Sek I trifft Sek II, Aargauer Zeitung 10.3.2016

Nun reden die Schulen miteinander
von Fritz Thut — az Aargauer Zeitung
Zuletzt aktualisiert am 10.3.2016 um 16:01 Uhr
Oberstufenlehrer betrachten während «Sek I trifft Sek II» in der Berufsschul-Autowerkstatt die
Lehrlinge Sabine Möckel und Ramon Treier bei der Arbeit.
© Chris Iseli
Die Berufsschule lud zum Anlass «Sek I trifft Sek II» und löste damit eine grosse Resonanz aus.
Sie begleiten beide Jugendliche auf dem Weg ins Erwachsenenleben – und wissen nicht viel
voneinander: Die Oberstufenlehrer und die Berufsschule. Um den Dialog ins Rollen zu bringen lud die
Berufsschule Lenzburg (BSL) unter dem Titel «Sek I trifft Sek II» die Aargauer Oberstufenlehrer zu
einem Erfahrungsaustausch.
«Ich bin positiv überrascht, dass derart viele Lehrkräfte ihren freien Nachmittag für diesen Anlass
geopfert haben.» Markus Möhl, Präsident des BSL-Schulvorstands freute sich über rund 150 Bezirks-,
Sekundar- und Realschullehrer, sowie Schulleiter als Zuhörer. In seinem Eintretensreferat schildert er
deutsch und deutlich die Erwartungen, die er als CEO eines Lehrbetriebes an Lernende, die
Volksschule, aber auch an die Politik hat.
Wollen, können, machen
Von einem Lehrling erwartet Lehrmeister Möhl «Anstand und Respekt als Grundhaltung». Dies
können die Lehrer nicht verantworten, doch «Basiswissen in lesen, schreiben und rechnen» können
sie vermitteln. Der Zusatz «abrufbar in nützlicher Frist» legt die Latte schon deutlich höher.
Die Unterstützung der Eltern erachtet Möhl ebenfalls als wichtig – «und zwar nicht nur bis zur
Unterzeichnung des Lehrvertrages». Generell wünschten sich die Lehrbetriebe «Junge, die wollen,
können und machen».
Ein solches Musterbeispiel, Francesco Rachiele, der als Viert-Lehrjahr-Stift Polymechaniker bei der
Ferrum AG kurz vor den Abschlussprüfungen steht, schilderte in seinem Referat, wie er die
unterschiedlichen Anforderungen von Volksschule und Berufslehre erlebt hat: «Am Abend war ich
viel müder, musste gleichwohl viel lernen und die Freizeit wurde immer kürzer.»
Aus dem Mathematik-Unterricht habe er «eine gute Basis» mitgebracht und das Englisch, bei dem
neben dem Basis-Wortschatz auch technische Ausdrücke zu lernen waren, «hat mir Spass gemacht».
Aussagefähige Zeugnisse gefordert
Doch es gibt nicht nur solche positive Beispiele von jungen Leuten, die mit grösster
Selbstverständlichkeit souverän vor einem nicht unkritischen Publikum auftreten können. Möhl
schilderte auch Fälle von fallierten Lehrverhältnissen. Dabei spielt die fehlende Motivation oft eine
grössere Rolle als der absolvierte Leistungszug. Bezler können genauso durch die Abschlussprüfung
rasseln wie Realschüler. Kein Verständnis brachte der Berufsschulvorstandspräsident für jenen Sekler
auf, der «trotz einer Note 5 in Mathematik ohne Taschenrechner nicht über 10 rechnen konnte».
Aus solchen Erfahrungen resultiert ein konkreter Wunsch an die Volksschule: «Ich erwarte Zeugnisse,
die eine klare Aussage zum Können und der Kompetenz der Schüler machen.» Dazu gehören laut
Möhl auch Angaben über Stützunterricht und allfällige Lernzielbefreiungen. Beurteilungen über
Sozial- und Selbstkompetenzen wären für den Lehrbetrieb ebenfalls interessant, so der Lehrmeister.
«Schüler auf eine künftige Lehre vorbereiten ist nur eine von vielen Aufgaben der Schule», gab
Elisabeth Abassi, die Präsidentin des Aargauischen Lehrerinnen und Lehrerverbandes (alv), in ihrem
Referat Gegensteuer. Gerade die Anforderungen von Lehrbetrieben und Berufsschulen können nicht
mehr erfüllt werden: «Die Stärkung der Volksschule ist weggespart. Von Coaching-Lektionen können
wir nicht einmal mehr träumen.»
Gegenbesuch angeregt
Einen konkreten Wunsch an die Lehrbetriebe brachte Abassi auch mit: «Oft werden die Lehrlinge zu
früh rekrutiert.» Kaum sei der Lehrvertrag unterschrieben, lasse die Motivation im Unterricht massiv
nach.
Solch konkrete Forderungen sowie weitere Inputs wurden bei den anschliessenden Besichtigungen in
Lehrwerkstätten und Schulzimmern, sowie bei in Marktständen präsentierten Berufsbildern intensiv
diskutiert. Die allgemeine Erkenntnis, dass man noch zu wenig voneinander weiss, gipfelte im
Vorschlag des Seenger Schulleiters Urs Bögli, die Berufsschulverantwortlichen sollten sich doch bei
einem Gegenbesuch ein Bild über die aktuelle Situation an der Oberstufe machen.
«Das machen wir», erklärte BSL-Rektor Ruedi Suter spontan: «Unsere Zusammenarbeit kann nur
funktionieren, wenn wir miteinander im Dialog stehen. Dazu haben wir heute einen ersten Schritt
gemacht.»