Das Leben schmecken bis zuletzt.

INTERNATIONALER
FÖRDERVEREIN
BASALE STIMULATION ® E.V.
Geschäftsstelle
Markus Schäfer
Kiefernweg 11
67691 Hochspeyer
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rundbrief
Ausgabe 26 Juni 2015
1. Vorsitzender
Hubert Jäger
hubert _ jaeger @ web.de
2. Vorsitzende
Susanne Rossius
susanne.rossius @ berlin.de
Schriftführerin
Britta Hoentzsch
[email protected]
Kassenwartin
Elke Neu
elke @elkeneu.de
Beisitzerin
Hannelore Markovits
[email protected]
Website
Susanne Rossius,
Britta Hoentzsch
& Markus Schäfer
WEITERBILDUNGSANBIETER
BASALE STIMULATION ®
IN DER PÄDAGOGIK
Informationen des Internationalen Förderverein Basale Stimulation ® e.V.
Wien / Österreich
BIV Wien
Ulrike Reisenberger
Mariahilferstraße 76/7/79
Fon: +43 1892 1504
[email protected]
WEITERBILDUNGSANBIETER
BASALE STIMULATION ®
IN DER PFLEGE
Freising / Deutschland
www.ichdues.de
Elisabeth Wust
Fon: +49 8161 4565950
Kaiserswerth / Deutschland
kaiserswerther-seminare.de
Michael Gossen
Fon: +49 211 4093000
Ludwigsburg / Deutschland
www.kliniken.lb.de
Beate Truckses
Fon: +49 7141 9961101
Bern / Schweiz
www.bzpflege.ch
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Fon: +41 31 6301608
Neunkirchen / Österreich
Aktuell sucht die Weiterbildungsanbieter Österreich
einen neuen Vertragspartner.
Das Leben schmecken bis zuletzt.
Liebe Leserin, lieber Leser!
Später als Sie es gewöhnt sind halten Sie nun die 26. Ausgabe unseres zur Arbeit in Ihrer Regionalgruppe oder
Rundbriefs in den Händen. In diesem Jahr hatte zunächst unser Kongress, Weiterbildungsgruppe an:
am 20. und 21. März an der Humboldt-­Universität Berlin Priorität.
[email protected].
In der Rückschau dieser Ausgabe stellen wir Ihnen exemplarisch vier Wir freuen uns über Ihre Ideen und AnVorträge und Workshops des vielschichtigen Berliner Programms vor, regungen, seien es konkrete Beiträge, Prowelches auch bei den Teilnehmenden auf ausgesprochen positive Reso- und Contra-Diskussionen oder auch die
nanz gestoßen ist. Jede Menge Fotoimpressionen zum Kongress finden Vorstellung interessanter Projekte rund um
Sie auf: www.basale-stimulation.de/rueckschau/.
das Thema Basale Stimulation, Neues aus
der Forschung, Beiträge zur ImplementieTitelgebend für diese Ausgabe war der Beitrag von Heike Walper Das rung des Konzeptes in Einrichtungen u.a.m.
Leben schmecken bis zuletzt. Einfühlsam und fachkompetent beleuchtet die
Autorin verschiedene Aspekte von Nahrungsaufnahme und Genuss am Hinweise zu Veranstaltungen, neuen BüLebensende.
chern, Fernsehtipps usf. senden Sie uns
auch gerne zur Veröffentlichung auf unseWie bereits im Rundbrief 25 angekündigt folgt in diesem Heft der zweite rer Homepage www.basale-stimulation.de zu.
Teil des Artikels Sensomotorische Lebensweisen –Lebensthemen unserer Persönlichkeit von Winfried Mall. Interessant sind hier die Parallelen und auch Wie Sie vielleicht schon gelesen haben,
Unterschiede zu den Zentralen Lebensthemen der Basalen Stimulation.
finden Sie uns nun auch auf Facebook
unter: www.facebook.com/IntFoerVerBasStim.
Sabine Baumbach setzt sich in ihrem ersten Artikel mit der Lebenswelt Vielleicht kann auch dort ein lebendiger
Bett auseinander und beschreibt die Vielschichtigkeit der Situation bett- Austausch entstehen? Bei Fragen oder
lägeriger Menschen sowie die Ursachen, welche zu Bettlägerigkeit füh- Hinweisen zu unserer Facebook-Präsenz
ren können. Sie beschreibt welche Aspekte bei Bettlägerigkeit für den wenden Sie sich bitte an Britta Hoentzsch:
betreffenden Menschen bedeutsam sein können und welche Angebote britta.hoentzsch@ web.de
unterstützend wirken. Im folgenden Artikel knüpft sie an das Thema an
und beschreibt konkrete Möglichkeiten von Angeboten für bettlägerige Der Verein bietet Ihnen mit den genannten
Menschen. (Beide Artikel drucken wir mit freundlicher Genehmigung Medien die Möglichkeit zum fachlichen
der Zeitschrift „Praxis Egotherapie“, Erstveröffentlichungen 5/2013 und Austausch zur Vernetzung und zur leben6/2014.)
digen Verbreitung des Konzeptes. Nutzen
Sie die Gelegenheit! ❦
Der Artikel von Lars Mohr zum Zentralen Lebensthema Die Welt entdecken und sich entwickeln (Teil 2) wird im Rundbrief 27 im Herbst 2015 Ihre
Susanne Rossius
erscheinen.
Auf unserer diesjährigen Mitgliederversammlung haben wir Herrn
Müller-­
Fehling als langjährigen Moderator unserer MV auf eigenen
Wunsch verabschiedet. Ebenfalls verabschiedet haben wir uns von Elisabeth Bucher-­Zingg, deren 3-­jährige Amtszeit als Beisitzerin im Präsidium
zu Ende ging. Mehr dazu lesen Sie in der Rubrik Neues aus dem Präsidium.
Ich danke allen Autorinnen und Autoren für Ihre Beiträge, mit denen Sie
diese Ausgabe unseres Rundbriefs bereichert haben.Vielleicht lassen auch
Sie sich inspirieren und senden Ihre Beiträge aus Theorie und Praxis oder
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RUNDBRIEF
Vereinsorgan des Internationalen
Fördervereins Basale Stimulation e.V.
ERSCHEINUNGSWEISE
Der rundbrief erscheint 2 x jährlich
und kann nachbestellt werden unter:
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BEZUGSPREIS
Mitglieder des Internationalen Fördervereins
Basale Stimulation e.V. erhalten den
rundbrief kostenlos.
REDAKTION
Beiträge, die mit Namen oder Kurzzeichen
des Autors gezeichnet sind, stellen die
Meinung des Autors, nicht unbedingt die
der Redaktion dar. Termine, die genannt
werden, sind Informationen der Veranstalter
und ohne Gewähr. Bitte jeweils nachfragen,
der Verein übernimmt keine Verantwortung
für die Richtigkeit.
THEMA DER NÄCHSTEN AUSGABE
Die Welt entdecken (Teil 2)
Redaktionsschluss ist am 15. 9. 2015
Material hierfür schicken Sie bitte an:
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KONTAKTADRESSE
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DRUCKEREI
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GESTALTUNG
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www.heblikundwahl.de
BILDNACHWEISE
S. 29, Bild 1: Rainer Sturm, pixelio.de
S. 29, Bild 2: Uwe Wagschal, pixelio.de
S. 30, Bild 1: Uschi Dreiucker, pixelio.de
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THEORIE & PRAXIS
Das Leben schmecken bis zuletzt
Sensomotorische Lebensweisen – Lebens-
thema unserer Persönlichkeit (Teil 2)
Lebenswelt Bett
Was tun, wenn sich das Leben auf den LebensRaum Bett reduziert?
RÜCKBLICK
Brauchen wir eine palliative Versorgung von Menschen im Wachkoma?
Neue Wege in der Kommunikation von Menschen mit schwerster Behinderung
Über das gemeinsame Aushandeln
von Bedeutungen und die Frage
der Intentionalität
Resümee
PINNWAND
Verabschiedung von Elisabath Bucher-Zing
Verabschiedung von Herr Müller Fehling als langjähriger Moderator unserer MV
BESTELLFORMULAR & PREISLISTE
EDITORIAL / INHALT
1
2/3
Das Leben schmecken bis zuletzt
Die Bedeutung gustatorischen und oralen Erlebens
THEORIE & PRAXIS
Von Heike Walper
Der Mund als Wahrnehmungsorgan ist einer der er- Art und Weise missbraucht. Nahrungs- und Flüssigkeitsfahrungsreichsten und intimsten Bereiche des Men- aufnahme ist ein lebensnotwendiges Grundbedürfnis. Esschen. Der Geschmackssinn und der orale Tastsinn sen bedeutet Lebensqualität und diese ist auch ein Ziel
hat große Bedeutung bei der Aufnahme, Prüfung von Fürsorge und Pflege in der letzten Lebensphase. Die
und Zuführung von lebensnotwendiger Nahrung Folgen von mangelhafter Nahrungsaufnahme können
und Flüssigkeit.
unter anderem Kachexie, Dehydratation, Schwäche, Bewusstseinseintrübung, Elektrolytstörungen, gastrointestiGleichzeitig ist die gustatorische und orale Wahrnehmung nale Störungen und Mundtrockenheit sein. Wenn Menfür das Erleben von Genuss unerlässlich. Durch die orale schen nicht ausreichend essen kann dies Hilflosigkeit bei
Tastwahrnehmung können Menschen in sehr jungen Jah- Zugehörigen und professionellen Begleitern auslösen und
ren die Welt entdecken, Objekte erkunden, verstehen und Sterben bewusst wahrnehmbar machen. Nicht alle Palauf ihre Realität prüfen. Darüber hinaus hat der Mund als liativpatienten sind in der Terminalphase, viele erwarten
Kommunikationsmedium eine zentrale Bedeutung. Ge- noch Lebenszeit und Lebensqualität. Für diese Menschen
rade in diesem für kommunikativen Ausdruck wichtigen ist Ernährung notwendig, um ihr Leben zu erhalten und
und zum Genusserleben notwendigen Bereich sind Ein- zu genießen.
schränkungen durch Krankheit besonders einschneidend
für die Selbstbestimmung und das Erleben von Lebens- Die Reduzierung der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufqualität. Erwartungsfreie und voraussetzungslose Ange- nahme am Lebensende ist eine physiologische Reaktion
bote in den zentralen Lebensbereichen können schwer- des Körpers und eine künstliche Zufuhr von Nahrung
kranken und sterbenden Menschen die subjektiv erlebte und/oder zu viel Flüssigkeit kann sterbende Menschen
Lebensqualität verbessern und Zugehörige als Begleiter in unnötig belasten. Die für gesunde Menschen geltenden
der letzten Lebensphase befähigen.
Flüssigkeitsmengen kann ein Mensch am Lebensende
nicht mehr verarbeiten. Als Folgen kann eine vermehrte
Leben erhalten und Entwicklung erfahren
Sekretbildung im Gastrointestinal-Trakt zu Übelkeit und
Die Wahrnehmung für Nahrungsaufnahme und Prüfung Erbrechen führen.
der Genussfähigkeit ist eine Leistung vieler Sinne in Kooperation. Die Bedeutung der visuellen Erfahrung vor Die Flüssigkeit kann nicht mehr ausgeschieden werden
dem Essen ist ebenso bekannt, wie die Störung durch und die Folge einer Überwässerung zeigt sich in Atemnot
akustische körperliche Auslöser von Ekel oder Abwehr und einer Zunahme von zerebralen und peripheren Ödebei oder nach dem Genuss von Mahlzeiten. Wenn jedoch men. Die Bundesärztekammer hat diese Probleme in den
die Nahrungsaufnahme nur dem Erhalt von Leben die- Grundsätzen zur Sterbebegleitung benannt:
nen sollte, wäre eine bilanzierte und genussfreie Zufüh- rung der zum Leben notwendigen Stoffe sinnvoll. Diese „Die Hilfe besteht in palliativ-medizinischer Versorgung
setzt sich zusammen aus Energie liefernden Bestandteilen und damit auch in Beistand und Sorge für Basisbetreuung.
und Ballaststoffen. Die Grundnährstoffe sollen sich zu 25 Dazu gehören nicht immer Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, – 30% aus Fett, 60% aus Kohlenhydraten, 10 – 15% aus da sie für Sterbende eine schwere Belastung darstellen können. Eiweiß und etwa 30g Ballaststoffe zusammen setzten. (1)
Jedoch müssen Hunger und Durst als subjektive
Empfindungen gestillt werden“ (2)
Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr am Lebensende ist ein
kontroverses Thema das zum Teil auch sehr emotional Ein guter Appetit wird mit Genesung assoziiert. Wenn
diskutiert wird. Psychologische und soziale Aspekte sind Kranke keine Nahrung oder Flüssigkeit zu sich nehmen
ebenso allgegenwärtig wie ethische, moralische und auch wird die Erkrankung als bedrohlich wahrgenommen und
rechtliche Gesichtspunkte werden auch oft in polemischer die Progredienz sichtbar. Die daraus resultierende Angst
(1)http://www.medicoconsult.de/wiki/Zusammensetzung_der_Nahrung
der Zugehörigen, häufig durch eine unzureichende In- biografischen Erinnerung hat eine hohe Bedeutung. Viele
formation über die möglichen Folgen von zu hohen Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, GeschmacksveränFlüssigkeit und Nahrungsmengen, kann für den kranken derungen, Inappetenz, Dysphagie oder schlechte Gerüche
Menschen einen enormen Druck zum Essen erzeugen. können eine sinnliche Erfahrung behindern. Einige
Eine Nahrungskarenz am Lebensende kann eine bewusste Probleme können medikamentös behandelt werden, für
Entscheidung eines autonomen Menschen sein der da- andere stehen palliativpflegerische Angebote der Basalen
für auch die Verantwortung übernimmt. Reduktion oder Stimulation zur Verfügung.
Einstellung der Nahrungsaufnahme oder Nahrungszufuhr
kann die Frage nach passiver Sterbehilfe oder Lebensver- Außer dem Geschmackssinn und der oralen Tastwahrnehkürzung aufwerfen. Die Frage ob ein freiwilliger Verzichts mung sind auch das Sehen von Speisen, die Gesellschaft
auf Nahrung und Flüssigkeit am Lebensende als Selbsttö- und die Kommunikation mit Menschen, Bewegungsfätung oder als Akt der Selbstbestimmung gilt wird kontro- higkeit und Beschwerdefreiheit notwendig um Genuss zu
vers diskutiert.
erleben. Die Bedeutung von Beziehung und Begegnung,
Erleben der Außenwelt, Sicherheit, GestaltungsmöglichFür Menschen am Lebensende, für Zugehörige und für keit, Rhythmus und Selbstbestimmung für den Genuss
die Betreuer kann es hier sehr unterschiedliche Schwer- von Nahrung und Flüssigkeit ist groß.
punkte geben und um einer ganzheitlichen Betrachtung
gerecht zu werden, ist es notwendig, dieses Thema indi- Die Bedeutung gustatorischer und oraler
viduell zu betrachten. Das kann mit der Orientierung an Angebote im palliativen Kontext
den Zentralen Lebensthemen der Basalen Stimulation Leben erhalten und Entwicklung erfahren kann für einen Menund damit an den Motiven des Patienten gelingen.
schen in der palliativen Begleitung eine andere Bedeutung haben. Es kann bedeuten: Lebensqualität erhalten und EntwickDer Fokus der Betrachtung ist die subjektive Wahrneh- lung alternativer Qualitätskriterien. Gustatorische und orale
mung einer individuellen und bestmöglichen Lebensqua- Angebote können für schwerkranke und sterbende Menlität des betroffenen Menschen. Für schwerkranke und schen das Erleben von Genuss in einem überschaubaren
sterbende Menschen heißt „Essen“ autonom und selbst- Zeitintervall ermöglichen. Aber es gibt Palliativpatienten
verantwortlich dem eigenen Bedarf und Appetit folgend und noch mehr Zugehörige die eine Notwendigkeit einer
essen zu dürfen. Es kann auch eine Erleichterung bedeu- ausreichenden Nahrungszufuhr zur Erhaltung des Lebens
ten, nicht essen zu müssen und Zuwendung in anderen thematisieren. Für beide Seiten bedeutet dies ein FesthalBereichen des Lebens zu erleben.
ten an der Hoffnung auf Gesundung oder zumindest ein
hinausschieben des unvermeidlichen Ende des Lebens.
Das eigene Leben spüren
Das eigene Leben mit allen Sinnen spüren und wahrneh- Bewohner, 44 Jahre, 2 kleine Kinder leidet an ALS.
men schließt die Wahrnehmung über den Geschmackssinn Eine Tetraparese macht einStützkorsett notwendig und wegen ein. Unabhängig von individuellen Vorlieben ist das Schme- der dauerhaften Atemunterstützung mittels Nasenmaske
cken eine sehr sinnliche Erfahrung und ein Ausdruck von und zunehmender Dysphagie ist die Nahrungsaufnahme sehr
Lebendigkeit. Viele Patienten beschreiben die Lust am Es- zeitaufwendig. Herr L. braucht die Unterstützung
sen nicht mit Hunger sondern mit der Freude am Schme- durch Anreichen der Nahrung was pro Mahlzeit ca. 90 min.
cken. Dabei wird der Gefahr sich zu verschlucken weniger benötigt. Es kommt nicht selten vor, dass er sich verschluckt, Beachtung geschenkt als dem Geschmackserlebnis. Nicht was mit massiven Erstickungsanfällen verbunden ist.
selten gibt ein vertrauter Geschmack einen Gesprächsim- Eine PEG-Anlage ist für ihn keine Alternative. Er bezeichnet puls und kann so Türen zu einem intensiven Austausch öff- sich als Gourmet und bestellt sich im Internet Lieblingsspeisen, nen. Der Bedeutung von Geschmack und Geruch in der die nicht immer gut schluckbar sind.
(2) Grundsätze der BÄK zur ärztlichen Sterbebegleitung (Deutsches Ärzteblatt 2011, 7)
rundbrief des Internationalen Fördervereins Basale Stimulation ® e.V., Ausgabe 26
rundbrief des Internationalen Fördervereins Basale Stimulation ® e.V., Ausgabe 26
Der Umgang mit Hoffnung braucht Sensibilität und eine Eine gesteigerte Nahrungszufuhr, auch eine intravenöse
wahrhaftige Kommunikation ohne Belehrung oder sug- Ernährungstherapie, bei bestehender Tumorkachexie
gestive Vorwürfe. Das bedeutet für Pflegende immer wie- führt nicht zu einer Gewichtszunahme oder einer Verbesder eine Gratwanderung zwischen den Prinzipien der Au- serung der Kraft sondern in den meisten Fällen „nährt“
tonomie, der Fürsorge und der gerechten Verteilung von dies nur ein Tumorwachstum. Hunger und Durst werden
Zeitressourcen.
von sterbenden Menschen selten geäußert. (eine Ausnahme erleben die Menschen, mit Dysphagie aufgrund
Für andere Patienten ist eine Belastung durch das Gefühl von Tumorwachstum im Bereich der Speiseröhre). Aber
von „Essen zu müssen“ oft spürbar bevor die Zugehörigen kleine Portionen von Lieblingsessen – auch nur ein winmit dem Zeichen der Progredienz der Erkrankung ange- ziges Stück Schokolade, ein kleiner Tropfen Wein kann
messen umgehen können. Es braucht für die betroffenen Genuss erlebbar machen.
Menschen Alternativen zur Entlastung durch die Befähigung zur Fürsorge in anderen Bereichen von Pflege und Zunehmende Schwäche und Müdigkeit sind KrankheitsBegleitung. Entlastung kann zum einen eine Aufklärung symptome die weder medikamentös noch durch eine geüber Möglichkeiten und Grenzen der Nahrungsaufnahme steigerte Kalorienzufuhr behandelbar sind. Übelkeit und
bieten. Der andere, sehr wichtige Teil der Begleitung sind Erbrechen können durch zwanghaftes Essen zunehmen
alternative Angebote, wie pflegerische Wohlfühlangebote, und sind sehr belastend.
ein angenehmes Ambiente zu schaffen, vorlesen, erzählen
oder gemeinsam schweigen. Cicely Saunders, die Begrün- Den eigenen Rhythmus entwickeln, der durch die Erkranderin der modernen Hospizbewegung sagte: „Nicht dem kung vorgegeben wird, braucht kreative Angebote, die den
Leben mehr Tage hinzufügen, sondern den Tagen mehr individuellen Ressourcen und Symptomen angepasst sind.
Leben geben.“ (3) Viele Menschen haben hier aus der Vielleicht macht eine veränderte Tagesstruktur oder eine
Nähe und Verbundenheit eine große Kreativität, andere Pflegezieländerung eine intensivere Präsenz für den kranbrauchen Unterstützung um individuelle Ideen anbieten ken Menschen möglich.
zu können.
Beziehung aufnehmen und Begegnung gestalten braucht
Sinn und Bedeutung geben und erfahren kann für den möglicherweise Zeiten des gemeinsamen Schweigens
betroffenen Menschen und seine Zugehörigen in ande- oder ein anderes sinnliches Erleben von Zweisamkeit
ren Perspektiven gefunden werden: Essen und Trinken als eine gemeinsame Mahlzeit. Die Integration der Zuist in dieser Krankheitsphase nicht lebenserhaltend, son- gehörigen, ihre Befähigung, die Situation in einer guten
dern eine Möglichkeit zur Verbesserung oder Erhalt der Weise zu unterstützen und der achtsame Umgang mit ihLebensqualität.
rer Sorge unterstützen die Lebensqualität des betroffenen
Menschen. Sie kennen die Lebensgewohnheiten, Vorlie Frau H. leidet an einem Ileus. Sie isst gerne Suppen die über ben und Abneigungen und können so ihre Fürsorge bei
eine PEG wieder ablaufen. Sie erhält auf eigenen Wunsch gustatorischen und oralen Angeboten im Sinne der Basa eine parenterale Ernährung, die sie im Laufe des Hospizauflen Stimulation einbringen.
enthaltes selbst absetzt. Sie begründet dies mit der Bewe-
gungseinschränkung durch die Infusion und das Wissen, das Das eigene Leben spüren kann bedeuten:
sie durch die Infusionen keine Verbesserung ihrer Schwäche das eigene Leben schmecken
erwarten kann. Die Suppen will sie unbedingt weiter essen Dem Tastsinn des Mundes und dem Geschmackssinn
können: „nur um sie zu schmecken und damit ich weiß,
kommt aufgrund der sehr wichtigen Mundpflege in der
dass ich noch am Leben bin!“
letzten Lebensphase eine große Bedeutung zu. Es kann
auch eine der letzten deutlichen Willensäußerungen sein,
wenn Menschen den Mund als Intimzone verschließen.
Der Mund ist einer der intimsten Bereiche des Menschen
und daher ist es von großer Bedeutung, dass der betroffene Mensch mit jeder Art von Manipulation in diesem
Bereich etwas Positives assoziiert. In den Pflegeleitlinien
der Palliativpflege lautet das primäre Ziel: der Patient öffnet den Mund freiwillig und verbindet mit der Mundpflege ein angenehmes Gefühl. (4)
Orale Wahrnehmungsförderung kann als deutliche Anregung im Mund vielleicht auch neugierig machen und als
angenehm empfunden werden. Wenn diese Angebote in
Konsistenz, Temperatur und Geschmack (gustatorisches
Angebot) differieren und den persönlichen Vorlieben und
den Ressourcen des Patienten entsprechen, steigern sie die
Lebensqualität auch indem Schluckstörungen vermindert
werden. Darüber hinaus kann in Folge einer gesteigerten Funktionelle oder mechanische Dysphagie kann viele
Aktivität der Mundmuskulatur auch die Speichelproduk- Ursachen haben. Mechanische Störungen wie Tumore
tion gefördert und so die unangenehme Mundtrockenheit im HNO-Bereich und im oberen Gastrointestinal-Trakt,
von vielen Palliativpatienten verbessert werden.
neurologische Erkrankungen als Ursache oder auch psychische Einschränkungen wie Depressionen benötigen
Professionelle Begleiter brauchen eine Auseinanderset- diagnostische Abklärung und möglicherweise therapeutizung mit gelernten Mustern von Richtig und Falsch. Der sche Intervention. Orale Wahrnehmungsangebote können
Respekt vor der Autonomie von PatientInnen steht bei die Schluckstörungen (in Abhängigkeit von der Ursache)
entscheidungsfähigen Menschen vor dem Prinzip des im palliativen Kontext reduzieren.
(3) Saunders in Bausewein et al 2010, 6
(4) Kern 2006, 9
Die orale Tastwahrnehmung kann bei Aphasie oder Bewusstseinsveränderungen als Begegnungsebene bedeutsam sein. Beispielsweise kann die Mundpflege durch das
Spüren der Zahnbürste an den Lippen sinnhaft wahrgenommen werden und zu einer vertrauensvollen Kooperation führen die ein angenehmes Gefühl hinterlässt.
Der Mund ist als Tastorgan einer der wahrnehmungsstärksten Bereich des Menschen. Aus der Neurophysiologie ist
bekannt, dass die Aktivierung bestimmter Muskeln die
vermehrte Durchblutung des entsprechenden Bereiches
im Gehirn zur Folge hat. Da die motorischen Fähigkeiten
im Mundbereich in unmittelbarer Nähe des Vigilanzzentrums verarbeitet werden kann eine orale Wahrnehmungsförderung auch die Vigilanz verbessern. (5)
(5) Bienstein, Fröhlich 2003, 191 ff
rundbrief des Internationalen Fördervereins Basale Stimulation ® e.V., Ausgabe 26
rundbrief des Internationalen Fördervereins Basale Stimulation ® e.V., Ausgabe 26
NICHT- SCHADENS (nonmaleficence). Im konkreten
Fall der Gefahr des erkrankungsbedingten Verschluckens
kann ein Mensch, wenn er die Folgen und Alternativen
zu seinem Handeln kennt, selbst entscheiden was ihm das
„Schmecken“ wert ist. Husten oder sich verschlucken gehören zum Leben:
Herr C. hat infolge eines HNO-Tumors Fisteln zwischen
Ösophagus und Trachea und wird über PEG-Sonde nach seinem eigenen Bedarf mit Suppen ernährt. Er fragt
manchmal, welche Suppe es ist und sagt, dass er gerne scharfe Mahlzeiten bevorzugt hat. Auf diese Anregung bekommt
er seine Suppen schärfer gewürzt und er probiert zuerst einen Löffel bevor er die Suppe über die Sonde erhält. Oft schluckt er diese Probe, obwohl er dann stark husten muss weil diese über die Fistelgänge in die Bronchien gelangt. Das wiederholte Angebot die Suppe nach dem „schmecken“ wieder aus
zu spucken nimmt er selten an.
Aber er schreibt (da er aufgrund des Tracheostomas nicht
sprechen kann) seine Erklärung auf: „Husten gehört
zum Leben, wenn ich mal nicht mehr husten muss weiß
ich, dass ich nicht mehr lebe!“
Am nächsten Tag hat er für mich noch eine Ergänzung vorbe reitet: „ich weiß, dass ich davon eine Lungenentzündung bekommen kann, an der ich sterbe, aber ich denke,
eine Lungenentzündung ist nicht die schlechteste Art zu gehen!“ Er kennt die Alternative an einer akuten Tumor-
blutung zu sterben, da wir für die möglichen Akutsituationen das Vorgehen und die Wünsche des Bewohners erfragen
und in einem Krisenplan dokumentieren.
THEORIE & PRAXIS
4/5
6/7
THEORIE & PRAXIS
Abb. 1:
Eiswürfel in Pralinenschachtel sind visuell und oraltaktil
interessanter und kleiner als normale Eiswürfel.
Abb. 2:
Eisblumen aus Orangensaft, Wasser und Rotwein
Abb. 3:
Einmalpipette, Schaumstoff-Zahnbürste und Sprühflasche: Die Schaumstoff-Zahnbürsten (z. B. Dentaswab) gibt es mit und ohne Zahnpasta. Für die
Verwendung mit Getränken sollte nur darauf geachtet werden, dass geschmacksneutrale Materialien
verwendet werden.
Dazu gehören alle Regeln und Voraussetzungen zum Schluckbarkeit ist durch die verdickte Flüssigkeit und
Schlucktraining wie eine aufrechte Körperhaltung, aus- auch durch den deutlichen Temperaturunterschied zum
reichend Zeit, Information und Konzentration. Wichtig Mundraum gegeben. In der oralen Wahrnehmung kann
für orale Wahrnehmungsangebote ist die Kooperations- eine kalte, zähere Speise im Mund spürbar und damit auch
fähigkeit des Patienten, das heißt eine ausreichende Vigi- für den Schluckakt gut platzier-bar sein.
lanz ist notwendig. Ist diese nicht gegeben stehen gusta- torische Angebote bei der Mundpflege im Vordergrund. Eine andere Möglichkeit sind Süßspeisen in den diversen Geschmacksrichtungen die optimaler Weise gekühlt
Orale Angebote sollten darüber hinaus auch die Vor- serviert werden. Für die Zubereitung von kleinen Eislieben und Abneigungen des betreffenden Menschen würfeln, die im Mund langsam zergehen und einer oralen
berücksichtigen. Dies wiederum benötigt eine indivi- Aktivität bedürfen, bieten sich alle Geschmacksrichtungen
duelle Herangehensweise und einen kreativen Umgang an. Auch mit anderen „Lieblingsgetränken“ bieten sich
mit Regeln und Standards. Manchmal finden die be- Getränke-Eiswürfel an oder eine Gabe kleiner Mengen
troffenen Menschen oder ihre Zugehörigen selbst gute mit einer Pipette im Sinne eines gustatorischen Angebotes.
Lösungen:
Eingefrorene kleine Stücke von Konservenobst können geKonsistenz oder Temperatur
lutscht werden. Ausreichende Vigilanz vorausgesetzt förFlüssigkeiten sollten angedickt werden! Dazu stehen dert dies die orale Aktivität und bei saurem Obst regt dies
diverse Pulver zur Verfügung die nach individuellen zusätzlich den Speichelfluss an oder speziell Ananas-EisBedürfnissen Flüssigkeiten von ihrer Konsistenz besser Chips können Borken und Beläge lösen.
schluckbar machen. Nicht jeder findet einen Kaffee in
gallertartiger Form noch als Genuss und nicht wenige Getränke mit viel Kohlensäure, Brausepulver oder Brauverzichten auf einen zweiten Versuch.
setabletten sind durch das bitzelnde Gefühl im Mund ein
Erlebnis und auch wiederum eine Möglichkeit Beläge zu
Eine Lösung eines Bewohners war Speiseeis mit Kaf- lösen. Herzhafte Soßen lassen sich auch einfrieren, wenn
feegeschmack oder auch Eiscafe-to-go der von ver- es keine süße Anregung sein soll. Lunchpack – in eine
schiedenen Herstellern auch in unterschiedlichen Kon- ausgewaschene Kompresse eingewickeltes kleines Stück
sistenzen angeboten wird. Bei Bedarf kann hier auch Obst,Wurst oder ähnliches wird in den Mund gelegt. Dies
noch Eis cremig untergerührt werden. Die verbesserte kann die orale Aktivität und den Speichelfluss fördern.
rundbrief des Internationalen Fördervereins Basale Stimulation ® e.V., Ausgabe 26
Aufgrund einer breiten alternativen Angebotspalette findet dieses Angebot in meinem Bereich kaum Anwendung.
Sie haben erlebt, dass therapeutische oder pflegerische
Maßnahmen ausschließlich unter dem Aspekt der Notwendigkeit verrichtet wurden.
Gustatorische Wahrnehmung
Im Vergleich zu den anderen Sinnen des Menschen ist der Bewusstseinsveränderung oder Verständigungsprobleme
Geschmackssinn weniger differenziert. Mit dem Geruchs- können eine Durchführung der Mundpflege für beide
sinn gemeinsam besteht aber eine direkte Verbindung zu Seiten zu einem sehr unangenehmen Erlebnis machen.
den biographischen Erinnerungen was wiederum direk- Um eine bedürfnisorientierte Pflege anbieten zu können
ten Einfluss auf die Lebensqualität hat. Wenn eine Nah- ist es notwendig, zwischen pflegerisch indiziertem Vorgerungsaufnahme nicht möglich ist kann eine individuelle hen und den individuellen Bedürfnissen des Patienten zu
Mundpflege als gustatorisches Angebot ein sinnliches Er- unterscheiden. Palliativpflege bewegt sich hier in einem
leben ermöglichen. Die Geschmackswahrnehmung hat Spannungsfeld von „tun und lassen“ und bedarf einer kream Lebensende einen entscheidenden Einfluss auf die ativen Herangehensweise, sowie einer reflektierten HalLebensqualität. Außerdem kann ein schlechter Geschmack tung zu den eigenen Zielen einerseits und den Patientendurch eine ansprechende Mundpflege verbessert werden. bedürfnissen auf der anderen und wichtigeren Seite.
In beiden Fällen müssen Vorlieben und Abneigungen bekannt sein und berücksichtigt werden.
Für Pflegende wird eine saubere und intakte Mundschleimhaut mit einer hohen Pflegequalität assoziiert.
Mundpflege in der palliativen Begleitung
Dies ist in einer palliativen Situation oft nicht erreichDie Mundpflege kann von wahrnehmungsveränderten bar und in der Palliativpflege entspricht dies nicht dem
Menschen sehr ambivalent erlebt werden. Der Mund vorrangigen Ziel. Es ist wichtig, dass sich der betroffene
als persönlicher und intimer Bereich ist häufig die letzte Mensch sicher fühlt und die Mundpflege freiwillig durchDomäne von gelebter Autonomie. Negative Erfahrungen führen lässt. Er soll mit der Mundpflege ein gutes Gedurch schmerzhafte, vielleicht gewaltsame Manipulati- fühl verbinden und sich mit seinen Problemen bezüglich
onen mit schlecht schmeckenden oder scharfen Mund- der Mundpflege wahr- und angenommen fühlen und die
pflegezusätzen verursachen bei Menschen, die sich nicht autonome Entscheidungsfreiheit über den Intimbereich
verbal mitteilen können Misstrauen, Angst oder Abwehr. Mund behalten. (6)
(6) Kern 2006, 9
rundbrief des Internationalen Fördervereins Basale Stimulation ® e.V., Ausgabe 26
THEORIE & PRAXIS
8/9
Eine sinngebende Einbettung der Mundpflege in die Bei Mundgeruch kann Thymian oder Pfefferminz als Tee
Grundpflege ist für den Patienten nachvollziehbar und oder Aufguss zum Spülen oder in einer Sprühflasche devertraut. Menschen mit einem veränderten Körperbild sodorierend wirken. Das Lösen von Borken im Mundbebenötigen eine körperorientierende Einleitung um den reich wird unterstützt durch Sahne, Mandelöl, BrausepulMundbereich wahrnehmen zu können. Dies kann durch ver und kohlesäurehaltigen Getränken.
Ausstreichungen und vorsichtige Berührungen an den
Lippen geschehen. Wenn diese Ausstreichungen mit der Butter ist zur Mundpflege ungeeignet da sie durch den
Hand des Patienten geführt angeboten werden wird er be- Einfluss von Luftsauerstoff, Licht, Wärme, Wasser, Enfähigt sich selbst zu spüren und sich autonom zu orientie- zymen und Mikroorganismen sehr schnell ranzig riecht
ren. Auch durch eine geführte Lippenpflege, bei welcher und schmeckt. Wegen des hohen Wassergehaltes weist die
der Patient seine Lippen selbst cremt kann sich Vertrauen Butter bei normalen Temperaturen eine sehr rasche Verund Orientierung entwickeln. Die eigenen und bekann- derblichkeit auf. Aus diesem Grund ist Butter zum Lösen
ten Materialien werden als individuelle Normalität wahr- von Belägen zwar eine weit verbreitete Methode, die aber
genommen. So kann Sinn und Bedeutung erlebbar sein.
durch die Verwendung von Sahne, Mandelöl oder Olivenöl abgelöst wurde. Eine als angenehm beschriebene
Eine sitzende Position, das Ertasten einer Zahnbürste, das Variante ist Honig in Kondensmilch verrührt und mit eiRiechen von Zahnpasta, sich selbst in einem Spiegel sehen nem Schaumstoff-Tupfer auf die Zunge und die Mundund ein geführter Beginn des Zähneputzens vermittelt das, schleimhaut aufgetragen.
was der Patient vielleicht mit Worten nicht versteht. Eine
nachvollziehbare Normalität und die Unterstützung der Mit gustatorischen Angeboten zur Mundpflege kann bei
Autonomie schafft das für die Mundpflege nötige Ver- individuellen Bedürfnissen und mit pflegetherapeutischen
trauen. Die Sinnhaftigkeit der Mundpflege wird nicht nur Absichten gemeinsam mit dem Patienten eine Sinn und
auf der oral-taktilen Wahrnehmungsebene sondern auch Bedeutung spendende Mundpflege vertrauensvoll gestalim gustatorischen und olfaktorischen Bereich erlebt. Da- tet werden.
bei sind die Vorerfahrungen und persönlichen Präferenzen
des Patienten auf der einen Seite und der therapeutische Fazit
Einsatz von Zusätzen auf der anderen Seite manchmal Orale und gustatorische Angebote bieten schwerkranken
schwierig zu verbinden.
und sterbenden Menschen die Möglichkeit in der letzten
Lebensphase Genuss zu erleben. Essen müssen mit dem Ziel
Ein sehr unangenehmes Symptom stellt die Mundtrocken- der Genesung und des Wiedererlangens von Lebensenerheit oder auch Xerostomie dar. Häufig wird diese mit Durst gie tritt in den Hintergrund wenn belastende Symptome
beschrieben. Sie lässt sich mit einer guten Mundpflege infolge der Ernährung Kraft und Lebensqualität zusätzlich
ohne viel Flüssigkeit lindern und kann nicht mit einem begrenzen. Eine sensible Aufklärung mit dem PerspektiFlüssigkeitsmangel gleichgesetzt werden. Für sterbende venwechsel von Quantität zu Qualität ist notwendig um
Menschen ist diese Mundtrockenheit eine Belastung die das Leben bis zuletzt schmecken zu können! ❦
eine sehr häufige Anfeuchtung der Mundschleimhaut und
eine gute Lippenpflege erfordert. Der Speichelfluss kann
durch die Ausstreichung der Wangen und des Kiefers und
einer vorsichtigen Massage der Speicheldrüsen gefördert
werden. Wenn gewünscht können saure Getränke (Fruchtsäfte vor allem verdünnter Zitronensaft, saure Tees, geharzter Wein) mit Sprühflache oder Pipette, „Eis-Chips “ aus
Lieblingsgetränken oder eingefrorenes Konservenobst, (v.a.
Ananas) zum Lutschen, Zitronenöl über eine Aromalampe,
Saure Bonbons zur Mundbefeuchtung angeboten werden.
rundbrief des Internationalen Fördervereins Basale Stimulation ® e.V., Ausgabe 26
Palliative Probleme
Beschreibung in Stichworten
Mundgeruch
Pfefferminztee, Pfefferminzhydrolat (verdünnt), Eukalyptusöl in
Dexpanthenol-Lösung zum Spülen
Mundtrockenheit
Speichelfluss anregen:
Borken, Beläge
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Ausstreichung und Massage der Speicheldrüsen
Zitronenöl über Duftlampe
Zitronenwasser
saure Tees
Säfte
Vitamin C Lutschtablette
Ananas Eis-Chips
Eiswürfel aus geharztem Wein (Retzina), Sekt, Bier, Cola, Säfte
Brotrinde, Trockenobst, Kaugummi
Ablösen mit Fett (Sahne, Mandelöl, Olivenöl, Naturjoghurt)
danach Spülen oder Abwischen.
Ausspülen mit kohlesäurehaltigen Getränken (Cola, Sekt) Brausepulver
oder Vitamin C
die Schaumentwicklung löst Beläge.
Painful mouth
Mukositis
Honig auf Plastiklöffel oder Mundspatel im Gefrierschrank gekühlt
Myrrentinktur, Salbeitee (nur wenn gewünscht)
Für weitere therapeutische Interventionen stehen der Palliativmedizin pharmakologische Möglichkeiten
zur Verfügung. Insbesondere für eine Mukositis und ein Schmerzsyndrom im Mund (painful mouth),
sowie für Infektionen (Soor) ist eine ärztliche Anordnung einer medikamentösen Therapie notwendig.
Literatur
Bausewein C., Roller S., Voltz R.:
Leitfaden Palliative Care.
Elsevier München 2010
Bienstein Ch., Fröhlich A.:
Basale Stimulation in der Pflege. Die Grundlagen.
Kallmeyer’sche Verlagsbuchhandlung,
Seelze-Velber 2003 und Verlag Huber Bern 2010
Deutsches Ärzteblatt 2011, Jg. 108, Heft 7
Kern M.:
Palliativpflege Richtlinien und Pflegestandards.
Pallia Med Verlag Bonn, 2006
Walper H.:
Basale Stimulation in der Palliativpflege.
Ernst Reinhardt Verlag München, 2012
Walper H.:
Basale Stimulation Palliative Care für Einsteiger.
Band 1, der hospiz verlag, 2014
rundbrief des Internationalen Fördervereins Basale Stimulation ® e.V., Ausgabe 26
Heike Walper ist Krankenschwester
für Anästhesie und Intensivmedizin
Praxisbegleiterin Basale Stimulation
in der Pflege, Trainerin für Palliative
Care und Stationsleiterin im
stationären Christophorus Hospiz
in München.
[email protected]
10/11
Sensomotorische Lebensweisen – Lebensthemen
unserer Persönlichkeit (Teil 2)
Die Umwelt mit den Sinnen entdecken:
„Ich bin offen für Neues, kann mit
meinen Sinnen genießen.“
(In der nicht behinderten Entwicklung ab ca.
dritten Monat im Vordergrund.)
die zur Kompensation der Einschränkungen nötige Unterstützung geben. Fehlendes Vertrauen bzw. übermächtige Angst hemmt die Bereitschaft, neugierig und offen
das Unbekannte zu erkunden. Umwelterforschung wird
dann vielleicht auf wenige „stereotype“ Teilbereiche beschränkt, die Überwältigung durch das fremde Neue wird
so vermieden.
Intermodale Wahrnehmung
Beherrscht ein Kind seinen Körper und seine Sinne einigermaßen, und ist es bereit, sich vertrauensvoll neuen Erfahrungen auszusetzen, macht es sich an die Entdeckung Reizdeprivation – Reizüberflutung
seiner Umwelt (1): Was fühlt sich wie an? – Wie schmeckt Aber auch die Begrenztheit der zugänglichen Welt (zum
was? – Wie riecht es? – Welche Geräusche kann man da- Beispiel auf das Bett, den Rollstuhl, das Zimmer) behinmit machen? – Wie sieht es aus? Mit allen Sinnen erkun- dert die Entdeckung der Umwelt, wenn kaum Chancen
det es seine Umgebung, und bald kennt es seine Vorlie- bestehen, neue und abwechslungsreiche Erfahrungen mit
ben und Abneigungen und bildet Geschmacksvorlieben den Sinnen zu sammeln. Dann bleiben die Eindrücke von
aus. Es erwirbt dabei eine innere Welt der Vorstellungen dieser Welt entsprechend beschränkt, die innere Vorsteldarüber, welche Eigenschaften die Objekte seiner Um- lungswelt bleibt reduziert (4). Ganz ähnlich können sich
welt aufweisen, wozu auch die vertrauten Personen ge- wiederholte Erfahrungen von Reizüberflutung auswirken,
hören (2), was sich – wie alle sensomotorischen Erfahrun- in denen ein differenziertes Wahrnehmen gar nicht möggen – in der entsprechenden Vernetzung der neuronalen lich ist. Das stereotype Aufsuchen der immer gleichen SinVerarbeitungsstrukturen niederschlägt (3). Im Wechselspiel nesreize hat dann eventuell den Sinn, sich abzuschirmen
zwischen Assimilation und Akkommodation steht die bzw. dem Nervensystem wenigstens ein Mindestmaß der
Akkommodation im Vordergrund: Ich passe mich an das physiologisch nötigen Reizzufuhr zu verschaffen.
Neue, Fremde an.
Stimulation der Sinne – Vermittlung
angenehmer Umwelterfahrung
Mit den Sinnen genießen
Gern greifen auch nicht behinderte Erwachsene dieses Basale Stimulation mit ihren Möglichkeiten der differenThema auf, wenn sie mit ihren Sinnen etwas genießen: zierten Anregung der Einzelsinne kann einem motorisch
Sie haben ihre Lieblingsspeisen, gestalten die Farben in ih- eingeschränkten Menschen trotz seiner Beeinträchtigunrer Umgebung, achten beim Kauf von Kleidung oder von gen Umwelterfahrungen ermöglichen. Jedoch setzt dies
Möbeln auf die taktilen Eigenschaften der Dinge, suchen ein Mindestmaß an Neugier voraus, die sich nicht einforWohlgerüche auf, genießen den Reichtum an Sinnesrei- dern lässt. Herrscht übermächtige Angst vor Neuem und
zen in der Natur. Ebenso vermeiden sie unangenehme Fremdem vor, wird es nötig sein, zunächst Erfahrungen
der tiefer liegenden, basalen Lebensweisen aufzugreifen
Sinneseindrücke.
und Vertrauen zu ermöglichen. Vielleicht helfen eher verUnzureichende Bewegungsfähigkeit behindert die um- wöhnende Angebote, die das Wohlbefinden fördern, um
fassende Entdeckung der Umwelt, wenn nicht andere diese notwendige Ausgangsbasis zu entwickeln.
Eigene Wirksamkeit erleben:
„Ich kenne mich aus und habe Einfluss, meine
Gewohnheiten werden respektiert.“
(In der nicht behinderten Entwicklung ab ca.
achten Monat im Vordergrund.)
sich als eigenmächtige Person seiner Umwelt gegenüber.
Selbstbestimmung wird zum gezielt verfolgten Thema. Im
ersten Trotz erkundet es die Grenzen seiner Wirksamkeit
und ist dabei auf einen wohlwollenden, aber stärkeren
Partner angewiesen, der ihm angemessenen Spielraum für
Im Verlaufe des ersten Lebensjahres entdeckt das nicht be- Eigenwirksamkeit öffnet, aber auch überzeugend Grenzen
hinderte Kind, dass es auf seine Umwelt Einfluss ausüben setzt (6). Wer als Fremder mit dem Kind in Kontakt komkann (5). Weinte es zuvor zum Beispiel als Reaktion auf men will, wird sich besser zunächst nach seinen GewohnSchmerz oder frustrierende Erfahrungen, vielleicht weil es heiten richten, sein Spiel mitspielen und es nicht gleich mit
sein Lieblingsspielzeugs verloren hatte, setzt es dies jetzt eigenen Ideen und Anregungen konfrontieren, sonst wird
gezielt zur Provokation einer Reaktion von Mutter oder er für das Kind kaum ein interessanter Spielpartner werden.
Vater ein.
Gewohnheiten geben Sicherheit.
Die meisten erwachsenen Menschen strukturieren ihren
Seriale Wahrnehmung
Das Kind spielt mit diesen Reiz-Reaktions-Zusammen- Alltag gemäß ihren Gewohnheiten. Sie entwickeln Rouhängen, will erleben, wie lange dies funktioniert, wie groß tinen und Rituale und finden darin Sicherheit, manchmal
sein Einfluss tatsächlich ist. Der Reiz liegt dabei mehr im bis hin zur Zwanghaftigkeit. Wer in eine unvertraute SituErleben der eigenen Wirksamkeit liegt als in dem konkre- ation gerät, sei es die neue Arbeitsstelle, die neue Wohnung
ten Ziel der Handlungskette. Es kann von Gegenwärtigem nach einem Umzug, das Hotel am Urlaubsort, ist dazu
auf Kommendes Schließen, freut sich bereits beim Anblick herausgefordert zu erforschen, wie es hier läuft, wie die
der Jacke auf das Spazierengehen, protestiert bereits gegen räumlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhänge,
das Baden, wenn es das Wasser rauschen hört. Das Hoppe- die Spielregeln sind. Das Erlebnis, etwas zu bewirken, eine
Reiter-Spiel mit dem „Plumps“ am Ende, das Fingerspiel neue Situation zu kontrollieren, sich als einflussreich zu
mit dem Kitzeln als Höhepunkt spielt mit der sich bil- erleben, schafft ein Gefühl der Befriedigung.
denden Erwartungshaltung. Innere Vorstellung von Raum
und Zeit formen sich, wie beim Versteckspiel das Konzept Selbstwirksamkeit als Grundbedürfnis
der Objektkonstanz, nämlich die Erkenntnis, dass Dinge Selbst Menschen, deren Handlungsmöglichkeiten aufund Menschen beständig sind, auch wenn man sie gerade grund ihrer Beeinträchtigungen sehr eingeschränkt sind,
nicht wahrnimmt. Rituale und Gewohnheiten gewinnen können ihre Selbstwirksamkeit entdecken, wenn nötig in
Form schlichter Verweigerung, gezieltem „Stören“, oder
an Bedeutung und verschaffen Sicherheit.
im „stereotypen“ Einfordern bestimmter Dinge (z. B. dass
immer das Radio zu spielen hat). Wer ein Empfinden für
Ich kann die Welt mir anpassen
Im Wechselspiel zwischen Assimilation und Akkommoda- die eigene Wirksamkeit gewonnen hat, will sich auch aktiv
tion verlagert sich der Schwerpunkt auf die Assimilation: in seine Umwelt einbringen. Erhält er keine konstruktive
Ich bin in der Lage, die Welt mir anzupassen. Die symbio- Gelegenheit dazu, wird er wohl eher zu „störendem Vertische Verbindung zur Mutter löst sich auf, das Kind stellt halten“ greifen, um nicht in Resignation zu fallen.
(1) Entspricht in etwa Piagets „drittem Stadium“ der „sekundären Zirkulärreaktionen“ (4) Damit korrespondiert wohl ebenso eine Verarmung der neuronalen Verarbeitungs
(5) Entspricht in etwa Piagets „viertem Stadium“ der „Koordination der sekundären (Piaget 1975, S. 159 ff); Haisch spricht von „effektgeleiteter Betätigung“
strukturen, die sich entsprechend der Art und Weise gestalten, wie der Mensch Verhaltensschemata und ihre Anwendung auf neue Situationen“ (Piaget 1975,
(Haisch 1988, S. 31 ff), Prekop und Affolter von „intermodaler Stufe“
mit der Umwelt interagiert (siehe zum Beispiel die Abbildungen in Vester 1996,
S. 216 ff); Haisch spricht von „gewohnheitsgeleiteter Betätigung“
(Affolter 1992, S. 39; Prekop 1990, S. 57).
S. 38 f, sowie Spitzer 2000, Hüther 2001).
(Haisch 1988, S. 38 ff), Affolter und Prekop von der „serialen Stufe“
(Prekop 1990, S. 56 ff; Affolter 1992, S. 52 ff).
(2) So lässt sich das „Fremdeln“ nach etwa 8 Monaten als Resultat
dieser gewachsenen Vorstellungskraft verstehen.
(3) siehe Vester 1996, S. 38 f, oder Spitzer 2000
rundbrief des Internationalen Fördervereins Basale Stimulation ® e.V., Ausgabe 26
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(6) siehe Pörtner 2001, v. a. S. 27 ff
THEORIE & PRAXIS
Von Winfried Mall
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