zunächst nicht als Flüchtling anerkannt. Doch paradox ist: Nach Afghanistan abgeschoben werden durfte sie auch nicht, wegen der gefährlichen Lage dort. Sie bekam zwar eine Aufenthaltserlaubnis. Aber ihren kleinen Sohn konnte sie damit nur unter bestimmten Umständen nach Deutschland holen. Sie hätte einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben müssen, nachweisen, dass sie genug Geld für die gesamte Familie verdient. Die Thüringer Flüchtlingsbeauftragte meint: diese Hürde ist zu groß. Mirjam Kruppa, Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge Thüringen Das ist kaum möglich. Das muss auch dauerhaft gesichert sein, d.h. sie darf auch kein Probearbeitsverhältnis haben oder ähnliches. Das werden die wenigsten Menschen schaffen. Wenn sie das nicht nachweisen können, können sie ihre Familienangehörigen nicht legal nach Deutschland holen. So geht es tausenden Familien in Deutschland. Denn immer mehr Kinder werden auf der Flucht von ihren Eltern getrennt. Dieser afghanischen Familie blieb nach jahrelanger Trennung nichts anderes übrig, als ihre Kinder illegal hierherzuholen. Sie sind überzeugt: die Schlepper haben sie damals auf der Flucht absichtlich auseinandergerissen, um mehr Geld zu verdienen. Und das erzählen uns auch andere Flüchtlingsfamilien. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 1 Auf der Flucht getrennt | Manuskript Denn die Eltern zahlen natürlich höchste Summen, um ihre Kinder nachzuholen. An der Grenze vom Iran zur Türkei sagte der Schlepper zu dieser Familie: Ihr könnt rüber, aber eure Kinder nicht. Verzweifelt wehrte sich die Mutter. Mutter Ich habe meinen Kopf gegen die Wand geschlagen, gesagt, ich will zurück. Aber der Schlepper hat uns eingesperrt, ich habe um mich geschlagen und geschrien: ich will nur meine Kinder! Er hat immer gesagt, morgen, übermorgen. Ich habe gehofft, dass er die Kinder am nächsten Tag zu uns bringt. Ich bin auch ein paar Mal in Ohnmacht gefallen. Aber meine Kinder kamen nicht zurück. Von da an waren die beiden Kinder ganz auf sich allein gestellt. Sie waren erst zehn und elf Jahre alt. Tochter Wir konnten nichts tun, wir waren hilflos, weil unsere Eltern nicht da waren. Fünf lange Jahre dauerte die Trennung. Die beiden Kinder Omid und Aida lebten so lange illegal im Iran, fast ganz auf sich alleine gestellt, mussten ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Die Eltern dagegen bekamen in Deutschland auch die Aufenthaltserlaubnis mit Abschiebeverbot. Per Gesetz müssten sie monatlich 2.200 Euro netto verdienen, um die ihre beiden Kinder nachholen zu können – unmöglich. Jahrelang versuchten beiden, über den Landweg zu fliehen – vergeblich. Letzten Endes blieb nur das, was sie nie wollten: mit einem Schlepper die lebensgefährliche Fahrt übers Mittelmeer. Omid Wir sind losgefahren und weil es sehr hohe Wellen waren, haben wir zum Schlepper gesagt: Fahr zurück! Weil wir wussten: auf hoher See werden wir bei dem Wellengang alle unweigerlich sterben. Er hat nicht auf uns gehört und ist weiter gefahren. Es hat vier Stunden gedauert. Durch die hohen Wellen ist der Motor ausgefallen. Wir waren mitten auf dem Meer, haben kein Festland mehr gesehen und hatten keine Hoffnung, zu überleben. Tochter Mein Wunsch war, zum allerletzten Mal meine Eltern zu sehen. Ich dachte, ich müsste in dem Moment sterben. Als wir an Land waren, konnte ich das nicht glauben. Immer noch, wenn ich daran denke, zittere ich am ganzen Körper wegen all dem, was wir durchgemacht haben. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 2 Auf der Flucht getrennt | Manuskript So absurd es sich anhört: Für die Familie hat sich der zermürbende Nervenkrieg gelohnt. Denn jetzt können die Kinder Omid und Aida hier legal einen Asylantrag stellen und bekommen wahrscheinlich denselben Aufenthaltsstatus wie ihre Eltern. Nach Ansicht von Asylrechtsexperten fördert die momentane Gesetzgebung Menschenschlepperei. Über 10.000 Flüchtlingskinder kamen alleine im vergangenen Jahr ohne ihre Eltern in Deutschland an – zum Teil auch wegen dieser Gesetzgebung. Mirjam Kruppa, Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge Thüringen Die Folge ist wirklich dramatisch, die Folge ist, dass die Kinder, auch kleine Kinder, minderjährige Kinder den Schleppern überlassen werden, damit sie illegal hier einreisen können. Da kommt es natürlich zu sehr katastrophalen Zuständen, zu vielen Todesfällen und die Kinder sind diesen Schleppern absolut ausgeliefert. Um das zu verhindern, müsste das Aufenthaltsgesetz geändert werden und zumindest für den Nachzug minderjähriger Kinder die Unterhaltspflicht weg fallen. Doch das zuständige Bundesinnenministerium sieht keinen Handlungsbedarf. Auf unsere Anfrage heißt es: Zitat Bundesinnenministerium Das BMI ist der Ansicht, dass die bestehenden Regelungen ausreichend sind [ …] Es obliegt den Ausländerbehörden, davon Ausnahmen zuzulassen. Das bedeutet im Klartext: Ausnahmen aus humanitären Gründen sind zwar theoretisch möglich – aber unwahrscheinlich. Shafigheh Taheri hat gegen ihren Status geklagt. Vor wenigen Tagen fiel das Urteil: sie ist jetzt als Flüchtling anerkannt. Nun darf sie ihren Jüngsten offiziell hierher holen. Endlich, nach über zwei Jahren Trennung und einem nervenaufreibenden Gerichtsverfahren. 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