Bison-Effekt - Landwirt.com

DER BAUERNSPRECHER
Der „Bison-Effekt“
– Wie wir unseren Wohlstand ins Wanken bringen –
E
Hans Meister
Buchktipp
„Wie viel ist genug?“
ISBN
978-3-70201381-3,
Preis: 19,90 Euro
in Rudel Wölfe greift eine Herde Bisons
an und holt sich ein Tier. Sie schnappen
nach den Beinen, bis der Riese wankt. Die
anderen Bisons, die zahlen- und kräftemäßig
den Wölfen überlegen sind, stehen herum
und schauen zu, wie die Raubtiere einen aus
ihrer Mitte niederringen und töten.
Raubtiere suchen eine Schwachstelle in
der Herde ihrer Beutetiere, ein „Schnäppchen“, das sie sich relativ einfach holen
können.
Ein ähnliches Muster zeigt uns der Raubtierkapitalismus. Auch hier sind die
Schnäppchenjäger unterwegs, schnappen sich
das billigste Stück – und die, die es herstellten und davon leben müssen, stehen, wie die
Bisons im Yellowstone Nationalpark, daneben und sehen zu wie ihr Produkt billigst
verramscht wird. Das bezeichne ich als den
„Bison-Effekt“.
Der große Unterschied zu den Abläufen in
der Natur ist, dass im Klima des Raubtierkapitalismus eine Unterscheidung zwischen
Wölfen und Bisons nicht mehr möglich ist.
Wir alle sind auch Wölfe und auf der Jagd
nach billigen Schnäppchen. Gleichzeitig befinden wir uns aber auch überall dort, wo
wir unser Können und unsere Erzeugnisse
verkaufen müssen, in der Rolle der Bisons.
Wir müssen es billig geben.
Das Prinzip „leben und leben lassen“ gilt
nur noch selten. Die Mehrzahl gefällt sich in
der Rolle des Schnäppchen jagenden Wolfes
so sehr, dass sie gar nicht merken, dass sie
gleichzeitig auch der Bison sind, von dem
sich dieser Wolf nährt.
Wer zum Kampfpreis um 19 Euro von
Wien nach Berlin fliegen möchte, muss wissen, dass die Differenz zu den tatsächlichen
Kosten irgendjemand anderer bezahlt: das
Flugpersonal, die Techniker, die Piloten und
die eingesparten Fluglotsen. Wer daran zweifelt, kann austesten wie weit er mit einer
Tankfüllung von 19 Euro fährt.
Wer ein Kilogramm Schnitzelfleisch um
3,99 Euro kauft, muss wissen, dass den Fehlbetrag zum wahren Preis andere bezahlen:
das Schwein in engen Buchten, der bäuerliche Betrieb der zusperren muss und die
Billigst-Arbeitskräfte in den Schlachthöfen.
Jeder kann sich selbst testen, wie lange er
bereit ist für 3,99 Euro brutto zu arbeiten:
eine viertel, halbe oder ganze Stunde oder
wie viele Minuten?
Preisdumping suggeriert einen Vorteil für
den Einzelnen, bringt aber unser ganzes
Gefüge des Wohlstandsstaates ins Wanken.
Werbesprüche wie „Ich bin doch nicht
blöd“, „Geiz ist geil“ oder „Ich habe nichts
zu verschenken“, sollen die Richtigkeit dieses Handelns bestätigen und verstärken.
Tatsächlich gilt aber über den momentanen
Augenblick hinaus eine völlig andere Wahrheit. Nicht die totale Verdrängungs-Wettbewerbs-Ökonomie wird siegen, sondern der
Wohlstand wird verlieren. Wir alle. Wenn
aus Konkurrenzgründen alle billig sein müssen, zahlen alle niedrige Löhne und billigste
Preise. Verdient wird über die Umsatzmengen und in monopolistischen Marktstellungen. Das lässt kleineren Betrieben geringe
Chancen. Am Ende sind bis auf ein paar
Konzerne alle Verlierer, weil sich viele nicht
einmal mehr die niedrigen Dumpingpreise
leisten können und sich die Globalplayers
der Besteuerung entziehen.
Eine Gesellschaft, die sich derart gegensätzlich auseinanderbewegt und ihre Mitte
verliert, explodiert an ihren Rändern. Die
ersten Vorboten erleben wir bereits.
Wir können – wie die Bisons – entweder
nur Zuseher bleiben oder uns einmischen.
Um den „Bison-Effekt“ zu bremsen braucht
es eine Bewusstmachung der Konsequenzen
und politische Regeln in Form von Kartellkontrolle, Kostenwahrheit, Mindestlöhnen,
Preisbändern, Transaktionssteuer und Entschlossenheit.
Wer der kurzsichtigen Ökonomie des
„billig, billiger, am billigsten“ anhängt, kann
nicht erwarten, dass es langfristig teure Bildungs-, Gesundheits-, und Pensionssysteme
gibt. Der kann nicht erwarten, dass in seinem Tätigkeitsbereich gerechte Löhne und
Preise bezahlt werden. Jeder muss wissen,
dass er – wie der Bison in der Herde –
dann bald selbst zum Schnäppchen wird.
Ihnen allen ein gesundes und freudvolles
Neues Jahr
n
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oder diskutieren Sie mit:
Wie viel Wettbewerb halten wir aus?
Internet-Diskussion ab 1. Jänner 2016 unter
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